Der Klang von Zirbelholz

Gabriele Muscolino
Gabriele Muscolino
(Visage Music/Galileo)

Die rustikale Akustik von Zirbelholz prägt das selbstbetitelte Album des Bozener Songwriters Gabriele Muscolino. Denn mit solchem ist die Südtiroler Bauernstube ausgekleidet, in der er mit seiner Band dieses Werk einspielte. Vom warmen, natürlichen Klang leben diese Canzoni, Muscolinos sanglich-angeraute Stimme geht eine wunderbare Synthese mit Geige, Akkordeon, Bouzouki, Cello und weiblichen Background Vocals ein. Eine organische Verbindung von Cantautore-Kunst mit feinsinnigem Folk hört man hier, und dass eine der Harmonikas von einem Mitglied der irischen Supergroup Altan gedrückt wird, trägt einen Hauch keltischer Melancholie hinein. Sollte man sich dann an dieser hölzern gesättigten Seelenmusik satt gehört haben, wirft man einen Blick auf die Texte, (die für alle des Italienischen Unkundigen im Booklet übersetzt sind), und es tut sich eine zweite Welt auf. Wer Gianmaria Testa nachtrauert, könnte hier eine Quantum Trost finden.

Ausgesucht aus diesem wunderbaren Album habe ich das Stück „Il Ragazzo Che Saliva Sugli Alberi“ (Der Junge, der auf die Bäume kletterte). Das ist – wie Muscolino im Text auch selbst andeutet – zum einen ein Bezug auf Italo Calvinos bekanntes Buch Der Baron in den Bäumen. Zum Anderen aber ist es auch eine grandiose, von feinseismischen Naturschilderungen durchsetzte Erinnerung des Mannes an seine Kindheit und Jugend. Solche Erinnerungen – zumindest geht es mir ab und an so – kommen gerne ins Bewusstsein, wenn man gedankenverloren im Zug sitzt und auf die Landschaft hinausblickt. Das hat Muscolino in seinem stillen Video berührend eingefangen.

Gabriele Muscolino: „Il Ragazzo Che Saliva Sugli Alberi“
Quelle: youtube

Der Herzog der Fusion


Im Alter von 60 Jahren ist der britische Worldfusion-Produzent Nick Page am 11.5. an einem Krebsleiden gestorben. Den meisten Hörern war Page unter seinem Künstlernamen Count Dubulah bekannt, den er annahm, als er 1990 bei der Worldbeat-Band Transglobal Underground als Multiinstrumentalist, Produzent und Komponist einstieg. Seine Karriere begann der Sohn eines britischen Malers und einer griechischen Schriftstellerin in Nordlondon als Mitglied einer Reggae-Combo. Stilistisch breit aufgestellt von Rock bis ins experimentelle Feld arbeitete Page an über 250 Alben mit und spielte in diversen Bands. Den Durchbruch hatte Page mit Transglobal Underground, als sie ihre Debütsingle „Temple Head“ und Anschlusshits wie „International Times“ veröffentlichten und ab diesem Zeitpunkt Maßstäbe im Mix von Samples und Rhythmen aus aller Welt setzten.

Transglobal Underground: „International Times“
Quelle: youtube

Page begleitete die Geschichte von Transglobal über sieben Jahre und arbeitete parallel als Sessionmusiker für ihr Label Nation Records, später gründete er mit Neil Sparkes das Duo Temple Of Sound. Zu Pages jüngeren Projekten gehörte ab 2008 Dub Colossus, wo er erstmals auf dem Album A Town Called Addis äthiopische Musik mit Dub-Strukturen zusammenführte. Weitere Arbeiten führten Page zur Formation Syriana und zur Auslotung seiner griechischen Roots auf dem Album Xáos (2015). Noch nach seiner Krebsdiagnose entschloss sich Page nach zwanzigjähriger Pause wieder mit Transglobal Underground auf die Bühne zu gehen, und noch während des Lockdowns arbeitete er an neuen Tracks für Natacha Atlas, Syriana und Xáos. „Die Welt scheint heute leerer zu sein“, kommentierte Peter Gabriel den Verlust seines Klangweltensammler-Kollegen. 1996 durfte ich Page anlässlich der Veröffentlichung des TGU-Albums Psychic Karaoke interviewen und habe ihn als gewitzten, hellwachen und auskunftsfreudigen Geist in Erinnerung.

© Stefan Franzen

Transglobal Underground: „I, Voyager“
Quelle: youtube

Radiotipp: Empathisches Empire

Eine Orchesterplatte zu Corona-Zeiten aufnehmen? Dass das geklappt hat, war ein kleines Wunder, sagt Fabia Mantwill. Die 27-jährige Berlinerin ist Komponistin, Arrangeurin, Orchesterchefin, Saxophonistin und Sängerin in Personalunion, und sie setzt mit ihrem Debütalbum Em.perience ein kräftiges Ausrufezeichen im jungen deutschen Jazz, der bei ihr auch genauso in die Klassik und ins Songwriting hineinreicht.

SRF 2 Kultur sendet meinen Beitrag über die vielseitige Musikerin am Dienstag, den 11.5. in der Sendung Jazz & World aktuell ab 20h (Wiederholung am 14.5. ab 21h), zu hören hier im Stream oder in der Schweiz auch nach Ausstrahlung im Podcast.

Fabia Mantwill Orchestra: „Sasa Ndio Sasa“ (live)
Quelle: youtube