Königin-Tag

Happy Birthday, Aretha!
Zum Ehrentag eine Rarität: „Tiny Sparrow“ wurde von Bobby Scott geschrieben, einem ihrer Columbia-Produzenten der frühen Sechziger. Eine Komposition fast schon im Stil eines englischen Folksongs, im Studio eingespielt im Oktober 1963. Dieser rare Livemitschnitt zeigt, welche Dramaturgie Aretha in ihrer Jahrhundertstimme schon mit 21 hatte, bevor sie sich endgültig dem Soul zuwandte.

Aretha Franklin: „Tiny Sparrow“ live
Quelle: youtube

Slowing Down St. Patrick

the gloaming - 2The Gloaming
2
(RealWorld/PIAS/Rough Trade)

Zum heutigen St- Patrick’s Day, der eher für feucht-fröhliche Kneipenlaune bekannt sein dürfte, ein Ruhepol im turbulenten Guinessschaum. Schon das Debütalbum der irisch-amerikanischen Formation um den Sean Nós-Sänger Iarla Ó Lionáird hatte es mir Ende 2013 angetan. Nun legen die Entschleuniger des irischen Folks neue Metamorphosen der Tradition vor. Die flirrend-kristallinen, obertonseligen Flüge der Geige und Hardangerfiedel, Iarla Ó Lionáirds ergreifender Keltensoul und die Kontrapunkte auf Gitarren und Klavier (von Sufjan Stevens-Mitstreiter Thomas Bartlett) ergeben eine entschleunigte Suite, die mal kontemplativ, mal hymnisch strahlt. Was einst im Pub die schönste Nebensache war, ist jetzt für die feinsten Konzertsäle der Welt zugeschnitten. Gekrönt wird das Werk wieder durch ein Cover der großartigen Fotokünstler Robert und Shana ParkeHarrison.

The Gloaming: „Fáinleog (The Wanderer)“
Quelle: youtube

 

 

Adeus, Naná

nana vasconcelos

Eine traurige Nachricht erreicht mich aus Recife, Pernambuco: Heute ist Naná Vasconcelos mit 71 Jahren an einem Krebsleiden verstorben. Er hat mit Pygmäen, buddhistischen Mönchen und Sami-Sängern gespielt, war Partner von Milton Nascimento, Don Cherry, Pierre Favre, Egberto Gismonti, Paul Simon und den Talking Heads. Im Katalog von ECM gastierte er auf Meilensteinen wie Jan Garbareks „Eventyr“ oder Pat Methenys „As Falls Wichita…“, er schuf Soundtracks für Jim Jarmusch und Balletmusik für Pina Bausch. Gut möglich, dass Naná derjenige brasilianische Musiker mit der höchsten Präsenz weltweit war.

Jeder, der sich mit Jazz oder lateinamerikanischer Musik beschäftigte, musste früher oder später seinen Weg kreuzen. Beim Autor dieser Zeilen war das irgendwann in den späten Achtzigern, als Jan Garbarek mit seinem Quartett das Freiburger Audimax beehrte. Da agierte ein Mann, bei dem das Attribut „an der Percussion“ nicht mehr griff: Denn Naná Vasconcelos schuf mehr Sounds als Beats, spielte nicht nur auf Instrumenten, sondern spielte vor allem auf sich selbst. Dieser herzenswarme, witzige und auch ein wenig schrullige Musiker war vor allem eines: die Verkörperung des Rhythmus.

Zentral für ihn war der Musikbogen Berimbau: „Er ist das Instrument meiner Seele“, sagte er, als ich ihn 2013 sprach für ein Interview, das mehr zum Hörspiel geriet. „Durch den Berimbau verstehe ich die Stille, die Lautstärke, die Geschwindigkeit. Nicht ich habe ihn gewählt, sondern er mich.“ Als Vermächtnis ist seine CD „4 Elementos“ zu sehen, eine Abbildung von Luft, Wasser, Feuer und Erde mit den musikalischen Vokabeln des brasilianischen Nordostens.“Ich will jung sterben, aber so spät wie möglich!”, wünschte er sich. Ich bin sehr traurig, dass es nun doch ein bisschen früher geworden ist. Descanse Em Paz.

Naná Vasconcelos: Batuque Nas Águas“
Quelle: youtube

 

Tabubruch in Teheran

no land's song

„Gott hat für die Kommunikation bestimmte Frequenzen vorgesehen“, sagt der Religionsgelehrte. „Es ist einer Frau erlaubt, mit einem Mann normale Konversation zu betreiben. Aber wenn sie singt, ist die Gefahr da, dass wir uns an dieser Art der Konversation erfreuen.“ Und er vergleicht den weiblichen Gesang mit einem Käse, dem viele Zutaten beigemengt werden: Dieser Genuss, so meint der alte Mann, der an einem Tisch voller Fruchtkörbe sitzt, würde einen ja auch verderben. Konsterniert schaut die Frau ihm gegenüber unterm Hijab hervor. Ihre Mission grenzt ans Unmögliche: Sara Najafi möchte entgegen aller Direktiven des Mullah-Regimes in Teheran ein internationales Konzert mit fünf Solosängerinnen auf die Beine stellen.

„Die weibliche Stimme ist sehr wichtig für mich in der Musik, und sie droht im Iran vergessen zu werden“, so die Komponistin. Man hat ihr geraten, doch ein Instrument zu studieren, sonst würde sie eh‘ in der Küche enden. Denn seit 1979 dürfen Frauen im öffentlichen Raum nur noch als Backgroundchor agieren, mindestens ein Sänger muss auf der Bühne dabei sein, um ihre Frequenzen zu „neutralisieren“. Schon einmal, vor fast hundert Jahren, eroberte sich eine Frau in Persien gegen alle Widerstände die Bühne, die legendäre Qamar, die mit ihren Liedern über Willkür und Tyrannei international Ruhm erlangte. Vor der Errichtung des Gottestaates gab es ein Vergnügungsviertel in der Stadt, die größten Stars der iranischen Musikszene waren Frauen wie Delkash und Googoosh, heute „Illegale“, deren Cassetten nur heimlich verkauft werden. Sie sind Leitbilder für Najafi, deren Bruder Ayat, ein in Berlin lebender Regisseur, aus dem Spießrutenlauf der Schwester einen genauso beklemmenden wie berührenden Film gemacht hat.  Er feiert in der kommenden Woche (ab 9.3.) Deutschlandpremiere.

Man kann die Paranoia des Teheraner Alltags hautnah spüren: Immer wenn Najafi bei staatlichen Behörden vorspricht, bleibt die Leinwand konsequent zensurschwarz. Straßenverkäufer und Musikalienhändler blicken sich vorsichtig um, bevor sie den Mund aufmachen. Doch es gibt die privaten Oasen, etwa, wenn Najafi im Garten sitzt mit ihren Mitstreiterinnen. Dort berichtet Parvin Namazi wehmütig von einer Zeit, die noch musikalische Freizügigkeit kannte. Und die klassisch ausgebildete Sayeh Sodeyfi, die männliche Studenten unterrichten, ihnen aber nur die Theorie erklären darf, findet ein poetisches Bild für die heutige Unterdrückung: „Nicht singen zu dürfen, das ist, als hörte für einen Maler die Farbe Rot auf zu existieren.“

Von ihren Landsfrauen baut Najafi eine Brücke zu den Pariser Gesangesschwestern Élise Caron, Jeanne Cherhal und Emel Mathlouthi – auch wenn noch gar nicht klar ist, ob ihr gemeinsames Projekt auf die Bühne kommen kann. Engagiert und behutsam erarbeiten alle Beteiligten das Programm. Erleben einen absurden ideologischen Eiertanz, müssen Visa- und Zensurhürden überwinden. Suchen eifrig diskutierend Wege der Verständigung über die so unterschiedlichen Verhaltensregeln und Tonsysteme. Resignieren ob der bürokratischen Knüppel, die ihnen zwischen die Beine geworfen werden. Und schöpfen neue Hoffnung, als der liberalere Rouhani Präsident wird. Die vom Stimmenfestival auch bei uns bekannte Mathlouthi ist schon einen Schritt weiter als Najafi, hat in ihrer Heimat die Revolution singend begleitet. Und sie ist es auch, die tragischerweise das gesamte Unternehmen gefährdet, durch einen simplen Facebook-Eintrag.

Ob schließlich der beherzte Vorstoß der Frauen und ihrer männlichen Begleitinstrumentalisten glückt, sei hier nicht verraten. Man muss nach den 90 Minuten tief durchatmen, kann vielleicht kaum die Tränen zurückhalten. „No Land’s Song“ ist eine der wichtigsten Musikdokus der letzten Jahre, denn sie führt eindringlich vor Ohren: Wo immer sich eine Religion über Menschenrechte und kulturelle Freiheit stellt, dürfen wir nicht schweigen.

© Stefan Franzen

anlässlich des deutschen Kinostarts ist das No Land’s Song-Ensemble im Pavillon Hannover (21.3.) und in der Niedersächsischen Landesvertretung Berlin (22.3.) zu hören.

No Land’s Song – Trailer
Quelle: youtube