Höhenflug und Trauerarbeit

Joy Denalane
Willpower
(Four Music/Sony)

Eltern in Tagen der Krankheit und des Abschieds zu begleiten, kann eine große Herausforderung sein – und gleichzeitig eine wunderbare Erfahrung. In Joy Denalanes Song „Happy“ gibt es die Zeile „I’m happy for the loss“, und sie spielt darauf an, wie nahe sie ihrem Vater in der Zeit vor seinem Tod kommen durfte. Willpower, ihr sechstes Studioalbum, ist alles andere als eine melancholische oder gar morbide Angelegenheit, es verpackt Trauerarbeit und Neuorientierung in musikalische Höhenflüge einer Fünfzigjährigen. Eine Zeit im Leben, die, wie der Titel schon sagt, die Besinnung auf starke Willenskraft in den Mittelpunkt stellen muss, damit neues Durchstarten gelingt.

Joy Denalanes Alben waren meistens schlüssige Gesamtkunstwerke, die einer bestimmten Phase der Soulgeschichte huldigten. So war das 2017 mit Gleisdreieck, ihrem Dialog mit zeitgenössischem R&B und Hip Hop, so war es mit dem Vorgänger Let Yourself Be Loved“, mit dem sie 2020 den Gang zum Soul-Olymp Motown vollzog. Dieses Album, residierend im Sechzigersound des Detroiter Labels, wurde durch die Pandemie allerdings hart ausgebremst.

Aus den Covid-Narben, dem Verlust ihres Vaters und zudem dem Auszug ihrer Kinder ist die Berlinerin gefestigt hervorgegangen. In Willpower weht die Brise neuer Freiheit. Da passt es, dass es musikalisch mit dem eingespielten Produzenten-Team um Roberto Di Gioia und Ehegatten Max Herre dieses Mal in die Soul-Ästhetik der 1970er hineingeht. Unüberhörbar im Fokus stehen der räumliche Philly-Sound und seine verwandten Strömungen aus Chicago und New York jener Zeit, und damit die hohe Balance-Kunst zwischen Verträumtheit, seelenvoller Grandezza und Schwüle. Ein reicher Fuhrpark clever eingesetzter Moogs, Fender Rhodes und Hammondorgeln sorgt für die Textur, fruchtige Riffs auf der Gitarre füllen auf, manchmal gibt es beschwörende Backgroundchöre, die das Tor zum Gospel öffnen. So etwa in dem schon angesprochenen „Happy“, in dem sie die Trauerrede dem Gast-Rapper Ghostface Killah überlässt, bevor sie dann mit strahlender Stimme die Erinnerung an ihren südafrikanischen Daddy predigt.

Joy Denalane feat. Ghostface Killah: „Happy“
Quelle: youtube

Andere Stücke residieren in erotischer Major Seven-Harmonik, etwa das zurückgelehnte „Hideaway“, ein Loblied des Refugiums der Zweisamkeit, oder ergehen sich in schwebender Glückseligkeit: „Fly By“ ist zugleich ein Schaukasten für die Entwicklung grandioser Phrasierungen über einem simplen Akkordwechsel. Spätestens mit „Far Cry“ ist man verblüfft über das abwechslungsreiche Relief, mit dem Denalane und Team eine Epoche neu zum Leben erwecken: Mit jazzig federndem Unterbau und einer flatternden Flöte wird hier nochmal einer ganz anderen spirituellen Seite des Soul gehuldigt, wie sie etwa ein Terry Callier vertrat. Verwandt damit „Soweto“, eine Reflektion über das leider brennend aktuelle Thema der Ausgrenzung von mixed raced people. Wenn Joy Denalane im Titelstück dann den beeindruckenden Antwortchor der Selbstermächtigung ganz allein gestaltet, ist klar: Sie bleibt hierzulande eine der wichtigsten und großartigsten Stimmen im Kampf für Diversität.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe vom 21.10.2023

Joy Denalane: „Fly By“
Quelle: youtube

Rio trifft Genf

Ein Brasil-Star und junge Wilde aus der Romandie: Am Sonntag im Zürcher Moods ein grandioses Wiedersehen mit Joyce Moreno nach unserem Hausbesuch in Rio 2005 – und eine Entdeckung mit dem honduranisch-schweizerischen Gitarristen Louis Matute und seinem Large Ensemble. Zu ihm Anfang 2024 mehr!

Louis Matute Large Ensemble: „Renaissance“ (live aus Duc des Lombards)
Quelle: youtube

Erfindungsgeist eines Giganten

Foto: Daniel Dittus

Caetano Veloso
Elbphilharmonie Hamburg
04.10.2023

Seit 55 Jahren hat er Brasiliens Pop ein Gesicht gegeben. Caetano Veloso, der größte lebende Musiker seines Landes, hat nun in der Elbphilharmonie Hamburg sein wohl letztes Deutschlandkonzert gegeben – mit immer noch beeindruckender Stimme und Schaffenskraft. Eine Besprechung zum 9.Geburtstag dieses Blogs.

Auf der endlosen Rolltreppe zum großen Saal der Elbphilharmonie posiert ein nicht mehr ganz so junger Gitarrist mit seinem Instrument und ruft: „Ich werde Caetano sehen!“ Inbrünstig schickt er einen deftigen portugiesischen Kraftausdruck nach. Es ist ja auch ein besonderer Abend, an dem man überall leuchtende Augen sieht, in vielen brasilianischen, aber auch internationalen Gesichtern verschiedenster Generationen. Der Größte, Caetano Veloso, er ist nochmals in Europa, bevor er dann nur noch auf seinem Alterssitz chillen will, so heißt es.

In Vita und Werk des jetzt 81-Jährigen spiegelt sich die Geschichte seines Landes mit aller Fülle und allen Gegensätzen. Mitte der 1960er aus dem afrobrasilianisch geprägten Bahia nach Rio de Janeiro gekommen, bietet er dem Militärregime die Stirn mit dem „Tropicalismo“, mehr eine Bewegung als Musik, in der er anarchisch Urwald, Karneval und Moderne mit Beatles-Tönen und Psychedelischem collagiert –  aufbegehrende Texte inklusive. Der Lohn: Monate der Einzelhaft und Abschiebung ins Londoner Exil Anfang der 1970er. Als er zurückkehrt, begründet er die moderne Popmusik Brasiliens, die er über die Dekaden mit Folklorefarben aller Gegenden des Riesenlandes füllt, aber auch mit italienischen und spanischen Tönen, mit den Trommeln Bahias, sogar mit Noise Rock. Jede seiner Platten erzählt eine eigene Geschichte, wie ein Film mit Kulisse der jeweiligen Zeit. Sein Werkzeug: eine Stimme, die schwere- und geschlechtslos scheint, traumtänzerisch sicher war und ist. Diese Stimme, sie singt von Liebe in all ihren Schattierungen genauso metaphernreich und wortspielerisch wie sie über Politisches spricht.

Dass Veloso nun – wie sein kürzlich in Freiburg zu hörender enger Freund Gilberto Gil – den Rückzug ankündigt, scheint fast unwirklich. Denn im Unterschied zu Gil hat er unlängst mit dem blutjungen Gitarristen Luca Nunes ein brandneues Werk ausgeheckt, „Meu Coco“ heißt es und spreizt sich anspruchsvoll zwischen Samba und sperrigem Autoren-Rock. So wird sein „Adeus“ keine familiäre Best Of-Revue, sondern eine hochaktuelle, hellwache Show mit stilistischen Sprüngen – und klar, einem Querschnitt durch seinen Katalog.

Unbeschreiblich der Jubel, als der Altmeister im Kreise seines Quintetts ins Spotlight tritt. Zeitlos in grau-schwarz, mit eleganter Gestik und fast jugendlicher Lässigkeit steht er im Lichtkegel, wagt immer wieder ein paar tänzelnde Ausfallschrittchen, schenkt immer noch sein einzigartiges androgynes Lächeln. Wenn er in Solo-Intros frei brilliert, zeigt sich, dass seine Stimmbänder nur ganz schwach von Patina angetupft sind, ansonsten flexibel und leuchtend schwingen wie vor Jahrzehnten.

Im Titelstück des neuen Werks, ein fast tropikalistisches Wimmelbild von Silben und Namen, feuert sein Gesang gar pfeilscharfe Akzente, in „Anjos Tronchos“ einem Stück Technologiekritik, setzt er sich gegen Rockriffs im Blitzgewitter durch. Siebzigerkeyboards unterfüttern „Não Vou Deixar“, die mutige Konfrontation mit Bolsonaro: „Ich werde dich nicht an der Geschichte unseres Landes herumschnitzen lassen!“ Und dann eine faustdicke Überraschung in „Ciclâmen Do Líbano“: Veloso zupft eine Bossa Nova-Gitarre, doch die Strandrhythmen paaren sich mit arabesken Skalen. So hört sich der Erfindungsgeist eines Giganten an.
Unter Leitung von Luca Nunes halten sich die Musiker nicht begleitend zurück: Besonders Kainã do Jêjê und Thiaguinho da Serrinha sorgen hinter Plexiglas für ein perkussives Powerhouse von satter Samba-Wucht bis feinem Conga-Streicheln, der Langzeit-Partner Alberto Continentino befeuert mit wendigen Bass-Einlagen. Und immer wieder würzt Nunes mit borstiger Verzerrergitarre, während Rodrigo Tavares auch mal fruchtig-flötengleiche Klangfarben aus den Keys holt.

Natürlich brandet der größte Jubel bei den Klassikern auf, aus denen die Band eine Menge Steigerungsdramatik herausholt: „Desde Que O Samba É Samba“ feiert – innig mitgesungene – Sambamelancholie, während „Michelangelo Antonioni“ Velosos Liebe fürs Italo-Kino der 1950er in Szene setzt. Und in der soulig aufgehübschten Ballade „Leãozinho“, ein anrührend zärtlicher Moment, strahlt adoleszentes Falsett. Dann wendet sich Veloso ans Publikum, erzählt, wie er wiederholt junge Musiker um sich scharte, um die Flamme der brasilianischen Popmusik mit neuer Nahrung zu versorgen. Beleg ist das packende Final-Stück aus jüngerer Zeit, „A Bossa Nova É Foda“:  ein Preis der Bossa in fast mythischen Bildern und frechem Noise-Sound bündelt nochmals alles Kräfte. Man will ihn nicht ziehen lassen: drei Zugaben, Dutzende eilen an den Bühnenrand, zum Erhaschen seines Händedrucks. Dann geht er durchs Tosen des ausverkauften Hauses ab – aber ein wenig geht er mit der Aura eines Unsterblichen.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe 6.10.2023

 

Tagtraum mit Nils

Die Sitar-Virtuosin Anoushka Shankar beginnt eine Serie von drei Mini-Alben, für jedes Kapitel hat sie mit einem anderen Produzenten gearbeitet. Von der USpakistanischen Musikerin Arooj Aftab wurde das Auftakt-Werk betreut, es trägt den Titel Chapter I: Forever, For Now (Leiter). Kennengelernt haben sich die beiden Musikerinnen bei der Produktion von Aftabs Album Vulture Prince. Shankars EP beinhaltet Kollaborationen mit dem Bassisten Gal Maestro oder Akkordeonistin Magda Giannikou und Nils Frahm. Auf den vier Stücken schafft Shankar eine Abkehr von der Virtuosität, die sich trotzdem nicht in einer Wellness-Wolke verflüchtigt. Klar umrissen, präsent und konzentriert entwirft sie etwa mit einem Abendraga eine neue fried- und lichtvolle Deutung indischer klassischer Musik. Und mit Frahm greift sie in „Daydream“ ein karnatisches (südindisches) Wiegenlied auf.

Anoushka Shankar (feat. Nils Frahm)
Quelle: youtube

Leeds statt London

Foto: Emily Dennison

London ist im britischen Jazz nicht alles: Mit Jasmine Myra eröffnet am 17.9. im Jazzhaus Freiburg eine junge Saxophonistin und Komponistin aus Leeds das Jazzfestival Freiburg. Vorab habe ich mit ihr gesprochen.

Langsam dürfte hierzulande durchsickern, dass die Jazzszene in Großbritannien nicht nur mit Londoner Leuchttürmen wie Nubya Garcia oder Shabaka Hutchings bestückt ist. Nördlich der Hauptstadt – und dafür steht mit dem Schotten Fergus McCreadie ein weiterer Festival-Act – gibt es derzeit viel Entdeckenswertes. „In Leeds bekommen Musikerinnen und Musiker natürlich nicht so leicht Zugang zu einem Label oder Unterstützung durch ein Management. Das hat dazu geführt, dass wir dort einen enormen Gemeinschaftssinn entwickelt haben, alle helfen sich gegenseitig“, so Myra. „Und dabei spielt es keine Rolle, was für ein Genre man pflegt, der Jazz dort fächert sich von Einflüssen aus Hip Hop bis Afrobeat auf.“ Stilistisch, so beobachtet sie, gibt es aber eine klare Tendenz: Während man in London auf Improvisation setzt, bevorzugt man in Leeds durchkomponierte Stücke und ausgefeilte Arrangements. Und das ist auch charakteristisch für ihre eigene Arbeit.

Mehrere Vorbilder waren es, die Jasmine Myra während ihres Jazzstudiums am Leeds Conservatoire prägten. Es kostete sie einige Zeit, um für ihr Instrument, das Altsaxofon, einen Leitstern zu finden: „Ich mochte schon viele Saxophonisten, aber oft war mir ihre Musik technisch zu kompliziert, oder sie hatten eine angeberische Attitüde. Dann hörte ich Cannonball Adderley, und ich stellte fest, dass er einfach und kraftvoll zugleich spielt, dass er Humor hat. Aber was er macht, ist natürlich sehr weit weg von meinen Kompositionen.“ Was die hohe Kunst des Arrangierens angeht, da schwärmt sie vom Kanadier Kenny Wheeler, der mit seinen elaborierten Schichtungen für Large Ensemble wegweisend war. „Wie er Harmonie und Melodie in Beziehung setzt, das ist unglaublich clever.“ Schließlich gibt es eine ausgeprägt lyrische Seite in Myras Kompositionen, die stellenweise fast an die klassischen Komponisten der englischen Spätromantik wie Frederick Delius oder Ralph Vaughan Williams denken lässt. Hier haben ihr die ruhigen Klanggemälde des Isländers Ólafur Arnalds auf die Sprünge geholfen.

Mittlerweile hat Myra ihren eigenen Sound gefunden, und man kann ihn auf dem im letzten Jahr erschienenen Album Horizons erkunden. Ihr Ziel war es, sich mit ihrer Instrumentalmusik von den konventionellen Besetzungen einer Jazzband zu entfernen. Zwei Flöten, Harfe und Streichquartett formen neben Sax, Gitarre, Keys, Bass und Percussion die Textur der Stücke. Unterstützung erfuhr sie vom Produzenten Matthew Halsall aus Manchester, der mit seinem Gondwana Orchestra im Norden Englands seit Jahren ebenfalls einen starken Large Ensemble-Akzent setzt. „Matthew hat ein exzellentes Ohr dafür, was zusammen funktionieren kann. Er hat mich sehr ermutigt, als ich mit der schrägen Idee ankam, eine Harfe ins Ensemble zu integrieren.“ Myra zieht als Ideengeber für den Kompositionsprozess eine riesige Spotify-Playlist hinzu und schreibt ihre Stücke am MIDI-Keyboard, fixiert dann Note für Note. „Ich bin eine sehr visuelle Person und habe gerne alles, was ich entwerfe, vor mir auf dem Bildschirm. Aber nachher lasse ich meinen Musikern auch mal die Möglichkeit, sich vom niedergeschriebenen Arrangement zu entfernen.“

Von dieser spannenden feinen Linie zwischen Freiheit und Fixiertem lebt Horizons. Die Flöten und die Harfe sorgen für pastorale Pastelltöne, die Grooves schmiegen sich an eine tanzbare Downbeat- Philosophie, in den Harmonien gibt es einen spannenden Widerstreit zwischen klassischem Jazz, minimalistischem Pop und dezenten Verweisen auf die Ästhetik der Electronic Dance Music. Dabei ist Myra wichtig, dass trotz opulenter Besetzung eine luftige, transparente Architektur bleibt, kein Wall of Sound entsteht. In Freiburg wird sie das Album mit acht Musikern – inklusive Harfe! – auf der Bühne umsetzen. „Mein Management fragte mich: ‚Jasmine, du willst also tatsächlich mit einem Oktett auf Tour gehen?‘ Und ich sagte: ‚Ja, sicher!‘ Meine Musik braucht eben jeden Musiker, die Stücke würden leiden, wenn man auch nur eine Flöte wegließe!“

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung (Ausgabe vom 13.09.2023)

Infos zum Jazzfestival Freiburg: Jazzfestival Freiburg | Einmal jährlich: Ein einzigartiges Programm mit regionalen sowie internationalen Jazzgrößen und Newcomer*innen (wpcomstaging.com)

Jasmine Myra: „Horizons“
Quelle: youtube

Im Geiste Coltranes

Der Berner Bassist Bänz Oester ist seit vier Jahrzehnten durch etliche Schweizer und internationale Formationen bekannt. In seinem Quartett The Rainmakers musiziert er mit zwei Südafrikanern und einem Spanier, und ihr Sound lebt von verschiedensten Inspirationen. Auf dem neuen Live-Album Gratitude huldigen die vier Musiker unter anderem der Ära des Spiritual Jazz, aber auch rumänische und indisch gefärbte Töne sind zu vernehmen.

In Basel habe ich Bänz Oester getroffen, um über das neue Werk zu plaudern. SRF 2 sendet meinen Beitrag am Di, 5.9. in der Sendung Jazz & World aktuell ab 20h.

Gratitude erscheint am 8. September auf enja records.
Viel Spaß beim Zuhören!

Bänz Oester & The Rainmakers live

Afro-Londons nächste Glanztat

Balimaya Project
When The Dust Settles
(New Soil/Jazz re:freshed/FUGA)

In seiner Verbindung von Jazzsounds mit westafrikanischen Wurzeln von Nigeria bis Mali dürfte das sechzehn Musiker starke Londoner Balimaya Project im Moment ein weltweit einzigartiges Phänomen sein. Auf seinem zweiten Album packt das Kollektiv auch harte Themen an: den Verlust eines Kindes, den Tod eines Bruders auf UNO-Friedensmission, die Herausforderung der Integration in einer zunehmend migrantenfeindlichen Gesellschaft.

Das wird in eine teils durchgängige Konzeptsuite gegossen, sie trägt mal Züge einer zündenden Afrojazz-Improvisation, hat freie Passagen mit beschwörenden Yoruba-Vocals, stellt mal Trommel-Interludien mit Talking Drum prominent in den Fokus, birgt dann wieder kammermusikalische Ruhepole mit Kora und Akustikgitarren. Stark, wie das popballadeske „Suley’s Ablution“ am Ende in ein Bata-Zeremoniell übergeht und wie im Finalstück sogar noch eine Streichersektion zur Bläser-Riege stößt.

© Stefan Franzen

Balimaya Project: „Suley’s Ablution“
Quelle: youtube

Abendliche Sommerbrise II

Nanny Assis
Rovanio – The Music Of Nanny Assis
(In & Out Records/in-akustik)

Im Kosmos der brasilianischen Musik gibt es viele Künstler, die zwar in den USA, nicht aber in Europa einen klangvollen Namen haben: Völlig zu Unrecht zählt der Sänger, Gitarrist und Komponist Nanny Assis zu den hier Unerforschten. Geboren in Salvador da Bahia und dort aufgewachsen mit dem Reichtum der afrobrasilianischen Stile, wanderte er vor 25 Jahren nach New York aus, um seine Vorliebe für den US-Jazz in seine eigenen Töne einzupflegen. Rovanio (so Nannys eigentlicher Vorname) – The Music Of Nanny Assis zeigt diese schöne Verschmelzung von Nord- und Südamerika, und dafür hat er eine erstaunliche Gästeriege von Bassist Ron Carter bis zum Pianisten Fred Hersch an Land gezogen.

Sein afrobrasilianisches Erbe blitzt dabei immer wieder durch, etwa im perkussiven, extrem swingenden „Amor Omisso“, dekoriert von Lakecia Benjamins Altsax. Synkopische Cleverness, ein fulminant fließendes Gitarrensolo (Chico Pinheiro) und Assis‘ smoothe Jazzstimme bringen „Human Kind“ zum funkeln. Die sanftere Brasil-Seite in Gestalt der Bossa kommt mit „No Agora“ zum Zuge, einer Betextung einer Carter-Komposition, in der Assis mit den wendigen Flügelhornlinien von Randy Brecker alterniert. Letztlich tupft das Sankt Petersburg Studio Orchestra noch ein wenig breitwandigen Glamour auf.

© Stefan Franzen

Nanny Assis: Amor Omisso“
Quelle: youtube

R.I.P. Sinéad

Foto: Bryan Ledgard (Creative Commons)

Ihre Stimme war klar, doch ihr Weg war steinig.

Was sie in ihrer Familie und mit der Kirche erleben musste, hat sie geprägt und gezeichnet, ihre Lieder so zornig und widerborstig, aber auch seelenvoll und verletzlich gemacht.

Ihre Musik hat mich während meiner Touren über ihre Insel in den 1990ern immer begleitet. Und auf ihrem sechsten, 2002 erschienenen Album Sean Nós Nua widmete sich O’Connor der irischen Musik mit einer Aufrichtigkeit und Empfindsamkeit, die unter ihren Landsleuten bis heute nur selten erreicht wurde.

Ich wünsche ihr, dass ihre Seele nun so frei fliegen kann, wie die Vögel, die sie in diesem Song besingt, der wie ein Traditional klingt, aber aus ihrer Feder stammt.

R.I.P. Sinéad O’Connor.

Sinéad O’Connor: „The Singing Bird“
Quelle: youtube