Vagamondes 2018


Bis zum 27. Januar ist das elsässische Mulhouse Schauplatz des Festivals Vagamondes, das sich insbesondere Facetten der arabischen Kultur, aber weitergefasst auch anderen „Kulturen des Südens“ mit Musik, Tanz, Poesie, Ausstellungen,Theater und Film widmet. Dreh- und Angelpunkt ist das Konzerthaus „La Filature“: Dort werden der Sänger Lounis Aït Menguellet und sein Ensemble die Musik der Berber aus der algerischen Kabylei vorstellen. Tunesiens Emel Mathlouthi, einst zentrale Figur der Jasminrevolution, ist mit ihrem neuen Programm „Ensen“ bei unseren linksrheinischen Nachbarn. Eine Truppe um den Tänzer Serge Aimé Coulibaly ehrt mit einem Ballett namens „Kalakuta Repulbik“ Fela Kuti. Für ein besonderes Spektakel geht das Festival in das alte Dominikanerkloster nach Guebwiller: Dort wird die persische Sängerin Azam Ali (Foto) die Multimedia-Show „The Fourth Light Project“ auf eine stimmungsvolle Bühne bringen. Bei den diesjährigen Vagamondes sind Künstler aus Syrien, Ägypten, der Türkei, Italien und Griechenland, Algerien, dem Iran und Korsika vertreten.

Niyaz feat. Azam Ali: „Shir Ali Mardan“
Quelle: youtube

Die Jasminheldin in NY

emel mathlouthi 3

Dass nun ein Sexist und Rassist an der Spitze der USA steht, könnte einen verzweifelt und hilflos machen, nicht mehr an demokratische Institutionen glauben lassen. Dass gleichzeitig in den Staaten aber kritische Medien einen verstärkten Zuspruch erfahren, nährt einen Funken Hoffnung, dass türkische oder russische Verhältnisse dort noch abzuwenden sind. Wir Journalisten dürfen vor Größenwahn und Dummheit kein Haar breit zurückweichen – dazu gehört auch, dass wir immer wieder über Künstlerinnen und Künstler berichten, die mit Herz, Mut und Verstand für all das stehen, was das neue Individuum im Weißen Haus bekämpfen möchte.

Emel Mathlouthi ist eine solche Künstlerin.
Vor genau sechs Jahren stand sie auf der Avenue Bourguiba in Tunis und half mit ihrem Gesang, den Diktator Ben Ali zu stürzen. Ihr Song „Kelmti Horra“ wurde zur Hymne der jungen Generation. Im Film „No Land’s Song“ war sie Teil der Band, die unter Leitung der Iranerin Sarah Najafi dafür kämpfte, im Gottesstaat eine Konzerterlaubnis auf öffentlicher Bühne für Frauen durchzusetzen. Heute lebt die musikalische Heldin der Jasminrevolution in New York. Das Vokabular des neuen Präsidenten erinnere sie an das der ehemaligen tunesischen Führung, sagte sie in einem neuen Gespräch mit pitchfork.

Auf ihrem zweiten Album Ensen pflegt Mathlouthi einen Electro-Sound, der eher kosmopolitisch denn arabisch ist. Das Werk wurde unter anderem vom Sigur Rós-Produzenten Valgeir Sigurðsson betreut. Ihre Stimme faltet Mathlouthi von zerbrechlichem Sopran bis zu suggestivem Dräuen in hymnischen Chören auf. Rhythmische Impulse kommen zwar auch mal von traditionellen Lauten-Riffs oder rauchiger Flöte, vielmehr aber von scharfkantiger, martialischer Perkussion, und Keyboards von kühlem bis verzerrtem Zuschnitt füllen die Textur. In „Ensen Dhaif“ singt sie vom Kampf gegen die Hoffnungs- und Hilflosigkeit, die einen wie ein Tier anfallen kann, „Princess Melancholy“ könnte tatsächlich aus dem frühen Björk-Katalog stammen. Ensen wird in Deutschland am 24.2. veröffentlicht, unten ein Vorgeschmack daraus.
Hier ist nochmals mein Interview mit ihr aus dem Jahr 2015 nachzulesen.

Emel Mathlouthi: „Ensen Dhaif“
Quelle: YouTube

Tabubruch in Teheran

no land's song

„Gott hat für die Kommunikation bestimmte Frequenzen vorgesehen“, sagt der Religionsgelehrte. „Es ist einer Frau erlaubt, mit einem Mann normale Konversation zu betreiben. Aber wenn sie singt, ist die Gefahr da, dass wir uns an dieser Art der Konversation erfreuen.“ Und er vergleicht den weiblichen Gesang mit einem Käse, dem viele Zutaten beigemengt werden: Dieser Genuss, so meint der alte Mann, der an einem Tisch voller Fruchtkörbe sitzt, würde einen ja auch verderben. Konsterniert schaut die Frau ihm gegenüber unterm Hijab hervor. Ihre Mission grenzt ans Unmögliche: Sara Najafi möchte entgegen aller Direktiven des Mullah-Regimes in Teheran ein internationales Konzert mit fünf Solosängerinnen auf die Beine stellen.

„Die weibliche Stimme ist sehr wichtig für mich in der Musik, und sie droht im Iran vergessen zu werden“, so die Komponistin. Man hat ihr geraten, doch ein Instrument zu studieren, sonst würde sie eh‘ in der Küche enden. Denn seit 1979 dürfen Frauen im öffentlichen Raum nur noch als Backgroundchor agieren, mindestens ein Sänger muss auf der Bühne dabei sein, um ihre Frequenzen zu „neutralisieren“. Schon einmal, vor fast hundert Jahren, eroberte sich eine Frau in Persien gegen alle Widerstände die Bühne, die legendäre Qamar, die mit ihren Liedern über Willkür und Tyrannei international Ruhm erlangte. Vor der Errichtung des Gottestaates gab es ein Vergnügungsviertel in der Stadt, die größten Stars der iranischen Musikszene waren Frauen wie Delkash und Googoosh, heute „Illegale“, deren Cassetten nur heimlich verkauft werden. Sie sind Leitbilder für Najafi, deren Bruder Ayat, ein in Berlin lebender Regisseur, aus dem Spießrutenlauf der Schwester einen genauso beklemmenden wie berührenden Film gemacht hat.  Er feiert in der kommenden Woche (ab 9.3.) Deutschlandpremiere.

Man kann die Paranoia des Teheraner Alltags hautnah spüren: Immer wenn Najafi bei staatlichen Behörden vorspricht, bleibt die Leinwand konsequent zensurschwarz. Straßenverkäufer und Musikalienhändler blicken sich vorsichtig um, bevor sie den Mund aufmachen. Doch es gibt die privaten Oasen, etwa, wenn Najafi im Garten sitzt mit ihren Mitstreiterinnen. Dort berichtet Parvin Namazi wehmütig von einer Zeit, die noch musikalische Freizügigkeit kannte. Und die klassisch ausgebildete Sayeh Sodeyfi, die männliche Studenten unterrichten, ihnen aber nur die Theorie erklären darf, findet ein poetisches Bild für die heutige Unterdrückung: „Nicht singen zu dürfen, das ist, als hörte für einen Maler die Farbe Rot auf zu existieren.“

Von ihren Landsfrauen baut Najafi eine Brücke zu den Pariser Gesangesschwestern Élise Caron, Jeanne Cherhal und Emel Mathlouthi – auch wenn noch gar nicht klar ist, ob ihr gemeinsames Projekt auf die Bühne kommen kann. Engagiert und behutsam erarbeiten alle Beteiligten das Programm. Erleben einen absurden ideologischen Eiertanz, müssen Visa- und Zensurhürden überwinden. Suchen eifrig diskutierend Wege der Verständigung über die so unterschiedlichen Verhaltensregeln und Tonsysteme. Resignieren ob der bürokratischen Knüppel, die ihnen zwischen die Beine geworfen werden. Und schöpfen neue Hoffnung, als der liberalere Rouhani Präsident wird. Die vom Stimmenfestival auch bei uns bekannte Mathlouthi ist schon einen Schritt weiter als Najafi, hat in ihrer Heimat die Revolution singend begleitet. Und sie ist es auch, die tragischerweise das gesamte Unternehmen gefährdet, durch einen simplen Facebook-Eintrag.

Ob schließlich der beherzte Vorstoß der Frauen und ihrer männlichen Begleitinstrumentalisten glückt, sei hier nicht verraten. Man muss nach den 90 Minuten tief durchatmen, kann vielleicht kaum die Tränen zurückhalten. „No Land’s Song“ ist eine der wichtigsten Musikdokus der letzten Jahre, denn sie führt eindringlich vor Ohren: Wo immer sich eine Religion über Menschenrechte und kulturelle Freiheit stellt, dürfen wir nicht schweigen.

© Stefan Franzen

anlässlich des deutschen Kinostarts ist das No Land’s Song-Ensemble im Pavillon Hannover (21.3.) und in der Niedersächsischen Landesvertretung Berlin (22.3.) zu hören.

No Land’s Song – Trailer
Quelle: youtube

Hoffnung für Tunesien?

emel mathlouthi 1

Ich setze heute meine Reihe der Interviews mit Sängerinnen aus der arabischen Welt fort.

Während der Jasminrevolution wurde sie in ihrer Heimat Tunesien mit dem Lied „Kelmti Horra“ („meine Rede ist frei“) zur Symbolfigur der Jugend. Heute steht Emel Mathlouthi an der Spitze der selbstbestimmten Künstlerinnen mit arabischen Wurzeln, lebt in Paris und New York. Anlässlich ihres bevorstehenden Auftritts beim Stimmen-Festival in Lörrach (Rosenfelspark, 21.7.) habe ich dieses Interview mit ihr geführt – wenige Tage vor den Anschlägen auf den Badeort Sousse, der einige ihrer optimistischen Ausblicke hoffentlich nicht zunichte machen wird.
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