(he)artstrings #29: Mit Engelszungen

Eddi Reader – Rudolstadt Festival 2014 (Foto: Stefan Franzen)

Boo Hewerdine: „Patience of Angels“ (1994)
(aus: Eddi Reader – Eddi Reader)

Wenn ich mich recht entsinne, war sie die erste Künstlerin, die ich auf großbritannischem Boden live gesehen habe, 1992 beim Cambridge Folk Festival. Eddie Reader habe ich als Stimme von Fairground Attraction „(It’s got to beeeee, ….perfect!“) zwar noch nicht bewusst wahrgenommen, aber mit ihren Soloalben ging es dann los. Wunderbar ihr selbstbetiteltes Album von 1994 mit dem hier gewürdigten „Patience Of Angels“, das mich jahrelang begleitet hat, noch schöner ihre Adaption von Robert Burns-Songs aus dem Jahr 2003. 2014 dann durfte ich ich sie für eine Titelgeschichte im Folker interviewen.

Es wurde dank einer sehr gesprächigen Musikerin eines meiner längsten Interviews überhaupt: Eddi hat mir ihr ganzes Leben erzählt, bis hin zur Enthüllung, dass sie deutsche Vorfahren hatte, die „Rader“ hießen. Paradoxerweise fand dieses Interview statt, während sie in Japan auf Tour war, wo man ihre Musik vergöttert. Ihre Erklärung: „Die haben einen sehr weichen Zugang zum Leben.“ Ihr Auftritt in Rudolstadt im gleichen Jahr hat mir Tränen in die Augen getrieben, und das ausgerechnet bei einem Cover von Édith Piafs „La Vie En Rose“. Heute wird die kosmopolitische Schottin, die wie keine andere Songwriting, Pop und schottische Roots zusammengebracht hat, 2 x 30 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch, Eddi!

Eddi Reader: „Patience Of Angels“
Quelle: youtube

Schottlands unentdeckter Folk-Stolz

Blue Rose Code
The Water Of Leith
(Navigator/H’Art)

Die Schotten begehen heute das „Burns Supper“, den Geburtstag ihres „Nationaldichters“ Robert Burns. Zu diesem Anlass möchte ich eine Platte vorstellen, die Ende letzten Jahres zu mir kam und es aus dem Stand noch in meine 2017er-Favoritenliste geschafft hat.

Blue Rose Code um den Sänger und Songschreiber Ross Wilson aus Edinburgh gehören zu den Folkbands, die sich stilistisch weit öffnen, und aus dieser Begegnung neuartige Farben gewinnen. Im Falle dieser Band ist es die Nähe zum Jazz, die sich in Saxophon- und Trompeten-Improvisationen äußert, genauso unvermittelt wie organisch in die Songs eingesetzt. Es ist aber auch das Spiel mit der Klassik, präsent in den leuchtenden Texturen eines Streichquartetts. Und dann ist da in Wilsons Dichterseele das Streifen durch weite inner wie äußere Landschaften, die über die Topoi der keltischen Folkmusik hinausreichen, ein Soul, der vom Heimkommen, von der ewigen Liebe, aber genauso auch vom Wetter spricht.

The Water Of Leith eröffnet mit der großartigen, sich aufschwingenden Ballade „Over The Fields“, die dem verstorbenen Asia-Sänger John Wetton gewidmet ist. Ein melancholischer Folkrock-Ohrwurm voll Liebesschmerz ist „Bluebell“, das schwungvolle „Ebb & Flow“ trägt hellere Farben mit einem Van Morrison-Anklang auf, und „Sandaig“ offenbart einen Einblick ins gälische Erbe der schottischen Westküste. Eine grandiose Verzahnung zwischen Folk und Jazz geschieht in „Nashville Blue“ mit seinem tiefnächtlichen Trompeten-Intermezzi. Selbst vor Country haben Wilson und seine Truppe keine Scheuklappen, wie sich im federnd leichten „Love Is…“ zeigt.

Und kurz vor Ende hat dieses Kammerfolkorchester noch ein heißes Eisen im Feuer: Die freie Improvisation über „The Water“ mündet in das fantastisch schillernde, orchestrale „To The Shore“, vollgesogen mit nordischen Naturbildern – eine kleine Klangodyssee mit cineastischen Streichern, mäaandernder Trompete, Klaviertropfen, Slidegitarre. Vielleicht wird man von Ross Wilson rückblickend eines Tages als Robert Burns des 21. Jahrhunderts sprechen. The Water Of Leith jedenfalls könnte für den schottischen Folk eine neuartige Identität stiften.

© Stefan Franzen

Blue Rose Code: „Bluebell“
Quelle: youtube