Die Sounds der grünen Lunge

Diverse
Jambú E Os Míticos Sons Da Amazônia
(Analog Africa/Groove Attack)

Vor nahezu fünf Jahren habe ich diesen Blog als musikalische Plattform ins Leben gerufen und bislang ganz bewusst so weit als möglich politische Anliegen aus diesen Seiten herausgehalten. Das ändert sich jetzt. Es gibt zu viele – im wahrsten Sinne des Wortes – brennende Probleme auf dem Planeten, zu viel Dummheit und Skrupellosigkeit in höchsten politischen Etagen, zu viel latenten und offenen Rückfall in rassistisches Denken, zu viel Schändung der Schöpfung. Ich werde ab jetzt meine musikalischen Artikel, wenn es mir angebracht scheint, explizit mit politischen Links verknüpfen.

Wenn dieser Tage eine Kompilation mit Musik aus dem Amazonas erscheint, muss man mit blutendem Herzen an die Tausende von Bränden im Regenwald denken, die nicht nur, aber auch die Folge des Handelns eines Rassisten, Sexisten und Umweltvernichter an der Spitze des brasilianischen Staates sind. Der Druck auf diesen Machthaber ohne jegliche Moral kann nur über Geld funktionieren, und ich hoffe, dass die G7 ihn dadurch in die Knie zwingen werden – auch wenn es bei den Industriestaaten zuhause natürlich alles anderes als vorbildhaft aussieht.

Mit Jambú E Os Míticos Sons Da Amazônia taucht das Label Analog Africa, spezialisiert auf Vintage-Vinyl der 1960er  bis 80er in eine neue Welt ein. Plattensammler Samy Ben Rejeb kam durch den australischen DJ Carlos Xavier auf die Spur der Popmusik im amazonischen Belém, Hauptstadt des Bundesstaates Pará. In der vierhundertjährigen Geschichte der Kautschukmetropole verschmolzen die Traditionen der Indigenen mit der der Afrikaner und Portugiesen. Ab den 1940ern spielte das Radio eine große Rolle dabei, dass Beléms Klänge bereichert wurden durch Musik aus Kolumbien, Surinam, Guyana, Kuba und Peru. Die Plattenindustrie, die in den 1970ern in der Stadt ins Rollen kam, machte die amazonischen Sounds massentauglich.

Ein Gewirr von Stilen entstand: Der Carimbó, über den bis heute debattiert wird, ob er aus indigenen oder afrikanischen Quellen entsprang,  der Siriá, geformt aus den Traditionen entflohener Sklaven mit Zutaten von Mambo und Merengue, die E-Gitarren-zentrierte Guitarrada, schließlich die Hit-Genres Lambada und Brega. Ein zündendes Gemisch aus schlurfender Perkussion, feuchter Blechblassektion, wimmernden Orgeln und Chören, die sich auch aus den afro-brasilianischen Religionen speisen.

Rejeb versammelt hier 19 patinagetränkte Aufnahmen von Musikern, die er in den letzten Jahren teils auch zum Interview treffen konnte (Auszüge aus den Gesprächen sind im Booklet abgedruckt). Legenden wie Mestre Cupijó, Pinduca, Verequete und Janjão lernen wir kennen, trinkselige und rituell gefärbte Miniaturen, die mal zum Tanzen animieren, mal zum melancholischen Nachhorchen in die grüne Lunge – eine Lunge, die gerade mit Tausenden von Feuern vergiftet wird, allein im letzten Jahr einer halben Milliarde ihrer Bäume beraubt und auf der eine Fläche von 500.000 Fußballfeldern einplaniert wurde.

Hier geht es zu zwei Petitionen – eine will Druck auf den brasilianischen Kongress machen, die andere auf den Gemeinderat meiner Heimatstadt Freiburg. Begreift man die Erde als ein großes Öko-System, ist jeder Baum wichtig, und auch in der „Green City“ Freiburg sollen 190 Bäume geopfert werden, zugunsten eines Parkplatzes für ein Heilbad.

https://secure.avaaz.org/campaign/de/amazon_apocalypse_loc/

https://www.change.org/p/freiburger-stadtbau-verbund-gesch%C3%A4ftsf%C3%BChrung-magdalena-szasblewska-und-ralf-klausmann-kein-kahlschlag-am-eugen-keidel-bad-b%C3%A4umem%C3%BCssenbleiben

Stefan Franzen

Mestre Cupijó E Seu Ritmo: „Despedida“
Quelle: youtube