Side tracks #18: Auf Schienen durch Jahrhunderte

gordon lightfoot - canadian railroad trilogyflagge-kanada-flagge-button-50x75Gordon Lightfoot
„Canadian Railroad Trilogy“
(aus: The Way That I Feel, United Artists 1967)

Nach etlichen Stationen in Brasilien wechselt diese Rubrik die Spur und gleist – wie es auf Neudeutsch so schön heißt – ein paar Tracks auf dem nordamerikanischen Kontinent auf.  Gordon Lightfoot erzählt in seinem epischen Folksong nicht nur die Geschichte der kanadischen Eisenbahn, sondern die des Landes gleich mit. Mit den Lyrics ist (s. Cover oben) in Kanada sogar ein Kinderbuch erschienen. Der Song stammt von seinem zweiten Album, noch bevor er dann 1970 mit „If You Could Read My Mind“ den großen internationalen Durchbruch hatte.

Gordon Lighfoot: „Canadian Railroad Trilogy“ (live)
Quelle: youtube

 

Im Reich der vergessenen Düfte

osmothèque 01

Symphonien für die Nase –  Ein Selbstversuch im einzigen Duftarchiv der Welt, der Osmothèque von Versailles.

Zimtig und harzig, wie ein sehr süßer, sehr edler Pfefferkuchen. Die Probe auf dem Duftstreifen lässt die Nase erst einmal zurückweichen. Das ist schon fast zuviel des Guten. Doch mit der Zeit gewöhne ich mich an die weihnachtlich anmutende Mixtur. Ein heiteres, fast erhabenes Gefühl macht sich breit. Ich versuche mir auszumalen, was das wohl für Menschen waren, die sich diese Komposition auf die Haut gestrichen haben. Das sprengt fast die Vorstellungskraft – denn dieser Duft ist fast 2000 Jahre alt.

„Parfums sind Symphonien und Parfumeure Komponisten“, befand Jean Cocteau, „in der Kunst ist die Parfumerie die duftende Nachbarin der wohlklingenden Musik.“ Warum, so wird man dann fragen dürfen, gibt es so wenig „Konzertsäle“ für die Nase? Sicher, man kann durch die einschlägigen Abteilungen der Kaufhäuser wandeln, sich Werbepröbchen von spezialisierten Versandhäusern schicken lassen. Dabei fehlt allerdings die historische Dimension, unerlässlicher Bestandteil in der Dramaturgie eines gelungenen Konzertabends. Sprich: Wenn wir nur an den aktuell zum Verkauf stehenden Düften schnuppern, dann ist das, als hörten wir nur zeitgenössische Werke. Und wer will das schon? Doch tatsächlich gibt es nur einen Ort auf der Welt, an dem der Nase aromatische Zeitreisen gewährt werden. Wo gewissermaßen der Mantel der Geschichte duftet.

Um diesen Ort zu besuchen, fährt man von der Parfumhauptstadt Paris aus ein Stück nach Westen. In Versailles, wo einst Könige residierten und Verträge unterzeichnet wurden, liegt mein Ziel an diesem trüben, herbstlichen Juninachmittag. Von Louis XV ist überliefert, dass er sich und seinen Hofstaat reichlich beduftete. Sein Schloss allerdings umgehe ich heute weiträumig. Im Zentrum der dem Château vorgelagerten Stadt riecht es gerade gar nicht fein: Ein unverkennbarer Fäkalienhauch mischt sich mit dem, was vom samstäglichen Markt so übrig geblieben ist. Ich steuere ein Restaurant an und bestelle das filet de julienne auf purée de pommes de terre. Schnell entpuppt sich das Tagesmenü als nahezu geschmacksfrei. Auch gut. Schließlich sollen sich für das, was mir vorbesteht, möglichst keine ablenkenden Altlasten im Riechkolben halten. Von der neutralen Cuisine gesättigt schlendere ich weiter durch die Straßen. Versteckt in einer Allee mit Spitzgiebelhäusern, hinter Rosenhecken kommt ein funktionaler Bau zum Vorschein, an dem die Plakette „Osmothèque“ prangt. Mit mir strömen etwa 40 Riechwillige zum Gebäude: eine Gruppe älterer, distinguierter Franzosen samt Dame im Pelzmantel, junge amerikanische Touristen, ein paar Gäste aus Fernost mit Kleinkind. Zwischen Vitrinen mintgrüner und fliederfarbener Flakons begrüßt Patricia de Nicolaï die Besucher. Sie stammt aus der berühmten Parfumeursfamilie Guerlain, und ich ertappe mich dabei, auf ihre Nase zu schauen. Keinerlei Auffälligkeiten. Aber sie verströmt einen dezenten Rosenduft. „Wir sind ein Conservatoire der Emotionen“, sagt die Präsidentin der Einrichtung mit leidenschaftlichem Überschwang. „Jedes Parfum der Vergangenheit ist ja mit einer Persönlichkeit, einer Epoche, einer Geschichte verbunden – und das ist der Zauber dabei.“ Weiterlesen

Schatzkiste #25: Algerische Nostalgie

line monty

Line Monty
Line Monty
(Dounia/Editions El Kahlaoui Tounsi, 1978)

entdeckt bei: Crocodisc, 42, rue des Écoles, Paris

Auch Paris bleibt – ganz abgesehen von EM-Turbulenzen und Streiks – derzeit nicht vom nassen Juni-Herbst verschont. Das optimale Wetter also für einen Vinylstreifzug, auf dem ich auch jedes Mal Crocodisc nahe der Sorbonne ansteuere, denn dort findet der Mélomane immer etwas. Bei diesem Trip einen Klassiker der jüdisch-algerischen Diva par excellence: Line Monty (1926-2003) war eine glamouröse Schnittstelle zwischen arabischen Melismen und französischem Chanson, quasi ein schillernder Vokalhybrid zwischen Édith Piaf und Oum Kalthoum. Von Kollegen der orientalischen Welt wurde ihr „Crossover“ nicht immer wohlwollend aufgenommen. Hier sind einige ihrer Standards versammelt, unter anderem der Hit „Ana Loulia“, der aus der algerischen Folklore kommt oder die Hymne „Alger Alger“ an ihre Heimatstadt aus der Feder des Landsmanns Lili Boniche. Ein duftender Rausch für die Ohren, ich rieche schon nach ein paar Takten den Gewürz- und Kaffeesouk in der Mellah von Marrakesch.

Line Monty: „Ana Loulia“
Quelle: youtube

Runengesang revisited

maarja nuut

Zwischen den Polen Arvo Pärt und Massenchor-Festivals gibt es in Estland eine Menge Spielraum. Folkmusik, die dort bei der Jugend den Stellenwert von Pop hat, wird gerade rundumerneuert, etwa von der 30-jährigen Geigerin und Sängerin Maarja Nuut, die Texte von Runenliedern mit experimentellen Ansätzen und Loop-Philosophie koppelt. Maarja kommt ab dem 1.7. auf Tournee in Deutschland, der Schweiz und Frankreich, ihr Album Une Meeles erscheint am 24.6. auf Indigo.

Tourdaten:
1.7. Silent Green, Berlin (D)
3.7. Rathaus Binzen (D)
4.7. Café Verkehrt, Murg-Oberhof (D)
5.7. Fondation Fernet-Branca, Saint-Louis (F)
8.7. Kulturhotel Guggenheim, Liestal (CH)
10.7. Werkraum Schöpflin, Lörrach-Bromach (D)

Maarja Nuut: „Hobusemäng“
Quelle: youtube