Listenreich I: 23 Songs für 2023

Aron & The Jeri Jeri Band (Neuseeland/Senegal): „The Return Of The Golden Egg“
Quelle: youtube
Aynur (Kurdistan): „Edlayê“
Quelle: youtube
Beirut (USA/Norwegen): „So Many Plans“
Quelle: youtube
Bixiga 70 (Brasilien): „Parajú“
Quelle: youtube
Adriana Calcanhotto (Brasilien): „Jamais Admitirei“
Quelle: youtube
Sarah Chaksad Large Ensemble (Schweiz/Diverse): „Lost“
Quelle: youtube
Joy Denalane (Deutschland): „Happy“ (feat. Ghostface Killah)
Quelle: youtube

Niels Frevert (Deutschland): „Pseudopoesie“
Quelle: youtube

Carla Fuchs (Deutschland): „Sixpence“
Quelle: youtube
Yumi Ito (Schweiz): „Drama Queen“
Quelle: youtube

Petros Klampanis (Griechenland/USA): „Énteka“
Quelle: youtube
Baaba Maal (Senegal): Yerimayo Celebration“
Quelle: youtube

Maro & Sílvia Pérez Cruz (Portugal/Katalonien): „Juro Que Vi Flores“
Quelle: youtube

Masaa (Libanon/Deutschland): „Lotus“
Quelle: youtube
Mokoomba (Simbabwe): „Makisi“
Quelle: youtube
Sílvia Pérez Cruz (Katalonien): „Sin“
Quelle: youtube
Golnar Shahyar (Iran/Österreich): „Ode To Trust“
Quelle: youtube
Slowfox 5 (Deutschland) : „Taquito Militar“
Quelle: youtube
Salvador Sobral (Portugal): „Pedra Quente“
Quelle: youtube
Faraj Suleiman (Palästina): „Oriental Melody“
Quelle: youtube

Dudu Tassa & Jonny Greenwood (Israel/Irak/Großbritannien): „Taq ou-Dub“
Quelle: youtube
West Trainz (Kanada): „Hobo Jungle“
Quelle: youtube
Adrian Younge & Tony Allen (USA/Nigeria): „Ebun“
Quelle: youtube

Listenreich II: 23 Alben für 2023

Aron & The Jeri Jeri Band (Neuseeland/Senegal): Dama Bëgga Ñibi (Urban Trout Records/Indigo)
Balimaya Project (UK): When The Dust Settles (New Soil)
Bixiga 70 (Brasilien): Vapor (Glitterbeat/Indigo)
Adriana Calcanhotto (Brasilien): Errante (Modern/BMG)
Sarah Chaksad Large Ensemble (Schweiz): Together (Clap Your Hands)
Joy Denalane (Deutschland): Willpower (Four Music)
Carla Fuchs (Deutschland): Songbird (Talking Elephant)
Gurdjieff Ensemble (Armenien): Zartir (ECM)
Yumi Ito (Schweiz): Ysla (enja records Yellow Bird)
Petros Klampanis (Griechenland/USA): Tora Collective (enja)
Baaba Maal (Senegal): Being (Atelier Live)
Maro (Portugal): Hortelã (Secca Records)
Masaa (Deutschland/Libanon): Beit (Traumton/Indigo)
Marco Mezquida (Menorca): Tornado (Galileo)
Bänz Oester & The Rainmakers (Schweiz/Südafrika): Gratitude (enja)
Sílvia Pérez Cruz (Katalonien) Toda La Vida, Un Dia (Sony)
Golnar Shahyar (Iran/Österreich): Tear Drop (Klaeng Records)
Slowfox 5 (Deutschland): Atlas (rent a dog/AL!VE)
Salvador Sobral (Portugal): Timbre (Warner)
Faraj Suleiman (Palästina): As Far As It Takes (Two Gentlemen)
Dudu Tassa & Jonny Greenwood (Israel/UK): Jarak Qaribak (World Circuit/BMG)
West Trainz (Kanada): Rail Nomads (L-Abe)
Adrian Younge & Tony Allen: (USA/Nigeria): Jazz Is Dead 18 (International Anthem)

 

 

Der Architekt des Afrobeats: Tony Allen ist gegangen

Tony Allen in Essaouira, Marokko, Mai 2015 (Foto: Stefan Franzen)

Mit großer Bestürzung hat die Musikwelt den plötzlichen Tod der Schlagzeuglegende Tony Allen aufgenommen. Der 79-Jährige starb am gestrigen Donnerstag völlig unerwartet in seiner Wahlheimat Paris, kurz nachdem er ins Krankenhaus eingeliefert worden war, weil er sich unwohl fühlte. Sein Tod steht offenbar nicht im Zusammenhang mit Covid-19.

Heute ist der Begriff „Afrobeat“ weltweit in aller Munde, sein Architekt war Tony Allen. 1940 im nigerianischen Lagos geboren, formte er die afrikanische Popmusik seit den Sechzigern entscheidend mit. „Ich wollte der beste Drummer Nigerias werden, hatte aber anfangs keinen blassen Schimmer, wie ich das anstellen sollte“, erinnerte er sich in seiner Wahlheimat Paris während eines Interviews mit dem Autor. „Da geriet mir die Jazz-Zeitschrift Down Beat in die Hände, mit einer Lektion von meinem amerikanischen Kollegen Max Roach. Seine Anweisungen kombinierte ich mit allem, was ich vorher in Nigeria gelernt hatte – und plötzlich spielte ich wie niemand anders.“ Ein weiteres Idol wird Art Blakey.

Erstmals wandte Allen seine Spielweise bei der Combo Cool Cats von Victor Olaiya an. Aufmerksam auf seine rhythmischen Künste wurde 1964 ein weiterer Landsmann: Fela Kuti, charismatischer Bandleader, gerade auf der Suche nach einem Drummer für seine Koola Lobitos: „Er sagte, ich würde wie vier Schlagzeuger gleichzeitig spielen“, erinnerte sich Allen. Tatsächlich rätseln Drummer bis heute über das synkopische, polyrhythmische Hexenwerk, das Allen mit verblüffend ökonomischer Spielweise zauberte. Er verschmolz mit seinem Drumkit, liebkoste die Felle aus dem Handgelenk, bediente das Bassdrum-Pedal kernig und zärtlich zugleich. Dabei glich er einem passioniert rührenden Koch am heimischen Herd, und tatsächlich hieß später denn auch eines seiner zentralen Werke Home Cooking.

Tony Allen teaches Tim Jonze
Quelle: youtube

Gemeinsam entwickelten Allen und Kuti 1968/69 aus dem in Westafrika populären Highlife, Yoruba-Traditionen und Jazz-Einflüssen einen neuen Stil, den Fela auch politisch auflud: Hypnotische Grooves und Antwortchöre mit provokanten Texten an die Adresse der korrupten Machthaber – diese manchmal 30 Minuten langen Stücke werden prägend für die neue Band Africa 70. Immer wieder ist die Parallele gezogen worden zwischen Afrobeat und dem Funk von James Brown.

Allen stellte in meinem Interview für Jazz thing 2008 klar: „Ich würde nie sagen, Funk habe aktiv den Afrobeat beeinflusst, auch nicht die Gegenrichtung. Das passierte allenfalls unterschwellig. Aber es war tatsächlich so, dass Brown mit seiner ganzen Band nach Lagos kam und seinen Arrangeur als Spion neben mich setzte. Der sollte genau aufschreiben, was ich da spiele. Ich dachte mir damals: ‚OK, in aller Ruhe warte ich jetzt mal ab, ob irgendjemand mich imitieren kann.’ Ich warte bis heute!“

Nachdem Allen 30 Platten mit Kutis Afrobeat-Orchester eingespielt hat, gingen die beiden Ende der 1970er getrennte Wege. Die Allüren seines Chefs, die riesige Entourage von Africa 70 – das war nicht die Welt des bescheidenen Mannes mit der schnarrenden Stimme. Bei Africa 70 war er auch meist ganz im Hintergrund gestanden, signfikant, dass er in diesem Live-Video aus dem Jahre 1978 überhaupt nicht ins Bild kommt:

Fela Kuti: Pansa Pansa (Berlin 1978)
Quelle: youtube

Allen nahm zunächst nur ein paar wenige Alben unter eigenem Namen auf, No Accommodation For Lagos das wichtigste unter ihnen. In der Wahlheimat Paris musste er lange Durststrecken durchstehen, bis ihn zur Jahrtausendwende eine neue Generation wiederentdeckte. Dafür verantwortlich war zunächst der Elektro-Produzent Doctor L, der mit ihm psychedelisch eingefärbte Werke wie Black Voices einspielte, auch der finnische Musiker Jimi Tenor entdeckte den Nigerianer. Ab diesem Zeitpunkt ging Allen unzählige Teamworks ein. Man konnte ihn in Marokko beim Gnawa-Festival von Essaouira mit Sufis auf der Bühne sehen, als Rhythmusgeber für eine haitianische Bigband, und in Damon Albarns afro-europäischem Trupp „Africa Express“ wurde er Stammgast. Fast ein Dutzend Scheiben veröffentlichte er während seines zweiten Frühlings, unter ihnen das grandiose Alterswerk The Source, entstanden 2017 mit Musikern, die alle einer anderen Generation als er selbst angehören.

Tony Allen: „The Source“ (Teaser)
Quelle: youtube

Und vor wenigen Wochen erschien noch Rejoice, eine Session, die mit dem 2018 verstorbenen südafrikanischen Flügelhornisten Hugh Masekela von World Circuit-Produzent Nick Gold eingefangen worden war und nun zum doppelten Vermächtnis wird. Parallel dazu war es ihm immer ein Anliegen, wie etwa auf Secret Agent (2008), junge nigerianische Musiker zu fördern. Tony Allen konnte sich im Alter darüber freuen, dass der Afrobeat zu einer globalen Angelegenheit wurde. Bands in Brooklyn und Toronto aber auch in Berlin, Stockholm und Tel Aviv haben Allens und Fela Kutis Errungenschaften adaptiert. „Ich sehe, wie der Baum, den ich mal gepflanzt habe, viele Zweige bekommen hat“, sagte er mit einem milden Schmunzeln.

Einige meiner Erinnerungen an ihn sind besonders: Erstmals traf ich Tony nahe der Porte de Clignancourt im Norden von Paris zu einem eindrucksvollen Interview im Séparée eines arabischen Teehauses, wo er nach dem langen Gespräch noch die Geduld hatte, mir unzählige LPs zu signieren. 2013 sah ich ihn völlig unvorbereitet, wie er während eines Konzerts der New Yorker Afrobeat-Band Antibalas für einen Gastauftritt bei Jazz à La Vilette auf die Bühne kam, und der Antibalas-Drummer Miles Arntzen ehrfürchtig in die zweite Reihe zurück trat. Zwei Jahre später erklärte er uns Journalisten im marokkanischen Essaouira, mit seiner sanften Stimme kaum über die parallelen Muezzin-Rufe hinwegdringend, wie sich die Afrobeat-Rhythmik mit der der Gnawas wunderbar vereinbaren lässt, und lieferte dann mit dem Gnawa-Meister Mohammed Koyou aus Marrakesch eine relaxte Mitternachtssession zur hereinrollenden Gischt des Atlantiks ab.

Zuletzt habe ich Tony exakt vor einem halben Jahr beim Jazz No Jazz-Festival in Zürich gesehen: Ich bin vorsichtig mit dem überstrapazierten Wort „Trance“, aber was an Allerheiligen 2019 mit der jungen „The Source“-Band entstand, versetzte mich in einen Zustand, der nicht mehr ganz diesseitig war. „Ihr seid ja nicht hier, um mich reden zu hören“, entschuldigte sich Tony Allen an jenem Abend für seine knappen Ansagen. Ein Mann der großen Worte war er nicht, wohl aber des großen Spiels. Mit Tony Allen verlieren wir einen unvergleichlichen Polyrhythmiker, der hohes technisches Können, unermüdlichen Einsatz für seine Musik und eine anrührende Menschlichkeit in sich vereinte.

© Stefan Franzen

Tony Allen: „Moanin'“
Quelle: youtube

Gigantengipfel: Hugh und Tony


Zwei Giganten der afrikanischen Musik, einer bereits nicht mehr unter uns, veröffentlichen am 20.3. ihr einziges gemeinsames Album. „Rejoice“ ist eine Erinnerung an eine einzigartige Freundschaft und künstlerische Partnerschaft zwischen dem 2018 verstorbenen Hugh Masekela und Tony Allen.

Der südafrikanische Trompeter und der nigerianische Drummer kannten sich seit den 1970ern und strebten über Jahrzehnte an, zusammen eine Platte aufzunehmen. Geklappt hat es erst 2010, als sich in London ihre Tournee-Wege kreuzten. World Circuit-Pultarchitekt Nick Gold profitierte von der Gunst der Stunde und fing intime Sessions ein, in denen Masekela auch als Sänger zu hören ist und zu denen er die junge Generation der britischen Jazz-Kapitale hinzuzog (etwa Tom Herbert oder Joe Armon-Jones). Allerdings blieben die Aufnahmen unvollendet, posthum hat Gold sie jetzt fertiggestellt, mit Allen, der das Ergebnis launig als „a kind of South African-Nigerian swing-jazz stew“ charakterisiert.

Tony Allen wird die Sessions mit seinem verstorbenen Freund auch zum Thema einiger seiner Europa-Shows machen, unter anderem im Berliner Club SO36 am 8.5.

Hugh Masekela & Tony Allen: „We’ve Landed“
Quelle: youtube

Listenreich III: 20 Konzerte für 2019

Sílvia Pérez Cruz, Café de la Danse Paris, 7.2.
WINTER
– Sílvia Pérez Cruz &  Marco Mezquida + Quinteto de Cordas (Katalonien) – Cafe de la Danse Paris, 7.2. + 8.2.
– Gyedu Blay-Ambolley (Ghana) – New Morning Paris, 8.2.
– Les Ballets de Monte Carlo (Monaco) – Théâtre des Champs-Elysées Paris, 9.2.
– Mayra Andrade (Cabo Verde) – Moods Zürich, 21.2.

Gyedu-Blay Ambolley, New Morning Paris, 8.2.
FRÜHLING
– JP Bimeni (Burundi/UK) – Schiff Freiburg, 19.3.
– Tonkünstlerorchester, Yutaka Sado (A/JP) – Gustav Mahler, Symphonie Nr.2 – Musikvereinssaal Wien 21.5.
– Franui & Guests (A/Verschiedene) – Festival „Gemischter Satz“, Konzerthaus Wien, 23.5.
– Anna Netrebko u.a. (Verschiedene) –  Umberto Giordano „Andrea Chénier“ – Staatsoper Wien, 24.5.

JP Bimeni, Schiff Freiburg, 19.3.
SOMMER
– Festivalensemble Boswil (Verschiedene) – Gustav Mahler, Das Lied von der Erde – Kirche Boswil 29.6.
– Ali Ghamzari (Iran) – Neumarkt Rudolstadt, 5.7.
– Ivan Vilela (Brasilien) – Theater im Stadthaus Rudolstadt, 7.7.
– Sudan Archives (USA) – Reithalle Riehen, 18.7.
– Andreas Gabriels Verändler (CH) – Museum Tinguely Basel, 30.8.

Ivan Vilela,  Theater im Stadthaus Rudolstadt, 7.7.
HERBST
– Danish String Quartet & Guests (Dänemark/Verschiedene) – Bygningskulturens Hus København, 3. – 5.10.
– Tony Allen (Nigeria/F) – Jazz No Jazz Zürich, 1.11.
– Daniil Trifonov (Russland) – Gewandhaus Leipzig, 7.11.
– Niels Frevert (Deutschland) – Jazzhaus Freiburg, 2.12.
– Arianna Savall Septett (Katalonien/N/D) – Forum Merzhausen, 7.12.
– Orchestre Philharmonique de Strasbourg, Ltg. Josep Pons (F/E) – Gustav Mahler, Symhonie Nr.6 – Palais des Congrès Strasbourg, 13.12.
– SWR Symphonieorchester, Ltg. Teodor Currentzis (D/GR) – Gustav Mahler, Symphonie Nr.9 – Konzerthaus Freiburg, 20.12.
Tony Allen, Jazz No Jazz Zürich, 1.11.
alle Fotos Stefan Franzen, außer Tony Allen Band (Marqs Kurz)

An Der Quelle

Solche Konzerterlebnisse zählen zu den absoluten Raritäten: Irgendwann kommt man in einen Flow rein, der es einem erlaubt, nicht mehr mit den Ohren, sondern dem ganzen Körper zu hören. So ist mir das nach langer, langer Zeit am Freitagabend in Zürich wieder bei Tony Allens „The Source“-Sextett geschehen. Nach 2008 in Paris und 2014 in Essaouira durfte ich der mittlerweile fast 80-jährigen nigerianischen Drummer-Legende das dritte Mal begegnen, und jedes Mal, ob – Konzert oder Interview – war inspirierend, intensiv und unvergesslich.

Auch ein Journalist muss mal überwältigt schweigen. Deshalb nur: Danke, Tony – für 80 Minuten polyrhythmische Finessen, spirituellen Jazz und groovigen Afrobeat an der Quelle. Weil ich in einer anderen Sphäre war, hat Markus Kurz die Fotos gemacht.

Tony Allen: „Cruising“
Quelle: youtube

Afro-Jam aus London Town I

Nubiyan Twist
Jungle Run
(Strut/Indigo)

Londons Szene scheint mit umso aufregenderen neuen Bands zu pulsieren, je absurder das Brexit-Theater wird. Auf seinem zweiten Album swingt das zwölfköpfige Kollektiv Nubiyan Twist zwischen den Koordinaten Jazz, Funk, HipHop, Brasil und Afrobeat. Benannt nach Nubiyan Brandon, der soulig schmachtenden bis cool rappenden Stimme im Epizentrum von vier Stücken, geizt die Band nicht mit weiteren Protagonisten. Denn nicht weniger seelenvoll ist Nick Richards, der für das funkige „Tell It To Me Slowly“ vom Sax auf die Vocals umsattelt und fast Marvin Gaye-Qualitäten entfaltet.  „Basa Basa“ und vor allem das atemlose „They Talk“ bündeln mit dem Ghanaer K.O.G. am Mikro eine ganze Palette westafrikanischer Anklänge. In „Addis To London“ drängen sich im dichten Bläsersatz die mysteriösen Skalen des Ethiojazz nach vorne, Stargast Mulatu Astatke am glimmenden Vibraphon inklusive. „Borders“ wartet mit schwülen brasilianischen Jazzharmonien in geschichteten Flöten und Stimmen auf. Und im Intro zum Finale „Sugar Cane“ blitzt plötzlich eine Art HipHop-Billie Holiday auf.

© Stefan Franzen

Nubiyan Twist: „Tell It To Me Slowly“
Quelle: youtube

Wassoulou reloaded

Oumou Sangaré
Mogoya
(NoFormat/Al!ve)

Die Königin der Wassoulou-Musik aus dem Süden Malis zeigt sich rundumerneuert: Ein Produktionsteam aus Schweden und Frankreich entging der Mühle der Afropop-Klischees, biedert sich aber auch nicht bei der urbanen Jugendkultur an. Die majestätischen Gesänge mit den charakteristischen Fünftonskalen thronen in der Single “Yere Faga” und im vertrackt-rasanten “Fadjamou” über Afrobeat, für den Tony Allen den Puls liefert. Die traditionelle Buschharfe Kamalengoni wurde clever durch Filter gejagt, verhallte Synthesizer-Effekte, rockige Orgel und Funkgitarren sorgen genauso für ungewöhnliche Details wie die ausgearbeiteten Chorsätze. Textlich ist Sangaré nach wie vor engagiert: Sie warnt vor Selbstmord und der Streuung übler Gerüchte, setzt uns Europäern die Kastenordnung der malischen Gesellschaft auseinander und mokiert sich über eitle Womanizer. Eine starke Rückkehr der Queen nach acht Jahren.

Oumou Sangaré: „Fadjamou“ (live)
Quelle: youtube

Listenreich: 2015

Die Jahresabrechnung.

Wie immer: Viel Spaß beim affirmativen Nicken und verständnislosen Kopfschütteln.

Und einen guten Rutsch!

ALBEN

jahresalben 2015
1. Alejandra Ribera (CDN/ARG/SCO): La Boca (Jazz Village/Harmonia Mundi)
2. Africa Express (Mali/UK/Various): In C Mali (Transgressive Records/Membran)
3. The Polyversal Souls (Ghana/D/Various): Invisible Joy (Philophon/Groove Attack)
4. Steen Rasmussen Quinteto (DK/BRA): Presença (Stunt Records/in-akustik)
5. Sophie Hunger (CH):  Supermoon (Caroline/Universal)
6. Rhiannon Giddens (USA): Tomorrow Is My Turn (Nonesuch/Warner)
7. Pat Thomas & The Kwashibu Area Band (Ghana/D): Pat Thomas & The Kwashibu Area Band (Strut/Indigo)
8. Blick Bassy (Kamerun): Akö (No Format/Indigo)
9. Irit Dekel & Eldad Zitrin (ISR): Last Of Songs (Pinorekk/Edel)
10. Eska (Simbabwe/UK): Eska (Naim/Indigo)
11. Melody Gardot (USA): Currency Of Man (Decca/Universal)
12. Benjamin Clementine (GB): At Least For Now (Caroline/Universal)
13. Dani & Deborah Gurgel Quarteto (BRA): Garra (Berthold Records/Harmonia Mundi)
14. Smockey (Burkina Faso): Pre’volution (Outhere/Indigo)
15. Matthias Loibner (A): Lichtungen (Traumton/Indigo)
16. Criolo (BRA): Convoque Seu Buda (Sterns/Alive)
17. Björk (IS): Vulnicura (Embassy Of Music/Warner)
18. Lisa Simone (USA): All Is Well (Laborie/Edel)
19. Bachar Mar-Khalifé (LBN/F): Ya Balad (Infine/Rough Trade)
20. Renaud Garcia-Fons & Derya Türkan (F/TK): Silk Moon (E-Motive/Galileo)
21. Jeff Lynne’s ELO (GB): Alone In The Universe (Sony)
22. Vieux Farka Touré & Julia Easterlin (Mali/USA): Touristes (Six Degrees/Exil)
23. Tigran Hamasyan & Yerevan State Chamber Choir (ARM): Luys I Liso (ECM)
24. Cassandra Wilson (USA): Coming Forth By Day (Columbia/Sony)
25. Biolay – Fiszman – Benarrosh (F): Trenet (Barclay/Universal)
26. Sacri Cuori (I): Delone (Glitterbeat/Indigo)
27. The Gurdjieff Ensemble (ARM): Komitas  (ECM)
28. Oum (MAR): Soul Of Morocco (Galileo)
29. Carminho (P): Canto (Parlophone/Warner)
30. Cristobal & The Sea (E/P/F/GB): Sugar Pack (City Slang/Universal)

SONGS DES JAHRES

jahressongs 2015
1. „I Want“ (Alejandra Ribera)
2. „Spaghetti mit Spinat“ (Sophie Hunger)
3. „Black Lake“ (Björk)
4. „The People And I“ (Benjamin Clementine)
5. „St. Augustine“ (Alejandra Ribera)
6.  „Courage“ (Villagers)
7. „Angel City“ (Rhiannon Giddens)
8. „Presença“ (Steen Rasmussen Quinteto)
9. „Taragalte“ (Oum)
10. „Child In Me“ (Lisa Simone)

KONZERTE

OLYMPUS DIGITAL CAMERA
1. Tony Allen & Mâalem Mohamed Koyou, Place Moulay Hassan, Essaouira, 15.5.
2. Sophie Hunger, Marktplatz Lörrach, 13.7.
3. Orlando Julius & The Heliocentrics, Kaserne Basel, 5.2.
4. Steve Gadd, Volkshaus Basel, 20.10.
5. Harald Haugaard & Helene Blum, Klausenbauernhof Wolfach, 21.3.
6. Oloid, Volkshaus Basel, 25.4.
7. Ballaké Sissoko & L’Art Royal de la Kora, Dar Adiyel, Fès, 25.5.
8. D’Angelo, Kaufleuten Zürich, 11.2.
9. Ivan Lins & SWR Big Band, Burghof Lörrach, 2.7.
10. Björk, Zitadelle Berlin-Spandau, 2.8.

FILME

1. Das Ewige Leben (Wolfgang Murnberger, Österreich/Deutschland)
2. No Land’s Song (Ayat Najafi, Iran)
3. Loin Des Hommes (David Oelhoffen, Frankreich)
4. Meister Des Todes (Daniel Harrich, Deutschland)
5. Atlantic (Jan-Willem van Ewijk, Marokko/Niederlande)
6. Señor Kaplan (Àlvaro Brechner, Uruguay)
7. Taxi Teheran (Jafar Panahi, Iran)
8. Selma (Ava DuVernay, USA)
9. The Martian (Ridley Scott, Großbritannien)
10. Bach In Brasil (Ansgar Ahlers, Deutschland/Brasilien)

BÜCHER

(im Gegensatz zu Tonträgern genieße ich bei Geschriebenem den Komfort, dass ich mich nicht um Aktuelles kümmern muss. Deshalb rutschen Klassiker und Wiedergelesenes hier ebenbürtig rein. Das gilt m.E. auch für die Filme.)

FICTION

1. Saphia Azzedine (Marokko/Frankreich): Bilqiss (Éditions Stock)
2. Elias Canetti (Großbritannien): Die Stimmen von Marrakesch (SZ Bibliothek)
3. Jonathan Franzen (USA): Freiheit
4. Driss Chraibi (Marokko): Ermittlungen im Landesinnern (Lenos Collection)
5. Amin Maalouf (Libanon): Der Geograph des Papstes (Insel)

NON-FICTION

1. Various: Seismographic Sounds: Visions Of A New World (Hrsg. Theresa Beyer/Thomas Burkhalter, Norient Books)
2. Manuel Negwer: Villa-Lobos – Der Aufbruch in der brasilianischen Musik (Schott)
3. Wolfgang Korn: Schienen für den Sultan (Komet)
4. Dieter Ringli / Johannes Rühl: Die Neue Volksmusik (Chronos)
5. Aaron Cohen: Amazing Grace (continuum)
6. Klaus Biesenbach u.a.: Björk Archives (Schirmer-Mosel)
7. Anthony Heilbut: The Fan Who Knew Too Much (Knopf)
8. Peter Scholl-Latour: Der Fluch der bösen Tat (Ullstein)
9. Alma Mahler-Werfel: Gustav Mahler (Fischer)
10. Greg Kot: I’ll Take You There (Scribner)

Highlife revisited

pat thomas - kwashibu area bandPat Thomas
Pat Thomas & The Kwashibu Area Band
(Strut/Indigo)

Wer die feine Trennlinie zwischen dem von Fela Kuti gepflegten Afrobeat und seinem ghanaischen Vorläufer Highlife erkunden möchte, dem bietet sich jetzt eine schöne Gelegenheit. Pat Thomas aus Kumasi war seit den 1960ern eine Vokalgröße im Bigband-Highlife, in den Achtzigern avancierte er in der exilghanaischen Szene Hamburgs zu einer der Leitfiguren des discoartigen „Burger Highlifes“. Mit der Kwashibu Area Band, in der neben alten Recken aus Ghanas Hautpstadt Accra und Nigerias Stardrummer Tony Allen auch der Poet Of Rhythm Ben Abarbanel-Wolff am Sax mittut, feiert er auf dem selbstbetitelten Album wieder den Sound der Siebziger. Palmwine-selige, schmelzende Melodien entfalten sich über federleichten wie komplexen Grooves wie in „Gyae Su“ oder „Odoo Be Ba“, knackige Bläserfanfaren liefern den Rahmen für pointierte Gesangslinien („Mewo Akoma“). Ein paar glimmende Orgeltöne kommen dazu und geschliffene, richtig zu Herzen gehende Gitarrenriffs. Thomas‘ immer sanfter Tenor webt Lyrics, die von den süffigen Retroflex-Lauten der Fanti- und Ashanti-Sprache durchwirkt sind. Hier ist alles im weichen Flow und auf fast magische Art trotzdem funky.

Pat Thomas & The Kwashibu Area Band: “ Odoo Be Ba“
Quelle: youtube