Heiligkeit, Freiheit und Mut

Mit dem multinationalen Bandkollektiv Ayom kommt frischer Global Pop-Wind auf badische Bühnen. In ihren Sound fließen Farben aus Brasilien, Cabo Verde, Angola und dem mediterranen Raum ein.

Ist die Ära der großen, schillernden Supergroups der Weltmusik nicht längst vorbei? Die Tage jener Bands, die Zutaten verschiedener Erdteile mischen und daraus ein manchmal spritziges Gebräu, allzu oft aber auch eine saucenhafte Tunke kredenzen, schienen gezählt. Doch jetzt ist das Kollektiv Ayom auf den Plan getreten, mit Mitgliedern aus Brasilien, Spanien, Italien und Griechenland, mal von Barcelona, mal von Lissabon und Florenz aus wirkend – und sie gehören eindeutig der spritzigen, belebenden Seite an.

Lange war Barcelona Brutstätte einer Mestizo-Szene, die in den 1990ern und 2000ern mit Manu Chao oder den Ojos De Brujo wegweisende Klangmarken setzte, sich irgendwann aufgrund der Beliebigkeit ihrer Stilmélange aber totgelaufen hatte. Als Ayom, benannt nach der afro-brasilianischen Orixá-Gottheit der Musik, 2021 ihr Debütalbum veröffentlichten, weckte das weniger Erinnerungen an den wilden Mestizo-Sound von einst. Die Band versuchte vielmehr, einen spannenden Ansatz mit spiritueller Tiefe und ausgefuchsten transatlantischen Bezügen zu finden. Mit der süffigen Stimme der Brasilianerin Jabu Morales und dem omnipräsenten Akkordeon von Alberto Becucci im Zentrum dokumentierten die Songs des Erstlings eine Bandarbeit, die am zeitlosen afro-portugiesischen Klangidiom gewachsen ist, und nicht an zusammengestoppelter Mischkultur.

Jetzt vertieft das Sextett um Morales diese Klangphilosophie mit dem zweiten, im September erscheinenden Konzeptalbum SA.LI.VA., dem im Sommer eine Europa-Tournee vorausgeht. Auch auf dem Lörracher Stimmenfestival und dem Karlsruher Zeltival sind die Musiker zu erleben. „SA.LI.VA.“ steht für „sagrado, liberdade, valentia“ – die portugiesischen Worte für heilig, Freiheit und Mut. Jeder dieser Sphären ist ein Abschnitt auf dem Werk gewidmet, das außerdem vom Glauben an die Orixás getragen wird, den Gottheiten der afrobrasilianischen Candomblé-Rituale.

Stilistisch ist SA.LI.VA. überhaupt nicht zu fassen, zu vielgestalt sind die Einwebungen: Mit Streichern, Akkordeon und großartig sanfter Stimme wird zu Beginn die Obergottheit Oxalá angerufen, Farben der kapverdischen Melancholie sind hier hineingewirkt. Tänzelnd vereinen sich Pianotropfen, Samba-Percussion und lusitanische Gitarrentremoli in „Filhos Da Seca“. Rituell-hymnisch wird es in einer Ode an Oxum, der Göttin der Schönheit und Liebe. Und flugs geht es für die Einleitung des festiven „Freiheits“-Abschnitts in den Nordosten Brasiliens, von wo die fröhlichen, flinken Rhythmen des Karnevals in „Eu Quero Mais“ hineinfließen, inklusive opulentem Blechblasapparat. Bereichert wird dieses große Netzwerk der Sounds durch Gäste: In „Kikola N’goma“ feiert der Angolaner Paulo Flores die transatlantischen Verbindungen mit einem Paket tropischem Gitarren-Swing. Die größte Überraschung kommt im Finale auf unsere Ohren zu: „Io Sono Il Vento“, ein italienischer Fünfzigersong mit viel mediterranem Schmelz, singt Jabu Morales im herzerweichenden Duett mit dem portugiesischen Star Salvador Sobral.

Selten offenbarte sich in der globalen Musik während der letzten Jahre eine solche durchdachte, aufregende und tiefsinnige Vielfalt. Auf die Bühnenumsetzung kann man nur gespannt sein.

© Stefan Franzen

Platte:
„SA.LI.VA“ (Ayom/Believe, VÖ: 13.09.)

live:
Rosenfelspark Lörrach (Stimmenfestival), 18.7.
Zeltival Karlsruhe, 24.7.

AYOM: „Oxalá, Promessa Do Migrante“
Quelle: youtube

 

Spannungsgeladene Glanztat

Àbáse
Awakening
(Oshu Records/Analogue Foundation)

Szabolcs Bognár kommt aus der ungarischen Jazz- und HipHop-Szene und hat sich seit 2018 in Berlin etabliert. Mit dem Septett Àbáse hat der Produzent und Keybaorder auf der Scheibe Awakening (Oshu Records/Analogue Foundation) eine schwer klassifizierbare Fusion geprägt, die auf- und anregend ist. Unverkennbar sind Afrobeat und Highlife ein Tummelplatz, wie in der überragend groovenden Nummer “Menidaso” mit ghanaischer Vokalpräsenz von Eric Owusu, doch pflegt man hier keine straighte Afro-Adaption, sondern lässt Raum für breitwandige Fusionstrecken.

Herrlich, wie die glasige Fender Rhodes sich ins hektisch-virile Rhythmusgefüge von “Destruction Everywhere” einbetten lässt. wie verträumt Sax und Flöte mit dem Moog sphärische Klänge über einem Sechsertakt in “Orbit Sirius” kreieren. In “Bloom” dagegen scheint die Zeit mit Pianoperlen und pentatonischer Flöte eingefroren. Kosmisch frei wird es mit dem Gastauftritt von Knoel Scott und Cecil Brooks aus der Sun Ra Arkestra-Entrourage, bevor dem Orixá-Donnergott “Shango” in pompöser Bigband-Manier gehuldigt wird. Eine spannungsgeladene, spirituelle Glanztat, dieses Album.

© Stefan Franzen

Àbáse: „Orbit Sirius“
Quelle: youtube

Vier Flöten und ein Trommelfell


Nancelot
Nancelot
(Unit Records)

Es gibt Zeitgenossinnen und -genossen, denen Block- und auch Querflöte gewaltig auf den Senkel geht. Für sie wird das Debüt des Quintetts Nancelot eine gewaltige Herausforderung sein – oder es wird sie im besten Fall bekehren. Um die Schaffhauser Musikerin Nancy Meier sind hier gleich vier Flötistinnen zugange, aber wie: Die geblasenen Linien umweben sich in vielschichtigsten Abwandlungen in epischen Stücken, die jedes für sich wie ein akustischer Kurzfilm mit fantasievoll gesponnener Dramaturgie sind.

Da blitzen mal barocke Sequenzstrukturen auf, zarte Syrinx-hafte Gebilde fliegen durch die Luft, oder Loophaftes wie in der vielzitierten Minimal Music rückt in den Vordergrund. Mit den perlenden, dichten harmonischen Sätzen unter der Melodie denkt man phasenweise auch an eine quirlige, schwerelose Improvisation auf einem Orgelmanual. Und verspielte, freie Interludien machen klar: Hier gibt es zwischen den vier Flöten eigentlich gar keine Hierarchien.

Der Clou ist jedoch, dass sich Meier, Eline Gros, Camille Quinton und Anett Kallai noch den deutschen Schlagzeuger Tilo Weber dazugeholt haben, der mal mit feinem Liebkosen die Melodien rhythmisch unterstreicht, zwischendrin aber auch mal in einem polternden Anflug viril konterkariert. Dringende Empfehlung: Entdecken Sie diese vier Damen und ihren Drummer im Eröffnungskonzert des Schaffhauser Jazzfestivals am 22. Mai!

© Stefan Franzen

Nancelot live: 22.05. Schaffhauser Jazzfestival, 01.07. Südtirol Jazzfestival, 20.11. Bird’s Eye Basel, 21.11. ReJazz Festival Berlin

Nancelot Album Trailer
Quelle: youtube

Portugiesischer Frühling

Ana Lua Caiano
Vou Ficar Neste Quadrado
(Glitterbeat)

Lusitanian Ghosts
III
(Phonographic/Broken Silence)

Zum Beginn des Aprils wandert greenbeltofsound nach Portugal. Das ist naheliegend, denn am 25.4. jährt sich zum 50. Mal die Nelkenrevolution. Umso wichtiger in diesen Tagen an den Sturz der rechten Diktatur zu erinnern, als ja ein rechtes Bündnis bei den Wahlen vor kurzem explosionsartige Stimmenzuwächse verzeichnen konnte. Wir feiern das andere Portugal mit zwei herausragenden Scheiben.

Ganz weit weg von allen hinlänglich bekannten Portugal-Patterns wohnt Ana Lua Caiano. Die Musikerin aus Lissabon hat schon Lorbeeren auf der Eurosonic, der WOMEX und den Transmusicales eingeheimst, jetzt bekommt sie sie für ihr Debüt Vou Ficar Neste Quadrado auch von mir. Im Alleingang und komplett auf elektronischer Basis zimmert Caiano ein Universum, das die Ohren in einen Bannkreis zieht.

Hämmernde, schiebende und klackende Beats, genauso maschinell wie mit traditionellem Schlagwerk erzeugt, umwinden sich zu einem rhythmischen Mycel. Darüber baut sie harsche Vocals, die wirkmächtig die Silben der portugiesischen Sprache einsetzen, mal marschartig deklamiert, mal geflüstert, eingebettet in kompakte, geschliffene Chöre, die auch von alten Gesängen der portugiesischen Landbevölkerung Einflüsse beziehen. Und nie hat man eine konziser und hermetischer eingefangene Lockdown-Paranoia vernommen als in diesen Lyrics.

Ana Lua Caiano: „O Bicho Anda Por Aí“
Quelle: youtube

Ist portugiesischer Folkwave nicht ein wenig abwegig für diese Spalten? Nein, befindet der greenbeltofsound-Autor. Die Lusitanian Ghosts sind ein Sextett, das irgendwo zwischen einer düsteren Version der Waterboys und Crowded House musiziert, dazu auch noch mit englischen Texten. Allerdings tun sie das auf Lusitanian Ghosts III mit spannenden Zupfinstrumenten, die auf der roten Liste stehen.

Die Band um den kehlig-falsettigen Sänger Neil Leyton (hinter dem Moniker verbirgt sich Musikproduzent Nuno Saraiva) bemüht Chordophone wie die Viola Amarantina, Terceirense und Campaniça, die aus Nord- und Südostportugal sowie von den Azoren stammen. Und die zirpen als schöne Würze durch die rockigen Arrangements der Songs, unter denen sich auch eine Würdigung an den 50. Jahrestag der Nelkenrevolution befindet.

© Stefan Franzen

Lusitanian Ghosts: „Got Enough“
Quelle: youtube

Pluckernd-pastoral und funky

La Yegros 
HAZ
(X Ray Productions)

Welche erstaunliche Entwicklung die Digital bzw. Nu Cumbia genommen hat, lässt sich an der Karriere von La Yegros ablesen. Die früher oft dominierenden Techno- und HipHop-Anteile des von Bogotá bis Buenos Aires vertretenen Genres sind bei ihr in ein organisches Gesamtgefüge eingeflossen. Auf ihrem vierten Werk HAZ hat die Argentinierin auf diese Weise eine wunder- und durchhörbare Fusion geschaffen, die die Latinpop-Szene immer noch kantig genug bereichert.

Mit dem altvertrauten Team, namentlich Produzent King Coya und Komponist Daniel Martin, integriert die Frau mit der immer leicht wehmütigen Stimme indigene Flöten neben melancholischen Akkordeonlinien („Bailarín“), und rurale Blaskapellen pumpen über dem Schlurfrhythmus („Donde“). Keyboard-Bässe schreiten unter funky Gitarrenriffs, wenn die „Malicia“ zelebriert wird, und in „Todo Yo“ wetteifern schräge Pfeifen und Twang-Gitarren mit einer massiven Perkussionsabteilung. In „Perdedor“ grüßt dann mächtig die House-Kultur.

Aber es geht auch mal mit kompletter Abstinenz von Beats: Geradezu pastorale Holzbläser und ein pluckerndes Saiteninstrument namens Bichito Cordobés schmücken die „Bodas De Plumas“. Und im Finale „Nada“ schickt sie sogar noch eine Spur Flamenco-Rock ins Rennen. Ist das eine neue versöhnliche Brücke zwischen Shakira-Sphäre und dem Underground? Spätestens mit diesem Werk dürfte La Yegros‘ globaler Herrschaft auf den Tanzböden des Sommers jedenfalls nichts mehr im Wege stehen.

© Stefan Franzen

La Yegros: „Bailarín“
Quelle: youtube

Senegal-News II

Faada Freddy
Golden Cages
(Think Zik!/Word&Sound) 

Die Wahlen im Senegal sind gelaufen, erstmals konnte sich im ersten Wahlgang mit Bassirou Diomaye Faye ein Oppositionskandidat durchsetzen. Wir wünschen dem senegalesischen Volk eine friedvolle Machtübergabe. Und was könnte der Soundtrack zu diesem neuen Aufbruch im Land sein? Frisch und aufschwingend ist auf jeden Fall diese Scheibe:

Mit Golden Cages setzt Faada Freddy seine vor sieben Jahre begonnene gospelgefärbte Reise fort. Lediglich geschichtete Quintett-Stimmen, Körperpercussion und geklatschte Rhythmen schaffen mittels Cutting Edge-Produktion eine kompakte Architektur. Die klingt zwar geschliffen aber nicht glatt, eine organisch-vokale Tanzmusik, die die Errungenschaften von Zap Mama, Angélique Kidjo und Bobby McFerrin zugleich ins Jahr 2024 hievt und die Tugenden des klassischen R&B und Soul preist. Die geradezu humanistischen Texte des senegalesischen Ex-Rappers – oft auf Englisch, selten auf Wolof und Französisch – greifen auf Inspirationen zeitgenössischer afrikanischer Autoren genauso zurück wie auf den Montaigne-Freund La Boétie.

© Stefan Franzen

Faada Freddy: „Golden Cages“
Quelle: youtube

Senegal-News I

Aron & The Jeri Jeri Band
Dama Bëgga Ñibi
(Urban Trout Records/Modulor Distribution/Indigo)

Kürzlich hat Altstar Baaba Maal mit einem progressiven Album den Senegal wieder auf die weltmusikalische Landkarte katapultiert. Wie sieht es mit weiteren weltoffenen Produktionen aus dem westafrikanischen Land aus? Mit Aron & The Jeri Jeri Band stellt sich das spannende Duo des Griots und Trommlers Bakane Seck (Chef der Jeri Jeri Band) mit dem neuseeländischen Pianisten und Spezi von Stromae und Woodkid, Aron Ottignon vor. Auf Dama Bëgga Ñibi gelingt den beiden eine charismatische Verflechtung von Wolof-Vocals, komplexen Mbalax-Rhythmen, jazzigen Klaviereinlagen und einem geschmackvollen elektronischen Soundrelief.

Ein Glücksfall im Unglück: Während der Pandemie konnte der in Berlin lebende Ottignon eine Menge gestrandeter Senegalesen in seinem Studio ans Mikro bieten, die über den Trommelspuren von Seck ihre Vocals einflochten. So können wir großartige Stimmen wie die von Ale Mboup und Pape Diouf, ebenso Nachwuchs-Timbres wie Aka Boy und Toufa Mbaye entdecken. Wie weit das Spektrum reicht, hört man, wenn man den Hit „Sunugal“ und das träumerische, latino-soulige „The Return Of The Golden Egg“ gegenüberstellt. Dakar öffnet seine Pforten zur Welt – an der Spree.

© Stefan Franzen

Aron & The Jeri Jeri Band: „The Return Of The GOlden Egg“
Quelle: youtube

Klingendes Elternhaus

Katherine Priddy
The Pendulum Swing
(Cooking Vinyl)

Glückliches England! Folk ist dort lebendiges Erbe mit jungen Musikern und Hörern, die Alben des Genres werden in Rockzeitschriften und den Financial Times besprochen. Jüngstes Beispiel: Katherine Priddy. Die Singer/Songwriterin aus Birmingham ist dort der neue Star, wird von der BBC hofiert, von der Legende Richard Thompson in den Himmel gelobt. The Pendulum Swing ist ihr zweites Album, es rankt sich um die Geschichte ihres alten Elternhauses – und zeigt, wie raffiniert der junge Britfolk daherkommen kann. Süffige, von trillernden Schleifen durchzogene Melodien („A Boat On The River“) sind in fantastisch räumliche Streicher („Selah“) gebettet, clevere Dur-Moll-Schattierungen tragen die Stimmungen („First House On The Left“).

Hübsche Ideen, wie etwa eine Latin-Trompete im trabenden „Does She Hold You Like I Did“ sorgen für Abwechslung. Priddys helle Stimme tönt oft verträumt, wirkt durch tighten Satzgesang stellenweise etwas zu geglättet, und eine Spur zu seichter Country-Anklänge haben sich mitunter auch hierher verirrt. Wer es daher noch etwas griffiger und zupackender mag, höre sich auch das Debüt The Eternal Rocks Beneath von 2021 an, auf dem diese Politur noch fehlt.

© Stefan Franzen

Katherine Priddy: „First House On The Left“
Quelle: youtube

Menorquinischer Tastensturm

Marco Mezquida
Tornado
(Galileo)

Marco Mezquidas Output kann man nur bewundern, jährlich erscheint ein neues Werk des 36-Jährigen, und das meist in anderer Besetzung. Jetzt ist der menorquinische Pianist mit neuem Trio – Masa Kamaguchi, b / Ramon Prat, dr –am Start. Tornado spart die folkloristischen Töne und klassischen Bezüge früherer Werke weitestgehend aus. Stattdessen widmen sich die drei Herren gleich im Intro geräuschhaften Experimenten, die dann öfters wiederkehren, etwa in „Bon Ball Tenim“ mit aquatischer Perkussion und dem Innenleben des Flügels. Das Titelstück ist tatsächlich ein Klang gewordener Wirbelsturm, der mit chromatisch tanzenden Piano-Linien, aufgekratzten Basslinien und Zimbelgestöber einen Sog entfacht. Taumelnde Taktwechsel gibt es in „Fellini“, das zwischen rasanten Klavier-Sextolen, bluesigem Vorwärtsheizen und kochenden Drums begeistert.

Balladeske Grandezza spielt Mezquida mit vollem Pedal in „Pasion“ und „I Love You Both“ aus, „Tifonet“ begibt sich mit Monk-artigen Läufen in den Dialog mit dem Bass, um dann im Refrain die große Showbühne zu betreten. Ein weiteres rasant-virtuoses Lehrstück von Polyrhythmik zwischen den drei Instrumentalisten malt man mit „Taifü“, um das Album-Motto der kräftigen Winde zu unterstreichen. Den Vogel aber in diesem gekonnten Kaleidoskop schießt „Beibita“ ab: Eine wimmernde Hammondorgel setzt hier dem Geschehen ein fast gospelartiges Krönchen auf. „Adios Abuela“ ist ein nachdenklich-meditiativer Schluss-Stein in diesem Mosaik. Weiterhin gibt es in Iberien keinen vergleichbaren Tastenmann mit derartigem Ideenfluss.

© Stefan Franzen

Marco Mezquida: „Tornado“ (Teaser)
Quelle: youtube

Sagenhafter Gestaltungswille

Basel ist exquisiter, international geprägter Nährboden für spannende Ensembles mit großer Besetzung. Das ließ sich schon mit dem Yumi Ito Orchestra vor einigen Jahren beobachten, und es gilt ebenso für die Arbeit der Saxophonistin Sarah Chaksad. Nach zwei Bigband-Platten hat sie nun auf „Together“ für eine etwas schlankere Dreizehner-Besetzung besonders klangfarbenreich komponiert. Das ist auch der ungewöhnlichen Bläsertextierung mit Flöten, Klarinetten, Bassetthorn, Ventilposaune und Euphonium zu verdanken. Schaukasten für Chaksads grandiose Instrumentationskniffe ist etwa das Thema von „Love Letters“, wo sich über dem Holz und Blech eine jubilierende E-Gitarre erhebt, oder die schwatzenden Dialoge der Bläser in „Imagine Peace“.

Das organische Herauslösen aus festgelegter Komposition hin zu Impro-Passagen und zurück lässt sich schön in der Melancholie der beiden „Green“-Stücke ablauschen. Yumi Itos helle Vocals sind als textloses Instrument oft fast unmerklich färbend eingebettet, sie hat aber in „Lost“ eine freie Spielwiese. Und im Titelstück gelingt es verblüffend, der persischen Spießgeige von Misagh Joolaee die Rolle der berührenden Erzählerin zu verleihen, sehnsüchtig und auch perkussiv treibend. Von A bis Z lebt diese Platte von Chaksads sagenhaftem Gestaltungsvermögen.

© Stefan Franzen

Sarah Chaksad Large Ensemble: „Lost“
Quelle: youtube