Carminho ist Portugals größte Fadosängerin der heutigen Generation. Mit ihrem Quartett eröffnet die 30-jährige am 1.10. die Saison im Lörracher Burghof und bringt ihr drittes Album Canto mit. Hier folgen zur Einstimmung Auszüge aus zwei Interviews, die ich mit Carminho in den letzten Monaten geführt habe. Weiterlesen
Monat: September 2015
Side tracks #14: Letzter Samba-Zug
Gal Costa / Demônios Da Garoa
Trem Das Onze
(1973/1964)
Heute wird eine der herausragenden Stimmen der Música Popular Brasileira 70 Jahre jung. Ich gratuliere der Senhora, die einst „Baby Gal“ genannt wurde, und neben Castano Veloso, Gilberto Gil und Maria Bethânia zum Quartett der großen vier Rebellen der Spätsechziger gehörte. Den Tusch singt sie sich selbst und steuert im gleichen Atem-Zug den vierzehnten der Side tracks bei. Es ist eines der schönsten Eisenbahnlieder Brasiliens: Der „Trem das Onze“ ist der letzte Zug, der – im Sambarhythmus versteht sich – vom Stadtzentrum zurück zu São Paulos Vorort Jaçanã fährt. Deshalb muss sich der Sänger von seiner Liebsten loseisen, denn die Mutter schläft nicht und wacht über seine Rückkehr…
Populär gemacht haben den launigen Samba aus der Feder von Adoniran Barbosa 1964 die Demônios da Garoa. Das Lied wurde damals beim Karneval von Rio vorgestellt, gilt aber als typischer Vertreter des São Paulo-Sambas. Gal Costa hat ihn sich 1973 in einer denkwürdigen Live-Version zu eigen gemacht. Danke an Renate für den Hinweis auf diese Version!
Gal Costa: „Trem Das Onze“
Quelle: youtube
Der Vorortzug, der Tramway de Cantareira, ging ironischerweise genau im Jahr der Liedveröffentlichung seinem Schicksal entgegen: Man begann mit seiner Dekonstruktion. So wohnt auch in diesem Canção wie in vielen brasilianischen Eisenbahnsongs eine große Portion Nostalgie.
Os Demônios Da Garoa: „Trem Das Onze“
Quelle: youtube
Burkina Faso: Putsch bedroht Musiker
Foto: Outhere
Martin Bambara alias Smockey ist der populärste Rapper Burkina Fasos. Als im letzten Oktober nach 27 Jahren der Autokrat Blaise Compaoré aus dem Amt gefegt wurde, war eine Bürgerbewegung namens „Balai Citoyen“ (Bürgerbesen) maßgeblich am Umsturz beteiligt. Smockey ist zusammen mit dem Reggaemusiker Sams’K Le Jah ihr wichtigstes Sprachrohr. Legendär bereits sein Video „Le président, ma moto et moi“, in dem er den Präsidenten durch die Straßen fährt und ihm zeigt, wie er sein Land heruntergewirtschaftet hat. Doch Compaoré, Nachfolger des charismatischen Thomas Sankara, den er 1987 sehr wahrscheinlich ermorden ließ, hat noch nicht aufgegeben. Letzten Mittwoch putschte seine noch immer einflussreiche Garde, um ihrem Chef wieder zur Macht zu verhelfen, das Volk wehrte sich mit Demonstrationen. Seitdem ist die Lage fragil, das geplante Datum für Neuwahlen am 11.10. steht in Frage.
Auch für Smockey ist die Lage jetzt brenzlig. Im Zuge des Putsches wurde gezielt seine Abazon-Studio, in dem auch Kollegen wie Ade Bantu und Didier Awadi aufnehmen, mit einem Raketenwerfer zerstört. Smockey hielt sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht dort auf und befindet sich seitdem auf der Flucht. Am 10. Oktober wird er sein neues Album „Prevolution“ auf Outhere Records veröffentlichen. Zusammen mit Sams’K Le Jah will Smockey, so es die politischen Umstände zulassen, im kommenden Monat auch auf Reisen gehen und in Deutschland Konzerte geben. Hier gibt es seine aktuelle Single „On Passe à L’Attaque“.
Smockey und Sams’K Le Jah über den „Bürgerbesen“:
Ein Jahrhundertwerk wird 30
Am 16. September 1985, heute vor 30 Jahren, erschien ein Popalbum, das bis heute für meine Begriffe in der gesamten Sparte unerreicht blieb: Kate Bushs Hounds Of Love.
Zum Jubiläum erlaube ich mir, die Analyse des majestätischen, furchteinflößenden, berührenden Songs „Hello Earth“ aus der Konzeptsuite der B-Seite The Ninth Wave vorzustellen, die ich vor einiger Zeit für die deutsche Kate Bush-Fanseite geschrieben habe.
Kleine Warnung vorab: Das ist wirklich nur für Hartgesottene.
Eine gespenstische Szenerie war das, als mir diese sechs Minuten und zwölf Sekunden zum ersten Mal begegneten, der Song, der mir von allen aus Kate Bushs Werk bis heute am meisten bedeutet. Ich war siebzehn, mit ein paar Kumpels hatte ich gerade eine Nachtwanderung unternommen, in tiefer Nacht stiegen wir ins Auto und fuhren Richtung Tal zurück. Jemand stellte das Cassettenradio an, und während draußen im schemenhaften Licht die Baumkronen vorbeizogen, ertönte dieser unfassbare Chor. „Was ist das?“, fragte ich sofort entgeistert. „Das ist die neue Kate Bush-Platte“, meinte der Freund. „Kann nicht sein“, entgegnete ich. Bis dahin kannte ich nur die Klangwelten entfernte Singleauskopplung „Running Up That Hill“. Doch da begann die zweite Strophe und ich hörte ihre Stimme. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass mir seitdem vielleicht nie mehr bei einem Hörerlebnis so die Haare zu Berge standen.
Zum Mithören der folgenden Analyse – den Song gibt es hier (das Begleitvideo ist nicht von Bush).
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Video killed the world music star
DJ Invizable (Foto: Promotion Norient)
Die multimediale Ausstellung „Seismographic Sounds“ des Berner Netzwerks Norient zeigt, wie sich Einbahnstraßen in der globalen Musik verflüchtigen – eine Reise in Clips um den Planeten, zu sehen noch bis zum 20.9. in Forum Schlossplatz im schweizerischen Aarau und ab 1.10. bis Ende des Jahres im ZKM Karlsruhe. Weiterlesen
Popklassisches Tête-à-tête II
Noch ein Jahrestag, bei dem sich eine Verbindung von Pop und Klassik feiern lässt:
Estlands stiller Gigant wird heute 80.
Aus diesem Anlass ein kleines sympathisches Interview, das Björk 1997 anlässlich einer BBC-Dokumentation mit ihm geführt hat. Die Liaison zwischen der Islanderin und dem Esten hat inzwischen weitere Früchte getragen: Pärts Sohn Michael hat auf dem aktuellen Album Vulnicura den Supervisor für die Streicheraufnahmen gespielt.
Björk interviewt Arvo Pärt
Quelle: youtube
Popklassisches Tête-à-tête I
Heute vor 35 Jahren erschien Kate Bush drittes Studioalbum Never For Ever. Nicht das humoreske „Babooshka“, nicht die apokalyptische Vision von „Breathing“, sondern die außergewöhnliche Widmung an den deutsch-englischen Komponisten Frederick Delius ist das, was das Album für mich immer so besonders gemacht hat.
Hier (ab 1:18) spricht sie über den Einfluss von Delius auf ihren Song. Im Studio anwesend damals noch Delius‘ Adlatus Eric Fenby, der in ihrem Song auch erwähnt wird und als junger Mann ab 1928 dem blinden, syphilitischen Meister die letzten Töne abhorchte, was in den 1960ern auch in einem Film verewigt wurde.
Und hier Bushs Delius-Tribut (ab 1:01)
Nach dem Gospel Sinnenfreude
Lizz Wright
Freedom & Surrender
(Concord/Universal)
Auf ihrem letzten Werk „Fellowship“ war sie tief in den Gospel hinabgetaucht. Nun ist die 35-jährige aus Hahira, Georgia mehr der irdischen Liebe zugetan, der sie diesen neuen Songzyklus mit all ihren Facetten gewidmet hat. Produzent Larry Klein (Joni Mitchell, Tracy Chapman, Melody Gardot) lässt ihren fantastischen Alt in dem genauso sinnenfreudigen wie entspannten Album zur Geltung kommen. Funky der Einstieg mit „Freedom“, bluesrockend mit Twang-Gitarre und blubbernder Orgel „The New Game“. In „Lean In“ residiert eine erotische Spannung zu pumpendem Bass, die Wright mit belegt-schmachtender Stimme als „Katz- und Maus-Spiel“ auskostet. Nick Drakes „River Man“ gestaltet sie mit träumerischem Wandeln zwischen Dur und Moll, Till Brönner mogelt sich mit ein paar Trompetentrillern rein. Der Überflieger ist jedoch das sehr räumliche „Somewhere Down The Mystic“, in dem eine sphärische Folkpop-Dramaturgie hingezaubert wird. Im Finale wird mittels der glühenden Chorsätzen von „Blessed The Brave“ und „Surrender“ schon fast wieder sakrale Qualität erreicht: So schließt sich der Kreis vom Irdischen zum Himmlischen.
Lizz Wright: Freedom & Surrender – behind the scenes
Quelle: youtube
Schatzkiste #21: Lieblose Stadt
Bobby „Blue“ Bland
Dreamer
(ABC Records, 1974)
gefunden bei: Second Hand Records, Stuttgart
Sollte ich auf Kommando sagen, welcher mein liebster Soulsänger ist, würde ich ihn nennen – und nach längerem Überlegen wohl auch. Bis zu seinem Tod 2013 ist der Mann aus Rosemark, Tennessee in sechs Karriere-Jahrzehnten durch fantastische Metamorphosen gegangen. Vom falsettigen Rhythm’n’Blues-Sänger zum – dank einer Mandeloperation – eruptiven Soulshouter und schließlich zum mellow Crooner mit zurückgelehntem, fast kalifornischen Sonnensound. Dreamer ist eines seiner Siebziger-Highlights mit den Krachern „Ain’t No Love In The Heart Of The City“ und dem Überflieger „Yolanda“, der Bobby offensichtlich völlig hilflos ausgeliefert war.