Goodbye, Gordon

Zuerst gehört habe ich eines seiner Lieder in der deutschen Version von Daliah Lavi („Wär‘ ich ein Buch“). Danach wurde es während der Olympischen Sommerspiele von München und Montréal von der ARD als Begleitmusik zur Wahl der schönsten Sportlerin verwendet. Der Name Gordon Lightfoot sagte mir damals natürlich gar nichts, erst viel später habe ich mich mit der Biographie des Mannes befasst, dem dieser empfindsame Bariton gehört. Aber die melancholisch fließende, in sich ruhende Melodie von „If You Could Read My Mind“, hat mich damals so in Beschlag genommen, dass dieser Song tatsächlich zu einem der ersten Ohrwürmer meines Lebens wurde.

Gordon Lightfoot hat in Kanada den Status einer nationalen Legende. Die meisten seiner singenden Landsleute mussten in den 1960ern aus wirtschaftlichen Gründen in die Staaten gehen, und es gerät zu ihrem Stigma, dass viele von ihnen bis heute für Amerikaner gehalten werden. Lightfoot dagegen kehrt nach kurzem US-Intermezzo bald in die Heimat zurück. Mit seiner Lesart von Country und Folk formt er einen sehr persönlichen Ton – ein Ton, der sich nie patriotisch gibt, aber das Publikum glaubt, in ihm typisch kanadische Mythen zu entdecken: Starke Naturbilder tauchen in seinen Songs auf, sie handeln vom Unterwegssein in der weiten Landschaft, von der Geschichte der Eisenbahn, dem Untergang von Schiffen, den Arbeitern auf den Wolkenkratzern. Lightfoot, der privat mit vielen Dämonen von Alkoholismus bis zu notorischer Untreue kämpft, singt auch oft über die Liebe, manchmal zynisch, nie sentimental, aber durchaus philosophisch, wie eben in „If You Could Read My Mind“.

Nun ist die Nationalikone im Alter von 84 Jahren gegangen. Erinnern möchte ich an ihn mit der für mich überragenden Liebesballade „Softly“.

Gordon Lightfoot: „Softly“
Quelle: youtube

(he)artstrings #26: Gedankenleser

Gordon Lightfoot
„If You Could Read My Mind“ (Gordon Lightfoot)
(aus:  If You Could Read My Mind, Reprise 1970)

Zuerst gehört habe ich das Lied sicher in der deutschen Version von Daliah Lavi („Wär‘ ich ein Buch“). Danach wurde es während der Olympischen Sommerspiele von München und Montréal von der ARD als Begleitmusik zur Wahl der schönsten Sportlerin verwendet. Der Name Gordon Lightfoot sagte mir damals natürlich gar nichts, erst viel später habe ich mich mit der Biographie des Mannes befasst, dem dieser empfindsame Bariton gehört. Aber die melancholisch fließende, in sich ruhende Melodie hat mich damals so in Beschlag genommen, dass dieser Song tatsächlich zu einem der ersten Ohrwürmer meines Lebens wurde.

Gordon Lightfoot hat heute in Kanada den Status einer nationalen Legende. Die meisten seiner singenden Landsleute müssen in den 1960ern aus wirtschaftlichen Gründen in die Staaten gehen, und es gerät zu ihrem Stigma, dass viele von ihnen bis heute für Amerikaner gehalten werden. Lightfoot dagegen kehrt nach kurzem US-Intermezzo früh/bald in die Heimat zurück. Mit seiner Lesart von Country und Folk formt er einen sehr persönlichen Ton – ein Ton, der sich nie patriotisch gibt, aber das Publikum glaubt, in ihm typisch kanadische Mythen zu entdecken: Starke Naturbilder tauchen in seinen Songs auf, sie handeln vom Unterwegssein in der weiten Landschaft, von der Geschichte der Eisenbahn, dem Untergang von Schiffen, den Arbeitern auf den Wolkenkratzern. Lightfoot, der privat mit vielen Dämonen von Alkoholismus bis zu notorischer Untreue kämpft, singt auch oft über die Liebe, manchmal zynisch, nie sentimental, aber durchaus philosophisch, wie eben in „If You Could Read My Mind“.

Nach Joni Mitchell ist Gordon Lightfoot die zweite Kreativkraft aus Kanada, die diesen Monat einen runden Geburtstag feiert, und zusammen mit Joni und Leonard Cohen bildet er die Triade der größten Songwriter des Ahornstaates. Happy 80th birthday, Mr. Lightfoot!

Gordon Lightfoot: „If You Could Read My Mind“, live 1972
Quelle: youtube

Terra Incognita: Kanadas Klassik (#14 – Canada 150)

Das Torontoer Canadian Music Centre (rechts), (Foto: Stefan Franzen)


Matthew Fava & Steve Wingfield (Ontario)
The Canadian Music Centre, Toronto


In der kommenden Woche startet auf SWR 2 Kultur meine Serie zur kanadischen Musikgeschichte. Am morgigen Montag befasst sich das erste Kapitel mit der klassischen Musik Kanadas. Seien wir ehrlich: Über Glenn Gould hinaus müssen die meisten von uns da mit weiteren Kenntnissen passen, auch mir ging das so. Deshalb habe ich im März in Toronto das Canadian Music Centre (CMC) angesteuert, eine Organisation, die seit 60 Jahren kanadische Komponisten vertritt, deren Partituren und Aufnahmen verlegt.

Zwischen den Wolkenkratzern von Downtown duckt sich eine Backsteinvilla mit verspielten Türmchen, als hätte man sie aus dem viktorianischen England importiert. Hier ist das CMC zuhause – aber verstaubter viktorianischer Geist? Fehlanzeige. Matthew Fava, der Direktor der Ontario-Abteilung des CMC und sein Kollege Steve Wingfield haben sehr zukunftsgewandte Ansichten über das kulturelle Selbstverständnis Kanadas. Im vorletzten Teil dieser Blog-Interviewserie ein Auszug aus einem zweistündigen Gespräch mit vielen unerwarteten, überraschenden Seitenpfaden und Erkenntnissen.


Matthew, Steve, was sind die Aufgaben des Canadian Music Centre? Geht es um Unterstützung aktueller Komponisten oder auch um die Pflege des Vermächtnisses von Künstlern früherer Epochen?

Matthew Fava: Viele der heutigen Aktivitäten können auf die Komponisten zurückgeführt werden, die wir in einer CD-Serie namens „Ovation“ versammelt haben. Es ist die erste Generation der Nachkriegskomponisten, mit denen das CMC immer noch eine Interaktion pflegt. Vielfach geht die Grundlage der kanadischen Komponisten dieser Epoche auf den Einfluss europäischer Komponisten zurück. Das CMC diente 30 Jahre nach seiner Gründung diesen Komponisten als Service-Organisation, wo sie ihre Werke hinterlegen konnten, und dann konnte man über sie – in einer Prä-Google-Ära – recherchieren. Weiterlesen

Schatzkiste #29: Yorkville remembered

joni mitchell - cloudsJoni Mitchell
Clouds
(Reprise, 1969)

Als ich heute kurz vor einem Schneesturm bei minus 10 Grad (der kanadische März…) durch Yorkville streifte, das ehemalige Hippie-Viertel Torontos, konnte ich mir kaum mehr vorstellen, was sich dort in den 1960ern abgespielt haben muss. Die Gegend ist gentrifiziert bis gesichtslos, viele der ehemaligen Clubs sind abgerissen. Auch das Gebäude des legendären Riverboat, 134 Avenue Road steht nicht mehr.
Hier haben zwischen 1964 und 1978 Richie Havens, Simon & Garfunkel, Gordon Lightfoot und auch Joni Mitchell gespielt, von Joni wird gesagt, hier habe sie „Night In The City“ geschrieben und ihren Hit „Both Sides Now“ erstmals einem Publikum vorgestellt. Ehrensache also, dass ich ihr zweites Album, auf dem sich diese erhabene Folkhymne befindet, aus Kanada mitbringe, auch wenn ich es nicht in der Ontario-Metropole, sondern im großartig sortierten Aux 33 Tours in Montréal gefunden habe.

Joni Mitchell: „Both Sides Now“
Quelle: youtube

Side tracks #21: Im Schlafwagen der verlorenen Liebe

joni-mitchell

flagge-kanada-flagge-button-50x75Joni Mitchell:
„Just Like This Train“
(aus: Court & Spark, 1974)

Mit der Canadian Railroad Trilogy hat Gordon Lightfoot vor einigen Wochen die kanadische Eisenbahnsektion eröffnet – und eine Trilogie schaffen wir hier in Kürze auch – mindestens.

Im bittersüßen Sarkasmus enttäuschter Liebe führt uns Joni Mitchell auf die Gleise, vergleicht ihren Zustand mit dem eines immer verspäteten Zuges, der in den Bahnhof hineinwackelt. Und während sie über die Gründe nachdenkt, warum sie ihre Liebe verloren hat, nimmt sie in einem überfüllten Wartesaal Platz und besteigt schließlich einen Schlafwagen, der sie und ihren Liebesschmerz hinweg trägt. Besonders sympathisch macht die Geschichte natürlich die Erwähnung einer „bottle of German wine“.

Es gibt von diesem Song seit diesem Jahr auch eine Version von Jochen Distelmeyer, mit der ich persönlich gar nicht anfangen kann. Jonis Original vom Album Court & Spark ist hier . Mochte ich bislang Blue und vor allem das allererste Werk Song To A Seagull am liebsten, entwickelt sich Court & Spark langsam aber sicher zu meiner Lieblingsscheibe. Es hat schon ein paar jazzige Züge, aber nicht zu viele,  ist unglaublich raffiniert instrumentiert bis hin zu fein aufgefächertem Symphonieorchester, und ist durch diese reichen Arrangements nicht mehr so direkt schmerzlich, so offensichtlich autobiographisch wie Blue.

2002 hat sie „Just Like This Train“ erneut mit Orchester eingespielt (auf dem Album Travelogue), und in den 1990ern hat sie den Song solo im Fernsehstudio aufgegriffen. Bei dieser Gelegenheit: Happy Birthday, Joni!

Joni Mitchell: „Just Like This Train“ (live 1996)
Quelle: youtube

Side tracks #19: Texas Eagle & Sunset Limited

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flagge-vereinigte-staaten-von-amerika-usa-flagge-button-50x75Billy Bragg & Joe Henry
Shine A Light
(Cooking Vinyl/Sony) 

Für einen Produzenten, der im Studio einen sehr eigenen, ausgetüftelten Sound schafft, müssen Feldaufnahmen wohl ein Graus sein. Nicht im Falle von Joe Henry: Mit seinem britischen Kumpan Billy Bragg nutzte er Schlafwagen, Gleise und Bahnhofshallen als Aufnahmeort. Die musikalische Zugreise quer durch die USA erscheint nun als Shine A Light. Zum Album habe ich Joe Henry interviewt.

Wenn die beiden Herren mit ihren Gitarren an diesem frühen Märzmorgen durch die große Halle der neoklassizistischen Chicago Union Station schreiten, fällt dem Zuschauer des Promoclips vor allem eines auf: die heutige Überdimensionierung des fast leeren Gebäudes. Bahnfahren in den USA scheint im Jahre 2016 kein großes Thema mehr zu sein. Fast beschwörend sagt Billy Bragg: „Wir wollen die Kunde verbreiten, dass es noch einen anderen Weg gibt, Amerika zu durchqueren.“ Die Idee des britischen Woody Guthrie-Verehrers und politisch engagierten Songwriters: Mit seinem alten Freund Joe Henry, der schon sein letztes Werk Tooth & Nail produziert hatte, die Staaten auf Schienen zu bereisen und die Unplugged-Reise auf einem Album zu dokumentieren. Weiterlesen

Side tracks #18: Auf Schienen durch Jahrhunderte

gordon lightfoot - canadian railroad trilogyflagge-kanada-flagge-button-50x75Gordon Lightfoot
„Canadian Railroad Trilogy“
(aus: The Way That I Feel, United Artists 1967)

Nach etlichen Stationen in Brasilien wechselt diese Rubrik die Spur und gleist – wie es auf Neudeutsch so schön heißt – ein paar Tracks auf dem nordamerikanischen Kontinent auf.  Gordon Lightfoot erzählt in seinem epischen Folksong nicht nur die Geschichte der kanadischen Eisenbahn, sondern die des Landes gleich mit. Mit den Lyrics ist (s. Cover oben) in Kanada sogar ein Kinderbuch erschienen. Der Song stammt von seinem zweiten Album, noch bevor er dann 1970 mit „If You Could Read My Mind“ den großen internationalen Durchbruch hatte.

Gordon Lighfoot: „Canadian Railroad Trilogy“ (live)
Quelle: youtube