Die Sitar-Virtuosin Anoushka Shankar beginnt eine Serie von drei Mini-Alben, für jedes Kapitel hat sie mit einem anderen Produzenten gearbeitet. Von der US–pakistanischen Musikerin Arooj Aftab wurde das Auftakt-Werk betreut, es trägt den Titel Chapter I: Forever, For Now (Leiter). Kennengelernt haben sich die beiden Musikerinnen bei der Produktion von Aftabs Album Vulture Prince. Shankars EP beinhaltet Kollaborationen mit dem Bassisten Gal Maestro oder Akkordeonistin Magda Giannikou und Nils Frahm. Auf den vier Stücken schafft Shankar eine Abkehr von der Virtuosität, die sich trotzdem nicht in einer Wellness-Wolke verflüchtigt. Klar umrissen, präsent und konzentriert entwirft sie etwa mit einem Abendraga eine neue fried- und lichtvolle Deutung indischer klassischer Musik. Und mit Frahm greift sie in „Daydream“ ein karnatisches (südindisches) Wiegenlied auf.
Monat: September 2023
Leeds statt London
Foto: Emily Dennison
London ist im britischen Jazz nicht alles: Mit Jasmine Myra eröffnet am 17.9. im Jazzhaus Freiburg eine junge Saxophonistin und Komponistin aus Leeds das Jazzfestival Freiburg. Vorab habe ich mit ihr gesprochen.
Langsam dürfte hierzulande durchsickern, dass die Jazzszene in Großbritannien nicht nur mit Londoner Leuchttürmen wie Nubya Garcia oder Shabaka Hutchings bestückt ist. Nördlich der Hauptstadt – und dafür steht mit dem Schotten Fergus McCreadie ein weiterer Festival-Act – gibt es derzeit viel Entdeckenswertes. „In Leeds bekommen Musikerinnen und Musiker natürlich nicht so leicht Zugang zu einem Label oder Unterstützung durch ein Management. Das hat dazu geführt, dass wir dort einen enormen Gemeinschaftssinn entwickelt haben, alle helfen sich gegenseitig“, so Myra. „Und dabei spielt es keine Rolle, was für ein Genre man pflegt, der Jazz dort fächert sich von Einflüssen aus Hip Hop bis Afrobeat auf.“ Stilistisch, so beobachtet sie, gibt es aber eine klare Tendenz: Während man in London auf Improvisation setzt, bevorzugt man in Leeds durchkomponierte Stücke und ausgefeilte Arrangements. Und das ist auch charakteristisch für ihre eigene Arbeit.
Mehrere Vorbilder waren es, die Jasmine Myra während ihres Jazzstudiums am Leeds Conservatoire prägten. Es kostete sie einige Zeit, um für ihr Instrument, das Altsaxofon, einen Leitstern zu finden: „Ich mochte schon viele Saxophonisten, aber oft war mir ihre Musik technisch zu kompliziert, oder sie hatten eine angeberische Attitüde. Dann hörte ich Cannonball Adderley, und ich stellte fest, dass er einfach und kraftvoll zugleich spielt, dass er Humor hat. Aber was er macht, ist natürlich sehr weit weg von meinen Kompositionen.“ Was die hohe Kunst des Arrangierens angeht, da schwärmt sie vom Kanadier Kenny Wheeler, der mit seinen elaborierten Schichtungen für Large Ensemble wegweisend war. „Wie er Harmonie und Melodie in Beziehung setzt, das ist unglaublich clever.“ Schließlich gibt es eine ausgeprägt lyrische Seite in Myras Kompositionen, die stellenweise fast an die klassischen Komponisten der englischen Spätromantik wie Frederick Delius oder Ralph Vaughan Williams denken lässt. Hier haben ihr die ruhigen Klanggemälde des Isländers Ólafur Arnalds auf die Sprünge geholfen.
Mittlerweile hat Myra ihren eigenen Sound gefunden, und man kann ihn auf dem im letzten Jahr erschienenen Album Horizons erkunden. Ihr Ziel war es, sich mit ihrer Instrumentalmusik von den konventionellen Besetzungen einer Jazzband zu entfernen. Zwei Flöten, Harfe und Streichquartett formen neben Sax, Gitarre, Keys, Bass und Percussion die Textur der Stücke. Unterstützung erfuhr sie vom Produzenten Matthew Halsall aus Manchester, der mit seinem Gondwana Orchestra im Norden Englands seit Jahren ebenfalls einen starken Large Ensemble-Akzent setzt. „Matthew hat ein exzellentes Ohr dafür, was zusammen funktionieren kann. Er hat mich sehr ermutigt, als ich mit der schrägen Idee ankam, eine Harfe ins Ensemble zu integrieren.“ Myra zieht als Ideengeber für den Kompositionsprozess eine riesige Spotify-Playlist hinzu und schreibt ihre Stücke am MIDI-Keyboard, fixiert dann Note für Note. „Ich bin eine sehr visuelle Person und habe gerne alles, was ich entwerfe, vor mir auf dem Bildschirm. Aber nachher lasse ich meinen Musikern auch mal die Möglichkeit, sich vom niedergeschriebenen Arrangement zu entfernen.“
Von dieser spannenden feinen Linie zwischen Freiheit und Fixiertem lebt Horizons. Die Flöten und die Harfe sorgen für pastorale Pastelltöne, die Grooves schmiegen sich an eine tanzbare Downbeat- Philosophie, in den Harmonien gibt es einen spannenden Widerstreit zwischen klassischem Jazz, minimalistischem Pop und dezenten Verweisen auf die Ästhetik der Electronic Dance Music. Dabei ist Myra wichtig, dass trotz opulenter Besetzung eine luftige, transparente Architektur bleibt, kein Wall of Sound entsteht. In Freiburg wird sie das Album mit acht Musikern – inklusive Harfe! – auf der Bühne umsetzen. „Mein Management fragte mich: ‚Jasmine, du willst also tatsächlich mit einem Oktett auf Tour gehen?‘ Und ich sagte: ‚Ja, sicher!‘ Meine Musik braucht eben jeden Musiker, die Stücke würden leiden, wenn man auch nur eine Flöte wegließe!“
© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung (Ausgabe vom 13.09.2023)
Infos zum Jazzfestival Freiburg: Jazzfestival Freiburg | Einmal jährlich: Ein einzigartiges Programm mit regionalen sowie internationalen Jazzgrößen und Newcomer*innen (wpcomstaging.com)
Jasmine Myra: „Horizons“
Quelle: youtube
Im Geiste Coltranes
Der Berner Bassist Bänz Oester ist seit vier Jahrzehnten durch etliche Schweizer und internationale Formationen bekannt. In seinem Quartett The Rainmakers musiziert er mit zwei Südafrikanern und einem Spanier, und ihr Sound lebt von verschiedensten Inspirationen. Auf dem neuen Live-Album Gratitude huldigen die vier Musiker unter anderem der Ära des Spiritual Jazz, aber auch rumänische und indisch gefärbte Töne sind zu vernehmen.
In Basel habe ich Bänz Oester getroffen, um über das neue Werk zu plaudern. SRF 2 sendet meinen Beitrag am Di, 5.9. in der Sendung Jazz & World aktuell ab 20h.
Viel Spaß beim Zuhören!