(he)artstrings #19: Feingewobenes aus Britannien

„The Music Weaver“ (Sandy Denny)
(aus: Sandy Denny – Sandy, 1972)

Vor exakt 45 Jahren erschien eines der großen Alben des britischen Folkrocks. Es zeigt eine Sängerin auf dem Zenit ihrer poetischen Erfindungskraft, Lieder, die mich in einer Zeit gefesselt haben, in der kaum irgendjemand was von Folk hören wollte. Auf meinen Interrail-Touren und in den frühen Studienjahren hat mich die Musik von Sandy Denny täglich begleitet – und von ihren Liedern und ihren phasenweisen Begleitbands Fairport Convention und The Strawbs ausgehend haben sich für mich unzählige Entdeckungen weiterverzweigt. Ich weiß noch, was für ein Riesenerlebnis es war, 1993 beim Cropredy-Festival in England auf dem heiligen Rasen zu sitzen und Vicky Clayton zusammen mit Fairport die Lieder von Sandy singen zu hören. Oder wie ich 1996 am Tag der Abgabe meiner Magisterarbeit abends im Freiburger Jazzhaus selbst Fairport Convention veranstaltet habe.

Doch zurück zum Album: Ich hätte hier eigentlich jeden Songs für die (he)artstrings auswählen können. Sandy Dennys zweites Solowerk beinhaltet so großartige Hymnen wie „Listen, Listen“ und „It’ll Take A Long Time“. Sie singt mit mächtig geschichteten Chören „Quiet Joys Of Brotherhood“, die englische Fassung des keltischen „My Lagan Love“. Und man findet das elegant-angerockte „Bushes & Briars“, das eigentlich ein Traditional sein könnte, aber aus ihrer Feder stammt. „The Music Weaver“ ist letztendlich der Song, der mich bis heute am meisten berührt – eine zeitlose Ballade über die Einsamkeit des fahrenden Musikanten, dem nichts bleibt als seine Manuskripte und seine Klänge. Wenn am Schluss der inzwischen auch verstorbene Fiddler Dave Swarbrick seine sparsamen Töne über dem gleißenden Orchesterarrangement entfaltet, habe ich immer noch Gänsehaut. Wäre Sandy Denny 1978 nicht eine blöde Treppe runtergefallen, hätte sie die Musik der Insel vermutlich bis heute mit großen Songs bereichert.

Sandy Denny: „The Music Weaver (solo)“
Quelle: youtube
Sandy Denny: „The Music Weaver“ (orchestral)
Quelle: youtube

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Expats gegen den Brexit


Cristobal And The Sea
Exitoca
(City Slang/Universal)

Aus Portugal, Spanien, Frankreich und Ägypten kommen die Mitglieder, doch beheimatet sind sie in London – und von dort aus schaffen sie einen tanzbaren, ansteckenden Pop, der so voll britischem Humor ist, dass man nur konstatieren kann, dass ihre Integration gelungen scheint. Darüber hinaus spielen sie auf ihrem zweiten Album mit den Errungenschaften der Tropical-Szene an der Themse: Kaum merklich werden die Songs aufgeladen mit indischen Rhythmen, afrikanischen Gitarrenriffs, Latin-Perkussion. Die dichten Vokalsätze erinnern an den kalifornischen Sunshine-Pop der Sechziger, und zwischendrin residieren Interludien, die aus Exotica-Soundtracks und dem Labor der frühen Minimalisten zusammengewürfelt sein könnten. Selbst Anklänge an den Discorock der frühen Achtziger werden nicht ausgespart. Ein großes augenzwinkerndes Antidot gegen den neuen Protektionismus auf der Insel und einer der schönsten Muntermacher des Jahres für verdrossene Geister.

Cristobal And The Sea: „Steal My Phone“
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Paddy Bushs Trip in die Schweiz

Spannender Besuch in der Schweiz: Paddy Bush, Bruder von Kate, war vorgestern beim Forum Schlossplatz Aarau zu Gast, um über seine große Liebe, die madagassische Musik zu sprechen. Eingeladen hatte ihn die Ethnologin und Madagaskar-Expertin Eva Keller. Sie hat auch die Hör-Ausstellung Teny – Tany – Tantara kuratiert, die noch bis zum 1. Oktober läuft.

Mehr zu Paddys Vortrag und meinem Interview mit ihm, in dem er nicht nur über seine Forschungen auf Madagaskar, sondern auch seinen Instrumentenbau und seinen musikalischen Einfluss auf Kate Bush sprach, hier in Bälde!

Mein Beitrag über Paddy im Schweizer Radio SRF 2 Kultur ist am Dienstag ,den 26.9. um 20h in der Sendung Jazz & World aktuell zu hören, in der Wiederholung am Freitag, den 29.9. um 21h.

Anmut und Gnade

Lizz Wright
Grace
(Concord/Universal)

Erstmals geleitet die Frau aus Georgia mit dem seelenvollen Alt ihre Hörer durch einen ganzen Zyklus von Coverversionen, die alle unter dem Motto „Gnade“ beziehungweise „Anmut“ stehen, beides mögliche Übersetzungen von „Grace“. Für die notwendige Verklammerung auf ihrem sechsten Album sorgt inmitten einer Könnerband – mit unter anderem Marc Ribot an der Gitarre und David Piltch am Bass – Joe Henry, einer der feinfühligsten Roots-Produzenten der Staaten. Denn das Spektrum reicht weit: Vom dunklen Blues „Barley“ über den erhabenen Gospelton in „Seems I‘m Never Tired Lovin‘ You“ geht die anmutige Reise, macht Station bei einem seltenen Bob Dylan-Song („Every Grain Of Sand“) und dem Orgelgeglucker in Ray Charles‘ „What Would I Do Without You“. In der Mitte siedelt mit dem Titelstück eine sehnsuchtsvoll loderne Hymne aus der Feder der Kanadierin Rose Cousins, stark auch die Standard-Ballade „Stars Fell On Alabama“, die hier vom Jazz zum folkigen Hauch getragen wird. Auch mit Fremdmaterial schafft Wright ihre unverwechselbare Verknüpfung von ländlicher Südstaaten-Ästhetik mit glamourfreiem Jazzgesang.

Lizz Wright: „Seems I’m Never Tired Lovin‘ You“ (live)
Quelle: youtube

 

Triângulo maravilhoso

15 Jahre mussten wir warten – bis Brasiliens schönste Ménage à trois wieder ins Studio ging. Über das zweite Album der Tribalistas schweigt der Kritiker vorerst in Verzückung: zeitlos schöne Popmusik auf einer Stufe mit den Beatles – mindestens.
Obrigado,  Marisa, Carlinhos & Arnaldo!

Tribalistas: Baião Do Mundo“
Quelle: youtube

Franko-kanadische Trouvailles

Nach Kanada ist vor Kanada: Auch nach der Beendigung meiner Canada 150-Serie im Juli werde ich hier natürlich weiterhin die musikalischen Entwicklungen zwischen Halifax und Vancouver verfolgen.

Gelegenheit für feine Entdeckungen aus dem frankophonen Teil Kanadas bieten sich vom 19. bis 24. September in Zürich: „Sounds aus Frankophonien“ ist das Motto des Festivals Chanson En Stok, das zum achtzehnten und letzten Mal im Theater Stok über die Bühne gehen wird. Das besondere Konzept des Teams um den Veranstalter und Kurator Ulrich Schuwey: Chanson wird hier als global frankophones Phänomen verstanden, demzufolge auch Künstler aus Frankreich, der Schweiz und Kanada eingeladen. Aktuelle Entdeckungen aus dem französischsprachigen Teil des Ahornstaates haben in den letzten Jahren dabei ein besonderes Gewicht bekommen.

So sind in der 2017er-Ausgabe vier franko-kanadische Acts zu hören. Die Songwriterin Safia Nolin aus Québec Ville, Bluesrockerin Samuele aus Montréal und Sarah Toussaint-Léveillé (Foto oben) mit ihrem poetischen Folk werden allesamt als Aushängeschilder der starken weiblichen Szene der Provinz Québecs erstmals im deutschsprachigen Raum zu entdecken sein. Ihr Kollege Jeff Moran ist mit seiner Reibeisenstimme schon seit einiger Zeit in der Szene Montréals etabliert. Mit der Folkpopperin Mize und dem Indie-Chanson-Quartett Charlotte Peut-Être finden sich Gäste aus der schweizerischen Romandie ein. Aus dem Mutterland der Sprache Frankreich kommt Nachwuchs-Chansonière Leila Huissoud in den Keller des Theater Stok, darüber hinaus das Rockjazz-Fusiontrio iAross und die franko-iberische Songwriterin Nyna Loren.

Sarah Toussaint-Léveillé: „La Mal Lunée“
Quelle: youtube