Der Herzog der Fusion


Im Alter von 60 Jahren ist der britische Worldfusion-Produzent Nick Page am 11.5. an einem Krebsleiden gestorben. Den meisten Hörern war Page unter seinem Künstlernamen Count Dubulah bekannt, den er annahm, als er 1990 bei der Worldbeat-Band Transglobal Underground als Multiinstrumentalist, Produzent und Komponist einstieg. Seine Karriere begann der Sohn eines britischen Malers und einer griechischen Schriftstellerin in Nordlondon als Mitglied einer Reggae-Combo. Stilistisch breit aufgestellt von Rock bis ins experimentelle Feld arbeitete Page an über 250 Alben mit und spielte in diversen Bands. Den Durchbruch hatte Page mit Transglobal Underground, als sie ihre Debütsingle „Temple Head“ und Anschlusshits wie „International Times“ veröffentlichten und ab diesem Zeitpunkt Maßstäbe im Mix von Samples und Rhythmen aus aller Welt setzten.

Transglobal Underground: „International Times“
Quelle: youtube

Page begleitete die Geschichte von Transglobal über sieben Jahre und arbeitete parallel als Sessionmusiker für ihr Label Nation Records, später gründete er mit Neil Sparkes das Duo Temple Of Sound. Zu Pages jüngeren Projekten gehörte ab 2008 Dub Colossus, wo er erstmals auf dem Album A Town Called Addis äthiopische Musik mit Dub-Strukturen zusammenführte. Weitere Arbeiten führten Page zur Formation Syriana und zur Auslotung seiner griechischen Roots auf dem Album Xáos (2015). Noch nach seiner Krebsdiagnose entschloss sich Page nach zwanzigjähriger Pause wieder mit Transglobal Underground auf die Bühne zu gehen, und noch während des Lockdowns arbeitete er an neuen Tracks für Natacha Atlas, Syriana und Xáos. „Die Welt scheint heute leerer zu sein“, kommentierte Peter Gabriel den Verlust seines Klangweltensammler-Kollegen. 1996 durfte ich Page anlässlich der Veröffentlichung des TGU-Albums Psychic Karaoke interviewen und habe ihn als gewitzten, hellwachen und auskunftsfreudigen Geist in Erinnerung.

© Stefan Franzen

Transglobal Underground: „I, Voyager“
Quelle: youtube

Listenreich II: 20 Alben für 2019

Ambäck (CH): Chreiselheuer (Eigenverlag)
Mayra Andrade (Cabo Verde): Manga (Columbia)
Claire Antonini & Renaud Garcia-Fons (F/E): Farangi – Du Baroque À L’Orient (E-Motive Records)

Natacha Atlas (Ägypten/B/GB): Strange Days (Whirlwind Records)
Blick Bassy (Kamerun): 1958 (NoFormat)
Nicholas Britell (USA): OST If Beale Street Could Talk (Invada Records)

Chicuelo & Marco Mezquida (Catalunya): No Hay Dos Sin Tres (Galileo)
Roberto Fonseca (Kuba): Yesun (3ème Bureau)
Niels Frevert (D): Putzlicht (Grönland Records)

Kayhan Kalhor & Rembrandt Frerichs Trio (Iran/NL): It’s Still Autumn (Kepera Records)
Lakou Mizik (Haiti): HaitiaNola (Cumbancha)
Mísia (P): Pura Vida (Galileo)

Lydia Persaud (CAN): Let Me Show You (Next Door Records)
Roseaux (F): Roseaux II (Tôt Ou Tard)
Céline Rudolph (D/F): Pearls (Obsessions)

Javier Ruíbal (E): Paraísos Mejores (Karonte)
Shake Stew (A/D): Gris Gris (Traumton)
Salvador Sobral (P): Paris, Lisboa (Warner)

Vampire Weekend (USA): Father Of The Bride (Sony)
Patrick Watson (CAN): Wave (Domino Records)

Jazzig-ägyptische Edelsteine

Natacha Atlas
Strange Days
(Whirlwind/Indigo)

Auf bislang nicht oft erkundetem Terrain finden wir Natacha Atlas mit ihrem neuen Werk: Strange Days ist das mit Abstand jazzigste Werk der Weltbürgerin mit ägyptischen Wurzeln. Umgeben von einer Band, in der der obertonverliebte ägyptische Geiger und Song-Mitautor Samy Bishai genauso zu finden ist wie Londons erste Jazzriege (Pianistin Alcyona Mick und Bassist Andy Hamill unter ihnen) überrascht es durchgängig, wie mühelos sie ihre Vokalmäander in die ausladenden improvisatorischen Gebilde einfügt. Auflockernd wirkt eine tänzelnde Bossaminiatur („Sunshine Day“), und mit „Words of A King“ betritt sie auch mal das Reich des süffigen R&B. Mit großem Streichorchester dagegen wird James Browns „It’s A Man’s World“ als nokturne Ballade inszeniert, bevor der umwerfende finale Edelstein „Moonchild“ mit fantastisch herbstlicher Bläsertextur aufwartet. Ohne Zweifel: Natacha Atlas‘ größter Wurf überhaupt.

© Stefan Franzen

Natacha Atlas: „Maktoub“
Quelle: youtube