Senegal-News I

Aron & The Jeri Jeri Band
Dama Bëgga Ñibi
(Urban Trout Records/Modulor Distribution/Indigo)

Kürzlich hat Altstar Baaba Maal mit einem progressiven Album den Senegal wieder auf die weltmusikalische Landkarte katapultiert. Wie sieht es mit weiteren weltoffenen Produktionen aus dem westafrikanischen Land aus? Mit Aron & The Jeri Jeri Band stellt sich das spannende Duo des Griots und Trommlers Bakane Seck (Chef der Jeri Jeri Band) mit dem neuseeländischen Pianisten und Spezi von Stromae und Woodkid, Aron Ottignon vor. Auf Dama Bëgga Ñibi gelingt den beiden eine charismatische Verflechtung von Wolof-Vocals, komplexen Mbalax-Rhythmen, jazzigen Klaviereinlagen und einem geschmackvollen elektronischen Soundrelief.

Ein Glücksfall im Unglück: Während der Pandemie konnte der in Berlin lebende Ottignon eine Menge gestrandeter Senegalesen in seinem Studio ans Mikro bieten, die über den Trommelspuren von Seck ihre Vocals einflochten. So können wir großartige Stimmen wie die von Ale Mboup und Pape Diouf, ebenso Nachwuchs-Timbres wie Aka Boy und Toufa Mbaye entdecken. Wie weit das Spektrum reicht, hört man, wenn man den Hit „Sunugal“ und das träumerische, latino-soulige „The Return Of The Golden Egg“ gegenüberstellt. Dakar öffnet seine Pforten zur Welt – an der Spree.

© Stefan Franzen

Aron & The Jeri Jeri Band: „The Return Of The GOlden Egg“
Quelle: youtube

Klingendes Elternhaus

Katherine Priddy
The Pendulum Swing
(Cooking Vinyl)

Glückliches England! Folk ist dort lebendiges Erbe mit jungen Musikern und Hörern, die Alben des Genres werden in Rockzeitschriften und den Financial Times besprochen. Jüngstes Beispiel: Katherine Priddy. Die Singer/Songwriterin aus Birmingham ist dort der neue Star, wird von der BBC hofiert, von der Legende Richard Thompson in den Himmel gelobt. The Pendulum Swing ist ihr zweites Album, es rankt sich um die Geschichte ihres alten Elternhauses – und zeigt, wie raffiniert der junge Britfolk daherkommen kann. Süffige, von trillernden Schleifen durchzogene Melodien („A Boat On The River“) sind in fantastisch räumliche Streicher („Selah“) gebettet, clevere Dur-Moll-Schattierungen tragen die Stimmungen („First House On The Left“).

Hübsche Ideen, wie etwa eine Latin-Trompete im trabenden „Does She Hold You Like I Did“ sorgen für Abwechslung. Priddys helle Stimme tönt oft verträumt, wirkt durch tighten Satzgesang stellenweise etwas zu geglättet, und eine Spur zu seichter Country-Anklänge haben sich mitunter auch hierher verirrt. Wer es daher noch etwas griffiger und zupackender mag, höre sich auch das Debüt The Eternal Rocks Beneath von 2021 an, auf dem diese Politur noch fehlt.

© Stefan Franzen

Katherine Priddy: „First House On The Left“
Quelle: youtube

Menorquinischer Tastensturm

Marco Mezquida
Tornado
(Galileo)

Marco Mezquidas Output kann man nur bewundern, jährlich erscheint ein neues Werk des 36-Jährigen, und das meist in anderer Besetzung. Jetzt ist der menorquinische Pianist mit neuem Trio – Masa Kamaguchi, b / Ramon Prat, dr –am Start. Tornado spart die folkloristischen Töne und klassischen Bezüge früherer Werke weitestgehend aus. Stattdessen widmen sich die drei Herren gleich im Intro geräuschhaften Experimenten, die dann öfters wiederkehren, etwa in „Bon Ball Tenim“ mit aquatischer Perkussion und dem Innenleben des Flügels. Das Titelstück ist tatsächlich ein Klang gewordener Wirbelsturm, der mit chromatisch tanzenden Piano-Linien, aufgekratzten Basslinien und Zimbelgestöber einen Sog entfacht. Taumelnde Taktwechsel gibt es in „Fellini“, das zwischen rasanten Klavier-Sextolen, bluesigem Vorwärtsheizen und kochenden Drums begeistert.

Balladeske Grandezza spielt Mezquida mit vollem Pedal in „Pasion“ und „I Love You Both“ aus, „Tifonet“ begibt sich mit Monk-artigen Läufen in den Dialog mit dem Bass, um dann im Refrain die große Showbühne zu betreten. Ein weiteres rasant-virtuoses Lehrstück von Polyrhythmik zwischen den drei Instrumentalisten malt man mit „Taifü“, um das Album-Motto der kräftigen Winde zu unterstreichen. Den Vogel aber in diesem gekonnten Kaleidoskop schießt „Beibita“ ab: Eine wimmernde Hammondorgel setzt hier dem Geschehen ein fast gospelartiges Krönchen auf. „Adios Abuela“ ist ein nachdenklich-meditiativer Schluss-Stein in diesem Mosaik. Weiterhin gibt es in Iberien keinen vergleichbaren Tastenmann mit derartigem Ideenfluss.

© Stefan Franzen

Marco Mezquida: „Tornado“ (Teaser)
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Sagenhafter Gestaltungswille

Basel ist exquisiter, international geprägter Nährboden für spannende Ensembles mit großer Besetzung. Das ließ sich schon mit dem Yumi Ito Orchestra vor einigen Jahren beobachten, und es gilt ebenso für die Arbeit der Saxophonistin Sarah Chaksad. Nach zwei Bigband-Platten hat sie nun auf „Together“ für eine etwas schlankere Dreizehner-Besetzung besonders klangfarbenreich komponiert. Das ist auch der ungewöhnlichen Bläsertextierung mit Flöten, Klarinetten, Bassetthorn, Ventilposaune und Euphonium zu verdanken. Schaukasten für Chaksads grandiose Instrumentationskniffe ist etwa das Thema von „Love Letters“, wo sich über dem Holz und Blech eine jubilierende E-Gitarre erhebt, oder die schwatzenden Dialoge der Bläser in „Imagine Peace“.

Das organische Herauslösen aus festgelegter Komposition hin zu Impro-Passagen und zurück lässt sich schön in der Melancholie der beiden „Green“-Stücke ablauschen. Yumi Itos helle Vocals sind als textloses Instrument oft fast unmerklich färbend eingebettet, sie hat aber in „Lost“ eine freie Spielwiese. Und im Titelstück gelingt es verblüffend, der persischen Spießgeige von Misagh Joolaee die Rolle der berührenden Erzählerin zu verleihen, sehnsüchtig und auch perkussiv treibend. Von A bis Z lebt diese Platte von Chaksads sagenhaftem Gestaltungsvermögen.

© Stefan Franzen

Sarah Chaksad Large Ensemble: „Lost“
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Dampfmachen in São Paulo

Bixiga 70
Vapor
(Glitterbeat Records/Indigo)

Die funkensprühendste Kapelle im Reich der afrobrasilianischen Funk-Bigbands? Nach dem Genuss von Vapor dürfte das kaum noch jemand bestreiten. Der fünfte Wurf der zehn Musiker aus São Paulo, der tatsächlich titelgemäß ordentlich „Dampf“ macht, zeitigt ein paar Verschiebungen der tektonischen Soundplatten, bedingt durch Umbesetzungen im Line-Up. Nach wie vor ist da die satte Bläserwand, aber sie befindet sich jetzt im Wettbewerb mit einem Keyboard-Park des 21. Jahrhunderts.

Mit Kuhglocken und gemächlichem Atem von Baritonsax bis Flöte beginnt „Malungu“, doch irgendwann zieht das Tempo an, und bassige Tastenmonster schieben sich unter die nervös reagierenden Ventile. Richtig futuristisch wird es in „Na Quarta-Feira“: Ein helles Gitarren-Ostinato streitet mit den chromatischen Blubber-Moogs, und dazu walzt die Hörner-Abteilung schwer durchs Gelände. Freundlichere Party-Töne gestattet man sich mit „Parajú“, das zu Rhythmen aus dem Norden Brasiliens Keyboard-Arpeggien mit dem Testosteron von Hardrock-Gitarrensoli abfeiert.

„Baile Flutuante“ ist der Afrobeat-Ausflug des Albums, der freilich mit etlichen Brasil-Abwandlungen vollzogen wird und irgendwann mit jeder Menge afrobrasilianischer Perkussion und Näselgitarre auf Abwege gerät. Sogar mit arabesken Skalen vom Synth kommt „Mar Virado“ daher, hat dann bei einem Posaunensolo noch seinen New Orleans-Moment. Nach einer halben Stunde ist man allein vom Zuhören durchgeschwitzt, zum Glück gibt es in der Auslaufspur Chilliges. Ein ekstatisches Kraftpaket – als hätte es eine Pandemie nie gegeben.

© Stefan Franzen

Bixiga 70: „Na Quarta-Feira“
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Höhenflug und Trauerarbeit

Joy Denalane
Willpower
(Four Music/Sony)

Eltern in Tagen der Krankheit und des Abschieds zu begleiten, kann eine große Herausforderung sein – und gleichzeitig eine wunderbare Erfahrung. In Joy Denalanes Song „Happy“ gibt es die Zeile „I’m happy for the loss“, und sie spielt darauf an, wie nahe sie ihrem Vater in der Zeit vor seinem Tod kommen durfte. Willpower, ihr sechstes Studioalbum, ist alles andere als eine melancholische oder gar morbide Angelegenheit, es verpackt Trauerarbeit und Neuorientierung in musikalische Höhenflüge einer Fünfzigjährigen. Eine Zeit im Leben, die, wie der Titel schon sagt, die Besinnung auf starke Willenskraft in den Mittelpunkt stellen muss, damit neues Durchstarten gelingt.

Joy Denalanes Alben waren meistens schlüssige Gesamtkunstwerke, die einer bestimmten Phase der Soulgeschichte huldigten. So war das 2017 mit Gleisdreieck, ihrem Dialog mit zeitgenössischem R&B und Hip Hop, so war es mit dem Vorgänger Let Yourself Be Loved“, mit dem sie 2020 den Gang zum Soul-Olymp Motown vollzog. Dieses Album, residierend im Sechzigersound des Detroiter Labels, wurde durch die Pandemie allerdings hart ausgebremst.

Aus den Covid-Narben, dem Verlust ihres Vaters und zudem dem Auszug ihrer Kinder ist die Berlinerin gefestigt hervorgegangen. In Willpower weht die Brise neuer Freiheit. Da passt es, dass es musikalisch mit dem eingespielten Produzenten-Team um Roberto Di Gioia und Ehegatten Max Herre dieses Mal in die Soul-Ästhetik der 1970er hineingeht. Unüberhörbar im Fokus stehen der räumliche Philly-Sound und seine verwandten Strömungen aus Chicago und New York jener Zeit, und damit die hohe Balance-Kunst zwischen Verträumtheit, seelenvoller Grandezza und Schwüle. Ein reicher Fuhrpark clever eingesetzter Moogs, Fender Rhodes und Hammondorgeln sorgt für die Textur, fruchtige Riffs auf der Gitarre füllen auf, manchmal gibt es beschwörende Backgroundchöre, die das Tor zum Gospel öffnen. So etwa in dem schon angesprochenen „Happy“, in dem sie die Trauerrede dem Gast-Rapper Ghostface Killah überlässt, bevor sie dann mit strahlender Stimme die Erinnerung an ihren südafrikanischen Daddy predigt.

Joy Denalane feat. Ghostface Killah: „Happy“
Quelle: youtube

Andere Stücke residieren in erotischer Major Seven-Harmonik, etwa das zurückgelehnte „Hideaway“, ein Loblied des Refugiums der Zweisamkeit, oder ergehen sich in schwebender Glückseligkeit: „Fly By“ ist zugleich ein Schaukasten für die Entwicklung grandioser Phrasierungen über einem simplen Akkordwechsel. Spätestens mit „Far Cry“ ist man verblüfft über das abwechslungsreiche Relief, mit dem Denalane und Team eine Epoche neu zum Leben erwecken: Mit jazzig federndem Unterbau und einer flatternden Flöte wird hier nochmal einer ganz anderen spirituellen Seite des Soul gehuldigt, wie sie etwa ein Terry Callier vertrat. Verwandt damit „Soweto“, eine Reflektion über das leider brennend aktuelle Thema der Ausgrenzung von mixed raced people. Wenn Joy Denalane im Titelstück dann den beeindruckenden Antwortchor der Selbstermächtigung ganz allein gestaltet, ist klar: Sie bleibt hierzulande eine der wichtigsten und großartigsten Stimmen im Kampf für Diversität.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe vom 21.10.2023

Joy Denalane: „Fly By“
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Tagtraum mit Nils

Die Sitar-Virtuosin Anoushka Shankar beginnt eine Serie von drei Mini-Alben, für jedes Kapitel hat sie mit einem anderen Produzenten gearbeitet. Von der USpakistanischen Musikerin Arooj Aftab wurde das Auftakt-Werk betreut, es trägt den Titel Chapter I: Forever, For Now (Leiter). Kennengelernt haben sich die beiden Musikerinnen bei der Produktion von Aftabs Album Vulture Prince. Shankars EP beinhaltet Kollaborationen mit dem Bassisten Gal Maestro oder Akkordeonistin Magda Giannikou und Nils Frahm. Auf den vier Stücken schafft Shankar eine Abkehr von der Virtuosität, die sich trotzdem nicht in einer Wellness-Wolke verflüchtigt. Klar umrissen, präsent und konzentriert entwirft sie etwa mit einem Abendraga eine neue fried- und lichtvolle Deutung indischer klassischer Musik. Und mit Frahm greift sie in „Daydream“ ein karnatisches (südindisches) Wiegenlied auf.

Anoushka Shankar (feat. Nils Frahm)
Quelle: youtube

Afro-Londons nächste Glanztat

Balimaya Project
When The Dust Settles
(New Soil/Jazz re:freshed/FUGA)

In seiner Verbindung von Jazzsounds mit westafrikanischen Wurzeln von Nigeria bis Mali dürfte das sechzehn Musiker starke Londoner Balimaya Project im Moment ein weltweit einzigartiges Phänomen sein. Auf seinem zweiten Album packt das Kollektiv auch harte Themen an: den Verlust eines Kindes, den Tod eines Bruders auf UNO-Friedensmission, die Herausforderung der Integration in einer zunehmend migrantenfeindlichen Gesellschaft.

Das wird in eine teils durchgängige Konzeptsuite gegossen, sie trägt mal Züge einer zündenden Afrojazz-Improvisation, hat freie Passagen mit beschwörenden Yoruba-Vocals, stellt mal Trommel-Interludien mit Talking Drum prominent in den Fokus, birgt dann wieder kammermusikalische Ruhepole mit Kora und Akustikgitarren. Stark, wie das popballadeske „Suley’s Ablution“ am Ende in ein Bata-Zeremoniell übergeht und wie im Finalstück sogar noch eine Streichersektion zur Bläser-Riege stößt.

© Stefan Franzen

Balimaya Project: „Suley’s Ablution“
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Abendliche Sommerbrise II

Nanny Assis
Rovanio – The Music Of Nanny Assis
(In & Out Records/in-akustik)

Im Kosmos der brasilianischen Musik gibt es viele Künstler, die zwar in den USA, nicht aber in Europa einen klangvollen Namen haben: Völlig zu Unrecht zählt der Sänger, Gitarrist und Komponist Nanny Assis zu den hier Unerforschten. Geboren in Salvador da Bahia und dort aufgewachsen mit dem Reichtum der afrobrasilianischen Stile, wanderte er vor 25 Jahren nach New York aus, um seine Vorliebe für den US-Jazz in seine eigenen Töne einzupflegen. Rovanio (so Nannys eigentlicher Vorname) – The Music Of Nanny Assis zeigt diese schöne Verschmelzung von Nord- und Südamerika, und dafür hat er eine erstaunliche Gästeriege von Bassist Ron Carter bis zum Pianisten Fred Hersch an Land gezogen.

Sein afrobrasilianisches Erbe blitzt dabei immer wieder durch, etwa im perkussiven, extrem swingenden „Amor Omisso“, dekoriert von Lakecia Benjamins Altsax. Synkopische Cleverness, ein fulminant fließendes Gitarrensolo (Chico Pinheiro) und Assis‘ smoothe Jazzstimme bringen „Human Kind“ zum funkeln. Die sanftere Brasil-Seite in Gestalt der Bossa kommt mit „No Agora“ zum Zuge, einer Betextung einer Carter-Komposition, in der Assis mit den wendigen Flügelhornlinien von Randy Brecker alterniert. Letztlich tupft das Sankt Petersburg Studio Orchestra noch ein wenig breitwandigen Glamour auf.

© Stefan Franzen

Nanny Assis: Amor Omisso“
Quelle: youtube

Nahöstliche Nachbarschaftshilfen


Dudu Tassa & Jonny Greenwood
Jarak Qaribak
(World Circuit/BMG)

Ein ungleiches Duo? Nur auf den ersten Blick: Israels Rockstar Dudu Tassa hat jüdisch-irakisch-kuwaitische Vorfahren, Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood hat in eine irakisch-ägyptische Familie eingeheiratet und liebt die Musik des Nahen Ostens. Jarak Qaribak (dein Nachbar ist dein Freund) ist also ein spielerisches Manifest ihres gemeinsamen Herzblutes: ein Album mit bekannten Liebesliedern des gesamten arabischen Raumes von Marokko bis in den Irak, vom Duo sanft modernisiert.

Bewusst haben Tassa und Greenwood viele Gaststimmen eingeladen, um Versöhnung der arabischen Länder zumindest musikalisch zu zelebrieren. Herausragend das dubbige, von wehmütigen Bläsergardinen umwehte „Leylet Hub“ aus Ägypten, ohrwurmig „Ahibak“ mit 1001 Nacht-Streichern, perlender Kastenzither und der Schmachtstimme von Safae Essafi aus Dubai. Und Greenwood hat seine Viertelton-Lektionen auf Gitarre und Bass gelernt: mal im Dialog mit einer aufgekratzten Trompete („Jan Al-Galb Salik“), mal als trabender Rhythmusgeber für einen algerischen Klagegesang.

© Stefan Franzen

Dudu Tassa & Jonny Greenwood feat. Nour Freteikh: „Taq ou-Dub“
Quelle: youtube