Aufgewachsen ist sie im Iran, studiert hat sie in Kanada und zu musikalischer Reife gelangte sie in Wien, wo sie seit 2008 lebt. Die Sängerin, Songschreiberin und Multiinstrumentalistin Golnar Shahyar hat mit ihren Prägungen aus drei Erdteilen eine außergewöhnliche Musik zwischen Jazz, Songwriting und persischen Roots mit starken Texten geschaffen.
Über ihr Album Tear Drop und ihren Einsatz für die Freiheitsbewegung im Iran habe ich mit ihr für das Schweizer Radio SRF 2 Kultur gesprochen. Mein Beitrag wird in der Sendung Jazz & World aktuell am Dienstag, den 4. April ab 20h ausgestrahlt, und wiederholt am Freitag, den 7.4. ab 21h: Mit Annina Salis – Jazz und World aktuell – SRF
Er war das Mastermind des Afro Celt Sound Systems: Der Produzent, Gitarrist, DJ und Sänger Simon Emmerson hat uns am 13. März im Alter von 67 Jahren verlassen. Begonnen hatte Emmerson als Postpunk-Musiker, bevor er in den 1980ern in Cardiff mit der Band Weekend erstmals Weltmusik-Elemente aufnahm. Die nächste Karrierestation brachte ihn in den Reihen der Formation Working Week mit dem Acid Jazz in Berührung, danach spielte er bei der Popband Everything But The Girl. 1994 übernahm er die Produktion für das Album „Firin‘ In Fouta“ des senegalesischen Stars Baaba Maal, das für einen Grammy nominiert wurde.
Im Folgejahr gründete er das Afro Celt Sound System: Über neun Alben hinweg leistete das Kollektiv Pionierarbeit in der Zusammenführung von alten keltischen Melodien und afrikanischen Rhythmen. Irischer Dudelsack und westafrikanische Kora, Fiddle und Talking Drum bündelte Emmerson zu einem hochgradig tanzbaren Mix. In späteren Jahren traten Einflüsse aus der indischen Punjab-Musik hinzu.
Sein zweites großes Kollektiv war die 2004 gegründete Formation The Imagined Village, mit der er die traditionelle Seite der englischen Folkmusik mit Ska, Dub, Reggae und Bhangra verknüpfte, und in dem Größen wie Billy Bragg und Eliza Carthy zum Line-Up zählten. Neben den beiden Bandprojekten war Simon Emmerson weiterhin als Produzent tätig, etwa für Robert Plants „Life Begin Again“ (2003) oder Sinéad O’Connors „Collaborations“ (2005). Für die Royal Society for the Protection of Birds steuerte der Naturliebhaber Feldaufnahmen von Vogelstimmen bei. Emmerson stand für mehr als 80 Produktionen am Pult.
Simon Emmerson und den Afrokelten verdanke ich eine grandiose Tanzparty zu meinem 31. Geburtstag in Mainz. Cheers, Simon!
Brasilianische Musik scheint 2023 in ein neues Zeitalter der Entspannung zu gehen: Drei dringende Hörtipps für den Start in den Frühling!
„Meine einzige Angst ist der Frühling“, Meu Único Medo É Primavera (Ajabu! Records/Broken Silence) betitelt denn auch der brasilianische Songwriter Ian Lasserre sein aktuelles Werk. Dabei tönt der Liederzyklus des Bahianers mal relaxt wie ein Sonntagmorgenspaziergang mit knackiger Rhythmusgitarre („Abraxas“), träumerisch-melancholisch wie ein alter Milton Nascimento-Song mit Piano-Sentenzen („Estrela“) oder reibt sich auch mal an querständigen Jazzharmonien. Für alle Fans von Vinicius Cantuária!
Sehr zurückgelehnt gibt sich auch der in Kalifornien ansässige Gabriel da Rosa auf É O Que A Casa Oferece (Stones Throw). Sein Vokabular bleibt weitestgehend Samba- und Bossa-zentriert, aber alles anderes als altbacken. Spaß macht diese Scheibe, weil sie über der Akustikgitarre fantastisch mit Flöte, Bassklarinette, Posaune, butterweicher Elektrischer, lichtvollen Streichern, der genau richtigen Dosis Perkussion und Gabriels geschmeidig-knabenhafter Stimme textiert. Eine Musik, die duftet wie ein Frühlingstag im Jahre 1960, unser Anspieltipp heißt denn auch „Jasmim Parte 1“.
Die verblüffendste Brasil-Platte des Frühlings kommt für mich aber aus Düsseldorf. Ja, richtig gelesen. Die lusophile Stimmenkünstlerin und Songwriterin Elsa Johanna Mohr hat sich mit dem Gitarristen Flávio Nunes zu einem intimen Tête-à-tête zusammengefunden, das nicht nur alle deutsch-brasilianischen Fettnäpfchen, die da stehen könnten, ordentlich umschifft, sondern mit dem „Great Brazilian Songbook“ verschiedenster Genres und Geographien erfrischend und geradezu innovativ umgeht.
Der Afro-Samba „Tempo De Amor“ von Baden Powell wird funky rhythmisiert, „A Menina Dança“ klingt noch eine Spur swingender als bei Marisa Monte. Und „Fechada Pra Balanço“ hat genau die Gänsehaut-Blue Notes, nach denen das augenzwinkernde Stück verlangt. Mohr hat sich die portugiesische Sprache nicht nur wie eine Nativa angeeignet, sie versteht auch eine Menge vom effektvollen, sinnlichen Phrasieren im fremden Idiom. So rangieren unter den Highlights dann tatsächlich auch ihre fruchtigen Eigenkompositionen, wie die träumerische Bossapop-Ballade „Casuleira“ und das freche Titelstück „Passadinha“.
Elsa Johanna Mohr & Flávio Nunes: „Passadinha“
Quelle: youtube
Rabih Lahoud von Masaa (Foto vom Künstler zur Verfügung gestellt)
Drei deutsche Jazzmusiker und ein deutsch-libanesischer Sänger-Poet: Aus dieser Kombination entsteht bei Masaa eine einzigartige Klangwelt. Die Stimme der Band, Rabih Lahoud, reflektiert im Interview über das Ankommen in Deutschland, sein Verhältnis zu einer sich verändernden arabischen Sprache und über die Kategorisierungen in Weltmusik und Jazz. Ab dem 9.3. sind Masaa mit neuem Album auf Tournee: masaa-music.de
Rabih Lahoud, wenn man das neue Masaa-Album Beit (Veröffentlichung: 28.4.) hört, hat man den Eindruck, dass die Musiker sehr direkt die Hörer ansprechen, der Sound ist nah und warm. „Beit“ bedeutet ja auch „Haus“, „Heim“. Heißt das, Masaa sind nach Jahren der Wanderschaft zuhause angekommen?
Lahoud: Das würde ich bejahen, zumindest ist auch das mein eigenes Gefühl. Nach 20 Jahren bin ich jetzt hier ein bisschen mehr angekommen. Die Hälfte meines Lebens bin ich jetzt hier, mitgestaltend, nicht als Gast. Ich sage nicht mehr: „Hier bin ich woanders“. Sondern: „Jetzt bin ich hier“. Und diese Musik, diese meine Ideen tragen dazu bei, wie die Klanglandschaft hier ist.
Was bedeutet Beit als Albumthema genau, in einer Zeit, in der immer mehr Menschen gezwungen sind, ihren Schutzraum zu verlassen, in der viele Häuser zerstört werden, durch die gewaltige Explosion im Hafen von Libanon, durch den Krieg in der Ukraine? Haben diese Ereignisse Einfluss gehabt auf die Entstehung der Platte?
Lahoud: Ja, absolut. Das ist eine Überlegung, die sich intensiviert hat nach diesen Ereignissen. Ich sehe das Konzept von „Haus und Heim“ als ein doppeltes. Zum einen, das historische Sesshaftwerden der Menschheit. Zum anderen aber auch etwas Internes: Was bedeutet das wirklich, sich zuhause zu fühlen? Was für viele Menschen normal ist, jst heute für viele, viele nicht mehr selbstverständlich, sondern ein Privileg geworden. Am Ende des Titelstücks singe ich immer wieder: „Keine Häuser zerstören, Häuser bauen!“ Das kann man auch metaphorisch verstehen. „Hatdem“ heißt zerstören, „dammara“ aufbauen. Die arabische Sprache ist da sehr rhythmisch in ihrer Struktur, und daher hört sich das fast an wie ein Spiel mit Rap.
Daheim kann man sich ja auch in einer Sprache fühlen. Auf früheren Alben haben Sie auch auf Deutsch gesungen, das ist jetzt weggefallen, die meisten Ihrer Texte sind auf Arabisch, und die sind länger geworden als früher. Ist das Arabische trotz der langen Abwesenheit vom Libanon immer mehr Ihr Zuhause?
Lahoud: Ich glaube schon. Meine Beziehung zum Arabischen hat sich verändert. Ich fühle mich wohler im Sprechen, deshalb verwende ich vielleicht auch mehr Wörter. In meinem Alltag als Jugendlicher war vor allem der Klang der Sprache etwas Schönes, nicht die Bedeutung der Worte. Jetzt langsam haben für mich die Wörter neue Bedeutungen, neue Erfahrungen, ich habe das Gefühl, ich kann das zulassen. Es klingt jetzt mehr nach Rabih als nur nach Arabisch.
Wo steht die arabische Sprache heute als künstlerisches Ausdrucksmedium?
Mein Gefühl ist, dass die arabische Sprache etwas durch die osmanischen und europäischen Einflüsse eingebüßt hatte. Besonders im Libanon war dieser Einfluss ja groß und wir haben dort heute eine Mischung von Sprachen. Das ist einerseits wunderbar, denn der Mensch ist ein Wesen, das sich anpassen kann, um der Kommunikation willen Dinge transformieren kann. Das ist insbesondere ein libanesischer Wesenszug: Man verlässt Identitäten, um in Kommunikation zu bleiben, es geht darum, dass man sich versteht. Andererseits hat diese wunderbare Sprache dadurch auch ein bisschen ihr Herz verloren, indem sie sich vielleicht minderwertig oder nicht up to date fühlt. Denn es gibt viele Wörter der modernen Welt, für die das Arabische heute keine Entsprechungen hat. Das Arabische braucht meiner Meinung nach eine künstlerische Unterstützung. Es darf nicht die Fähigkeit verlieren, dass man Schönheit und Zärtlichkeit und Kraft ausdrücken kann.
Verändert sich die arabische Sprache auch durch die Umwälzungen seit dem „Arabischen Frühling“?
Lahoud: Ja, total. Ich fühle einen Umbruch, eine Wende, eine Veränderung im Bewusstsein der jungen Menschen, vor allem der Generation, die jetzt nachkommt, nach dem „Arabischen Frühling“. Die Sprache wird als etwas behandelt, das wiedergeboren werden muss. Ich habe den Eindruck, junge Leute verwenden in den Social Media Dialektausdrücke aus den einzelnen Regionen jetzt pan-arabisch, und dadurch entsteht eine neue Hochsprache, eine neue Ausdruckskraft. Das wird in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren auch in den Strukturen der arabischen Gesellschaft sichtbar werden.
Haben Sie nur zur arabischen Sprache eine neue Einstellung gewonnen, oder auch zur Musik Ihrer ersten Heimat?
Lahoud: Früher habe ich nicht mit arabischen Skalen gearbeitet, war eher auf Distanz. Inzwischen fasziniert mich die klassische arabische Musik und ich recherchiere über sie. Ich merke jetzt, wie wertvoll das ist, wenn wir diese Schatzkiste in den Masaa-Sound hineinnehmen. Ein Stück auf „Beit“, eine Widmung an den Musiker „Zeryab“ aus dem Córdoba des 8./9. Jahrhunderts, steht zum Beispiel im Nahawand-Modus. Das ist eine Skala, die mit dem europäischen Moll verwandt ist. Aber es gibt in der arabischen Musik eben viele Molls: In Aleppo hört sich Moll durch andere Mikrointervalle ganz anders an als in Kairo. Durch diese feinen Unterschiede öffnen sich ganz verschiedene Welten.
Im Stück „Nabad“ gibt es die schöne Zeile: „Nimm das Gewicht der Vorfahren weg“. Ist das ein Plädoyer dafür, dass wir uns als bloße Menschen begegnen sollten, unbelastet von politischen Altlasten der Vergangenheit?
„Spotted: Subsahara“ heißt das aktuelle Programm des Ensemble Recherche mit zeitgenössischen afrikanischen Kompositionen. Zum Brückenschlag zählt auch eine Improvisation mit einem DJ aus Ghana. Das Ziel: Gleichberechtigte Begegnung statt eurozentrischem Blick.
Elektronische Klänge flackern durchs Ensemblehaus. Verfremdetes Flussplätschern, klackernde Rhythmen, dann ein grelles akustisches Signal. Eine Autohupe oder Tram-Bimmeln? DJ Steloo aus der ghanaischen Hauptstadt Accra hat diese Geräusche in Freiburg gesammelt. „Wenn die Leute mir neugierig zuschauen, wie ich mit meinem Aufnahmegerät unterwegs bin, ist das für mich schon eine Street Performance“, sagt er. Die Klänge will er mit Sounds aus Accra kombinieren und unter Beteiligung des Ensemble Recherche zu einem Stück bauen. Mit Pianist Klaus Steffes-Holländer und Perkussionist Christian Dierstein hat er schon gearbeitet. „Ich finde es von Vorteil, dass ich gar keinen Hintergrund mit klassischer Musik habe, so kann ich die Klänge des Ensembles ganz anders umarmen.“ Er ist begeistert, dass die Freiburger Musiker sich ihrerseits auf Improvisationen einlassen.
Steloo hat das Konzept des DJs zu einem Gesamtkunstwerk geweitet. Im Interview sitzt er mit verspiegelter Sonnenbrille und einer bunten Kopfbedeckung, die auch an eine alte Pilotenkappe erinnert. Mode und Musik gehören in seiner Performance untrennbar zusammen. „Oft haben Europäer immer noch eine Vorstellung von afrikanischer Musik, die von Trommeln ausgeht. Doch der Klang Afrikas wächst, verändert sich. Leute wie ich versuchen Stereotypen zu sprengen.“
Neben dem mit Steloo erarbeiteten Stück stellt das Ensemble Recherche vier südafrikanische und einen nigerianischen Tonschaffenden der zeitgenössischen Musik vor. Den Dialog zum anderen Erdteil auf Augenhöhe anzulegen, ist das Anliegen des Programms „Subsahara“. „Es gab eine lange Phase von musikalischem Exotismus. Aber heute ist es nicht mehr akzeptabel, dass man eine Plünderung außereuropäischer kultureller Ressourcen vornimmt“, sagt der australische Komponist Paul Clift, neuer künstlerischer Leiter des Ensemble Recherche. „Unsere Frage ist: Wie können wir einen behutsamen Kontakt schaffen, ohne koloniale Geisteshaltungen zu zementieren, ohne dass eine musikalische Syntax die andere ertränkt?“
Begonnen hatte das bereits mit der Reihe „Postcolonial Recherche“. Die Arbeit mit Komponistinnen und Komponisten rund um die Welt stellte die Musiker vor Herausforderungen. Partituren bestanden oft aus verbalen Anweisungen oder gar graphischen Darstellungen von Tieren und Pflanzen. Als Guide durch die Landkarte aktueller Kompositionen Afrikas fungiert für das Ensemble der Südafrikaner Bongani Ndodana-Breen, der Clift kuratierend zur Seite stand und steht. Er wird selbst mit dem Werk „Two Nguni Dances“ vertreten sein, das sich zwar in westlicher Notation fixieren lässt, aber trotzdem seine Arbeit mit der Tradition durchscheinen lässt. Sein Landsmann Njabulo Phungula hat mit “A Tap Releases The New Harmony” ein geschaffen, das seinen Impuls aus einer gestischen Gedichtzeile von Arthur Rimbaud bezieht. „Es mag sich für europäische Ohren fast ‚leer‘ anhören, es lässt viel Raum für Vorstellungskraft und Allegorien“, so Clift.
Mit Monthati Masebe und Tebogo Monnakgotla sind zwei Frauen mit ungewöhnlichen Perspektiven im Programm: Masebe antwortet als Gender Rights-Aktivistin mit ihrer Arbeit auf patriarchale Normen ihrer Heimat, stellt aber auch koloniale Hierarchien auf den Kopf: Im Stück „Meraro“ fordert sie von den westlichen Instrumenten, sich auf die Klangwelt indigener Mundbögen einzustellen. Monnakgotla dagegen bringt durch ihre Sozialisierung in Schweden eine Erneuerung der Ursprungskultur in Form von Streichtrios ein.
Während sich in Südafrika durch eine Infrastruktur mit Orchestern und Konzerthallen Traditionen oft mit westlichen Elementen vermischt haben, mag der Beitrag des Nigerianers Ayo Oluranti unsere Erwartungen an das „Afrikanische“ eher zu befriedigen, weil er auf der perkussiven Apala-Musik mit Polyrhythmen und Wiederholungen basiert. Aber ist das nicht schon wieder einer unserer Stereotypen? Es sind spannende Fragen, die das Ensemble Recherche mit „Subsahara“ anstößt. Clift stellt im Kontakt mit Afrika sogar den Begriff des „Komponisten“ zur Disposition: „Muss das immer ein Individuum sein, das seine Vision hierarchisch mit einem Ensemble teilt? Warum ‚Komponist‘ nicht verstehen als eine kollektive soziale Einheit?“
Konzert: „Spotted: Subsahara“, Jazzhaus Freiburg, 8.3. 20h
Radio: Über die Arbeit des Ensemble Recherche wird das SRF 2 Musikmagazin am 11.3. ab 10h einen Beitrag bringen
Ende April wird die katalanische Sängerin Sílvia Pérez Cruz ihre neue Platte Toda La Vida, Un Día veröffentlichen.
Ein Werk, das sich in fünf Sätze gliedert (jeder entspricht einer Etappe des Lebens) und das Sílvia mit vielen Gästen zwischen Barcelona, Havanna und Buenos Aires eingespielt hat.
Heute erscheint vorab die zweite Single „Nombrar Es Imposible“ aus dem 5. Satz namens „Renacimiento“ – eine vergnügliche Spazierfahrt durch Havanna, bei der ein Kontrabass eine besondere Rolle spielt.
Sílvia Pérez Cruz: „Nombrar Es Imposible“
Quelle: youtube
Seinem lyrischen Ton konnte ich immer zuhören, auch wenn ich nie ein ausgesprochener Fan der Saxophonliteratur war.
Wayne Shorter, den ich vor allem bei seinen vielen Ausflügen abseits des Jazz schätzen lernte, von Milton Nascimento über Steely Dan bis Joni Mitchell, hat heute im Alter von 89 Jahren die Erde verlassen. Rest In Power.
Erinnern möchte ich an ihn mit einem seiner schönsten frühen Stücke, vom Post Bop-Album Speak No Evil auf Blue Note (1966).
Petros Klampanis Tora Collective (enja & yellowbird)
Zwischen Epirus und Mazedonien im Norden, Kleinasien und der Ägäis im Süden beherbergt die griechische Musik ein schillerndes Kaleidoskop von Stilen. Wir bekommen sie oft in Auszügen zu hören, selten deckt ein Ensemble alle Facetten ab. Der aus Athen stammende und dort und in New York lebende Bassist Petros Klampanis tut das, hat auf Tora Collective allerdings nicht nur ein Stilkompendium versammelt, sondern er formt aus all den griechischen Traditionen eine lebendige Jazzsprache. Dabei dienen ihm – wie so oft im Jazz – die traditionellen Melodien nicht nur als Ausgangspunkt zu weit abschweifenden Improvisationen, sondern Klampanis bleibt in Stücklänge in den lokal geprägten Färbungen.
Dass das gelingt, liegt auch an einer großartigen Band, in der die waidwunde Stimme der Sängerin Areti Ketime, Thomas Konstantinou an der Oud und Giorgos Kotsinis‘ schmerzlich vibrierende Klarinette herausragen. Dabei kann es mal sehr melancholisch wie im Volkslied „Ménexedes Kai Zouboulia“ aus Konstantinopel, mal sehr tänzerisch wie in „Hariklaki“ aus der Feder des in Smyrna wirkenden Rembetiko-Komponisten Panagiotis Toundas zugehen. Und ein paar Mal nehmen sich Klampanis auch die Freiheit, in Neukompositionen das Jazz-Idiom in den Vordergrund zu stellen. Großartig atmende Dynamik und viel Transparenz lassen alle Akteure, zu denen „Griechen-fremd“, aber sehr einfühlsam auch Pianist Kristjan Randalu und Trompeter Sebastian Studnitzky zählen – mit ihren Beiträgen wie in einer schmuck marmorierten Gesamtstruktur zur Geltung kommen.
Pulsar Trio We Smell In Stereo (Musszo/Kontor New Media)
Der Verdacht liegt nahe, dass bei dieser Band mindestens eines der Mitglieder synästhetisch veranlagt ist. „Wir riechen in Stereo“ könnte aber auch dahin deuten, dass hier Klänge aus Ost und West zu einem ganz neuen räumlichen Klangbild verschmelzen. In ihrer Verknüpfung von jazziger Improvisation, Popsong-Gestus und den Klangfarben der Sitar gehen die Musiker des Pulsar Trio auf ihrem vierten Abum einen kräftigen Schritt voran. Das synkopisch verhakte „Flotjet“ als Opener mit aberwitzigen Tremoli sorgt für hohen Puls, der aber sofort kontemplativ heruntergekühlt wird.
Diese Balance bestimmt auch den Rest des Werks: Das Titelstück katapultiert die Hörenden mit Wucht ins All, „Glaciers“ dagegen hat eine feingliedrige, auf einem Ton beharrende Spannungskurve, und „Susan“ ist eine schwebende Liebeserklärung. Eine Anschmiegung an barocke Figuren leuchtet in „Bacheweich“ durch, bevor der „Schlendryan“ sich mit Bass-Sitar bauchig gebärdet. Man schnuppert sich durch die Klangräume dieser Kompositionen und die Riechrezeptoren sagen: Osten und Westen vermählen sich in Kopf-, Herz- und Basisnote zu einer gelungenen neuen Duftpyramide. (Veröffentlichung: 3.3.)