Radiotipp: Hommage an den Hobo Sapiens

Foto: Christina Alonso

Der Weltenbähnler – die musikalischen Zugreisen von Erik West Millette & Westtrainz
SRF 2 Kultur, Die Passage, 29.01.2021, 20h

Bandleader, Bassist und Bahnfreak: Auf seinen Zugreisen in aller Welt war der Kanadier Erik West Millette stets mit Mikro und Rekorder auf der Pirsch. Mit seinem Projekt Westtrainz hat er seine Trips zu Gesamtkunstwerken aus Blues, Rock und Weltmusik geformt – inklusive Lokschnauben, Waggonrattern und Bahnhofs-Atmos von Vancouver bis Wladiwostok.

Foto: Christina Alonso

Von seinem Laboratorium in Montréal aus öffnet Millette die Fenster zur Welt: Er erzählt von seiner abenteuerlichen Familiengeschichte zwischen Louisiana und Québec, durchquert mit den Eisenbahnpionieren Kanada. Und bricht dann mit der Band Westtrainz auf andere Erdteile auf: Eine trinkfreudige Transsibirien-Tour, ein Sandsturm in Mali oder eine Begegnung mit einer Dampflok am Amazonas stehen auf dem Fahrplan, den er mit seiner Band West Trainz musikalisch widerspiegelt. Und schließlich schwingen wir uns mit den fahrenden Wanderarbeitern, den Hobos auf die Züge auf – ihnen setzen Westtrainz mit ihrem brandneuen Werk ein liebevolles Denkmal.

SRF 2 Kultur strahlt mein Porträt am Freitag, den 29.01.2021 von 20h -21h aus (Wiederholung am Sonntag, den 31.1.2021 um 15h):
Der Weltenbähnler – die musikalischen Zugreisen von E. W. Millette – Passage – SRF

West Trainz: „Lining Tracks“
Quelle: youtube

(he)artstrings #21: Anrufung im Regengroove

„De Cara A La Pared“ (Lhasa De Sela & Yves Desrosiers)
aus: Lhasa – La Llorona (Audiogram, 1997)

Dieser Tage schickte mir das Montréal Jazz Festival einen Hinweis auf ein Tributkonzert an Lhasas Album La Llorona. Zwanzig Jahre ist es schon her, dass dieses Debüt erschien, ich kann das kaum glauben. Damals arbeitete ich in einem Plattenladen, und jedes Mal wenn ich die CD einschob und dieses Eingangsstück mit dem prasselnden Regen und dem Groove aus Wasser ertönte, legte sich sofort eine traumgleiche Stimmung über den Verkaufsraum.

Lhasa lässt in diesem Stück ihr ansonsten so gebrochenes, tiefes Timbre beiseite und singt in einer eher hohen Tonlage, nicht nur  melancholisch, sondern fast tränenerfüllt. Dazu treten die Gypsy-hafte Geigenmelodie und die perkussive Gitarre. Wenn sich die Stimme zu Chören schichtet, hört sich das fast an wie ein in der Ferne heulender Zug. „Ich weine, mit dem Gesicht zur Wand, die Stadt erlischt, ich weine, und nichts bleibt mir, als vielleicht zu sterben. Wo bist du?“: Im Grunde ist „De Cara A La Pared“ eine einzige Anrufung an die Mutter Gottes, sie möge die Liebesbedürftige erhören, ein Betteln um Befreiung aus der Einsamkeit. Und die Tränen werden zum Rhythmus, zur Sintflut, die die Sängerin umschließt.

Ich bin gespannt, wer am 16. Dezember beim Tributkonzert in Montréaler MTELUS dieses fast nicht zu covernde Lied interpretieren wird. Um 20 Jahre La Llorona zu feiern, gibt es über das Konzert hinaus von Lhasas Label Audiogram eine neue CD mit bislang unveröffentlichten Live-Aufnahmen aus Reykjavik von 2009. Wer diese einzigartige US-mexikanische Sängerin noch nicht kennt: Als sie am 1. Januar 2010 die Welten wechselte, habe ich für den Blog des Radiosenders byte.fm einen Nachruf verfasst, der immer noch hier nachzulesen ist.

Klicke hier zum Hintergrund von (he)artstrings

Lhasa de Sela: „De Cara A La Pared“
Quelle: youtube

Update Kanada III: Terminal City

               Foto: Stefan Franzen

Ende Februar konnte ich den eisenbahnverrückten Montréaler Bassist, Arrangeur und Komponist Erik West Millette in seinem West Trainz-Laboratorium in Mile End treffen. Damals hat er schon angekündigt, er arbeite an einem Werk, das der Canadian Pacific Railway ein Denkmal setze, außerdem beschäftige er sich mit der Geschichte der Railway Workers und der Hobos. Nun ist eine erste Kostprobe zu hören. „Terminal City Trainz“ ist Eriks Tribut an die Arbeiter, gebaut aus Loops von Hammerschlägen, Zugsirenen, Wolfsgeheul und Hafengeräuschen.

Eriks neuer Track ist Teil eines Projekts, das Kanadas staatlicher Rundfunk CBC aufgegleist hat: Mit canadasound.ca haben die Radioleute zum 150. Geburtstag Kanadas eine Website ins Leben gerufen, auf der bekannte Musiker Songs und Soundscapes beisteuern, die typisch kanadische Klänge in sich tragen. Beteiligen können sich im übrigen alle, die Audio Files von kanadischen Klängen beisteuern wollen. Eine CD-Kompilation der Song-Abteilung von CanadaSound, etwa von Florence K,  Walk Off the Earth, Karl Wolff oder Kevin Hearn von den Barenaked Ladies, wird im Februar 2018 erscheinen.

 Erik West Millette: „Terminal City Trainz“
Quelle: youtube

Update Kanada II: Québexpérimental

                                                              Foto: Etienne Dufresne

Eine der großen Überraschungen meiner Kanada-Reise war das Interview mit der Songwriterin Geneviève Toupin aus Manitoba, die in Montréal ihr doppeltes Diaspora-Erbe (Première Nation und französisch) zu spannenden, atmosphärischen Liedern geformt hat. Mit ihrem neuen Projekt Chances geht sie jetzt ganz andere Wege:

Zusammen mit Chloé Lacasse (ebenfalls Keyboards und Stimme) und Vincent Carré an den Drums ist sie schon lange bühnenerprobt. Alle drei hatten Lust, neue Räume für Experimente zu schaffen, und jetzt stellen sie einen kräftigen, frischen Electro-Sound mit Einflüssen aus Toupins Ojibwe-Erbe bis zu Dreampop auf die Beine, dem ich im März bei seiner Premiere lauschen konnte.

Drei Singles haben Chances mittlerweile veröffentlicht, die aktuelle nennt sich „Rishikesh“ und bringt augenzwinkernd indisches Flair mit den frühen Synthi-Spielereien der Siebziger unter einen Hut. Chances denken derzeit darüber nach, für ein paar Konzerte Deutschland anzusteuern. Also Augen und Ohren auf!

Chances: „Rishikesh“
Quelle: youtube

Update Kanada I: Scandi-nadian

Fast neun Monate nach meiner Rückkehr aus Kanada blicke ich in mehreren kurzen Kapiteln zum Jahresende wieder über den Atlantik.  Denn mittlerweile hat sich Einiges bei den Künstlern getan, die ich für die Canada 150-Serie besucht und interviewt habe. Mein Lieblingsviolinist Jaron Freeman-Fox ist dieses Jahr rastlos unterwegs zwischen Tuva und British Columbia. Zur Zeit macht er für das Projekt „Hardangers/Harbingers“ einen Stopp in skandinavischen Breiten – dieser Tage hat er mit dem Drummer Petter Berndalen in Stockholm eine fantastische Spontansession abgehalten, die er mit uns teilt. Wer mehr zu Jaron lesen möchte, hier gibt es mein Interview, das ich im Februar mit ihm in Toronto geführt habe.

Jaron Freeman-Fox & Petter Berndalen: Improvisation take 2
Quelle: youtube

Franko-kanadische Trouvailles

Nach Kanada ist vor Kanada: Auch nach der Beendigung meiner Canada 150-Serie im Juli werde ich hier natürlich weiterhin die musikalischen Entwicklungen zwischen Halifax und Vancouver verfolgen.

Gelegenheit für feine Entdeckungen aus dem frankophonen Teil Kanadas bieten sich vom 19. bis 24. September in Zürich: „Sounds aus Frankophonien“ ist das Motto des Festivals Chanson En Stok, das zum achtzehnten und letzten Mal im Theater Stok über die Bühne gehen wird. Das besondere Konzept des Teams um den Veranstalter und Kurator Ulrich Schuwey: Chanson wird hier als global frankophones Phänomen verstanden, demzufolge auch Künstler aus Frankreich, der Schweiz und Kanada eingeladen. Aktuelle Entdeckungen aus dem französischsprachigen Teil des Ahornstaates haben in den letzten Jahren dabei ein besonderes Gewicht bekommen.

So sind in der 2017er-Ausgabe vier franko-kanadische Acts zu hören. Die Songwriterin Safia Nolin aus Québec Ville, Bluesrockerin Samuele aus Montréal und Sarah Toussaint-Léveillé (Foto oben) mit ihrem poetischen Folk werden allesamt als Aushängeschilder der starken weiblichen Szene der Provinz Québecs erstmals im deutschsprachigen Raum zu entdecken sein. Ihr Kollege Jeff Moran ist mit seiner Reibeisenstimme schon seit einiger Zeit in der Szene Montréals etabliert. Mit der Folkpopperin Mize und dem Indie-Chanson-Quartett Charlotte Peut-Être finden sich Gäste aus der schweizerischen Romandie ein. Aus dem Mutterland der Sprache Frankreich kommt Nachwuchs-Chansonière Leila Huissoud in den Keller des Theater Stok, darüber hinaus das Rockjazz-Fusiontrio iAross und die franko-iberische Songwriterin Nyna Loren.

Sarah Toussaint-Léveillé: „La Mal Lunée“
Quelle: youtube

Logbuch aus der Gaspésie (#15 – Canada 150)

Bears Of Legend (Québec)
aktuelles Album: Ghostwritten Chronicles (Absilone/Galileo)

Ihre maritime Ballade „When I Saved You From The Sea“ war mein Song des Jahres 2016, und ihr Werk Ghostwritten Chronicles mein Lieblingsalbum. Deshalb stehen die Bears Of Legend, dieses großartige Septett aus Trois-Rivières in der Region Mauricie als Highlight am heutigen 150. Geburtstag Kanadas als Schlusspunkt der Serie „Canada 150“. Die „Bären“ sind auch live bei uns zu erleben, sie spielen am 8. und 9. Juli auf dem Rudolstadt-Festival, darüber hinaus gibt es später im Sommer Auftritte in Frankreich und Benelux. Ich kenne keine andere Folkband momentan, die derart schöne, kraftvolle Melodien schreibt. Die Bears-Pianistin und Sängerin Claudine Roy zum Interview beim Montréal en lumière-Festival zu treffen, war deshalb eine besondere Ehre. Am heutigen 150. Geburtstag Kanadas bildet es den Schlusspunkt meiner Serie.

Claudine, euer Bandname lässt einen an die Premières Nations denken, ist er eine Hommage an die Ureinwohner Kanadas?

Claudine Roy: Ja, auf jeden Fall. Unser erstes Album ist hauptsächlich von den amerindischen Legenden unserer Heimatregion beeinflusst. Der Bär kehrt in diesen Sagen immer wieder, als Symbol der Kraft und Weisheit. Was uns außerdem zum Namen der Band inspiriert hat, waren die einfachen Werte dieser Menschen, die Liebe, der Respekt vor der Natur, dem Wald, dem Fluss, der Erde.

Ihr kommt aus der Region Mauricie, welches sind die kulturellen Eigenheiten dort?

Roy: Die Mauricie ist zwar sehr frankophon, aber auch von einem kulturellen Mix geprägt. Es gibt bei uns auch viele Anglophone, wenn man Richtung Montréal geht, sind mehr französischstämmige Einwohner zu finden, Richtung Osten dagegen englisch geprägte Leute. Aber es vermischt sich alles gut…

...diese Zweisprachigkeit hat sich ja auch in eurer Musik niedergeschlagen. David Lavergne, der Bandleader, dichtet fast ausschließlich auf Englisch…

Roy: In der Gruppe sind wir alle zweisprachig. David, unser Sänger, hat mit seinem Vater zum Beispiel als Kind Englisch gesprochen. Sein Papa hat ihn auch dazu ermuntert, ein kleines Tagebuch auf Englisch zu führen. So hat sich das für ihn ganz natürlich ergeben, dass er auch als Musiker anfing, seine Texte auf Englisch zu schreiben. Er hat sich nie die Frage gestellt: Ich bin frankophon, warum dichte ich also auf Englisch? Zugleich sind wir stolz darauf, dass wir frankophon sind und wir haben ja auch pro Album ein Lied, das auf Französisch getextet ist. Weiterlesen

West Trainz: Montage meets Swiss Radio

Foto: courtesy of Erik West Millette

Mein Freund Erik West Millette, Mastermind des West Trainz-Projekt in Montréal, hat mich gerade über eine wunderbare Video-Montage des Canada 150-Specials von SRF 2 Kultur in Kenntnis gesetzt, das am 16.6. lief. Man bekommt sofort Lust nach Montréal zu fahren und sich in einen der Waggons der Canadian Pacific zu setzen. Auf seiner Facebook-Seite ist das Video zu sehen, das Thierry Francis aus der West Trainz-Crew für Erik erstellt hat.

Erik hat ebenso mitgeteilt, dass er daran arbeitet, die West Trainz-Show nach Deutschland zu bringen. Wir sind gespannt.

Canada 150: Die Radioserie

Die Canada 150-Serie geht auf Sendung.


1.
Es startet mit der Passage im Schweizer Radio SRF 2 Kultur am 16.6. von 20h-21h:

Vielfalt als Stärke
Das rote Ahornblatt aus der kanadischen Flagge, auf den Jubiläumsplakaten wird es derzeit in allen Farben des Regenbogens dargestellt: So schillernd entrollt sich im Jahr 2017 auch die Musikszene. Wer durch Kanada reist, erlebt ein Land, das sich zum 150. Geburtstag am 1.Juli Geburtstag viele Fragen nach seiner Identität und dem Umgang mit seiner Vergangenheit stellt. Musiker sind dabei die sensibelsten Seismographen der aktuellen Stimmung. Ein Rail- und Roadmovie für die Ohren zum runden Geburtstag, beginnend in einem „Train-Laboratorium“ an den Gleisen der Canadian Pacific in Montréal, über die kreativen Brüchen zwischen Franko- und Anglophonem und die bittere Geschichte der First Nations und Inuit bis hin zur experimentellen Klassik und dem Pop der Immigranten.


2.
Am 21.6. wird SWR 2 Kultur um 20h03 mit dem Thema Musik folgen:

Weltgewandt und grenzenlos
„The World needs more Canada“ heißt ein beliebter Werbespruch einer Buchladenkette, den auch schon Barack Obama aufgegriffen hat. Was können wir lernen von diesem zweitgrößten Land der Erde, das am 1. Juli seinen 150. Geburtstag feiert? Einige Antworten gibt die die Vielfalt der Musikkulturen: Die Traditionen der First Nations und Inuit treffen auf urbane Klangexperimente, die Erben von Leonard Cohen und Joni Mitchell sorgen von der Prärie bis zur Ostküste für eine lebendige Songwriter-Szene. Weltgewandter Immigranten-Pop und grenzenlose Worldmusic blüht in Toronto, Québec und die atlantischen Provinzen offenbaren sich als kreative Brutstätten.


3.
Vom 26.6. bis 30.6. gestalte ich in SWR 2 Kultur jeweils von 9h05-10h morgens in der Musikstunde eine ganze Woche zur Musikgeschichte Kanadas:
Montag: I – Terra Incognita: Die klassische Musik Kanadas zwischen europäischem Einfluss und eigenständiger Sprache
Dienstag:  II – Leonard, Joni und ihre Erben: Kanada als Folk- und Songwriter-Land par excellence
Mittwoch: III – Katajaq und Powwow, Protest und Experiment: Die Musik der First Nations und Inuit im Wandel
Donnerstag: IV – Von Akadien in die Diaspora: Franko-kanadische Glanzlichter
Freitag: V – Legenden und Migranten: Von den einstigen Rock-Ikonen zu globalen Popfarben


4.
Am 2.7. ab 23h wird Radio Globo auf NDR Info die Widmungen an Kanada mit einer weiteren Reisereportage beschließen.

So wie ich es überblicke, werden sämtliche Sendungen auch online auf den Seiten der jeweiligen Sender noch 7 Tage lang nach der Erstausstrahlung zu hören sein.

Die folgenden lieben Menschen haben mit ihrem Herz, ihrer Hilfe, ihrer Kunst und ihrem Wissen diese Reise und diese Serie in Wort und Klang möglich gemacht.

Große Dankeschöns an:

in Kanada:
Alejandra Ribera und ihre Band in Montréal und Paris – Alysha Brilla – Ana-Maria Lipoczi – Andrew Morrison – Annie Aningmiuq – Claudine Roy – Cynthia Pitsiulak – David Lavergne – Éliane Lévesque – Erik West Millette & seine West Trainz-Crew – Estelle Roy – Geneviève Toupin – Gina Brault – Jace Lasek – Jaron Freeman-Fox – Jean Massicotte – Jen Eisler – Joel Henderson – Joelle Saint-Pierre – Julie Aubé – Katrine Noël – Kevin Howes – Laurent Saulnier – Marie-Eve Bourdage – Maritza Bossé-Pelchat – Matthew Fava – Matt Holubowski – Maude Laberge Boudreau – Maxime Jarry – Nicole Lizée – Renaud Lussier – Richard Flohil – Stephen Wingfield – Trent Freeman – Trevor Mann – Vivienne Roy

in Deutschland und der Schweiz:
Andrea Samborski – Angela Gobelin – Bernard Senn – Bettina Winkler – Kerstin Unseld – Minusch Afonso – Peter Bürli – Peter Disch – Sabine Trieloff – Sebastian Bargon – Ulrich Schuwey

Besonderer Dank gilt meinem Tonmeister Manuel Braun, der mit seinen feinen Ohren aus meinen Skripts kleine Kunstwerke gemacht hat.

Viel Spaß beim Hören!

Terra Incognita: Kanadas Klassik (#14 – Canada 150)

Das Torontoer Canadian Music Centre (rechts), (Foto: Stefan Franzen)


Matthew Fava & Steve Wingfield (Ontario)
The Canadian Music Centre, Toronto


In der kommenden Woche startet auf SWR 2 Kultur meine Serie zur kanadischen Musikgeschichte. Am morgigen Montag befasst sich das erste Kapitel mit der klassischen Musik Kanadas. Seien wir ehrlich: Über Glenn Gould hinaus müssen die meisten von uns da mit weiteren Kenntnissen passen, auch mir ging das so. Deshalb habe ich im März in Toronto das Canadian Music Centre (CMC) angesteuert, eine Organisation, die seit 60 Jahren kanadische Komponisten vertritt, deren Partituren und Aufnahmen verlegt.

Zwischen den Wolkenkratzern von Downtown duckt sich eine Backsteinvilla mit verspielten Türmchen, als hätte man sie aus dem viktorianischen England importiert. Hier ist das CMC zuhause – aber verstaubter viktorianischer Geist? Fehlanzeige. Matthew Fava, der Direktor der Ontario-Abteilung des CMC und sein Kollege Steve Wingfield haben sehr zukunftsgewandte Ansichten über das kulturelle Selbstverständnis Kanadas. Im vorletzten Teil dieser Blog-Interviewserie ein Auszug aus einem zweistündigen Gespräch mit vielen unerwarteten, überraschenden Seitenpfaden und Erkenntnissen.


Matthew, Steve, was sind die Aufgaben des Canadian Music Centre? Geht es um Unterstützung aktueller Komponisten oder auch um die Pflege des Vermächtnisses von Künstlern früherer Epochen?

Matthew Fava: Viele der heutigen Aktivitäten können auf die Komponisten zurückgeführt werden, die wir in einer CD-Serie namens „Ovation“ versammelt haben. Es ist die erste Generation der Nachkriegskomponisten, mit denen das CMC immer noch eine Interaktion pflegt. Vielfach geht die Grundlage der kanadischen Komponisten dieser Epoche auf den Einfluss europäischer Komponisten zurück. Das CMC diente 30 Jahre nach seiner Gründung diesen Komponisten als Service-Organisation, wo sie ihre Werke hinterlegen konnten, und dann konnte man über sie – in einer Prä-Google-Ära – recherchieren. Weiterlesen