Logbuch aus der Gaspésie (#15 – Canada 150)

Bears Of Legend (Québec)
aktuelles Album: Ghostwritten Chronicles (Absilone/Galileo)

Ihre maritime Ballade „When I Saved You From The Sea“ war mein Song des Jahres 2016, und ihr Werk Ghostwritten Chronicles mein Lieblingsalbum. Deshalb stehen die Bears Of Legend, dieses großartige Septett aus Trois-Rivières in der Region Mauricie als Highlight am heutigen 150. Geburtstag Kanadas als Schlusspunkt der Serie „Canada 150“. Die „Bären“ sind auch live bei uns zu erleben, sie spielen am 8. und 9. Juli auf dem Rudolstadt-Festival, darüber hinaus gibt es später im Sommer Auftritte in Frankreich und Benelux. Ich kenne keine andere Folkband momentan, die derart schöne, kraftvolle Melodien schreibt. Die Bears-Pianistin und Sängerin Claudine Roy zum Interview beim Montréal en lumière-Festival zu treffen, war deshalb eine besondere Ehre. Am heutigen 150. Geburtstag Kanadas bildet es den Schlusspunkt meiner Serie.

Claudine, euer Bandname lässt einen an die Premières Nations denken, ist er eine Hommage an die Ureinwohner Kanadas?

Claudine Roy: Ja, auf jeden Fall. Unser erstes Album ist hauptsächlich von den amerindischen Legenden unserer Heimatregion beeinflusst. Der Bär kehrt in diesen Sagen immer wieder, als Symbol der Kraft und Weisheit. Was uns außerdem zum Namen der Band inspiriert hat, waren die einfachen Werte dieser Menschen, die Liebe, der Respekt vor der Natur, dem Wald, dem Fluss, der Erde.

Ihr kommt aus der Region Mauricie, welches sind die kulturellen Eigenheiten dort?

Roy: Die Mauricie ist zwar sehr frankophon, aber auch von einem kulturellen Mix geprägt. Es gibt bei uns auch viele Anglophone, wenn man Richtung Montréal geht, sind mehr französischstämmige Einwohner zu finden, Richtung Osten dagegen englisch geprägte Leute. Aber es vermischt sich alles gut…

...diese Zweisprachigkeit hat sich ja auch in eurer Musik niedergeschlagen. David Lavergne, der Bandleader, dichtet fast ausschließlich auf Englisch…

Roy: In der Gruppe sind wir alle zweisprachig. David, unser Sänger, hat mit seinem Vater zum Beispiel als Kind Englisch gesprochen. Sein Papa hat ihn auch dazu ermuntert, ein kleines Tagebuch auf Englisch zu führen. So hat sich das für ihn ganz natürlich ergeben, dass er auch als Musiker anfing, seine Texte auf Englisch zu schreiben. Er hat sich nie die Frage gestellt: Ich bin frankophon, warum dichte ich also auf Englisch? Zugleich sind wir stolz darauf, dass wir frankophon sind und wir haben ja auch pro Album ein Lied, das auf Französisch getextet ist.

Bears Of Legend: „Encore“ (live)
Quelle: youtube

Wie habt ihr zusammengefunden, ist das die klassische Geschichte von Schulfreunden, die eine Band gründen?

Roy: Wir kommen alle aus Trois-Rivières und Shawinigan, zwei kleinen Städten mit einer überschaubaren Szene. So kannten wir uns alle schon, obwohl wir von verschiedenen musikalischen Projekten herkommen. Unser Schlagzeuger hat ursprünglich in einer Metalband gespielt und der Sänger David in einer recht erfolgreichen Punkrockgruppe. David und Guillaume, der Gitarrist sind verschwägert. Sie haben im Chalet der Familie angefangen, Musik zu machen und dann uns andere zusammengetrommelt, da sie ein paar Ideen für Songs hatten. Nach und nach kamen Cello und Akkordeon, Banjo und Kontrabass hinzu und haben die Familie vergrößert.

Diese Arrangements liebe ich sehr, manchmal denkt man fast ein wenig an klassische Musik, da sie so ausgearbeitet sind, gerade auch in den Chören, den Satzgesängen…

Roy: Ja, ich selbst habe eine klassische Ausbildung auf dem Piano, auch Cristelle am Cello hat eine. Jacynthe, die Akkordeonistin, spielte in einer Bluegrassband. Das gibt insgesamt eine besondere Mischung. Wenn wir die Songs entwickeln, denken wir uns manchmal: „Nein, das ist zu verrückt!“ Aber schließlich siegt der Wille zur Excperimentierlust! Was den Gesang angeht: Unter den sieben Bandmitgliedern sind fünf mit wirklich guten Stimmen, wir lieben dieses Chor-Element, denn wenn wir alle singen, dann trägt das zur Tiefe eines Songs bei.

Trois-Rivières liegt ja nicht am Meer, trotzdem ist Ghostwritten Chronicles ein Konzeptwerk, das mit starken maritimen Bildern spielt. Das würde man nicht von einer Band aus dem Binnenland erwarten.

Roy: Wir haben alle eine Vorliebe für die Gaspésie, die maritime Region unserer Provinz Québec. Während unser erstes Album wirklich sehr verwurzelt in der Mauricie war, wollten wir für unsere zweite CD einen größeren Kontext, wollten in die Ferne gehen. Ein Kapitän, der ein altes Logbuch findet, hat uns inspiriert. Dieses Logbuch stammt von einem alten Boot voll mit Moos, Bäume wachsen aus dem Deck. Dieses Boot sticht in unserer Vorstellung vor der Küste der Gaspésie in See, und die Mannschaft, das sind wir, die Band. Es ist ein altes Boot und es knackt und ächzt bei den hohen Wellen. Die Seeleute erleben fantastische Abenteuer, die alle in irgendeiner Weise mit unseren eigenen Erlebnissen der letzten Jahre als Band in Verbindung stehen.

Das Album eröffnet mit „Be Mine, All Mine“. Man könnte das oberflächlich als Ballade lesen, die davon spricht, wie man von einer starken Liebe abhängig wird…

Roy: In „Be Mine, All Mine“ geht es nicht im Geringsten um Liebe. Es handelt von einem Mann, der unter einer schweren Form von Drogensucht leidet, der immer weiter abstürzt. Wenn es im Stück also heißt: „Wenn du einsam sterben willst, in einem Gefängnis von Sorgen, dann sei mein, ganz mein“, dann ist das der Teufel, der da spricht.

Mein Lieblingsstück „When I saved you from the sea“ ist aber eine Art Liebeslied, auch wenn es nicht gerade glücklich endet…

Roy: Unsere Texte sind sehr metaphorisch. Die Leute fragen uns immer: „Wollt ihr vielleicht dieses oder jenes damit sagen?“ Und wir entgegnen dann: „Nein, nein,da geht es um was ganz Anderes!“ (lacht) Dieser Song will ausdrücken, dass es ein verrücktes Unterfangen sein kann, jemandem vorm Ertrinken zu retten, denn am Ende bist du selbst das Opfer, wirst hintergangen. In diesem Fall wird der Retter betrogen. Es ist am Ende also die traurige Geschichte eines Matrosen, der sich von einer Sirene verführen lässt.

Bears Of Legend: „When I Saved You From The Sea“
Quelle: youtube

Wer hat die wunderbaren Zeichnungen im Booklet gefertigt?

Roy: Das ist ein Künstler, der bei uns sehr geschätzt wird, Étienne Milllette. Ihm haben wir unsere verrückten, wie uns schien, manchmal zu verrückten Ideen unterbreitet, mit dem Geisterschiff, der Mannschaft und unseren persönlichen Geschichten, die damit verknüpft sind. Wir sind stolz auf dieses Album, und auch auf diese Zeichnungen, die uns sehr gut wiedergeben.

Am 1. Juli feiert Kanada seinen 150. Geburtstag. Ist das für euch ein eher abstraktes Datum oder spürt ihr einen persönlichen Bezug?

Roy: Wir versuchen, nicht zu sehr unsere politische Meinung zum Ausdruck zu bringen. Wir sind keine Band mit „engagierten Texten“, aber jede/r von uns hat eine feste Meinung zu dem Thema. Wir beschäftigen uns lieber mit erfreulicheren Themen (lacht). Wir überlassen das den Bands, die unbedingt ihre Überzeugungen zum Ausdruck bringen wollen, davon gibt es ja einige…

Ihr bleibt lieber bei den Metaphern.

Roy: Ja, genau!

Ihr habt auch eine eigene Agentur namens La Tanière. Kannst du die Arbeit von La Tanière beschreiben?

Roy: Wir sind eine Band, die unabhängig arbeitet, haben aber die gleichen Möglichkeiten wie eine Gruppe, die bei einer Plattenfirma unter Vertrag steht, und da sind wir stolz drauf und werden in Québec auch dafür respektiert. La Tanière ist unsere eigene Firma, mit der David auch das Booking für andere Künstler macht.

Werden eure Songs im Radio gespielt oder ist eure Musik hier in Kanada in einer zu kleinen NIsche beheimatet?

Roy: Die Musik wird in der CBC schon gespielt, aber da gibt es ein Problem: In der Abteilung der Provinz Québec gibt es eine Quote für frankophone Musik, die bei 70 Prozent liegen muss, und wir singen eben auf Englisch. Und bei den verbleibenden 30 anglophonen Prozent müssen wir dann eben mit Rihanna, Coldplay und dieser Liga konkurrieren, deshalb bleiben wir da im Schatten. Es gibt aber auch kleinere, unabhängige Radios, die uns regelmäßig spielen. Radio Canada (Anm.: die franko-kanadische Abteilung der CBC) mag uns und unterstützt uns von Anfang an, hilft uns, landesweit präsent zu sein.

Wie geht es weiter mit den Bears Of Legend?

Roy: Wir haben jetzt gerade angefangen, an unserem dritten Album zu arbeiten, aber über den Inhalt kann ich noch nichts verraten. Das ist ein Geheimnis! Es wird wohl wieder ein Konzeptalbum werden.

Infos zu den Tourdaten hier.

© Stefan Franzen

Bears Of Legend: „Be Mine, All Mine“ (live)
Quelle: youtube

alle Fotos zur Verfügung gestellt von David Lavergne