Schaghajegh Nosrati
Listenreich II: 21 Alben für 2021
Rodrigo Amarante (Brasilien): „Drama“ (Polyvinyl)
Susana Baca (Peru): „Palabras Urgentes“ (RealWorld)
Purbayan Chatterjee (Indien): „Unbounded“ (Sufiscore)
Steve Cropper (USA): „Fire It Up“ (Provogue/Mascot Label Group)
Carwyn Ellis & Rio 18 (Wales): „Yn Rio“ (Légère Records/Zebralution)
Florian Willeitner, Georg Breinschmid, Igmar Jenner (Österreich/Deutschland): „First String On Mars“ (ACT/edel)
Renaud García-Fons (Frankreich/Katalonien): „Le Souffle Des Cordes“ (e-motive records/Galileo)
Yumi Ito & Szymon Mika (Schweiz/Polen): „Ekual“ (Hevhetia/Unit)
Joan As Police Woman, Tony Allen, Dave Okumu (USA/Nigeria/Österreich): „The Solution Is Restless“ (PIAS)
Misagh Joolaee (Deutschland/Iran): „Unknown Nearness“ (Pilgrims Of Sound)
Fabia Mantwill Orchestra (Deutschland): „EM.perience“ (Xjazz Records/Membran)
Meretrio (Brasilien/Österreich): „Choros“ (Sessionwork Records)
Marisa Monte (Brasilien): „Portas“ (Sony)
Muthoni Drummer Queen (Kenia): „River“ (Yotanka)
Schaghajegh Nosrati (Deutschland): „Johann Sebastian Bach – Partitas BWV 825-830“ (Cavi Music/Harmonia Mundi)
Katherine Priddy (UK): „The Eternal Rocks Beneath“ (Navigator)
Tania Saleh (Libanon): „10 A.D.“ (Kirkelig Kulturverksted)
San Salvador (Frankreich): „La Grande Folie“ (Pagans/MDC/Galileo)
Becca Stevens & The Secret Trio (USA/Türkei/Armenien/Macedonien): „Becca Stevens & The Secret Trio“ (Ground Up)
Martha Wainwright (Kanada): „Love Will Be Reborn“ (Cooking Vinyl)
Barbora Xu (Tschechien/Finnland): „Olin Ennen“ (Nordic Notes)
…und in Ermangelung umfassender Live-Ereignisse wie in normalen Jahren hier immerhin 6 wirklich herausragende Konzerte:
Ian Fisher (USA) – Mensagarten Freiburg, 26.7.
Misagh Joolaee & Sebastian Flaig (Iran/Deutschland) – Innenhof Museum für Neue Kunst, Freiburg, 13.8.
Çemil Qoçgîrî (Kurdistan/Deutschland) – Innenhof Museum für Neue Kunst, Freiburg, 14.8.
Ron Carter Foursight Quartet (USA) – E-Werk Freiburg, 25.9.
John Sheppard Ensemble „LUFT“ (Deutschland) – Kirche Maria Magdalena Freiburg, 17.10.
Michel Portal & Roberto Negro (Frankreich/Italien) – Reithalle Offenburg, 18.11.
Persische Miniaturen
Ein spannendes Künstlerpaar jenseits der Komfortzone. Sie: klassische Pianistin mit einem breiten Spektrum von Bach bis Anton Rubinstein. Er: Erneuerer der iranischen Stachelgeige Kamancheh, sozialisiert in zwei Welten. Gemeinsam haben sie in jahrelanger Arbeit ein Programm auf die Beine gestellt, das ein Netzwerk zwischen der Kunst- und Volksmusik Persiens, des Kaukasus, Anatoliens und des Abendlands vor Ohren führt. Die stets spürbare Durchlässigkeit geographischer Grenzmarken folgte dem humanistischen und pazifistischen Anspruch des Veranstalters, dem Haus der Kultur Freiburg.
Eine Entdeckung zu Beginn: Mit seinen „Persischen Miniaturen“ gibt der französisch-iranische Komponist Aminollah Hossein dem Abend den Titel. Die großorchestrale Anlage des Originals wandelte Schaghajegh Nosrati auf dem Flügel in eine konzentrierte Dramaturgie, mal nachsinnend, mal wuchtig, am Ende tänzerisch mitreißend. Mit Hossein teilt der Armenier Arno Babadjanian den bei uns geringen Bekanntheitsgrad. Zu Unrecht: Die Klaviersolo-Stücke des Khatachaturian-Schülers offenbarten eine farbenprächtige Ausharmonisierung der fast sakral anmutenden Volkstöne. Wie dem Flügel nun die kleine Stachelgeige begegnete, dieses obertonreiche Instrument mit dem kaum fasslichen, rauschhaften Klang, sorgte für verblüffende Wechselwirkungen.
Misagh Joolaee hat die Kamancheh mit neuen Zupf- und Schlagtechniken in seinen Eigenkompositionen aus dem herkömmlichen Gehege befreit. Etwa in „Nach einem Sommer / Tanz der Ahorne“: Schmerzliche Ekstase, anfangs noch verhalten, löst sich in eine rasante Abfolge von nie gehörten Springbogen-Passagen, „Im Auge des Windes“ trägt trotz wirbelnder Bogenführung melodische Wehmut in sich. Bei solch virtuosen Stücken stützt Nosrati am Klavier eher mit Bordunen. In „Marmara Sea“ dagegen durchdringen sich im beredten Dialog thematische Arbeit auf Tasten und Saiten, und in den Adaptionen aus der „Lyre Armenienne“ des Mönches Komitas begeistern die beiden Akteure mit fein abgestimmten Dynamikwellen. Verblüffende Nähe der Kamancheh zur menschlichen Stimme in einem der erstaunlichsten Momente: Als Nosrati und Joolaee ihre Übertragung von Ravels fünf populären griechischen Melodien vorstellen, zeichnet die Geige den Sopranpart nicht bloß nach, sondern erweitert die emotionalen Schattierungen enorm – dank der Rauchigkeit ihres Timbres.
© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung (Ausgabe 3.12.2021)