Aufbruch aus dem Korsett

Carminho
Maria
(Warner)

Mit drei in rascher Folge erschienenen Alben hat sich Portugals Shootingstar einen festen Platz in der jungen Fadoszene gesichert, bevor sie sich 2016 auch mit Jobim-Interpretationen auf Brasilianisches eingelassen hat. Die Rückkehr zum Fado auf Album Nummer fünf geschieht nun unter veränderten Vorzeichen. Carminho präsentiert auf „Maria“ (Warner) etliche Eigenkompositionen, die dem klassischen Klang des Genres eigene Feinheiten hinzufügen. Wie sie es auch gerne in Liveshows handhabt, interpretiert sie einen Fado a cappella – ein grandioser Streich, mit dem sie die souveräne Expressivität ihrer Stimme gleich zum Auftakt untermauert. In der Folge wechseln „konservative“ Fado-Besetzung im Quartett mit einer freien Sprache ab, die das strenge harmonische Korsett des portugiesischen Nationalgenres verlässt.

„O Menino E A Cidade“ ist so ein Highlight, auf dem die guitarra portuguesa durch eine Schicksalsballade für einen Stadtjungen leitet. In „As Rosas“ lässt sie sich im fast romantisch-liedhaften Sinn nur vom Piano begleiten. Am weitesten von der Schwerkraft des Fados entfernt sich Carminho in „Estrela“, wenn sie erstmals in ihrem Repertoire überhaupt zur E-Gitarre greift und eine nackte Indierock-Ballade in ihrer ureigenen Machart erschafft. „Pop Fado“ transferiert die fröhlichen und tänzerischen Farben des Fadorepertoires auf eine genauso elektrifizierte Besetzung. Und eine grandiose Dramaturgie wohnt in „ A Mulher Vento“, ein Reverenz an die weibliche Stimme als Naturkraft. Carminhos Weg von der Fadista zur Songwriterin erzeugt kein Entweder-Oder, vielmehr bringt sie beide Facetten erstmalig überzeugend unter ein Dach.

Carminho: „A Mulher Vento“
Quelle: youtube

Klarinetten in der Kirche

Great Lake Swimmers
The Waves, The Wake
(Nettwerk)

Unter Kanadas Indierock-Bands sind sie die meditativsten. Seit 15 Jahren suchen die Great Lake Swimmers um Sänger Tony Dekker ungewöhnliche Orte auf, um ihre von Naturbildern geprägten Songs einzuspielen. Auch auf ihrem siebten Werk The Waves, The Wake, das Dekker und Co in einer alten Kirche in London, Ontario aufnahmen, bleibt die Klangphilosophie introspektiv. Feinfühlig bauen sie die transparenten Texturen in Hall-verliebten Arrangements auf, zur fragilen Kopfstimme und dem Falsett-Satzgesang gesellen sich ungewöhnliche Instrumente.

Im lyrischen Opener „The Talking Wind“ ist das ein ganzes Klarinettenensemble, in „Falling Apart“ umwinden sich Piano und Harfe. Celli treten im trabenden „Root Systems“ mit den Vocals in Dialog, „Holding Nothing Back“ schichtet ein Gespinst aus Marimba- und Vibraphonen. Am Ende wächst in „The Open Sea“ eine gewaltige Ton-Kathedrale in den Himmel. Großartige Klanglandschaften von den kanadischen Brüdern der amerikanischen Fleet Foxes.

live: Swamp Freiburg, 15.12.

Great Lake Swimmers: „The Talking Wind“
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Dänisch-schwedische Folk-Noblesse

Dreamers‘ Circus
Rooftop Sessions
(Vertical/Galileo)

Die Musik des dänisch-schwedischen Trios Dreamers‘ Circus ist so zum Niederknien schön, dass man sich fast schämt, dürre Worte dafür finden zu müssen: Geiger Rune Tonsgaard Sørensen kennt man vom Danish String Quartet, hier hat er sich mit dem Zupfinstrumentalist Ale Carr und Tastenmann Nikolaj Busk zusammengeschlossen. Dieses dritte Werk hat das Zeug zum Kammer-Album des Jahres: Die drei verweben in stets ausgefeilten Arrangements ihre skandinavischen Wurzeln, mal still, mal tänzerisch, mit dem spirituellen Ton eines Arvo Pärt und leichten Americana-Verwehungen. Cittern, Violine, Harmonium, Spinnett und Synths ordnen sich zu feinsinniger, melodieseliger Folk-Noblesse.

Die Reihe „Møn Sessions“ stellt bereits im zweiten Jahrgang herausragende Folkkünstler Skandiaviens in Unplugged-Settings vor, dazu gibt es schöne Aufnahmen von der Inselwelt in der Ostsee durch die Jahreszeiten hindurch.

Dreamers‘ Circus: „City Gardens“
Quelle: youtube

Schätze von der Schwarzmeerküste

Das Schwarzmeer ist von alters her ein Schmelztiegel der Kulturen, ein faszinierendes Flechtwerk von Tönen, das bei uns unbekannt ist. Mit ihrem Quintett führt uns die junge Jazz-Sängerin Ayça Miraç in diese Welt und verbindet sie mit dem Hier und Jetzt: Auf ihrem berührenden Debüt Lazjazz (Jazzhaus Records/in-akustik) spannt sie eine einzigartige Klangbrücke zwischen den Jahrhunderten – von den Kulturen der Lasen und Megrelier hinüber zum Bosporus und weiter zu Bill Evans.

Ganz selten geschieht es, dass nach wenigen Takten schon ein so starker Bann für die Ohren entsteht: „E Asiye“ heißt das Eröffnungsstück der Debüt-CD von Ayça Miraç, das uns eine fremdartig geheimnisvolle Melodie schenkt. Sie rührt an tiefere Schichten der Musikgeschichte, wärmt die Seele wie ein vertrautes Gefühl, das uns seit langem abhandengekommen war und nun unverhofft zurückkehrt. Diese Melodie stammt aus dem Kulturschatz der Lasen. Ihn zu bewahren ist zentrales Anliegen der Sängerin.

Ayça, die in Gelsenkirchen aufgewachsen ist, schöpft aus einem reichen Fundus an kulturellen Quellen. Schon ihr Großvater begeisterte sich für klassische türkische Musik und während der regelmäßigen Aufenthalte in Istanbul hört die Enkelin diese Klänge. Hier hat sie ihren Zweitwohnsitz. Ayças Vater ist der bekannte Poet und Schriftsteller Yasar Miraç. Er übt durch seine modalen Klavier-Improvisationen über türkische Melodien schon früh Einfluss auf die musikalische Imaginationskraft der Tochter aus. Viele seiner Gedichte werden vertont, unter anderem von der immens populären Folkgruppe Yeni Türkü.

Die zweite große Klangquelle für Ayça ist das Volk der Lasen – eine Minderheit, die an der östlichen, immer grünen Schwarzmeerküste sowohl auf türkischem, wie auf georgischem Gebiet beheimatet ist. Ayças lasische Mutter ist Gründungsmitglied von Lazebura e.V., dem Verein, der sich zum Erhalt der von der UNESCO als bedroht eingestuften Sprache einsetzt. Ayça besucht lasische Feste und Konzerte, lotet die Vielfalt der Musik dieses Volkes aus. Es war als Minorität im Laufe seiner Geschichte permanenter Unterdrückung ausgesetzt. Sie bemüht sich, das klangvolle Idiom der Schwarzmeer-„Ureinwohner“ zu erlernen. Und sie genießt während ihrer Aufenthalte in der Region diese klangvolle Sprache, die sich durch ihre Lautmalerei wunderbar zur musikalischen Einbettung eignet.

Für Ayça steht nach ihrer Schulzeit fest, dass sie ihre große Gesangsleidenschaft zum Lebensinhalt machen möchte. Das Jazzstudium am holländischen ArtEZ Conservatorium steht auf einem breiten Sockel, bezieht auch Bossa Nova und klassische Lieder mit ein, etwa von Schubert oder Debussy. Hoch motiviert färbt Ayça Miraç ihr Repertoire auch zunehmend mit lasischen und türkischen Farben.

In mehreren Schritten kristallisiert sich ihre mutige Vision heraus: das Vokabular des Jazz mit dem Schatz der Schwarzmeerküste in einer modernen Klangsprache zu verknüpfen. Diese Vision benennt sie mit einem genauso griffigen wie schlüssigen Attribut: „Lazjazz“. Beistand bekommt sie von Wayne Shorter persönlich: „Erforsche die Barrieren deines Verstandes und hab‘ keine Angst vor deinem eigenen Potenzial“, gibt er ihr bei einer intensiven Begegnung mit auf den Weg.

Wesentlich für die Umsetzung ist Bassist Philipp Grußendorf, den sie bereits während ihrer holländischen Jahre kennenlernt. Zusammen tasten sich die beiden auf diesem neuen Parkett vor, entwerfen erste Arrangements. Grußendorf bringt einen Bekannten, den brasilianischen Pianisten Henrique Gomide in die entstehende Band mit, und in Markus Rieck findet Ayça Miraç einen feinfühligen Schlagzeuger, der dem Klang ihrer Stimme respektvoll entgegenkommt. Schließlich verleiht das Violinspiel von Daphne Oltheten der Textur eine obertonreiche Färbung. Neun faszinierende Songs sind das Resultat dieses gelungenen Wagnisses: Die einzigartige Tonsprache aus Nahost-Roots, US-Jazz und ein wenig Latin-Flair bündeln die fünf Musiker zu einer elektrisierenden Dramaturgie mit Ayça Miraçs klaren Stimme stets im Zentrum.

Ayça Miraç: „E Aisye“
Quelle: youtube

Gleich im Opener „E Asiye“ zeigt sich, wie die Sängerin es versteht, eine alte lasische Melodie symbiotisch in einen Jazzkontext einzufügen. Subtil fängt sie in den Quartparallelen zwischen Stimme und Geige die traditionelle Zweistimmigkeit ein – diese alte Polyphonie ist heute noch bei denjenigen Lasen lebendig, die an der georgischen Grenze wohnen. Ebenfalls in einem lasischen Dialekt steht „Avlaskani Cuneli“ aus dem Repertoire des früh verstorbenen Sängers Kazım Koyuncu. Im vorwärtstreibenden Fünfertakt mündet Folkloristisch-Tänzerisches in eine Pianoimprovisation Gomides.

Beide lasischen Lieder sind ein Schaukasten für die sanfte und doch so souveräne Empfindsamkeit der Stimme Ayças. Ein Ausflug zu den Megreliern, den nördlichen Nachbarn der Lasen beglückt in „Va Giorko Ma“: Vocals, gestrichener Bass und Geige erzeugen mit pointierten Pianotupfern eine hymnische, fast archaische Feierlichkeit. Doch die mit dem Lasischen verwandte Sprache besteht auch im modernen Kontext, wenn in „Veengara“ Parallelen an Popballaden aufblitzen.

Zweifach begibt sich Ayça Miraç in den türkischen Kulturraum: „Trabzon Sarkısı“, ihre lyrische und leichtfüßige Widmung an die sagenhafte Schwarzmeermetropole ist eine Eigenkomposition, mit der sie ein Gedicht ihres Vaters in impressionistische Stimmungen kleidet. Die Geige lehnt sich in ihren Parallelgängen hier an den Kreistanz Horon an, der traditionell in der Schwarzmeerregion durch die Kemençe begleitet wird. Mit der urbanen Ballade „Üsküdar’a Giderken“ hätte sich so manche Sängerin aufs Glatteis begeben können: Die getragene Liebeserklärung an den Istanbuler Stadtteil existiert im ganzen Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches in unzähligen Varianten. Mit seiner Version umschifft das Quintett die Klippen der Klischees, indem es den Evergreen clever mit Fragmenten eines sephardischen Liedes kontrastiert und ein quirligeres Tempo wählt. Das zweite Stück aus Ayça Miraç’ Feder ist „Dream Of Ilham“, eine träumerische, sanftmütige Hommage an ihren Kater Ilham. Sein arabischer Name („Inspiration“) scheint hier alles andere als Zufall.

Schließlich geht die Reise hinüber nach Amerika: Mit „Turn Out The Stars“ greift Ayça ein intensives Stück ihres Lieblingspianisten Bill Evans auf, verlangsamt zu einer intensiven Ballade, die sie auch als stilsichere und gefühlvolle Standard-Interpretin zeigt. Die CD endet auf brasilianischem Boden: Das bewegende „Menina Da Lua“ von Renato Motha, ist ein Trost spendendes Lied. Philipp Grußendorf brachte den sanften Closing Track von seinen brasilianischen Erkundungen in Südamerika mit. Der Titel vom Mondmädchen verweist zudem auf Ayça selbst. Auch ihr Name bedeutet „leuchtend wie der Mond“.

Ayça Miraçs Lazjazz fügt den kreativen Dialogen zwischen europäischem Jazz und dem Schatz traditioneller Klänge des Ostens ein spannendes Kapitel hinzu. Und ihre Stimme strahlt als helles Gestirn, das am Vokalhimmel gerade erst aufgeht.

© Stefan Franzen

live: 26.9. Köln, Urania Theater / 2.10. Gelsenkirchen, Die Flora

Ayça Miraç: „Avlaskani Cuneli“
Quelle: youtube

 

Pizzicato-Dramolette

Punch Brothers
All Ashore
(Nonesuch/Warner)

Von Produzenten, und der letzte war immerhin T-Bone Burnett, haben sich die fünf Amerikaner auf ihrem sechsten Album losgesagt. Doch auch in Eigenregie setzen die „Brüder“ ihren sehr elaborierten Kammer-Country fort: Noch delikater sind die Satzgesänge, noch verinnerlichter Chris Thiles Leadvocals. Grandios groovy, aber auch intellektuell wie nie das Teamplay zwischen den gezupften und gestrichenen Strings, mit der aberwitzig virtuosen Mandoline im Fokus. Die herkömmlichste Songstruktur hat noch der swingende „Jumbo“, voll ätzenden Spotts über einen White & Male-Profiteur. Nicht nur das siebenminütige Titelstück birgt eine kleine Suite für sich: „The Angel Of Doubt“ ist Pizzicato-Dramolett, akustischer HipHop und verzerrter Folkwalzer zugleich. Diese Tempi- und Taktwechsel!

„Jungle Bird“ klingt zunächst als würde es jede Tanzscheune zwischen den blauen Bergen und Oklahoma in Brand setzen, zerbröselt dann aber in purer Lust an der Dekonstruktion. Als Konzeptwerk kann man das Werk auch sehen: Thile ließ verlauten, es gehe in den Texten um die Isolation und Zerstreuung in der digitalen Ära, und um das, was an Verbindlichkeiten und Beziehungen im politischen Klima der Staaten gerade noch übrigbleibt. Philosophisch sind die Punch Brothers da durchaus ihren Popkollegen von den Fleet Foxes verwandt. Ist das noch Bluegrass, noch Americana? Diese Scheibe aktiviert phasenweise eher Hirnregionen, wie sie etwa beim Hören eines spätromantischen Streichquintetts angesprochen werden.

© Stefan Franzen

Punch Brothers: „Like It’s Going Out Of Style“
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Songbird aus den Yorkshire-Mooren

Olivia Chaney
Shelter
(Nonesuch/Warner)

Die in Florenz geborene Britin kennt man schon als Sängerin von Offa Rex oder als Sidewoman vom Folk Songs-Album des Kronos Quartets. Nach dem Genuss ihrer zweiten, in den Mooren von Yorkshire geschriebenen Scheibe stellt man endgültig fest: Das UK schenkt uns eine große Stimme, wie sie viele Jahre aus dem Inselreich nicht kam. Chaneys Mezzosopran trägt weit und kraftvoll, sie phrasiert mit der Souveränität einer großen Bardin, übersteigt Grenzen zwischen schlichtem Folksong („Arches“), großer Popballade („Dragonfly“, „I O U“) und Klassik: Ganz herausragend ist ihre Adaption von Henry Purcells „O Solitude“.

In der Tat ist diese Stimme ist so stark, dass die Gebetsmühlen-Vergleiche mit Kate Bush auf der einen und Sandy Denny auf der anderen tunlichst verstummen sollten. Thomas Bartlett (The Gloaming, The National, Sufjan Stevens) schafft viel Raum und viel Atem in den sparsamen Arrangements mit Klavier, Akustikgitarre, Mellotron und Geige. Der Liederzyklus sei getragen vom Gefühl des Schutzfindens, des Aufgehobenseins, der Zugehörigkeit, sagt Chaney. Tatsächlich fühlt man diese Wärme in vielen Songs von Shelter ganz zentral.

© Stefan Franzen

Olivia Chaney: „Shelter“
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Neues von Malis Friedensbotschafterin

Fatoumata Diawara
Fenfo
(Wagram/Montuno/Indigo)

Sieben Jahre sind seit ihrem Debütalbum vergangen, und sieben Jahre sind eine lange Zeit, auch im vielleicht etwas langsamer mahlenden Weltmusik-Business. Doch man darf nicht vergessen, dass Fatoumata Diawara sich nicht ausschließlich als Sängerin sieht. Schon ihrem Debüt Fatou, für das sie als die neue Oumou Sangaré gefeiert wurde, ging eine Schauspielkarriere voraus, und die füllte auch einen Gutteil des Raums zwischen den beiden Alben: Im erschütternden Timbuktu des Mauretaniers Abderrahmane Sissako spielte sie eine Musikerin, die für ihren Beruf vom IS gesteinigt wurde, und in der Dokumentation Mali Blues erzählte sie ihre bittere Geschichte von Flucht vor Zwangsheirat und Beschneidung. Und ganz nebenbei war sie Studio- und Bühnenpartnerin von Herbie Hancock, dem kubanischen Pianisten Roberto Fonseca und Bobby Womack, setzte sich mit einem eigens komponierten Song für Einheit und Frieden im jüngst gebeutelten Mali ein.

Auch das Nachfolgewerk Fenfo kündet von ihrer entschlossenen Haltung. Übersetzt aus dem Bambara heißt der Titel: „etwas zu sagen“, die Themen drehen sich um Migration, Sehnsucht nach Liebe und die Erhaltung der Erde. Ein wenig tanzbarer („Nterini“, „Kanou Dan Yen“), auch  rockig-funkiger („Kokoro“, „Negue Negue“, „Bonya“) ist ihr Afro-Folk geworden, das liegt an einem afropäischen Team, das um klingenden Ausgleich zwischen den Kontinenten bemüht war und diese Balance auch ganz gut hingekriegt hat. Federführend ist der Franzose -M- (Mathieu Chedid) am Pult und an der Gitarre, für die afrikanischeren Farben ist Sidiki Diabaté an der Kora da, und die lyrischen Passagen werden durch den Mali-erprobten Cellisten Vincent Ségal („Don Do“) gezaubert. In der Mitte siedelt Diawaras Stimme, die für die stolzen, pentatonischen Melodien ein wunderbares Transportmittel ist – und die sich ihrer Gebrochenheit nicht schämt, keine vokale Brillanz erzeugen möchte, sondern vor allem einen kraftgeladenen, aufrichtigen Ausdruck. Und das geht ganz ohne Auto-Tune.

© Stefan Franzen
live:  26.5. Hannover, Masala Festival, 30.5. Würzburg, Africa Festival, 28.6. Fort Kléber, Wolfisheim/F, 8.7. Rudolstadt Festival

Fatoumata Diawara: Nterini“
Quelle: youtube



Ivorische Integrität

Dobet Gnahoré
Miziki
(LA Café/Media Nocte/Indigo)

Afrikas Popmusik scheint derzeit in zwei große Lager zu zerfallen: Da tummeln sich immer noch die großen Stars der 1980er und 1990er, die auf Festivals hierzulande vom gealterten Weltmusikpublikum gefeiert werden. Auf der anderen Seite gibt es die von Electronica aller Art geprägte, globalisierte Urban Africa-Sparte, begeistert gefeiert in den Metropolen des Kontinents, hier aber kaum jemandem zu vermitteln. Und dazwischen? Vielleicht ist Dobet Gnahoré eine der wenigen, die einen Brückenschlag zwischen den beiden Polen zumindest ansatzweise versuchen.  Mit ihrem fünften Album untermauert die Ivorerin, die im legendären Künstlerdorf Ki-Yi M’Bock aufgewachsen ist und fest in den Traditionen der Heimat steht, ihre Königinnenposition unter den westafrikanischen Sängerinnen.

Die zwölf Songs leben vor allem von einer grandiosen, souveränen Stimme, die, wie schon gleich im Opener „Djoli“, theatralische Qualitäten entfalten kann. Ganz wesentlich ist die Produktion vom feinfühligen Pultdirigat des Franzosen Nicolas Repac geprägt: Wie sich die „jodelnden“ Tonfolgen der Pygmäen, eine genauso swingende wie machtvolle Rhythmusgrundierung, wilde Flötentöne und die vokale Präsenz zu packenden Popsongs vereinen, kann in „Afrika“ und „Lobe“ abgelauscht werden. Im Titelstück ist eine Buschharfe als funkiger Taktgeber passgenau integriert, und als mitreißende Afrorock-Hymne präsentiert sich „Akissi La Rebelle“. „Detenon“ und „Love“ schlagen ruhigere Töne mit schönen Gesangssätzen und Balafon-Textur an. Und auch hier schwirrt wieder das kehlige Pygmäenjodeln herum, das überhaupt in vielen der Songs latent lauert und eine ganz wesentliche Klangfarbe von Miziki ist. Eine gelungene, trittsichere Gratwanderung zwischen dezenten Modernismen und traditionellem Selbstbewusstsein.

© Stefan Franzen

live: 2.6. Afrika Festival Würzburg, 23.06. Afrikanisches Kulturfestival Frankfurt, 30.6. Stattfest Freiburg, 5.7. Kulturfestival St. Gallen/CH

Dobet Gnahoré: Djoli (live)
Quelle: youtube

Neapel trifft Ipanema

Stefano Bollani
Que Bom
(Alobar/Galileo)

Die vielen kulturellen Anknüpfungspunkte zwischen Italien, Brasilien und auch dem weitergefassten Latin-Raum hat Stefano Bollani auf seinem neuen Werk mit Finesse ausgereizt. Zunächst erweitert der italienische Pianist sein Stammtrio um zwei Perkussionisten, was eine detaillierte, durch Brummtopf bis Bongo aufgefächerte Rhythmusarbeit ermöglicht. Und dann baut er, weit über bloßes Namedropping hinaus, prominente Köpfe aus Übersee ein. Der ohnehin italophile Caetano Veloso hat einen starken Auftritt, wenn er über den Nebel von Neapel singt, gestützt durch Jaques Morelenbaums zartes Cellopastell. Hamilton de Holanda lässt sein bauchiges Bandolim in einem Baião tanzen, und João Bosco kleidet mit dem Italiener seinen Samba „Nação“ in ein intimes Jazzgewand. Voll balladesker Leuchtkraft sind aber auch die Momente der Kernbesetzung, etwa die vor ruhigem Lebensglück schillernden Stücke „Cente Giornate Al Mare“ oder „Criatura Dourada“. Dieses Werk macht sommertrunken.

Stefano Bollani: „Galapagos“
Quelle: youtube

Kosmischer Jazzengel


Idris Ackamoor & The Pyramids
An Angel Fell
(Strut/K7/Indigo)

Eine Kultband des Cosmic Jazz hat sich nach 35 Jahren zur Neuauflage zusammengefunden: The Pyramids sind seit 2011 mit ihrem charismatischen Leader Idris Ackamoor wieder im Geschäft. Fürs neue Œuvre An Angel Fell haben sie mit dem dem Produzenten Malcolm Catto (Heliocentrics) und seinem spooky Sound einen kongenialen Partner gefunden. Es oszilliert zwischen federndem Afrobeat in Eingangssstück „Tinoge“, unheimlichem Dub in „Land Of Ra“ und epischen Latin-Jams wie in der zornigen „Souloquy For Michael Brown“.  Stets getragen wird das Geschehen von einem Leader, der sein Saxophon von zornigen Free-Ausbrüchen bis zu weichen Lyriklinien spreizt. Und im Dialog mit Sandra Poindexters Violine zaubert Ackamoor selten zu hörende Texturen – Anspieltipp dafür das launige „Papyrus“, das sich wie ungeschriebene Filmmusik zu einem orientalischen Science Fiction der 1930er anhört.

Idris Ackamoor & The Pyramids: „Message To The People“
Quelle: youtube