Aus der gälischen Anderswelt

Julie Fowlis
Alterum
(Machair Records)

Mit Julie Fowlis verbindet sich für mich ein ziemlich amüsante Erinnerung: Als ich 2015 im marokkanischen Fès das Festival des Musiques Sacrées besuchte, musste die Schottin im strömenden Regen ihr Konzert bestreiten, bis von den Veranstaltern eine ziemlich unbürokratische Lösung gefunden wurde.

Jetzt hat Fowlis ihr drittes Album Alterum herausgebracht, dessen Titel sich aus einem Zitat von Plinius dem Älteren ableitet: „alterum orbem terrarum eam appelant“, „sie nennen es die Anderswelt“. Die Anderswelt war auch in den keltischen Sagen stets präsent, und Fowlis hat für ihre Scheibe traditionelle gälische Songs gesammelt, die vom Jenseits, von Aberglaube, vom Übernatürlichen sprechen.

Trotzdem ist Alterum alles, nur keine düstere Angelegenheit: Selten habe ich eine schottische Folk-CD gehört, die mit so viel Detailliebe, Ideenreichtum, Bedacht und l(e)ichter Hand textiert wurde. Zum Folkensemble mit Whistles, Geigen, Bouzouki, Harmonium und Bodhrán tritt hin und wieder ein Streichquartett mit kontrapunktischen Melodien.  Mit Dónal Lunny, Michael McGoldrick oder Donald Shaw sind Eminenzen der letzten fünf Jahrzehnte im Ensemble versammelt.

Viele der Songs sind auf den Äußeren Hebriden wie Barra, North oder South Uist beheimatet. Sie erzählen von einem mythischen Wasserpferd, von Menschengestalt annehmenden Seehunden. Doch die Poesie wird auch mal ganz zeitgenössisch, wenn eine Vertonung eines Abschiedsgedichts der Schriftstellerin Catriona Montgomery ertönt.

Es macht gerade den Reiz des Albums aus, dass Fowlis nicht streng im schottisch-gälischen Reich bleibt: Mit der eleganten Ballade „Camariñas“ geht es auch mal zu den südlichsten keltischen Anrainern nach Galicien, und das melodieselige „Go Your Way“ ist eine berührende Hommage an die große englische Folklady der 1960er, Anne Briggs. Zusammen mit der kürzlich vorgestellten CD von Blue Rose Code, bei denen Fowlis auch gastiert, ist dieses Kleinod für mich ein wunderschöner Beleg für die Zeitlosigkeit des Scottish Folk.

Julie Fowlis: „Dh’èirich Mi Moch Madainn Cheòthar“
Quelle: youtube

Schottlands unentdeckter Folk-Stolz

Blue Rose Code
The Water Of Leith
(Navigator/H’Art)

Die Schotten begehen heute das „Burns Supper“, den Geburtstag ihres „Nationaldichters“ Robert Burns. Zu diesem Anlass möchte ich eine Platte vorstellen, die Ende letzten Jahres zu mir kam und es aus dem Stand noch in meine 2017er-Favoritenliste geschafft hat.

Blue Rose Code um den Sänger und Songschreiber Ross Wilson aus Edinburgh gehören zu den Folkbands, die sich stilistisch weit öffnen, und aus dieser Begegnung neuartige Farben gewinnen. Im Falle dieser Band ist es die Nähe zum Jazz, die sich in Saxophon- und Trompeten-Improvisationen äußert, genauso unvermittelt wie organisch in die Songs eingesetzt. Es ist aber auch das Spiel mit der Klassik, präsent in den leuchtenden Texturen eines Streichquartetts. Und dann ist da in Wilsons Dichterseele das Streifen durch weite inner wie äußere Landschaften, die über die Topoi der keltischen Folkmusik hinausreichen, ein Soul, der vom Heimkommen, von der ewigen Liebe, aber genauso auch vom Wetter spricht.

The Water Of Leith eröffnet mit der großartigen, sich aufschwingenden Ballade „Over The Fields“, die dem verstorbenen Asia-Sänger John Wetton gewidmet ist. Ein melancholischer Folkrock-Ohrwurm voll Liebesschmerz ist „Bluebell“, das schwungvolle „Ebb & Flow“ trägt hellere Farben mit einem Van Morrison-Anklang auf, und „Sandaig“ offenbart einen Einblick ins gälische Erbe der schottischen Westküste. Eine grandiose Verzahnung zwischen Folk und Jazz geschieht in „Nashville Blue“ mit seinem tiefnächtlichen Trompeten-Intermezzi. Selbst vor Country haben Wilson und seine Truppe keine Scheuklappen, wie sich im federnd leichten „Love Is…“ zeigt.

Und kurz vor Ende hat dieses Kammerfolkorchester noch ein heißes Eisen im Feuer: Die freie Improvisation über „The Water“ mündet in das fantastisch schillernde, orchestrale „To The Shore“, vollgesogen mit nordischen Naturbildern – eine kleine Klangodyssee mit cineastischen Streichern, mäaandernder Trompete, Klaviertropfen, Slidegitarre. Vielleicht wird man von Ross Wilson rückblickend eines Tages als Robert Burns des 21. Jahrhunderts sprechen. The Water Of Leith jedenfalls könnte für den schottischen Folk eine neuartige Identität stiften.

© Stefan Franzen

Blue Rose Code: „Bluebell“
Quelle: youtube

Listenreich I: 20 Songs für 2017

Blue Rose Code (Schottland) : „Over The Fields“
Quelle: youtube
Cristina Branco (Portugal): „E Às Vezes Dou Por Mim“
Quelle: vevo
Cristobal & The Sea (UK): „Goat Flokk“
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Joy Denalane (Deutschland): „Zuhause“
Quelle: vevo

Alemayehu Eshete & The Polyversal Souls (Äthiopien/Deutschland): „Alteleyeshegnem“
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Grèn Sémé (La Réunion): „Hors Sol“
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Matt Holubowski (Kanada): „The Warden & The Hangman“
Quelle: youtube
Iris Electrum (Österreich): „Of Tigers And Owls (No Future, No Past)“
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Awa Ly (Senegal): „Wide Open“
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MC Solaar (Frankreich): „Géopoétique“
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Sílvia Pérez Cruz (Katalonien): „Vestida De Nit“
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Sílvia Pérez Cruz & Pájaro (Katalonien/Spanien): „Pequeño Vals Vienés“
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Cemil Qoçgiri (Deutschland/Kurdistan): „Ero Bezar“
Quelle: youtube
Alejandra Ribera (Kanada): „I Am Orlando“
Quelle: youtube
Saltland (Kanada): „Light Of Mercy“
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Oumou Sangare (Mali): „Fadjamou“
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Saz’iso (Albanien): „Tana“
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Sun-El Musician feat. Samthing Soweto (Republik Südafrika): „Akanamali“
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Tribalistas (Brasilien): „Baião Do Mundo“
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Trio Da Kali & Kronos Quartet (Mali/USA): „Eh Ya Ye“
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Listenreich II: 20 Alben für 2017

Foto by Nancy
Alma (Österreich): Oeo (col legno)
Blue Rose Code (Schottland): The Water Of Leith (Navigator Records)
Cristina Branco (Portugal): Menina (O-tone)
Canzoniere Grecanico Salentino (Italien): Canzoniere (Ponderosa Records)
Fleet Foxes (USA): Crack-Up (Nonesuch)
Jesús Guerrero (Spanien):  Calma (Flamenco de la Isla)
The Heliocentrics (UK/Slowakei): A World Of Masks (Soundways)
Matt Holubowski (Kanada):  Solitudes (Audiogram)
Sharon Jones & The Dap-Kings (USA):  Soul Of A Woman (Daptone)
Masaa (Deutschland/Libanon): Outspoken (Traumton)
Nishtiman Project (Kurdistan): Kobane (Accords Croisés)
Sílvia Pérez Cruz (Katalonien): Vestida De Nit (Universal)
Alejandra Ribera (Kanada): This Island (Pheromone)
Oumou Sangare (Mali): Mogoya (NoFormat)
Saz’iso (Albanien): At Least Wave Your Handkerchief At Me (Glitterbeat)
Barbara Schirmer (Schweiz): Falter (hackbrett.com)
Omar Sosa & Seckou Keita (Kuba/Senegal): Transparent Water (World Village)
Tribalistas (Marisa Monte, Carlinhos Brown & Arnaldo Antunes) (Brasilien): Tribalistas 2 (Phonomotor)
Mônica Vasconcelos (Brasilien/UK):  The São Paulo Tapes (Galileo)
Vein (Schweiz): Vein Plays Ravel (Double Moon)