Pizzicato-Dramolette

Punch Brothers
All Ashore
(Nonesuch/Warner)

Von Produzenten, und der letzte war immerhin T-Bone Burnett, haben sich die fünf Amerikaner auf ihrem sechsten Album losgesagt. Doch auch in Eigenregie setzen die „Brüder“ ihren sehr elaborierten Kammer-Country fort: Noch delikater sind die Satzgesänge, noch verinnerlichter Chris Thiles Leadvocals. Grandios groovy, aber auch intellektuell wie nie das Teamplay zwischen den gezupften und gestrichenen Strings, mit der aberwitzig virtuosen Mandoline im Fokus. Die herkömmlichste Songstruktur hat noch der swingende „Jumbo“, voll ätzenden Spotts über einen White & Male-Profiteur. Nicht nur das siebenminütige Titelstück birgt eine kleine Suite für sich: „The Angel Of Doubt“ ist Pizzicato-Dramolett, akustischer HipHop und verzerrter Folkwalzer zugleich. Diese Tempi- und Taktwechsel!

„Jungle Bird“ klingt zunächst als würde es jede Tanzscheune zwischen den blauen Bergen und Oklahoma in Brand setzen, zerbröselt dann aber in purer Lust an der Dekonstruktion. Als Konzeptwerk kann man das Werk auch sehen: Thile ließ verlauten, es gehe in den Texten um die Isolation und Zerstreuung in der digitalen Ära, und um das, was an Verbindlichkeiten und Beziehungen im politischen Klima der Staaten gerade noch übrigbleibt. Philosophisch sind die Punch Brothers da durchaus ihren Popkollegen von den Fleet Foxes verwandt. Ist das noch Bluegrass, noch Americana? Diese Scheibe aktiviert phasenweise eher Hirnregionen, wie sie etwa beim Hören eines spätromantischen Streichquintetts angesprochen werden.

© Stefan Franzen

Punch Brothers: „Like It’s Going Out Of Style“
Quelle: youtube

Amerikas neue Folk-Charismatikerin

rhiannon giddens 1

Mit den Carolina Chocolate Drops hat sie pionierhaft die Geschichte der schwarzen Stringbands Amerikas aufgearbeitet, nun setzt sie auf Soloarbeit. Die Sängerin, Geigerin und Banjospielerin Rhiannon Giddens ist das neue Gesicht der amerikanischen Folkbewegung, sie vereint Qualitäten von Joan Baez, Odetta, Dolly Parton und Nina Simone, denen sie auf ihrem Debüt „Tomorrow Is My Turn“ (Nonesuch/Warmer) allen ein sehr lebendiges Denkmal setzt. Bevor sie im Sommer einige wenige Deutschlandkonzerte spielen wird, habe ich mit ihr gesprochen. Weiterlesen

Bluegrass auf dem Kopf

punch brothers - the phosphorescent bluesPunch Brothers
The Phosphorescent Blues
(Nonesuch/Warner)

Aus all dem Weird Folk- und Americana- und wie die tollen Termini sonst noch so heißen – Hype der letzten Jahre ragen immer wieder einsame Perlen heraus:  Das Quintett um Sänger und Mandolinist Chris Thile webt mit dem Vokabular der Country-Musik ausgefeilte Songs mit unerwarteten Tempowechseln und harmonischen Überraschungseffekten, einen hymnischen Akustikpop, der trotzdem immer kammermusikalisch bleibt. Grandios, wie sich in „Familiarity“, dem Opener dieses dritten Albums, die virtuose Mandoline zu einem ganzen Orchester aufzubauschen scheint, wie der Ticktock-Puls von „Julep“ sich unmerklich zu wisperndem Falsettgesang wandelt. In „My Oh My“ hallen die wunderbaren Melodien der alten Musik aus den Appalachen wider, und die Band swingt in kompakter Kehligkeit. Mit „I Blew It Off“ findet sich auch ein astreiner Charts-Songs im Aufgebot. Neu sind die Bezüge zur Klassik: Debussys „Passepied“ und ein „Prélude“ von Skrjabin glitzern völlig selbstverständlich im folkigen Gewand. Für das fein abgestimmte Klangbild sorgte Produzent T-Bone Burnett, der Grandseigneur unter allen Veredlern der US-Roots Music.

Punch Brothers: „Julep“
Quelle: youtube