Die Dialoge zwischen Indien und dem Westen zeigen sich im Jahr 2021 gereift, haben die Stufe der exotischen Faszination, und auch die knallige Dancefloor-Philosophie des Asian Underground endgültig überwunden, wie gerade im letzten Beitrag zu Hindol Deb deutlich anklang. Auch der Sitarspieler Purbayan Chatterjee aus Mumbai versammelt auf Abaad – Unbounded eine internationale Riege von Bela Fleck über Snarky Puppy-Mitglied Michael League bis zum Landsmann Zakir Hussain. Chatterjee sieht sich in der Fusion-Anlage seiner brillant und weiträumig textierten Stücke in der Tradition von McLaughlins Shakti. Allerdings kredenzen die zahlreichen Auftritte prominenter indischer Vokalisten auch eine Süffigkeit („Firmament“), die weit weg vom Indo-Jazz siedelt. Für Zweifler sei „Lalitha“ als Anspieltipp genannt: Wie sich hier Flecks Banjo mit den rasanten Sitarlinien umwinden, ist grandios. Oder auch „Sukoon“ mit der Tabla von Zakir Hussain und der west-östlichen Vokalverwebung mit Thana Alexa und Gayatri Asokan.
Der Klang der Langhalslaute Sitar ist für westliche Hörer geradezu ein Synonym für indische Musik. Das hat auch dazu geführt, dass die Sitar eine Art musikalisches Klischee geworden ist. Der in Köln lebende Inder Hindol Deb sucht nach neuen Wegen, das Instrument in den europäischen Jazz einzugliedern. Auf seinem Album Essence Of Duality hat er das ziemlich überzeugend geschafft – mit einem Jazzquartett, das sich zwischen europäischer Musiktradition und hindustanischem Raga-System ganz neue Wege bahnt.
SRF 2 Kultur sendet meinen Beitrag über Hindol Deb am Dienstag, den 05.10. in der Sendung Jazz & World aktuell ab 20h (Wiederholung am 08.10. ab 21h). Zu hören im Stream, oder in der Schweiz auch nach Ausstrahlung im Podcast: Mentoring und Förderung – Jazz und World aktuell – SRF
Hindol Deb: „Journey To Kedarnath“
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Ron Carter Foursight Quartet E-Werk Freiburg 25.09.2021
„Ich habe fleißig seyn müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weit bringen können“, sagte Johann Sebastian Bach einmal. Danach gefragt, was das Geheimnis ihrer Kunst sei, antworten musikalische Genies – gleich welcher Epochen und Stilrichtung – oft mit der lapidaren Feststellung: „Harte Arbeit.“ Auch Ron Carter hat das bescheiden betont. Er, der auf über 2000 Platten gespielt hat, den man seit den 1960ern durch Eric Dolphy und Miles Davis, aber auch durch Paul Simon und Aretha Franklin kennenlernen konnte. Der Welt bekanntester Jazzbassist dank seines hier ansässigen Labels In & Out Records in Freiburg, das sorgte für einen vollen E-Werk-Saal, voller, als manchen zu Corona-Zeiten lieb war. Der 84-Jährige kam mit seinem aktuellen Foursight Quartett und sorgte für eine überwältigende Sternstunde zwischen klassischem Bebop, American Songbook und Latin-Färbungen.
Disziplin, das ist das erste Wort, was einem bei diesen vieren einfällt. Aber keine, die durch Beschränkungen, sondern die durch maximale Souveränität entsteht. Da ist keine exaltierte Körpersprache zu sehen, keine mimischen Mätzchen, allenfalls ein Nicken, eine hochgezogene Augenbraue zur Verständigung. Sie sind Diener und nicht Bezwinger ihrer Instrumente, entfalten lange pausenlose Sets mit meditativem Flow. Freie Klangtrauben vermitteln zwischen den einzelnen Stücken, als besinne sich die Band kurz, um dann in eine andere Welt zu wechseln. Fast unmerklich gleitet man vom lässig angegangenen Bebop in einen Brasil-Groove und zurück, in einer melancholischen Ballade kehrt Rondo-artig ein spanisch gefärbter Marsch wieder.
Selten bricht einmal der dynamisch und atemtechnisch grandios flexible Jimmy Greene am Tenorsaxophon in eine muskulösere Improvisation aus, ansonsten ist alles pure Eleganz und das Understatement von Gentlemen. Payton Crossleys fast schon gekitzelte Drums sind in feiner Räumlichkeit nach hinten gemischt, er entwickelt Soli aus einem simplen Hi-Hat-Schlag oder – geradezu Stepdance-artig – auf den klackernden Trommelrändern. Donald Vega am Piano ist melodieverliebt in den hohen Lagen, kann nahtlos immer wieder in latinisierte Kurzeinlagen einschwenken. Fulminant gerät seine Version von „My Funny Valentine“ im Duo mit Carter: Es ist wie ein Dialog eines verträumten jungen Verliebten mit einem reifen Liebenden.
Carter selbst gibt sich fast als Stoiker, aber als zärtlicher, der sich auch mal liebevoll an seinen hölzernen Gefährten lehnt. Den vielzitierten „singenden Bass“ gibt es bei ihm nicht, sein Spiel gleicht eher der Rede eines distinguierten Herren, der viele Sprachen beherrscht: Seine Walking-Bässe haben federnde Stolperer, die Doppelgriff-Passagen augenzwinkernde statt verbissene Virtuosität, die Glissandi gebärden sich als entspanntes Gähnen. Selbst eine fast banale Melodie wie „You Are My Sunshine“ gerät, gespickt mit kauzigen Oberton-Phrasen und Klettereien am Ende des Griffbretts, zum Kabinettstückchen. Das Ergebnis von harter Arbeit lautet: Pure, klassische Jazz-Schönheit, begeistert gefeiert von den Festivalbesuchern.
Etwas verspätet möchte ich einen der großen äthiopischen Sänger würdigen, der am 2. September im Alter von 80 Jahren gestorben ist: Alèmayèhu Eshèté galt wahlweise als abessinischer Elvis, äthiopischer James Brown oder goldene Stimme von Addis und hat äthiopische Popmusik funkig und soulig seit den 1960ern entscheidend mitgeprägt. Seine ersten Hits hatte er 1961 mit dem Staatlichen Polizeiorchester, wurde dann ein Frontmann der „Swinging Addis“-Szene der Sechziger und Siebziger. Besonders ergiebig war seine Partnerschaft mit dem Pianisten Girma Bèyènè.
Als Kaiser Haile Selassie 1974 vom kommunistischen Derg abgelöst wurde, ging Eshèté nicht wie viele seiner Kollegen ins Exil, sondern überdauerte die harte Zeit der Ausgangssperren und kulturellen Beschneidungen im Land. International bekannt wurde er in den 1990ern durch die Éthiopiques-CD-Serie des Franzosen Francis Falseto auf Buda Musique. Sie löste eine neue Popularität aus und führte dazu, dass der Sänger mit den Ethio Jazz-Gruppen Either/Orchestra und der Badume’s Band in den USA und Europa auftrat. In jüngster Zeit kam Eshèté im Zuge der Vintage-Welle auch nach Deutschland, als die Berliner Band The Polyversal Souls vier Titel mit ihm aufnahm.
Der iranische Musiker Misagh Joolaee ist einer der erstaunlichsten Erneuerer der klassischen persischen Musik. Von seiner Wahlheimat Berlin aus geht der Virtuose auf der Stachelgeige Kamancheh zumBeispiel Teamworks mit deutschen und türkischen Kollegen ein, hat einen breiten Hintergrund von Barock bis Flamenco. Jetzt ist sein erstes Soloalbum Unknown Nearness erschienen. Darüber, und über die Geheimnisse seines Instruments hat er sich mit mir unterhalten.
SRF 2 Kultur sendet meinen Beitrag über Misagh Joolaee am heutigen Dienstag, den 21.9. in der Sendung Jazz & World aktuell ab 20h (Wiederholung am 24.9. ab 21h). Zu hören im Stream, oder in der Schweiz auch nach Ausstrahlung im Podcast.
Die Schreckensmeldungen aus Brasilien übertrumpfen sich: Umweltzerstörung, hohe Raten von COVID-Toten und ein Präsident, der mit inhumaner Politik herumwütet. Wie schafft man es da, ein Album mit 16 unbeschwerten Popsongs aufzunehmen, in denen um Natur, Liebe, Kunst geht? Das wollte ich von Marisa Monte wissen, die nach zehn Jahren Solo-Pause Portas (Sony) vorlegt.
In Rio de Janeiro ist es noch morgens, zudem Winter, fröstelnde 17 Grad. Doch Marisa Monte zeigt sich als Frühaufsteherin und in Plauderlaune. „Der Kern dieses neuen Albums sollte auf persönlichen Begegnungen beruhen“, beschloss sie noch Anfang 2020. „Denn es gibt Dinge, die du nur durch das Live-Spielen mit anderen Musikern ausschöpfen kannst, Dynamik, Intensität, das Zusammen-Atmen“, Es ist die bittere Ironie der Pandemie, dass genau dieses Produktionsverfahren für die 54-Jährige dieses Mal nicht möglich sein sollte. Oder doch?
In Rio umgab sie sich mit einer Kern-Band, bestückt mit den Kindern von Berühmtheiten, deren Eltern in den 1970ern etwa die legendäre Band Novos Baianos formten, auch Carlinhos Browns Sohn Chico, mit dem sie etliche Songs geschrieben hat, ist integraler Bestandteil. Und nach dem Einspielen von basic tracks wurde es trotz Corona transkontinental: „Mein langjähriger Freund und Produzent Arto Lindsay war gerade in New York“, erzählt Monte weiter. „Er stellte dort eine Band zusammen. Über Zoom konnte ich wegen dem Delay zwar nicht mit ihnen zu spielen, aber ich konnte in ihren Spielprozess eingreifen, Kommentare zur Geschwindigkeit, der Form, den Arrangements machen. So gelang es uns trotzdem, den Geist des Miteinandermusizierens aufrechtzuerhalten.“
Weitere Spuren wurden in Lissabon mit einem Orchester, in L.A., Barcelona und Madrid mit weiteren Gästen, etwa aus Jorge Drexlers Umfeld hinzugefügt. Drei Arrangeure verschiedener Generationen verpflichtete Monte, unter ihnen auch der legendäre Arthur Verocai, der schon Anfang der Siebziger die Samba Soul-Szene mitbegründet hatte. „Ich liebe das generationenübergreifende Arbeiten“, sagt Monte. „Und wenn du dir das Publikum meiner Shows anguckst, dann siehst du, wie es genau das widerspiegelt.“ Das Ergebnis heißt „Portas“ und beherbergt 16 Songs im klassischen Popsong-Format von drei Minuten, aufgefächert in einem stilistischen Kaleidoskop.
Eine süffige Bossa Nova („Espaçonaves“) und das mit indischer Flöte angehauchte „Praia Vermelha“ siedeln da nebeneinander, es gibt kapverdische Anflüge, mit „Em Qualquer Tom“ einen jazzigen Walzer. „A Lingua Dos Animais“ könnte dem Blues Brothers-Soundtrack entlehnt sein, und „Vagalumes“ ist eine grandiose, wortspielerische Miniatur, die die Glühwürmchen als winzigen und wichtigen Bestandteil des Ökosystems preist. „Man kann nicht über brasilianische Musik sprechen ohne diese Vielfalt, diese Mischung zu thematisieren“, erklärt Monte und verweist zudem auf ihre biographische Prägung: Stevie Wonder, Bob Marley und Michael Jackson haben in ihrem Innern immer in Frieden gelebt mit dem Klangkosmos Brasiliens.
Um den Kontakt mit ihren Fans auch in pandemischen Zeiten zu wahren, hat sie zu jedem einzelnen Songs gleich zwei Videoclips produziert. Der gelungenste ist sicher der zum Titelsong „Portas“, in dem eine Menge Türen geöffnet werden: „Den Song habe ich schon vor vier Jahren geschrieben“, sagt sie. „Und jetzt kam er heraus in diesem verrückten, tragischen Moment, den wir alle durchleben müssen, den ich mir damals aber noch gar nicht ausmalen konnte.“ Für sie stehen die Türen als Symbol der Veränderung, der Wahlmöglichkeiten, und jetzt ganz konkret auch als Chancen der Heilung. „Wenn wir von Nahem draufschauen, dann kann uns diese Zeit nur als eine erscheinen, in denen es eine wahre Schichtung von Krisen gibt, gerade in Brasilien: Die Covid-Krise, die ökologische, die politische und ideologische, man negiert die Wissenschaft, hat einen aggressiven Umgang in der Sprache miteinander. Aber ich denke, da das Leben zyklisch verläuft, werden bald alle Bewegungen, die mit Diversität, Minderheit und Umwelt zu tun haben, eine noch größere Blüte erfahren.“
Während sich viele ihrer Kolleginnen und Kollegen entschieden haben, auf Konfrontationskurs gegen die Politik zu gehen, hat Monte einen fast taoistisch zu nennenden Weg gewählt. Immer wieder betont sie während des Interviews: „Ich habe mich einfach geweigert, dass die ganze Negativität und Ignoranz um mich herum in meine Arbeit eindringen darf!“ Ihr Widerstand ist ein poetischer, und sie hat ihn zu kleinen Klangfluchten von drei Minuten geformt. Und bei 16 dieser kleinen Fluchten landet man ja immerhin schon bei fast einer Stunde.
Gerade als Eisenbahn-Fan ist dieses Thema mir ein großes Anliegen: Es ist heutzutage in etlichen Fällen eben auch dringend geboten, den Bau einer Trasse zu verhindern. Durch die mexikanische Halbinsel Yucatan soll bis 2024 ein 1500 Kilometer langes Bahnprojekt realisiert werden, um archäologische Stätten der Maya touristisch zu erschließen. Nicht gefragt wurden wie so oft viele indigene Gruppen selbst, anderen wurden falsche Versprechungen gemacht, um eine Zustimmung zu erwirken. Nicht einmal minimale Menschenrechts-Standards wurden von den beteiligten Unternehmen gewährleistet. Zu diesen Unternehmen zählt auch die Deutsche Bahn, die sich gerne mit einem grünen Image schmückt.
Ein simpler Halbton auf der Bouzouki – und jeder wusste Bescheid, was da kommt. Absteigend über mehrere Stufen, wiederholt mit Verzierungen, schließlich mündend in einen rasanten Sirtaki. Wer ab Mitte der 1960er aufwuchs, konnte diesem Instrumental nicht entkommen. Die soghafte Titelmelodie aus „Zorba The Greek“, der Verfilmung eines Nikos Kazantzakis-Romans mit Anthony Quinn in der Hauptrolle, ist einer der großen Welthits seit 55 Jahren. Mikis Theodorakis, der Mann, der diese Musik geschrieben hat, ist nun im fast biblischen Alter von 96 Jahren in Athen gestorben.
Auch wenn sein „Zorba“ der einzige Berührungspunkt zwischen Millionen Menschen und ihm gewesen sein mag: In seiner fast ein Jahrhundert währenden Vita spiegelt sich Zeit- und Kulturgeschichte – nicht nur die griechische – wie in ganz wenigen anderen Biographien. Dreimal inhaftiert und gefoltert, aber auch dreimal Mitglied des Parlaments. Volksheld und Staatsfeind. Kommunist, aber auch Parteiloser. Komponist von angeblich 1000 Liedern, aber auch symphonischer Bombastiker. Im Zentrum seines musikalischen wie politischen Wirkens stand dabei stets die Suche nach Freiheit und Frieden.
1925 auf der Insel Chios geboren, begeistert er sich früh für verschiedenste Volksmusiken, die er durch häufige Umzüge der Familie kennenlernt, er schreibt Lieder, gründet einen Kirchenchor. Genauso früh wird Theodorakis politisch aktiv: Er arbeitet im Widerstand gegen die Nazis, landet, kaum volljährig, im Gefängnis, die Befreiung Athens gestaltet er auf Seiten der Linken mit. Der anschließende Bürgerkrieg bringt ihm wiederum Haft und Folter in der Strafkolonie auf Ikaria ein, nur knapp überlebt er das Martyrium. Auf Kreta kann er erstmals als Orchesterchef arbeiten, studiert in den 1950ern in Paris bei Olivier Messiaen. Theodorakis‘ erste Erfolge liegen in der klassischen Sphäre: Ballettmusiken, Sonatinen, Filmmusiken, ein symphonisches Debüt, das sein Beitrag zur Versöhnung nach dem Bürgerkrieg ist. Versöhnung geschieht bei ihm auch stilistisch: Die Tonleitern der Volkskulturen lässt er in seine Orchesterwerke einfließen, er sieht das hellenische Rohmaterial als geeignetes Mittel, die Krise der modernen Kunstmusik zu bewältigen. Und in den Liederzyklen, beginnend mit „Epitaphios“, verknüpft er pionierhaft ländliche Folklore mit dem Rembetiko, der urbanen Musik, die in den Hafenkneipen entstand. Grigoris Bithikotsis singt sie zunächst, doch ab der „Ballade von Mauthausen“ wird 1963 Maria Farantouri die herausragende Interpretin seiner Gedichtvertonungen, mit denen er Volksmusik auf eine höhere Stufe heben will.
Politisch erlebt Theodorakis in den 1960ern und 70ern die gewaltigen Eruptionen seines Landes mit: Zunächst ist er Abgeordneter für die Linken, als 1967 die Obristen putschen, geht er in den Untergrund. Als eine solche Bedrohung empfinden sie ihn, dass sie per Armeebefehl das Singen und Hören seiner Musik, sogar den Besitz seiner Platten unter Strafe stellen. Auf Druck von Leonard Bernstein, Harry Belafonte und Dmitri Schostakowitsch kommt er aus erneuter Folter frei, unterstützt den Kampf gegen die Faschisten von Paris aus, wird zur Symbolfigur der europäischen Studentenbewegung. Währenddessen entsteht sein genauso gewaltiges wie lyrisches Oratorium „Canto General“, eine Vertonung von Pablo Neruda-Texten.
Nach dem Sturz der Junta ist er ein Volksheld, er wird 1981 zum zweiten Mal ins Parlament gewählt, wo er sich für Erziehung und Kultur einsetzt, ebenso für die Aussöhnung mit der Türkei, die er auf der Bühne auch mit dem Sänger Zülfü Livaneli zelebriert. Weitere Symphonien entstehen, Opern mit antikem Mythen-Stoff, und er wirkt in Athen als Generalmusikdirektor des Orchesters von Rundfunk und Fernsehen. Man schlägt ihn für den Friedensnobelpreis vor, die UNESCO ehrt ihn. Und bis ins hohe Alter meldet er sich politisch zu Wort, gegen Krieg und faschistische Umtriebe, zuletzt als Initialfunke der Bürgerbewegung Spitha. Die Musik bildete für ihn sowohl die „individuelle menschliche Tragödie“ ab als auch eine völkerübergreifende „universale Harmonie“. Für beides stand sein Leben und Schaffen, das so viel mehr war als „Zorba The Greek“.
Martha Wainwright Love Will Be Reborn (Cooking Vinyl/Sony)
Die Wainwrights und Montreal, das ist eine Geschichte mit etlichen spannenden Kapiteln. Mit dem knarzig-zynischen Sänger Loudon Wainwright fing das in den Sechzigern an. Er heiratete Kate McGarrigle, die mit ihrer Schwester Anne franko-kanadisches Songwriting nicht nur in Folkkreisen bekannt machte. Und heute ist Kate und Loudons Sohn Rufus ein internationaler Star. Viel weniger bekannt ist bei uns seine Schwester Martha, unverdient: Denn Martha hat von ihrem Vater die bitterfeine Ironie, und von der Mutter diese ganz besondere Stimmkraft geerbt, die eindrucksvoll zwischen schneidender Resolutheit und ungeschönter Larmoyanz pendelt. Auf ihrem sechsten Album entlädt sich diese Kraft in einem Reigen kathartischer Songs.
„Dieses Leben zu leben, ist wie die Arbeit in einer Mine“, singt Wainwright im Song „Being Right“, und in „Rainbow“ sehnt sie sich nach der Leichtigkeit eines Regenbogens, der für Sekunden aufschillert und dann sterben darf. Toxisches Beziehungsende, Scheidung, Verlust von Liebe, Verlust auch eines Kindes im Sorgerechtstreit, all diese Umbrüche, zumeist selbst erfahren, formen Love Will Be Reborn. Wainwright ist dafür von New York in ihre Heimatstadt Montreal zurückgekehrt. Dort heißt ihr neuer Rückzugsort Café Ursa, eine Szenekneipe, die sie im Künstlerviertel Mile End eröffnet hat, nachdem sie das ganze Gebäude Immobilienspekulanten vor der Nase weggeschnappt hat. Der Keller diente ihr und Bandmusikern aus Toronto als Studio.
Schwankte der Vorgänger Goodnight City etwas ziellos zwischen Balladen und Punk, ist das neue Opus – gerade all der Verletzungen wegen – kraftvoller, geradezu trotzig geworden. Wainwright startet mit einer von E-Gitarre getragenen Liebeserklärung an den Rock’n Roll, der „dieses fürchterliche Leben lebenswert“ mache, schreit dann geradezu in höchsten Lagen ihr Ankämpfen gegen das Älterwerden in einer Art Country-Drama heraus. Die letzten, offenbar auch gewalttätigen Tage einer Beziehung arbeitet sie in „Body And Soul“ auf, und da wandelt sie sich zu einer so gequälten Furie, dass es einem das Herz zerreißt. In zärtlicher Verzweiflung, unendlich langsam entfaltet sie die Schmerzen einer Mutter, die allein im Haus zurückbleibt. Mit beiden Söhnen spielt sie im Videoclip zum Titelsong eine Mischung aus Artus- und Siegfried-Sage samt Plastikdrachen nach. Der verlorene Schlüssel zum Liebesglück, heißt es da, liegt tief im Schnee begraben, doch das Herz wird ihn im Frühling wiederfinden. Hymnisch und positiv ist dieser Song.
Nicht unbegründet, denn in „Hole In My Heart“ wird sie tatsächlich von neuer Liebe berichten, zu einem treibenden Arrangement, das sich in atemloser Glückseligkeit nach oben schraubt. Der außergewöhnlichste Moment aber am Ende: „Malaise De Falaise“, ein sprachspielerisches Bild für Höhenangst, ist eine schlafwandelnde Popballade über Pianotriolen, getextet in der für Montreal typischen Zweisprachigkeit: Zu Stimmverfremdungen, die richtig beunruhigend klingen, singt Wainwright: „Nachts klettere ich an den Klippen des Unwohlseins hinauf, regennass, ich zünde die Kanonen, zerreiße die Ketten.“ Starke Bilder einer starken Frau, die mit diesem Werk vielleicht ein wenig aus dem Schatten von Bruderherz Rufus treten könnte.
Zwei großartige, beseelende Konzerte in der wunderbaren Atmosphäre des Museum-Innenhofs für Neue Kunst liegen hinter uns: Bestens besucht bzw. ausverkauft waren die Abende mit Misagh Joolaee & Sebastian Flaig sowie dem Cemîl Qocgîrî-Quartett, bei schönstem Wetter und mit einem begeisterten Publikum. Das hat uns glücklich gemacht!
Beim Festival „Ins Weite“ endet die Klangstrecke mit Musik aus aller Welt am Freitag, den 20.8. mit dem Fabia Mantwill Quartet im Mensagarten ab 19h. Freiburg wird hier als Relaisstation Berlin mit Paris verbinden. Mit einem feinen Jazzkonzert biegen wir in die Zielkurve des „Ins Weite“-Festival ein – und Freiburg wird hier als Relaisstation Berlin mit Paris verbinden: Die 27-jährige Berlinerin Fabia Mantwill ist Komponistin, Arrangeurin, Orchesterchefin, Saxophonistin und Sängerin in Personalunion. Mit ihrem gerade veröffentlichten Bigband-Debütalbum „Em.perience“, auf dem Nils Landgren und Kurt Rosenwinkel gastieren, setzt sie ein kräftiges Ausrufezeichen im jungen deutschen Jazz.
Geschult bei Vince Mendoza und dem niederländischen Metropol Orkest hat Fabia Mantwill eine vielschichtige, klangfarbenreiche Tonsprache entwickelt, die sie bereits bis in die Elbphilharmonie und ins Washingtoner Kennedy Center geführt hat, und gerade wurde sie bei der Jazz Baltica gefeiert. Für ihr Stück „Ophelia“ hat sie den Deutschen Jazzpreis gewonnen. Zu uns kommt Fabia Mantwill mit einem eigens für diesen Abend zusammengestellten deutsch-französischen Quartett, das auch Auszüge aus ihrem Em.perience-Album spielt. Das Werk ist eine Weltreise, auf der sie die Zuhörer*innen einlädt, Station in Ghana, Tansania, Nepal, Schottland, Brasilien und Finnland zu machen.