Perlenweberin in Brooklyn

Die Sängerin Céline Rudolph lotet mit Sinnlichkeit und vokaler Farbenpracht eine Welt zwischen Jazz, Brasilien, Afrika und Chanson aus. Über ihr neues Werk Pearls und ihre Arbeit in Brooklyn hat sie mit mir gesprochen.

Céline Rudolph, Ihr neues Album entstand in New York. Wie hat das Ihren Sound verändert?

Rudolph: Ich bringe R&B- und Soul-Elemente in meine Welt hinein, singe mehr Englisch. Gleichzeitig wollte ich nicht, dass sich meine Identität ganz auflöst, also halte ich parallel dazu an meiner Vielsprachigkeit fest, und auch an meinen Fantasiesprachen, am Archaischen, Kinderliedhaften.

Hat sich in diesem neuen Stil auch – bewusst oder unbewusst – Ihr Vokaltimbre gewandelt? Wie hat sich New York auf Ihre Stimme ausgewirkt?

Rudolph: Ich spüre, dass da ein Schwenk vom Tropischen zum Städtischen passiert ist. Es ist jetzt nicht nur mehr das Besingen der schönen Seite, sondern auch das Nachdenkliche, Resümierende, existentielle Fragen. Ich bin unterwegs und erfahre dieses pulsierende, auch wahnsinnig laute Leben, dabei hilft es auch, bei sich zu bleiben – und womöglich hört man das dann auch in meiner Stimme.

Prägend für das Album war der Drummer Jamire Williams, der auch produziert hat. Wie sind Sie auf ihn gestoßen?

Rudolph: Er hat in Berlin ein Konzert als Sideman gespielt, und seine kraftvolle Live-Energie hat mich umgehauen. Ich habe dann nach ihm recherchiert, seine Arbeit ganz intensiv gehört und mich schließlich entschlossen, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Wir haben Musik ausgetauscht, erst sehr intuitiv, dann entwickelte sich der Plan, Songs auszusuchen und ein Album zu machen. Ich selbst habe dann meinen langjährigen musikalischen Partner, den Jazzgitarristen Lionel Loueke mitgebracht, Williams hat aus seiner Heimatstadt Houston den Bassisten Burniss Travis für die Band vorgeschlagen. Für die Keyboards kam Leo Genovese von der Esperanza Spalding-Band dazu. Und in Brooklyn haben wir alles in drei Monaten zusammengesponnen.

Gerade die Keyboards sind ein wichtiges neues Element, sie erzeugen einen glasigen, träumerischen Sound.

Rudolph: Ich hatte zwar zuhause schon Experimente mit Fender Rhodes gemacht, aber in Brooklyn hat sich das richtig entwickelt. Der Toningenieur dort hatte eine ganze Sammlung von analogen Tasteninstrumenten, Mini Moogs, Orgeln. Wir haben dieses Element sehr betont, dadurch kommt auch eine Popfarbe hinein. Wir hatten so viel Spaß daran, dass die Keys formgebend für die Produktion wurden.

Stimmt es, dass Ihr Sohn für den Albumtitel Pearls verantwortlich ist?

Rudolph: Ja! Als ich ihm mal eine Geschichte erzählte, sagte er: „Mama, dein Kopf ist ja voller Perlen!“ Was für ein schönes Bild! Ich habe mir das aufgeschrieben und dann weiterentwickelt. Unsere Phantasien schweben und schwirren im Kopf rum, und was passiert mit denen eigentlich? Die Keyboards und diese ganzen leuchtenden Sounds sind auf jeden Fall eine Übertragung dieses poetischen Bildes.

Das neue Repertoire hat trotz Brooklyn-Prägung auch wieder afrikanische Farben, etwa im Stück „C’est Un Love Song“.

Rudolph: Entstanden ist der Song, als ich auf der Gitarre kleine Patterns gespielt habe. Lionel Loueke spielt westafrikanische Kora-Klänge in seinem Solo. Aber es sind auch Elemente aus dem Süden Afrikas zu finden. Ich selbst war sowohl in West- als auch in Südafrika, habe Afrika also schon mal quasi umrundet, und so ist das Stück eine Reminiszenz an den ganzen Kontinent, auch mit dem Französischen und Englischen im Text, da ja Beides dort gesprochen wird.

In „Aumbaeleo“ haben Sie Ihre Vorliebe für Fantasiesprachen mit Blues verknüpft. Ist das ein Genre, das Sie sich neu erschließen?

Rudolph: Etliche der neuen Songs haben tatsächlich Blues-Anleihen, auch der Titelsong selbst .Das habe ich vorher nicht gemacht, diese erdige Seite, die entdecke ich jetzt grade und es macht mir wahnsinnig Spaß, da reinzugehen.

Der außergewöhnlichste Songtitel ist „L’Ascenseur Pour L‘Equinoxe“. Da denkt man natürlich gleich an Miles Davis.

Rudolph: Ja, doch das Zitat von seinem „L’Ascenseur Pour L’Échafaud“ kam erst gegen Ende rein. Inspiriert ist es von dieser coolen Schwarz-Weiß-Welt der 1960er. Gleichzeitig ist meine Version ja nicht so lieblich, hat mehr Ecken und Kanten, das ist eher meine Tonwelt. Trotzdem hat es dieses Flair von Film Noir, und deshalb habe ich Miles am Schluss hinzugefügt.

Wie setzen Sie dieses Programm auf der Bühne um, welche Musiker werden Sie in Lörrach begleiten?

Rudolph: Ich komme mit einem eigens zusammengestellten Trio mit dem Bassisten Bänz Oester und dem derzeit in Basel lebenden Brasilianer Vinicius Gomes an der Gitarre. Wir werden Teile aus Pearls spielen, aber das Programm wird auch meine brasilianische Seite zur Geltung bringen. Also eine Mischung aus dem Neuen und der „Weltmusikabteilung“.

© Stefan Franzen
live: Céline Rudolph Trio: Rosenfelspark Lörrach, 26.7. als Support für Mayra Andrade bei Stimmen
CD: “Pearls” (Obesssions/Membran)

Céline Rudolph: making of „Pearls“
Quelle: youtube

Klassikkosmos auf dem Kirchhügel


Der Boswiler Sommer ist eines der kleinen Klassikfestivals der Schweiz, das durch ein fantasiereiches Programm in Kammerbesetzungen und eine intime, ländliche Atmosphäre Alleinstellungsmerkmale in der Region hat. Ich habe mit dem künstlerischen Leiter, dem Cellisten des Züricher Casal Quartetts, Andreas Fleck gesprochen.

Herr Fleck, Boswil ist ein Dorf mit nicht einmal 3000 Einwohnern im Kanton Aargau. Wie kommt ein so renommiertes Festival an diesen Ort und welche Rolle spielt die ländliche Umgebung für seinen Charakter?

Andreas Fleck: Günter Grass hat mal das Wort „Weltkunst auf dem Land“ geprägt. Er war wie viele Schriftsteller und Komponisten in Boswil zu Besuch, unter ihnen auch Pau Casals, Yehudi Menuhin, Wilhelm Backhaus. Die Geschichte ist ja die, dass eine Kirche, die nur noch als Abstellraum diente, und ein Pfarrhaus, das mit 20 Zimmern nebendran steht, in den 1950ern dem Verfall anheimfiel. Eine Gruppe junger Leute, darunter einer mit einer großen Musikaffinität, haben das zufällig gefunden und wollten das retten. Sie fragten einfach die größten Künstler für Benefizveranstaltungen an. Mit dem gesammelten Geld wurde renoviert, das Pfarr- zum Künstlerhaus, in dem heute über 100 Musikabende pro Jahr stattfinden. Dieses Gebäudeensemble mit Park liegt wie auf einer Insel oberhalb eines ganz normalen Dorfes mit Landwirtschaft und Industrie. Wenn man auf dem Kirchhügel ist, spürt man den historischen Ort mit einer ungeheuren Aura. Das geht allen so, die zum ersten Mal dort sind. Sie merken: Hier geht es nicht um mich, sondern um das, was hier entsteht. Das ist kein Ort der Eitelkeiten, kein „Cüpli-Festival“. Wir haben Kieswege, und da kommt man mit Stöckelschuhen nicht weit.

Den Boswiler Sommer gibt es seit fast 20 Jahren. Wie würden Sie die Eigenheiten im Vergleich zu anderen Klassikfestivals charakterisieren?

Fleck: Vor 19 Jahren gab es das noch nicht so oft, dass ein Festival ist von Musikern entwickelt und programmiert wird, in einer sehr familiären Art. Auf einem kleinen Fleck von circa 1000qm wächst alles zusammen. Inspiriert ist es vom Lockenhaus-Festival im österreichischen Burgenland, weil für uns auch die Kammermusik zentral ist. In der Regel wird alles in Boswil produziert, nichts kommt fertig an. Wir wollen mit den Musikern alles erarbeiten, oft in einem Prozess von 18 Monaten, das heißt für Künstler, die bei sechs oder sieben Konzerte mitspielen, proben und aufführen nonstop.

Die aufführenden Gäste werden vom Chaarts Chamber Ensemble begleitet – ist das quasi das Festivalorchester, das aus dem Boswiler Sommer hervorgegangen ist?

Fleck: Dafür muss ich etwas ausholen: Der Impuls, das Festival zu gründen, rührte aus einer Zeit, in der ich mit dem Casal Quartett hundert Konzerte pro Jahr hatte. Wir fanden es so schade, dass wir dabei immer für das Gleiche angefragt wurden: Schubert, Beethoven, Dvořák, Mozart, Haydn. Wir hatten dagegen Lust, mit Freunden an einen Ort zu gehen, und dort Programme zu machen, die aus dem Rahmen fallen. So ist das erste Festival dann auch ein sehr kammermusikalisches geworden, doch am Schluss wollten wir alle zusammen noch ein größeres Werk spielen. Und als das zum Orchester zusammenwuchs merkte ich: Wow, Kammermusiker haben einfach viel mehr Sound, weil sie es gewohnt sind, allein zu spielen und daher ein viel größeres Bewusstsein für das Ich haben innerhalb eines Ensembles, sie erzeugen eine hohe Dichte. In der Folge haben wir größere Werke mit wenigen Musikern aufgeführt, wobei wir zum Beispiel bei der „Eroica“ dieses Jahr bei einer Ensemblestärke sind, wie sie bei Beethoven ja eigentlich historisch korrekt ist. Man hat Individualisten, und die müssen überzeugt sein, dass es ihnen im Orchester auch Spaß macht, selbst wenn sie nicht mehr die einzige Geige oder das einzige Cello sind. Und so hat sich Chaarts aus dem Boswiler Sommer entwickelt.

Chaarts bettet zwei Artists Of The Year ins Programm ein, die Cellistin Ciara Enderle und den Oboisten Philippe Tondre. Welches sind Ihre Kriterien für die Auswahl dieser Resident Artists?

Fleck: Es sollten herausragende Instrumentalisten sein, die schon eine große Erfahrung mitbringen, Dinge mit anderen zu teilen, sich vernetzen zu können. Die hohe Kunst Kammermusik zu verstehen, ist: Hier trete ich in das Gesamte ein, und dort trete ich hervor. Und man muss Lust haben, etwas Neues zu probieren. Chiara Enderle spielt Szenen aus Prokofjews „Romeo und Julia“, die bisher für Bratsche und Klavier arrangiert wurden. Sie überträgt das jetzt einfach für das Cello, und das ist höllisch schwer. Vielleicht stößt sie da auch ein Tor auf für andere Cellisten. Das wäre nicht das erste Mal, dass so etwas passiert.

Die Klassiksparte beklagt oft eine Überalterung der Zuhörerschaft. Findet sich auch in Boswil der berühmte „Silbersee“? Oder locken Sie durch die jungen Mitwirkenden auch junge Zuhörer?

Fleck: Ich würde mich nie beklagen über den „Silbersee“. Jeder Zuhörer ist mir gleich lieb, ob jung oder alt. Die Tiefe dieser Musik, die kriegt einen irgendwann im Leben. Boswil hat ja über das Jahr verteilt sehr viele Veranstaltungen, die alle aus dem klassischen Bereich sind, es gibt gleich zwei Jugendorchester, die dann natürlich die Familie als Publikum mitziehen. Daher ist der Hauptanteil unseres Publikums zwischen 40 und 50, dann natürlich auch die Älteren, aber auch Junge, Studenten. Ich würde sagen, das Durchschnittsalter ist um 20 Jahre jünger als bei anderen Klassikfestivals. Das liegt auch an den lustvollen Programmen, die Berührungsängste nehmen.

Wie können Sie die zehn Tage finanziell meistern?

Fleck: Privates Geld von Firmen zu bekommen ist ausgesprochen schwierig, Events wie das Lucerne Festival ziehen alle Großsponsoren ab. Das Potenzial liegt eher im mäzenatischen Bereich, doch im Unterschied zu Basel ist der Aargau ein eher armer Kanton mit wenigen Stiftungen. Der große Anker ist der Staat mit dem Swisslos-Fonds. Da können wir uns drauf verlassen, dass wir einen bestimmten Rahmenbetrag bekommen.

Lassen Sie uns aus dem Programm ein paar Highlights herausgreifen. Als übergreifendes Motto haben Sie „Legendär!“ gewählt, aber es gibt auch andere rote Fäden, wie zum Beispiel Powerfrauen wie Carmen oder Scheherazade.

Fleck: Die Herangehensweise an das Thema „legendär!“ ist sehr divers. Es kann das sein, was ein Stück ausgelöst hat in der Geschichte seiner Zeit. Etwa im Programm „Pioniere“ mit Debussy und Glasunow, wo ein Werk eine neue Richtung einschlägt und dadurch zur Legende wird. Aber es gibt natürlich auch Figuren, die sich in der Musikgeschichte niederschlagen. „Legendär“ heißt auch immer erzählerisch, aufgeladen mit einer Geschichte. Und diese Geschichten haben es an sich, dass sie von Figuren bevölkert sind. Da wir kein Theater sind, müssen wir uns Werken zuwenden, in denen Figuren musikalisch existieren. Darüber hinaus bieten wir am Festival auch Formen an, in denen die Musik nicht immer nur die Hauptrolle spielt. Etwa einen „Casanova“-Abend, wo das Erzählte im Zentrum steht, und wir haben das Theaterstück über das „White Album“ der Beatles aus Zürich geholt, bei dem Chaarts immer mitgewirkt hat – in diesem Fall also ein Album, das „legendär“ wurde.

Sie konfrontieren Brahms mit Klezmer, und Sie führen mit Martinù, Janáček und Rimsky-Korsakoff die Zuhörer in den Orient. Ist das Inbezugsetzen der Klassik mit Volkskulturen auch ein Merkmal Ihrer Programmphilosophie?

Fleck: Ich finde es rückblickend seltsam, dass man die klassische Musik mit ihren zentralen Protagonisten oft als eine eremitische, enklavische Angelegenheit betrachtet hat. Und das, obwohl ihre großen Komponisten alle von Volksmusik umgeben waren, sie konsumiert und weitergesponnen haben, bei Brahms ist das ja nachgewiesen. Es macht den größten denkbaren Sinn, dass man diese Dinge auch wieder hörbar macht. Es ist auffällig, dass das Publikum extrem darauf anspringt, das Brahms-Klezmer-Konzert war das erste ausverkaufte. Mich persönlich interessiert diese Sparte mehr, als sich der Neuen Musik zuzuwenden. Hier liegen Schätze herum, die man wirklich nur ausgraben muss und dann intelligent neu besetzen.

Am Samstag eröffnen Sie mit Gustav Holsts „Planeten“ in einer sehr jungen Kammerfassung von George Morton und mit Mahlers „Lied von der Erde“ in der intimen Lesart von Schönberg. Einem doch eher plakativen, lautmalerischen Werk stellen Sie einen sehr persönlichen, schmerzvollen Abschied von unserem eigenen Planeten gegenüber. Reizte Sie dieser krasse musikalische Gegenentwurf?

Fleck: Für mich ist es die denkbar größte Spanne überhaupt, es geht hier um alles, was wir haben, und das wird in Musik umgesetzt. Fragen wie: Wer sind wir, wie klein oder wie wichtig sind wir? Die ganze Dimension des Menschen und des Kosmos steckt in diesem Programm, von Religion über Astrologie über Endzeitentwürfe bis zum Klimawandel: Wir merken, wir haben nur diesen einen Planeten und können uns auch nicht davon entfernen. Das ist thematisch extrem aufgeladen gerade. Wegen dieser Aufladung wollte ich noch den Astrophilosophen Roland Buser dabeihaben, der es schafft, in einer halben Stunde einen Bogen zu spannen zwischen diesen beiden Welten auf eine sehr unterhaltsame Art. Dass wir nur ein Staubkorn sind in diesem ganzen Geschehen, das kann er so charmant und witzig, gleichzeitig aber so sinnhaft erzählen. Ein intellektueller Spaziergang zwischen diesen beiden kolossalen Werken.

© Stefan Franzen
Das Interview erschien in „Der Sonntag“, Ausgabe 23.6.2019

Boswiler Sommer: 29.6. – 7.7.

Jenseits von Afrika

Santana
Africa Speaks
(Concord/Universal)

Wie man schon letzten Sommer in Colmar feststellen konnte: Carlos Santana macht auch in seinem dritten Frühling nicht sonderlich Anstalten, geistig seine Woodstock-Blase zu verlassen. Gleichzeitig ist er nicht bescheidener geworden, wie schon die Verlautbarungen zu seinem neuen Werk zeigen, bevor man auch nur einen Ton gehört hat: Miles Davis und John Coltrane würden sich fragen, wie er das bloß gemacht hätte, könnten sie sein neues Album noch hören. Aber er wolle ja nicht auf dicke Hose machen.

Carlos Santana hat im 50. Jahr seiner internationalen Karriere Afrika für sich entdeckt. Damit man das auch merkt, ist auf dem Cover eine Fantasie-Maske zu sehen, die freilich auch genauso aus einer indigenen Kultur Lateinamerikas stammen könnte. Und tatsächlich ist auf dem ganzen Album kein definiert afrikanischer Rhythmus zu hören, alles, was man hört, hat bereits die transatlantische Passage hinter sich. Und damit offenbart Santana nichts Neues, denn an den schwarzen Tönen zwischen Mexiko und Brasilien hat er sich ja schon immer abgearbeitet. Neu ist allerdings die Sängerin Buika – und mit ihr kommen wir zum Hauptproblem: Die Spanierin mit äquatorial-guineischen Wurzeln begeistert seit 15 Jahren mit ihrer glühenden Stimme im Flamenco- und Kuba-Kontext, die Entfaltung ihrer Vocals wurde dabei stets gefördert von der feinen Nuancierung ihrer Umgebung.

Doch die bietet ihr Carlos Santana nicht: Seine mitunter nachlassende Griffsicherheit in den Soli kompensiert er dadurch, dass er auch mal mehrere Gitarren übereinanderlegt, und seine trommelnde Gattin Cindy Blackman – die im Jazz ohne Zweifel ihre Meriten hat – patscht mit draller Wucht alles zu, was Afrika an polyrhythmischem Gewebe doch eigentlich ausmacht. Gegen diese dicke Kleisterei hat Buika sich also zu behaupten und hat nur eine Wahl: Sie muss des öfteren schreien, und wo sie das nicht tut, wurde ihre Stimme trotzdem ans Limit komprimiert. Wenn es mal etwas entspannter beginnt, wie in „Oye Este Mi Canto“, kommt zwangsläufig der Turboschalter hinterher. Ein Ruhepol hätte „Blue Skies“, Buikas Duett mit Laura Mvula werden können, doch es zerfasert sich über neun Minuten in uninspirierter Blues-Improvisation.

„Breaking Down The Door“ bietet gediegene Latinhit-Kost à la Shakira mit einem schönen Posaunensolo und Akkordeonriff, „Los Invisibles“ schert funky in den arabischen Raum aus, der verstorbene Rachid Taha hat hier mitgeschrieben. Aus „Luna Hechicera“ hören Geübte ein wenig senegalesische Wolof-Anleihen heraus, die aber wegpoliert wurden. Zum Finale gibt es ein klein wenig Afrobeat-Spannung in „Candombe Cumbele“, über die Blackman aber wieder völlig unnötig Paukenwirbel und Santana einen brüllenden Saitenexzess ohne Zielrichtung legt. Was in diesem Stück die nigerianische Legende Easy Kabaka Brown beigesteuert hat, die in den Credits erwähnt wird, bleibt eher ein Rätsel.

Verhindern können hätte das Fiasko ein Mann fürs Feinmotorische oder zumindest mit Erfahrung im Afro-Fach am Pult, aber auch da wurde eher ein Zupacker engagiert: Rick Rubin als Produzent hatte Leute wie Slayer, Kid Rock und Metallica als Kunden. Unterm Strich bleibt ein überdrehtes Latinrock-Album, das nichts mehr von der räumlichen, atmosphärischen Tiefe früherer Glanztaten in sich trägt und zudem fürchterlich anachronistisch wirkt. Denn gerade im afrikanischen Kontext sind es die leisen, kammermusikalischen Töne, die seit etlichen Jahren immer mehr den Trend beherrschen. Carlos Santana, der Friedensmann und Weltzusammenbringer, ist am schwarzen Kontinent auf ganzer Länge gescheitert. Man muss es tatsächlich auf den Nenner bringen: Africa speaks – but Santana didn’t listen.

© Stefan Franzen

Santana feat. Buika: „Breaking Down The Door“ (live)
Quelle: youtube

Museumsfahrt im blauen Zug

Milton Nascimento
Kaufleuten Zürich
19.06.2019

Einige der ergreifendsten Momente meiner Brasilien-Rezeption verdanke ich Milton Nascimento. Dazu zählen besonders seine lyrischen Songs der beiden frühen Clube da Esquina-Alben von 1972 und 1978. Als bekannt wurde, dass der mittlerweile 76-Jährige genau diese Songs auch in Europa noch einmal auf die Bühne bringen würde, war die Freude sehr groß. Es ist immer ein zweischneidiges Schwert, wenn eine Legende nach Jahrzehnten nochmals in die Frühzeit der Karriere abtaucht, es kann zur selbstreferenziellen Cover-Show geraten, doch im besten Fall kann überraschend Neues aus dem alten Material erstehen. Wie hat das in Zürich funktioniert?

Ganz am Anfang müssen wir über die Gesundheit des Künstlers sprechen: Milton war schon lange von Krankheiten geplagt, musste in den letzten Jahren auch mal Konzerte abbrechen. Auch im Kaufleuten ist gleich klar, dass es nicht zum Besten um ihn steht. Er wird vom zweiten Sänger und Gitarristen Zé Ibarra auf den Hocker geleitet und bleibt dort die ganze Show über mit dunkler Brille sitzen. Seine Stimme ist brüchig und nicht mehr trittsicher, doch er war nie ein Meister der reinen intonation. Was in seinen Vocals zählt, ist die hohe Kunst der Innerlichkeit, der fast gebetshaften Schmerzlichkeit, die in Hymnen wie „Claréia“ immer noch phasenweise durchleuchtet.

Das Septett, das Milton für diese Retro-Show zusammengestellt hat, macht seine Arbeit zweckdienlich, in den richtigen Momenten tritt die E-Gitarre von Wilson Lopez mit nachdenklich mäandernden Soli hervor, wie das einst Toninho Horta tat, Widor Santiago setzt mal folkloristische Akzente mit Flöte, mal geht er mit Sax – mehr als das die Clube da Esquina-Band je tat – aufs jazzige Parkett. Der Anfang ist holprig, gerade der Bandleader muss sich erst finden, doch ab dem rhythmische Haken schlagenden „Cravo E Canela“ stimmt die Synergie der acht Akteure. Milton baut einen spanischsprachigen Block ein, zeigt sich als ein Cancionero, der immer den ganzen südamerikanischen Kontinent ansprach und findet besonders hier mit der Band zu einer effektvollen, rockig-dramatischen Steigerung.

In der Mitte verlässt Milton zeitweilig die Bühne, und als Glockenschläge von der Percussion kommen, ist klar, dass Zé Ibarra die Leadstimme in „San Vicente“ übernimmt: Dieses genauso ergreifende wie mysteriöse Lied, getragen von Anleihen an Kirchengesänge, hätte der Altmeister nicht mehr gepackt. Ibarra singt die innige Hymne mit einer sehr reinen, weichen, fast zu geschmeidigen Stimme, die in der Música Caipira, Brasiliens schmalzigem Country-Genre, auch gut aufgehoben wäre. In anderen Stücken wechselt er sich mit Milton strophenweise ab, doch die kantige, poetisch dadurch umso charakterstarke Stimme des ehemaligen Esquina-Vokalpartners Lô Borges kann er nicht ersetzen.

Als Milton zurückkehrt, kann das Septett nochmals aus dem grandiosen Katalog der frühen Songs schöpfen: „Nuvem Cigana“ mit seinen eigentümlichen Akkordfolgen und „Paisagem Da Janela“ reihen sich aneinander, schließlich das träumerische „Trem Azul“, das vom Publikum – mit hochprozentigem brasilianischem Anteil – begeistert mitgesungen wird. Der „blaue Zug“, er bricht hier für viele ältere Zuhörer zur Museumsfahrt in die Siebziger auf. Leider ist die Luft ab da raus: „Maria, Maria“ und das zweite schöne Eisenbahnlied über die stillgelegte Strecke, „Ponto Final“, kann Milton nur noch erschöpft anstimmen. Was bleibt, ist ein zwiespältiger Eindruck: Milton Nascimento, nicht mehr auf der Höhe seiner Kräfte, hat den Versuch gewagt, den Kern seiner Schaffenskraft nochmals hochleben zu lassen. Eine stabile Band und viel Herzblut des Hautpakteurs haben einen meist würdigen Nostalgie-Abend auf die Bühne gebracht, bei dem das Ursprungsmaterial kaum angetastet wurde – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

© Stefan Franzen

Gospel für die Gefallenen

Der südafrikanische Sänger, Schriftsteller und Schauspieler Nakhane Touré schöpft für seine erschütternden Songs Inspiration aus seinem Xhosa-Erbe und elektronischen Sounds, aus dem Kampf um seine sexuelle Selbstbestimmung und der Lossagung von der Kirche.

Nakhane, Ihre Stimme ist sehr besonders und einzigartig. Wenn man überhaupt irgendwelche Vorbilder heraushören möchte, dann landet man bei Scott Walker oder David Bowie…

Nakhane: Ich habe beide viel gehört, denn mir liegt diese Tendenz zum Opernhaften und Lächerlichen, und beide diese Stimmen haben das ja. All meine Tanten und meine Mutter haben klassische Musik in Chören gesungen, damit bin ich aufgewachsen, sie waren meine Heldinnen. Aber meine Mutter hörte auch Soul, und lange Zeit wollte ich Marvin Gaye sein! Doch als ich im Teenager-Alter anfing, selbst Songs zu schreiben, wollte ich nicht mehr klingen wie jemand anders, ich fand so viel Bestätigung in meiner eigenen Stimme und darin, herauszufinden, was ich mit ihr anstellen könnte.

Sie sind auch als Buchautor und Schauspieler erfolgreich – hat irgendeine der drei Tätigkeiten Priorität für Sie?

Nakhane: Singen tue ich, seit ich vier oder fünf Jahre alt bin, die Stimmbänder sind ja ein Teil meines Körpers und in dieser Tatsache liegt sehr viel Kraft. Später erst bekam ich dann Musikunterricht und lernte lesen, und ich merkte, dass ich mich auch für Schauspiel interessierte. Sowohl Schauspielkunst und Literatur als auch Musik und Komposition habe ich dann auch studiert, ohne beruflich damit etwas anstellen zu wollen. Es war einfach die Einstellung: Ich habe das Verlangen etwas zu tun, also tue ich es.

In Ihrer Musik stehen elektronische Elemente im Mittelpunkt, Beats und Synthesizers. Würden Sie sagen, dass sich noch etwas von Ihrem Erbe darin findet, aus der Tradition der südafrikanischen Xhosa?

Nakhane: Ja, das steckt in meiner Art und Weise zu singen, Melodien zu kreieren, Harmonien zu schichten. Mein Produzent und ich streiten uns, wenn es darum geht, die Taktschläge zu zählen. Ich setze oft auf dem Offbeat ein, da zeigt sich der geographische Unterschied zwischen Europa und Südafrika. Als ich mich entschied, ein Album in England aufzunehmen, wollte ich anders klingen, ganz und gar nicht britisch. Deshalb gibt es auch ganz konkret afrikanische Sounds in meinen Songs, etwa das Daumenklavier Mbira aus Simbabwe oder die Chöre, die auf südafrikanischen Gospel zurückgehen. Ein Song wie „Clairvoyant” hört sich sehr südafrikanisch an – ich liebe die Musik meiner Heimat und lasse mich immer wieder von ihr beeinflussen.

Sie haben gerade die Gospelfarbe Ihrer Musik erwähnt. Über die Chöre hinaus gibt es auf Ihrem aktuellen Album You Will Not Die ja auch Kirchenglocken in den Arrangements und jede Menge religiöser Themen in den Texten. Würden Sie Ihre Musik als spirituell bezeichnen?

Nakhane: Ich würde sie als „Gospel für die Gefallenen” bezeichnen. Mir dient die Musik der Kirche dazu, über mein Leben, über meine Sexualität, meine Familie zu schreiben. Dies alles möchte ich preisen anstatt nur eines christlichen Gottes. Mit diesem neuen Album nehme ich Abschied von meiner Kindheit und der Kirche, aber ich wollte dabei nicht zornig klingen. Der christliche Glaube war ein so großer Bestandteil meines Lebens, dass ich ihn nicht als etwas Hässliches darstellen wollte, sondern als etwas voller Wärme und Liebe.

Können Sie uns eine Vorstellung davon geben, welche Schwierigkeiten Sie hatten, als schwuler Mann in Südafrika aufzuwachsen – machte Ihnen die Xhosa-Gemeinschaft da Probleme, oder kamen die nur durch die Kirche?

Nakhane: Ein komplexes Thema. Bei den Xhosa gibt es auf der einen Seite so viel Akzeptanz, andererseits auch Gewalt. Es hängt davon ab, wo du bist, mit wem du zusammen bist, welche Art von Queerness du lebst, was du sagst, wie du dich darstellst, ob du bedrohlich wirkst. Auch, ob du eine Fernsehberühmtheit bist, ob du eine Figur verkörperst, die die Anderen zum Lachen bringt, dann lieben sie dich. Aber in dem Moment, in dem du eine wirkliche Person bist, wird es kompliziert. Auf der anderen Seite gibt es eine sehr vielschichtige Idee von Sexualität in der Xhosa-Gesellschaft, die die europäische übersteigt. Das Geschlecht spielte keine große Rolle – doch dann kam die Kirche und hat ihre Regeln aufgestellt, dass du dich so oder so verhalten musst. Man muss sich vergegenwärtigen, dass wir das fünfte Land auf der Erde sind, dass die gleichgeschlechtliche Heirat legalisiert hat.

Was steckt hinter dem Albumtitel “You Will Not Die“?

Nakhane: Als ich noch ein Christ war, hatte ich die klare Vorstellung, dass ich nach dem Tod in den Himmel kommen würde. Danach wurde dieses klare Bild verschwommen. Ich hatte Angst vor allem:  vor dem Überqueren der Straße, vor dem Besteigen eines Flugzeugs, vor Sex. Doch dann hatte ich einen Traum, in dem mir eine Zahl gezeigt wurde. Ich kenne zwar ihre Bedeutung nicht, doch dieser Traum veränderte mich, ließ wieder zu, dass ich Freude an der Welt und an meinem Dasein hatte, an jedem Moment. Ich hatte nicht mehr diese Einbahnstraße im Kopf, dass alles entweder im Himmel oder in der Hölle enden wird. Meine Songs haben mir geholfen zu erkennen, dass ich nicht böse bin, dass mit mir alles stimmt. Früher habe ich mich immer gegen den Begriff „Katharsis“ gewehrt – doch jetzt akzeptiere ich ihn.

© Stefan Franzen
dieses Interview habe ich für das Programmheft des Stimmen-Festivals geführt, dort wird Nakhane am 25.7. im Rosenfelspark Lörrach auftreten

Nakhane: „New Brighton“ feat. ANOHNI
Quelle: youtube

Der Hirte hat den Beat

Mit dem Terminus „Urban African Music“ wird die elektronische Musik des afrikanischen Kontinents gerne beschrieben. Doch das ist oft zu kurz gedacht. Ein Sänger aus den Bergen von Lesotho, der gerade international durchstartet, ist dafür ein schönes Beispiel. Morena Leraba heißt der Mann aus der Region Mafeteng im kleinen Königreich, das wie eine Insel in der großen Republik Südafrika liegt. Wie viele seiner Landsleute war er zunächst Schafhirte, es ist also nicht nur exotisches Kolorit, wenn er auf der Bühne die Berufsinsignien seines früheren Jobs trägt: einen kegelförmigen Strohhut mit langem Zipfel und einen Hirtenstab, den er für seine Choreographie effektvoll einsetzt, hohe Stiefel und eine grobe Wolldecke als Umhang gegen die Kälte im Hochland.

Morena Lerabas Musik schöpft aus vielen Quellen: Ihre Roots hat sie im staubigen Hochland seiner Heimat, in den Lyrics erzählt er in der Sesotho-Sprache von dörflichen Mythen, von Kräuterkunde und magischen Kräften. Leraba bezieht sich auch auf den Famo, eine Musik, die Migranten aus Lesotho vor bereits fast 100 Jahren in Südafrika spielten, als sie dort in den Goldminen Arbeit fanden. Damals war noch das Akkordeon das zentrale Instrument. Dieses Urmaterial hat Leraba mit HipHop, Reggae und vor allem elektronischer Tanzmusik vermengt. Das tönt ab und an mal sphärisch, meist aber sehr körperlich: Repetitive Melodiephrasen, die grollend bis beschwörend vorgetragen werden und ein rasanter Sprechgesang, durchbrochen von Jauchzern, prägen den Gesang. Darunter liegen House-artige Rhythmen, wie sie auch in der Kwaito- und Gqom-Musik Südafrikas vorkommen, für Gegenmelodien verzahnen sich bassmächtige Keyboards und ein Xylophon. Einen guten Eindruck von seinem Sound bekommt man mit dem Titel „Impepho“.

Erstmals kombinierte Leraba sein Erbe vor fünf Jahren mit Elektronik, als er einen Song mit der deutsch-südafrikanischen Band The Freerangers aufnahm. Später traf er auf den Produzenten Kashaka aus Brooklyn oder dessen brasilianische Kollegen Trapfunk & Alivio, Südafrikas Rapper Spoek Mathambo ist ebenso auf der langen Liste seiner Teamworker. Schließlich wurde auch der britische Popkünstler Damon Albarn auf ihn aufmerksam und integrierte ihn in sein Langzeitprojekt Africa Express. Problematisch, diese Floskel „urban“: Morena Lerabas Sound ist heute in den Clubs von Johannesburg bis London zuhause, und sie wird auf seinem bald erscheinenden Debütalbum die ganze Welt umspannen, mit Gastauftritten von Musikern aus Nigeria, Frankreich und den USA. Doch in ihrem Kern ist sie so „ländlich“, wie man es sich nur vorstellen kann.

© Stefan Franzen, veröffentlicht in der Badischen Zeitung, Ausgabe 08.06.2019
da der Künstler kein Visum erhalten hat, fallen die geplanten Konzerte leider aus!

Morena Leraba: „Impepho“
Quelle: youtube

Kauziger Hexenmeister


Zu Pfingsten wird es in New Orleans wohl eine ganz besonders seelenvolle Second Line geben: Mac Rebenack alias Dr. John hat uns mit 77 Jahren verlassen. Möge er mit seiner Klangzauberei auch die andere Welt beglücken. Ich erinnere an ihn mit seinem großartigen Album Gris-Gris aus dem Jahre 1968.

Dr. John: „Gris-Gris Gumbo Ya Ya““
Quelle: youtube