Kataloniens schönste Stimme

silvia perez cruz

Sílvia Pérez Cruz
Domus
(Universal Spain)

Es gibt eine Handvoll Stimmen auf dem Planeten, die mich unmittelbar zu Tränen rühren – ihre gehört dazu. Sílvia Pérez Cruz ist hierzulande – wenn überhaupt – nur Jazzhörern bekannt, weil ein Album mit dem Bassisten Javier Colina in den deutschen Vertrieb kam. Doch die 33-jährige ist weitaus vielfältiger, singt katalanischen und südamerikanischen Folk, Flamenco, Pop, kann vor der Textur einer Bigband bestehen und im Duo mit einer Konzertgitarre fast unhörbar wie Espenlaub zittern. Die Hauskonzerte, die sie auf youtube gestellt hat, die Session mit ihrem Vater in einer Kneipe, aber vor allem ihre Jahrhundertversion von „Cucurrucucú Paloma“, haben mich völlig umgehauen: Da sitzt diese Frau in einer Scheune, ihre Gitarre, und auch das Banjo vom Begleiter Raül Fernández sind ein wenig verstimmt, sie findet kaum den Einstieg, stockt später im Text, verliert fast den Rhythmus, eine Fliege krabbelt ihr über die Hand. Doch dieses spontane Setting ist berührender, echter als jede Konzertsituation, und wenn der Ruf der Taube kommt, setzt der Takt aus, und da ist nur noch eine Innerlichkeit, die einem das Herz zerreißt. Und man denkt sich einen ganz schlichten Satz:  So muss Musik eigentlich sein.

Ihre in Katalonien und Spanien gerade erschienene neue CD basiert auf einem Soundtrack, den sie für den Schicksalsfilm Cerca De Tu Casa über die Eurokrise in Spanien geschrieben hat. Fürs Album hat sie das Rohmaterial zu melancholisch-folkigem Ohrenschmaus ausgebaut. Die Songs leben von der vokalen Empfindsamkeit mit filigranem Vibrato, und für ihren Gesang schafft sie von Stück zu Stück verschiedene Settings: Harfe, zarte Gitarrentöne, kreiselndes Piano, Streichquartett, auch mal ein paar rustikale Chöre oder ein akkordeongetriebener Lambada-Rhythmus. Domus gibt es nur über Import –  ein großes Versäumnis der deutschen Musikindustrie.

Sílvia Pérez Cruz: „Verde“
Quelle: youtube

Schafft der WDR die Welt ab?

radio kaputt

Ein Geheimnis ist es schon lange nicht mehr: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland befindet sich in einem trostlosen Zustand – sofern man die Erfüllung des gesetzlich festgelegten „Kulturauftrags“ noch in irgendeiner Art und Weise ernst nimmt.

Dieser ein wenig schwammige Begriff kann im globalisierten Zeitalter nur Konturen bekommen, wenn man ihn denkbar umfassend begreift, sprich: als Abbildung aller Facetten von Klang, Schrift und Wort des gesamten Erdballs. Ein so verstandener Kulturauftrag ist probates Mittel, um das Verständnis für die Welt zu schärfen, Vorurteile abzubauen, Begeisterung für das Andere zu wecken – gerade jetzt, wo auf dem Hintergrund der „Flüchtlingskrise“ Ressentiments gegen dieses Andere hochkochen.

Der Westdeutsche Rundfunk bringt in dieser Großwetterlage die kulturelle Vielfalt nicht nur in akute Gefahr. Er ist auf dem besten Weg, sie in einem beispiellosen Kahlschlag nahezu abzuschaffen.

Dahinter stecken als Programmreform getarnte Sparmaßnahmen, von denen seit Jahresbeginn bereits WDR 3 und – wie nun bekannt wurde – künftig noch vielmehr der Spartensender Funkhaus Europa betroffen sind, letzterer 1998 vom damaligen Intendant Fritz Pleitgen als interkulturelles Aushängeschild auf den Weg gebracht.

Seit den 1970ern war die Kölner Anstalt Vorreiter für Klänge von anderswo. Doch Ende September ging der WDR 3-Redakteur Werner Fuhr in Pension. Fuhr hat über Jahrzehnte Sendungen wie Vom Bosporus nach Gibraltar oder die MusikPassagen konzipiert und verantwortet. Damit hat er uns nicht nur Musiktraditionen rund um die Welt näher gebracht, er und sein Team haben auch von Anfang an einen Beitrag dazu geleistet, die Kulturen unserer sogenannten „Gastarbeiter“ im Land zu beleuchten. Die aktuellen Sendungen seines Zuständigkeitsbereich waren unter anderem die Musikkulturen und die open SoundWorld, die damit warb: „Hier können Sie mit offenen Ohren die Vielfalt musikalischer Lebenswelten entdecken, verstehen und genießen.“

Noch bevor Fuhr seinen Ruhestand antrat, beschloss der Rundfunkrat die Reform. Diese umfasst die ersatzlose Streichung der open SoundWorld und die Etatkürzung für die Musikkulturen, die an Wochenenden und Feiertagen komplett entfallen und ansonsten auf den späten Abend verwiesen wurden. Das neue Konzept unter dem Arbeitstitel „Jazz & World“ ist de facto eine Zusammenlegung der zwei Sparten, Weltmusik findet nun vorrangig in kürzeren Beiträgen statt.

Das zweite Kapitel der Programm- „Planierung“ war ursprünglich nicht geplant und fällt noch wesentlich drastischer aus. Es betrifft WDR Funkhaus Europa, das sich mit vielen fremdsprachigen Anteilen an die in Deutschland lebenden Minderheiten richtet und zugleich die aktuellen Ereignisse im Global Pop abbildet. Die Sendeplätze für die arabische, türkische, spanische und polnische Community sollen auf 30 Minuten gekürzt, in den Abend verschoben und vorab aufgezeichnet werden. Seinem „interkulturellen“ Zuschnitt wolle Funkhaus Europa weiter nachkommen und das Programm dahingehend noch ausbauen, ließ die stellvertretende WDR-Unternehmenschefin Ingrid Schmitz vor einigen Tagen gegenüber der WAZ verlauten. Danach sieht es momentan nicht aus.

Denn noch dramatischer fällt die Umgestaltung des Musikprogramms aus: Insgesamt 17 (!) Autorensendungen, die bislang noch aus dem schon durchformatierten Sendeschema herausstachen, fallen ersatzlos weg. Darunter sind so beliebte Shows wie der „Balkanizer“ oder das „Mestizo FM“, das sich mit Latino-Sounds auseinandersetzt; weichen müssen auch die Beiträge des  DJ-Kollektivs Jazzanova, ebenso die von Baile Funk-Spezialist Daniel Haaksman verantwortete Sendung. Selbst das Flaggschiff und Urgestein der Musiksparte, die „5 Planeten“, moderiert vom langjährigen Experten und Musikchef Francis Gay, kommt unter den Sparhammer. Ab 23 Uhr gibt es künftig eine Musikrotation aus der Konserve.

Die jetzigen Zusammenstreichungen bei Funkhaus Europa sollen wohl die Einbußen auffangen, die die von SPD und Grünen Ende Januar im NRW-Landtag beschlossene WDR-Gesetzesänderung zur Reduzierung der Radiowerbung ab 2017 bringen werden.  Man darf sich trotzdem die bescheidene Frage gönnen, wie die Sparmaßnahmen begründet werden. Aufgrund des verordneten Rundfunkbeitrags werden die Öffentlich-Rechtlichen bis Ende 2016 einen Überschuss von 1,5 Milliarden Euro erwirtschaften, der auf Sperrkonten geparkt wird, auf die die Anstalten selbst vorläufig keinen Zugriff haben. Wie der Tagesspiegel analysierte, werden diese Überschüsse gewinnbringend angelegt.  Unterstützen wir mit unseren Gebühren ein Börsenunternehmen, während die vielen engagierten digitalen Formate wie byte.fm dem Kulturauftrag viel eher gerecht werden, aber mit den freiwilligen Beiträgen eines Freundeskreises auskommen müssen?

Vor sieben Jahren schloss der rbb in Berlin sein Radio Multikulti, Pionier für Weltmusik und Global Pop. Seitdem ist der Trend, Nischenvielfalt und Autorensendungen in den öffentlich-rechtlichen Häusern einzuebnen, landesweit unüberhörbar. Über die Verödung im Programmschema hinaus ist diese aktuelle Entscheidung des Rundfunkrates ein verheerendes Signal in Zeiten, wo das Gedanken“gut“ Braunbetupfter bis Braungetünchter sich immer lauter bemerkbar macht. Für das fragile Gebilde einer Willkommenskultur findet sich in den deutschen Radiosendern immer weniger Nährboden.  Zumindest was die öffentlich-rechtlichen Medien angeht, können all diejenigen, die sich ums Abendland sorgen, ganz beruhigt sein: Deutschland schafft nicht sich ab, sondern die Welt.

© Stefan Franzen
unregelmäßig als freier Autor für WDR 3 und Funkhaus Europa tätig

Highlife auf der Harfenlaute

osei korankye - seperewa of ghanaOsei Korankye
Seperewa Of Ghana 
(Akwaaba Music/bandcamp)

Diese Musik ist für mich schlicht und ergreifend die schönste, die in Ghana gespielt wird. Verantwortlich dafür ist der elegant pluckernde Klang der Harfenlaute Seprewa, ein außerhalb des Landes stiefmütterlich behandeltes Instrument, das über verschlungene Wege auch mit der Kora verwandt ist. Dank Osei Korankye kommt sie wieder zu Ehren; er hat heute sein Album via bandcamp auf Akwaaba Music veröffentlicht. Von Osei gibt es auch ein paar youtube-Clips, die er just in jenem Innenhof der Musikabteilung der Legon University bei Accra gedreht hat, in dem ich 2010 die Highlife-Legende Ebo Taylor interviewt habe. Dekan am Musikdepartment ist der langjährige englische Ghana-Experte John Collins, der hier zusammen mit Osei Korankye fachkundig über die Seprewa spricht.

Osei Korankye: „Kesewa“
Quelle: youtube

 

Konzertieren mit dem Zilpzalp

ian fisher

Ian Fisher ist ein 27-jähriger Songwriter aus St. Genevieve /Missouri – dort leben seit 150 Jahren Nachkommen aus Mittelbaden, insbesondere der Region Offenburg. Das allein wäre ja nun für mich keine Sensation, doch brach Ians Urururgroßvater einst von einem Nachbardorf jenes Ortes auf, in dem ich aufgewachsen bin. Mittlerweile lebt der Kosmopolit Ian in Berlin und hat schon einige Besuche bei seinen hiesigen Verwandten absolviert, stand aber in Offenburg noch nie auf der Bühne. Das holt er im Rahmen seiner derzeitigen Deutschlandtournee am 26.2. nach.

Seine Songs zwischen Country und Neofolk spielt Ian übrigens nicht nur im Studio ein, wie auf seinem aktuellen Album Nero. Vorletztes Jahr hat er sich mit zwei Mitmusikern in ein fränkisches Waldstück gestellt und dort das Forest Recording aufgenommen, das es nur auf Vinyl gibt, abgesehen von zwei youtube-Clips. Hier mehr zu Ian Fisher und den noch alemannisch schwätzenden Auswanderernachfahren, die in einem bemerkenswerten Film verewigt wurden, für den Ian den Soundtrack beigesteuert hat.

Ian Fisher: „Upside Down“
Quelle: youtube

Der wahre Löwe von Äthiopien

Mit seinem Ethio-Jazz hat er Haile Selassie und Mengistu überlebt und eine der spannendsten, originellsten Jazzspielarten der Welt kreiert: Altmeister Mulatu Astatke gab sich am Freitag in Mulhouse die Ehre, am Vibraphon, am Piano, an der Wurlitzer und an der Perkussion – umgeben von seiner jungen britischen Step Ahead-Band. Seine dichte, zuweilen unheimliche, manchmal skurrile Kombination von Fünf- und Zwölftonskalen hat schon Jim Jarmusch begeistert. Auf der Bühne hat der 72-jährige sein Vermächtnis präsentiert: Das Album Sketches Of Ethiopia, mit dem er allen Ethnien Äthiopiens und ihren Melodien und Rhythmen ein Denkmal setzt – und zwar so, dass es auch für den westlich geprägten Jazzhörer zum unvergesslichen Erlebnis wird. Merci Mulatu, merci à la Filature de Mulhouse pour ce spectacle merveilleux!

Mulatu Astatke: „Hager Fiker“
Quelle: youtube

Die Mystik zweier Welten

gustavsen tander vespestad

Es mag zunächst weit hergeholt klingen: Norwegische Kirchenhymnen werden mit der afghanischen Sprache Paschtu neu eingekleidet und wechseln sich ab mit Texten des persischen Mystikers Rumi, die wiederum auf Englisch gesungen werden. Doch je tiefer die Beschäftigung mit spirituellen Traditionen, desto mehr lösen sich Grenzen auf, werden Parallelen von Islam und Christentum spürbar. Gerade mit musikalischem Fokus kann eine solche Verschränkung zu einem beglückenden Resultat führen. So wie bei What Was Said (ECM), dem gemeinsamen Album der deutsch-afghanischen Sängerin Simin Tander mit den beiden norwegischen Musikern Tord Gustavsen und Jarle Vespestad. Simin Tander im ungeschnittenen Interview.

Simin, du hast mehrfach betont, wie großartig du Tord Gustavsen findest, und dass mit dieser Zusammenarbeit ein Traum in Erfüllung geht. Was ist für dich das Besondere an seinem Spiel?

Er schafft es, auf eine natürliche Art und Weise sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er ist sehr leidenschaftlich und trotzdem oft reduziert, er traut sich das. „Trauen“ verbindet man ja oft mit einer sehr wilden Art zu spielen, aber ich finde, man muss es auch erst mal wagen, sich auf kleine Melodien, auf einen einzigen Ton konzentrieren, ohne das Gefühl zu haben, man müsste mehr machen. Ich glaube, es geht ganz vielen Musikern so, wenn sie sehr virtuos sein möchten, dass das auch ein Hindernis sein kann. Tord kann alles spielen, es mangelt ihm nicht an Virtuosität. Er fühlt sehr schnell, worum es ihm geht, was ist der Kern des Stückes, des Sounds. Es ist ein tolles Gefühl, mit einem Pianisten zu spielen, der jeden Atemzug von einem mitnimmt und trotzdem Freiraum gibt. Tord hat ja mit sehr vielen Sängerinnen gespielt und auch schon als er jung war viele Kirchenchöre begleitet, er ist also sehr stimmenorientiert. Er kann meiner Phrasierung genau folgen, er fühlt auch genau, wann es Zeit ist nah zu sein und wann, ein Stück zurückzugehen.
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