Shake Djibouti

Foto: © Janto Djassi

Groupe RTD
The Dancing Devils Of Djibouti
(Ostinato Records/Groove Attack)

Das kleine ostafrikanische Djibouti hat sich bislang der musikalischen Entdeckung durch den Westen entzogen. Nun kommt die aktuelle Staatsband des Landes, Groupe RTD, zu internationalen Ehren – mit der Musik, die sie nach Dienstschluss spielt. Der senegaldeutsche Produzent Janto Djassi hat mir die Geschichte ihrer Entdeckung erzählt.

Es ist jedem Besitzer eines Plattenspielers schon mal passiert: Man spielt eine Scheibe mit der falschen Geschwindigkeit ab und merkt das in der Regel nach einigen Sekunden. Als der Autor dieser Zeilen allerdings die Doppel-LP The Dancing Devils Of Djibouti auflegt, schweifen geisterhafte Vokalmelismen zu sirrenden Synths durch den Raum, die von einem tonnenschwer schaukelnden Offbeat mit garstigen E-Gitarren und swingendem Sax abgelöst werden: Musik wie aus einer anderen Welt, die man eigentlich gar nicht auf 45 Umdrehungen korrigieren will. Aber selbst nach dem Umlegen des Riemens verlieren die Klänge wenig von ihrem Faszinosum.

Dahinter steckt eine Band mit dem furztrockenen Namen Groupe Radiodiffusion-Télévision Djibouti, kurz Groupe RTD. „Das ist die nationale Radioband, die in ihrem Alltag auf Staatsempfängen und im präsidialen Palast spielt. Da ist dann oft auch Propagandamusik, Nationalistisches dabei“, sagt Janto Djassi, Koproduzent der Aufnahmen. „Was wir aufgenommen haben, ist aber die Musik, die sie nach Feierabend spielen, die sie aus ihrer Kindheit kennen und re-interpretieren. Das zweite Gesicht der Band.“ Der Hamburger Musiker, Foto- und Videograf Djassi stieß über seinen Freund Nicolas Sheikholeslami, der sich mit somalischer Musik beschäftigt hatte, zum Label Ostinato des Inders Vik Sohonie. Zunächst realisierten sie die vielfach beachteten Reissue-Kompilationen „Sweet As Broken Dates“ und „Two Niles To Sing A Melody“ in Somalilands Hauptstadt Hargeysa und dem Sudan. In Djibouti wurden ihre ursprünglichen Pläne dann über den Haufen geworfen.

„Während wir das Archiv des Radios digitalisierten, hatte der Direktor für uns ein kleines Konzert im Studio vorbereitet. Wir waren sofort hin und weg von der Energie, die von dieser Band auf uns zukam!“ Schnell reifte das Vorhaben, statt Archivarisches zu veröffentlichen, neue Aufnahmen mit der seit 2013 bestehenden neunköpfigen Groupe RTD zu machen, ermöglicht durch eigens eingeflogene Technik. Die Band um die junge, einer Talentshow entstammende Sängerin Asma Omar und den Sax-Grandseigneur Mohamed Abdi Alto spielt einen knackig groovenden Tanzband-Sound, der sich aus vielen Quellen speist, denn die zehn Tracks spiegeln die geographische Position Djiboutis, das erst seit 1977 von Somalia unabhängig ist, als Knotenpunkt am Roten Meer wider.

„Es gab schon immer Handels- und Kulturverbindungen zwischen Indien, dem arabischen Raum und Ostafrika“, sagt Djassi. „Somalier leben in der Ogaden-Region Äthiopiens, Äthiopier in Somalia.“ Und so hört man in den Stücken neben den heimischen Rhythmen vom Tadjoura-Golf auch immer alten Somali-Pop, die schaukelnden Takte des Sudan, äthiopische Skalen, arabische Ornamentik und einen Hauch Bollywood mitschwingen. Vermeintliche Reggae-Einflüsse sind nicht jamaikanisch zu verorten, sagt Djassi, der charakteristische Offbeat sei aus Äthiopien herübergeweht. Und: „Da die amerikanische Musikindustrie über Radio und Platten auch dort alles penetriert hat, steckt natürlich auch James Brown-Funk und Jazz drin. Der RTD-Saxophonist Mohamed Abdi Alto war immer ein großer Fan von Charlie Parker und Harlem Jazz.“

Djiboutis Führung war bis dato eher darauf bedacht, den Zugang zum kulturellen Erbe nicht gerade Jedem zu ermöglichen. Seine Regierung, die bei uns unter „Diktatur“ firmieren würde, wird nach Djassis Einschätzung von weiten Teilen der Bevölkerung getragen. Dass er überhaupt ins sich abschottende Djibouti reisen durfte, hat er einem Bonus zu verdanken: „Ich bin Senegaldeutscher, und Vik ist in Thailand lebender Inder, wir entsprechen also nicht dem Bild des weißen Mannes, der irgendwo hinkommt und sich dann wieder vom Acker macht, nachdem er Ressourcen extrahiert hat.“

Zentrale Philosophie von Ostinato Records ist es tatsächlich, bei der Arbeit vor Ort auch etwas dazulassen, in diesem Fall eine Bandmaschine und Digitalisierungs-Tools. Und dazu gehört auch, anstatt altes Vinyl auszuschlachten, ungeklärte Fragen der Urheberrechte inklusive, künftig mehr kontemporäre Musik aufzunehmen, die den lebenden Musikern vor Ort als Sprungbrett dienen soll. RTD wollen, so Covid-19 beherrschbar wird, bald in Europa auf Tour kommen. „Wir möchten das Narrativ vom armen Afrika, Krieg, Mord- und Totschlag und somalischen Piraten korrigieren. Die Machtillusionen des Westens zurechtrücken.“

© Stefan Franzen, veröffentlicht in Jazz thing #136

Groupe RTD: „Buuraha U Dheer“
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Süßer Xhosa-Pfeil

Bongeziwe Mabandla
Iimini
(Baco Records/Broken Silence)

Der Name Bongeziwe Mabandla mausert sich in der südafrikanischen Szene langsam aber stetig zu einem großen. Denn der Mann aus der Eastern Cape-Region verfügt über ein empfindsames Falsett, das sich wie ein süßer Pfeil in die Ohren bohrt. Die Basis seiner zwölf Songs auf Iimini ist ein gemächlicher Akustikgitarrenfolk. Doch der mosambikanische Produzent Tiago Correia-Paulo baut unter die Melodien ein elektronisches Fundament, das mal an die Sounds aus einem Kwaito-Club erinnert, sich dann aber wieder ganz verflüchtigt, um Mabandlas Stimmenlyrik Raum zu lassen (Anspieltipps: „Masiziyekelele“, „Bambelela“).

In den warmen Beats mischen sich Maschinensounds mit der Klangwelt von Lamellophonen, was durchweg einen warmen Gesamteindruck der Rhythmik erzeugt. Zuweilen schichten sich Chöre zu sparsamen Klavierakkorden. Umgebungsgeräusche aus urbanem Setting, aber auch Blätterrauschen im Wind verfeinern den organischen Gesamteindruck dieser durch und durch spannenden Scheibe. Einen Hit mit Anklängen an den hymnischen Synth-Pop der Achtziger hat „Iimini“ mit „Zange“ auch. Und die Xhosa-Texte? Sie bergen ein breites Spektrum an Liebesbezeugungen – von Körperlichkeit bis zu inständigem Flehen.

Bongeziwe Mabandla: „Khangela“
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Wassoulou-Queen im Akustikgewand

Drei Jahre ist es her, dass die malische Sängerin Oumou Sangaré ihr letztes Album Mogoya veröffentlichte und darauf mit internationalen Produzenten und Gästen die Musik der Region Wassoulou kosmopolitisch aufmöbelte. Zwischenzeitlich erschien ein Remixed-Album, das die Musik des Albums mit Beiträgen von Sampha bis St.Germain noch mehr in den Club katapultierte. Jetzt geht Malis bekannteste Sängerin den umgekehrten Weg. Für August (ab Juni schon digital) hat sie ein drittes Kapitel aus der Mogoya-Serie angekündigt: Dieses Mal führt sie die Songs zurück in ein akustisches Setting, nur mit der Stegharfe Kamalengoni, akustischer Gitarre, Backgroundchören und zeitweisen Tupfern auf Celesta und Toy Organ. Ein erster Vorbote von Acoustic ist das heute erschienene „Djoukourou“, ein Song darüber, dass nichts, von Ehen bis zu Staatspräsidenten, ohne Unterstützung und Wohlwollen lange Bestand haben wird. Oumou Sangaré befindet sich derzeit im Lockdown in NY und kann nicht in ihre Heimat zurückkehren, dennoch gab sie mir ein Interview, das ich hier zum Album-Release im Spätsommer teilen werde.

Oumou Sangaré: „Djoukourou“
Quelle: youtube

Katalanisches in Fernost

Sílvia Pérez Cruz & Marco Mezquida
MA. – Live In Tokyo
(Universal Music Spain)

Ihr neues Band-Album Farsa hat die katalanische Sängerin Sílvia Pérez Cruz wegen der Pandemie in den Herbst verschoben. Stattdessen veröffentlich sie digital nun eine Duo-Arbeit mit dem Landsmann Marco Mezquida am Piano. Vor zwei Jahren hatte ich das Glück, die beiden in Paris zu erleben, deshalb freue ich mich auf dieses Klangsouvenir an den Abend im Café de la Danse, auch wenn dieses hier 20 Monate später im Tokioter Blue Note eingefangen wurde, mit einem allerdings sehr ähnlichen Programm. Nur mit Stimme, Piano und ganz vereinzelt Gitarre ein Repertoire von Música Latina über Jazz und Pop bis zur sakralen Klassik zu bündeln, das kann leicht zum Sammelsurium werden. Nicht bei diesen beiden, die ein homogenes Universum daraus formen.

„MA“ geht auf das japanische Konzept des Raumes und der Stille zwischen zwei Dingen zurück – hier also des Atems zwischen zwei Noten, der Stille zwischen dem Verklingen und der ersten Reaktion der Lauschenden. Davon gibt es in diesem Konzert jede Menge. Wenn es auch noch recht „unauffällig“ mit Liedern aus der Feder von argentinischen und brasilianischen Cantautores eröffnet, geht es recht bald auf ungewöhnliche Pfade: Eine reizende Toy Piano-Miniatur von Radioheads „No Surprises“ und eine fast bluesige, in unterschiedliche Sektionen aufgefächerte Adaption des portugiesischen Volkslieds „Barco Negro“ schaltet das Duo nacheinander, die abgründige mexikanische Melancholiehymne „La Llorona“ wird mit perkussivem Piano vorgetragen. Wie Pérez Cruz‘ Stimme einen Folkklassiker improvisatorisch komplett umkrempeln kann, macht sie mit „The Sound of Silence“ vor, „Siga El Baile“ bringt dann überschäumende Tanzstimmung unters sehr zurückhaltende japanische Publikum. Am verblüffendsten dann das Medley aus Bruckners „Christus Factus Est“, „Lonely Woman“ und My Funny Valentine“: acht Minuten, die religiöse Erhöhung, eruptives Tastengewitter und verletzliche Jazz-Intimität in sich fassen. Das geht schlüssig nur bei solchen zwei Ausnahmetalenten.

Sílvia Pérez Cruz & Marco Mezquida: „Barco Negro“
Quelle: youtube

Vogelschutz auf Vinyl

Während der Corona-Krise droht der Klimaschutz ins Hintertreffen zu geraten, dabei sind die weltweiten Probleme drängender denn je. Musiker machen derzeit nicht nur Mut, die Zeit der Kontaktsperre zu überstehen, sondern engagieren sich auch ökologisch. Der britische DJ Robin Perkins, als Künstler unter El Búho (der Uhu) firmierend, hat ein zweites Kapitel in seinem Beitrag für den Vogelschutz aufgeschlagen: A Guide to the Birdsong of Mexico, Central America & the Caribbean wird am 26.6. auf dem Berliner Label Shika Shika erscheinen und featuret tanzbare Stücke etlicher Electronica-Künstler, die El Búho für sein Vorhaben um einen Beitrag gebeten hat. Die Besonderheit der Tracks: Sie sind um Feldaufnahmen von Vögeln aus Ländern wie Nicaragua, Kuba oder Jamaika herum konstruiert, integrieren ihre Rufe rhythmisch und melodisch.

Das Überleben all dieser Vögel ist aufgrund des Klimawandels, Abholzung und anderer Umweltfaktoren akut gefährdet. Vertreten sind auf der Kompilation unter anderem das Garifuna Collective aus Belize, die nicaraguanische Elektro-Produzentin Tamara Montenegro oder das jamaikanische Dancehall Trio Equiknoxx. Nach Kostendeckung gehen die Erlöse an karibische, costaricanische und mexikanische Institutionen, die sich um den Vogelschutz kümmern, in dem sie Programme zur Rettung, Rehabilitation und Brutpflege finanzieren.
Das Album kann auf Shika Shikas-Bandcamp-Seite bereits vorbestellt werden, begleitet von T-Shirts und Kunstdrucken. Unten ein Klangbeispiel aus dem ersten Kapitel, das sich mit südamerikanischem Federvieh beschäftigte. Lulacruza musizieren zusammen mit dem Santander-Zaunkönig aus Kolumbien.

Lulacruza: „Cucarachero De Niceforo“
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Highlife Reloaded

Santrofi
Alewa
(Outhere/Indigo)

Zum beginnenden Wochenende ein neuer afrikanischer Doppelpack!
Zunächst: Alte Recken der 1970er, die dem ghanaischen Highlife zu neuen Ehren verhelfen, gibt es seit mindestens zehn Jahren zuhauf. Die jungen Ghanaer dagegen delektieren sich am Hiplife, Azonto und anderen elektronischen Spielarten. Doch hier kommt Nachwuchs, der den klassischen Highlife tief verinnerlicht hat und ihn weiter pflegt, und das ganz ohne erzwungenen Patina-Sound: Santrofi knüpfen mit bissfester Energie auf dem Debüt Alewa nahtlos an den Sound von Ebo Taylor und Pat Thomas an. Das Oktett bündelt rockige Einschläge mit beschwipstem Bigband-Highlife, schlägt textlich den Bogen vom anti-rassistischen Titelstück bis zu einem Song für die afrikanische Einheit – eine runde Sache, 100% made in Ghana.

Santrofi: „Cocoase“
Quelle: youtube

 

 

ONIPA
We No Be Machine
(Strut/K7/Indigo)

Aus dem urbanen Afro-Kaleidoskop bekommen wir in Deutschland auf offiziellem Wege nur kleine Ausschnitte mit. Umso spannender, dass das ghanaisch-britische Kollektiv sein Debüt We No Be Machine veröffentlicht. Die Musiker um Sänger K.O.G. und Gitarrist/Programmer Tom Excell von Nubiyan Twist nennen ihre Mixtur “Savanna Bass” und schmieden Tradition und Bass Culture an überraschenden Lötstellen zusammen. Das klingt mal relativ herkömmlich nach süffigem Highlife oder Afrobeatz wie in “Yenimno” oder “Makomba”, oft aber auch nach futuristischem Electro-Tribal-Clash. Die Philosophie ist panafrikanisch angelegt, featuret auch Gäste aus dem Süden des Kontinents, atmet Wüstenbluesstaub oder begibt sich ins zentralafrikanische Reich der verstärkten Lamellophone des Kongo. Durch die schnipseligen Interludien entsteht ein quicklebendiger Patchwork-Charakter.

ONIPA: „We No Be Machine“
Quelle: youtube

Kanadischer Freiheitsflug

Vor ziemlich genau drei Jahren bin ich aus Kanada zurückgekehrt, von einer Reise, die mich durch alle musikalischen Facetten des Ostens im Ahornstaat geführt hat. Seitdem bekomme ich immer wieder Tipps zu neuen tönenden Trends zugeschickt, insbesondere aus dem Songwriting-Bereich. Heute möchte ich euch Sébastien Lacombe vorstellen. Lacombe hat seine Homebase in Montréal und wuchs dort zweisprachig auf, zu seinen Vorbildern gehört auch ein Leonard Cohen. Die bilingualen Songwriter Montréals zählen zu den spannendesten Persönlichkeiten, die die Stadt hervorbringt. Die Vielschichtigkeit, manchmal auch Zerrissenheit ihrer Arbeit zwischen den beiden sprachlichen Welten führt zu einmaligen Text- und Klangresultaten. Sebastien Lacombe war seit 2005 auf vier Alben in französischer Zunge unterwegs. Jetzt ist er aufs Englische eingeschwenkt.

Sein neues Werk, das im Herbst erscheinen wird, nennt sich Fly, und das zentrale Thema dieses Werks ist die Freiheit, „die Freiheit, das zu sein, was wir wollen, über unsere Träume hinauszuwachsen, die Freiheit, zu lieben, trotz aller Tücken und gebrochener Herzen“, schreibt Sébastien. Die Produktion für das Label B-12 hat mein lieber Freund Erik West Millette als Coproduzent unterstützt, der Globetrotter in Sachen Eisenbahn, die Arrangements stammen ebenfalls von einem Musiker seines Umfelds, von Olaf Gundel. Die Songs auf Fly, so Sébastien weiter, sollen helfen in den Nachwehen eines schweren Sturms zur Erneuerung zu finden – nichts könnte besser in diese Wochen und Monaten passen. Ich stelle euch die Vorab-Single aus dem Album vor, „Gold In Your Soul“.

https://www.sebastienlacombefly.com/
https://www.sebastienlacombe.com/

Sébastien Lacombe: „Gold In Your Soul“
Quelle: youtube

Saint Quarantine #6: Anwältin der Menschlichkeit

Awa Ly
Safe & Sound
(Flowfish Records/Broken Silence)

Heute hätte die Senegalesin Awa Ly das Tollhaus Karlsruhe beehrt, um ihr neues Album Safe & Sound vorzustellen. Aus bekannten Gründen wird das nicht passieren. Als kleinen Ersatz hier mein Porträt dieser grandiosen Künstlerin, die wir hoffentlich nach überstandener Pandemie mit einem Ersatzkonzert begrüßen dürfen. Alles Gute nach Italien, Awa! Und bitte schaut mal auf der Seite des Tollhauses vorbei, das eine Fülle an Streams und Podcasts während dieser schwierigen Wochen anbietet. Auch Awa Ly sendet uns hier ihre musikalischen Grüße.

„Dass man im Jahre 2020 darum noch kämpfen muss! Dafür habe ich keine Worte.“ Mehrmals sagt Awa Ly das während unseres Interviews. Die Senegalesin mit Wohnsitz Italien ist eine Anwältin für die Menschlichkeit, und das probate Mittel für ihren Kampf ist Musik, denn damit, so ihre Überzeugung, könne man eben am direktesten die Herzen erreichen. Nachdem sie auf ihrem Debüt Five And A Feather, das sie 2017 im Jazzhaus und auf dem Stimmen-Festival vorstellte, noch eher akustisch unterwegs war, hat sich ihr Sound mit dem Produzenten Polérik Rouvière jetzt merklich verändert. „Schon als ich die ersten Lieder schrieb, fühlte ich eine hypnotische, berauschende Rhythmik in mir“, erklärt sie. „Eine Rhythmik, die mich an die Erde erinnert, fast tribal ist, aber nicht nur im afrikanischen Sinne. Denn der Rhythmus spielte ja seit der grauen Vorzeit in der Menschheitsgeschichte immer eine Rolle, wenn man sich in einen anderen Zustand, eine Trance versetzen wollte.“

Tatsächlich sind die Songs auf Safe & Sound geprägt von Call and Response-Chören, von jeder Art von perkussiver Gestaltung bis hin zu Klatschen und Trommeln auf der Wasseroberfläche, aber auch dem dezenten Gebrauch von Elektronik. Den Gegenpol stellt ein Streichquartett dar, das in einigen Songs für eine europäische Akzentuierung sorgt. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Gleichgewicht, das wir da gefunden haben“, sagt Awa Ly, für die die Arbeit mit klassischen Streichern ein Premiere war, bei der sie viel gelernt habe.
Awa Ly sieht sich als eine moderne Schamanin, die ihrem Publikum mit jedem Song eine kleine Frage mit auf den Weg gibt, Fragen nach dem Platz des Einzelnen in seiner Umgebung, in der Natur, ja, im Universum. „Es ist eine Einladung zur Innenschau, dafür, dass du dich selbst kennenlernen kannst. Erst einmal für seine Seele zu sorgen hat nichts mit Egoismus zu tun, erst wenn du dich selbst kennst, kannst du Neugier für die anderen entwickeln.“ Diese Innenschau fehlt heute, so sagt sie.

Ein schönes Sinnbild dafür ist das Video zu ihrer Single „Close Your Eyes“. Lange Reihen von Menschen stehen da in einer Lagerhalle, sie starren auf ihre Smartphones, aber ihre Augen sind verbunden. „Das Smartphone ist nur ein Symbol für alle Bildschirme, Radios, Zeitungen, aus denen gefilterte Infos auf uns einströmen, die wir für bare Münze nehmen. Es ist wichtig, dass wir uns selbst befragen, was davon uns guttut. Der feine Unterschied zwischen anschauen und hinschauen.“ Vorbild ist für sie etwa die sudanesische Freiheitsaktivistin Alaa Sanah, die durch flammende Reden die Bevölkerung für ihre Selbstbestimmung wachrüttelte, und die sie im Clip zu „Close Your Eyes“ verkörpert. Vorbild ist aber auch eine ungenannte spirituelle Leitfigur, der sie den Song „Mesmerizing“ gewidmet hat, weil sie sie durch die Entwicklung des Albums begleitet hat. „Mir geht es nicht um feministische Appelle“, stellt Awa Ly klar, „ich kämpfe für die Menschlichkeit an sich. Aber natürlich bin eine Frau, fühle als Frau, und ich fühle, dass ich das Recht habe, alles zu tun. Bedauerlicherweise gilt das ja noch lange nicht für alle Frauen.“

Dass Awa Ly ihre neue CD Safe & Sound genannt hat, war eine Art Eingebung, wie sie sagt. Nach den Aufnahmen stand ihr diese Zeile förmlich vor Augen. Ihre Musik begreift sie als Schutzraum, eine Sicherheitszone, in die man eintauchen kann, wenigsten für die Zeit des Hörens. Für Ly, die sich als Senegalesin mit Lebenszentrum Europa für die Geflüchteten engagiert, ist es unbegreiflich, dass über das Ob und Wie der Rettung von Menschen aus dem Mittelmeer debattiert werden muss. „Ich habe das Privileg, dass ich nicht aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Problemen heraus fliehen musste. Daher habe ich die Verpflichtung, denen Halt zu geben, die dieses Glück nicht haben.“

© Stefan Franzen

Awa Ly: „Mesmerizing“
Quelle: youtube

Saint Quarantine #5: Eurasisches Reisetagebuch

Heute Abend hätten in der Reihe „Akustik in Agathen“ in Schopfheim-Fahrnau Claire Antonini, Expertin für Alte Musik und Theorbenspielerin und der Bassist Renaud Garcia-Fons mit ihrer Musik die akustisch exzellente Kapelle St. Agathen gefüllt. Wie so viele Konzerte derzeit muss auch dieses ausfallen. Anja Lohse und Bernhard Wehrle, seit 2002 die beiden rührigen Organisatoren der Weltmusik- und Folk-Reihe im Wiesental, freuen sich aber auf einen späteren Ersatztermin. Wenn ihr euch für diese Konzertreihe interessiert, die über das Dreiländereck hinaus kulturell bereichert, schreibt den beiden über akustik-in-agathen@posteo.de.

Um für den vorläufig ausgefallenen Live-Hörgenuss zu entschädigen, Musik aus der aktuellen CD von Antonini und Garcia-Fons, die ich schon 2019 auf meiner Bestenliste hatte: Die neunzehn Miniaturen des feinen Werkes Farangi – Du Baroque À L’Orient (e-motive/Galileo) gleichen einer fantasiereichen, mit Arabesken versehenen und barock ausziselierten eurasischen Reise und sie umspannen Jahrhunderte. Die beiden Musiker weiten die Klangfarben ihrer Instrumente tief hinein in den Iran, nach Kurdistan oder Syrien, sie können aber auch – etwa in einer reizenden Chaconne – ganz höfisch klingen. Ausgesucht habe ich das träumerische „Le Sommeil de Majnún“.

Claire Antonini & Renaud Garcia-Fons: „Le Sommeil De Majnún“
Quelle: youtube

Saint Quarantine #3: Jazziger Seitenpfad


Auch das soll derzeit auf diesem Blog stattfinden: Porträts von internationalen Künstler*innen, die aufgrund der Corona-Krise in unserer Region ihr neues Album nicht vorstellen können. Ayo hätte heute Abend im Kulturhaus Les Tanzmattten im elsässischen Séléstat auftreten sollen. Mit Royal (3ème Bureau/Wagram/Indigo) hat die Deutsch-Nigerianerin den Sprung weg vom lauwarmen Folksoul hin zu deutlich jazzigeren Tönen geschafft.

Eigentlich ist sie eine waschechte Kölnerin, denn in der Domstadt wurde sie als Joy Olasunmibo Ogunmakin geboren. Ihre Wurzeln und ihre Antennen allerdings sind vielfach: Der nigerianische Vater war zum Studieren nach Deutschland gekommen, wo er ihre rumänische Roma-Mutter kennen lernte. Als Kleinkind lebt Ayo (Yoruba für „Freude“) eine Zeit lang bei der Oma in Nigeria, doch der Daddy holt sie bald wieder zurück. Einfach ist das Leben in Deutschland allerdings nicht: Ihre Mutter bekommt Drogenprobleme und sie wächst mit ihren beiden Brüdern beim Papa auf. Da er sich nebenbei auch als DJ betätigt, bekommt die Tochter mit Sounds von Fela Kuti bis Pink Floyd eine denkbar breite Grundlage. Die Musik wird auch aktiv ihre Zuflucht: Zunächst versucht sie sich auf der Geige, dann als Teenager am Piano und schließlich entdeckt sie die Gitarre. Anfang 20 startet sie ein Nomadenleben: Zunächst geht es nach London, wenig später pendelt sie zwischen Paris und New York.

Die Metropolen werden für die Deutsch-Nigerianerin mit dem Hang zum Weltbürgertum beide wichtig für die Karriere: Im Big Apple schälen sich bei Aufnahmesessions ihre Songs zur Reife heraus, an der Seine jedoch hat sie die ersten Erfolge. Eines Tages landet sie im Vorprogramm des Brit Soul-Stars Omar, und 2006 wird ihr Album Joyful von Frankreich ausgehend zum großen Erfolg. Ein zeitloser Sound mit etwas klassischem Soulflair im Geiste ihrer Idole Stevie Wonder und Donnie Hathaway und mit viel Reggae-Verschnitt trägt die akustischen Songs. Mit den Nachfolgealben erweitert sie die Stilpalette, wird rockiger. Der Songzyklus Ticket To The World geht weg von persönlichen Befindlichkeiten und hinein in die weite Welt: Ayo singt über die soziale Not der Jugendlichen, greift in den HipHop hinein, bleibt mit einer Coverversion von Bobby Hebbs „Sunny“ zugleich aber der Sonne und dem Soul verpflichtet. Und mit „Paname“, dem Hit aus ihrem fünften, selbstbetitelten Werk huldigt sie ihrer zeitweiligen Wahlheimat Paris.

Jetzt ist ihr sechstes Werk Royal erschienen, das einen merklich anderen Dreh hat. Den ursprünglichen Plan, ein Coveralbum eigener Songs aufzunehmen, gab die Sängerin kurz vor Session-Start auf: „Ich hatte das Gefühl, dass ich mehr zu geben hatte als nur alte Songs. Darin sah ich keinen Sinn, auch wenn ich meine ersten Alben liebe“, sagt sie. Was sofort auffällt beim erstmaligen Hören von Royal, ist die jazzige Einbettung, die die Handschrift von Produzent Freddy Koella, einem Mitmusiker von Bob Dylan und Willy DeVille trägt: Schon der Opener „Rest Assured“ lebt vom sehr durchlässigen Arrangement mit fast schüchternen Pianophrasen, mit verschlankten Drums und Handperkussion sowie verhaltenem Bass, eine abgedämpfte Akustikgitarre geriert sich mal wie ein Daumenklavier, mal wie eine Ukulele.

Dieser Spur folgt sie fast im gesamten Dutzend der Lieder, nur in “Fix It Up“ kehrt Ayo zur simpel behauenen Lagerfeuer-Stimmung früher Produktionen zurück. Der Walzer „Fool’s Gold“ aus dem Repertoire von Lhasa de Sela federt mit tänzelndem Besen übers Parkett, Maxime Le Forestiers „Né Quelque Part“ legt sich das Gewand eines intimen Reggae mit impressionistischen Klavier-Arpeggien an. Und „Throw It Away“ hat sie sich mit leichtem Latin-Einschlag von der Diva Abbey Lincoln mit melancholisch-nokturnem Ton angeeignet. Zu den glitzernden Pianotropfen in „Ocean“ gesellt sich ein hauchendes Akkordeon, „Just Like I Can’t“ baut über schwebender Sechserrhythmik mit ganz wenigen Mitteln grandiose Souldramatik auf.

Diese in sich gekehrte Atmo gibt ihr die Möglichkeit die stilleren Facetten ihrer Stimme auszuleuchten, und das lässt sie reifer tönen. „Ich wollte die physische Freiheit besitzen, nicht beim Singen zu spielen. Denn die Stimme selbst ist ja auch ein Instrument“, begründet Ayo den Verzicht auf die Schlaggitarre. Es ist wohltuend, dass die mittlerweile 39-Jährige diesen Pfad jazziger Ruhe gewählt hat. Daher wirkt Royal wie ein nahezu spartanisches, aber edles Wohnzimmerkonzert – und an solche müssen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten ohnehin gewöhnen.

© Stefan Franzen

Ayo: „Beautiful“
Quelle: youtube