Banda Black Rio: „Maria Fumaça“ aus: Maria Fumaça (Atlantic, 1977)
Brasilien hat heutzutage kaum noch ein nennenswertes Schienennetz für Personenverkehr. Dem gegenüber stehen aber eine auffallend hohe Anzahl an Liedern und Stücken, die die Eisenbahn ehren. In loser Folge gibt es bei den Sidetracks jetzt ein paar der schönsten musikalischen Eisenbahntribute made in Brazil. Den Anfang macht die wichtigste Band der Funk- und Soulbewegung, die zwischen Rio und São Paulo ab Mitte der 1970er etwas verspätet einschlug. Die Banda Black Rio wurde oft mit Kool & The Gang und Earth, Wind & Fire verglichen – wäre da nicht der starke Sambaeinschlag, mit dem sie auch hier – entnommen von ihrem Debütalbum – ihre musikalische Widmung an die Stahlrösser vergangener Zeiten präsentieren. Und die heißen in Brasilien „Maria Fumaça“, rauchende Maria.
Das britische Fräuleinwunder mit dem burschikosen Charme ist zurück. Nein, die exotischen Strelitzien auf dem Cover trügen nicht – ihr zweites Album hat eine tropische Entstehungsgeschichte. Nach extensiven Tourneen nahm sie sich eine Auszeit auf Jamaika, um zu den Wurzeln ihrer Mutter Tuchfühlung aufzunehmen. Das blieb nicht ohne musikalische Folgen: Reggae- und Dancehall-Produzent Stephen McGregor bekam Wind von La Havas‘ Aufenthalt und avancierte schließlich zum Pultmeister vieler Tracks, neben ihrem alten Studiokumpan Aqualung und der Britsoul-Größe Jamie Lidell.
Was beileibe nicht heißt, dass „Blood“ ein Reggae-Album geworden ist. Von den ruhigen Balladen und teils folkverpflichteten Songs des Erstlings hat sich die Sängerin so gut wie verabschiedet. „Blood“ atmet in einer geerdeten Neosoul-Atmosphäre, die an eine Lauryn Hill oder an die frühe Alicia Keys denken lässt. La Havas‘ Stimme zeigt sich oft vom mädchenhaftem Timbre befreit, klingt reifer, abgeklärter. Etwa in der schreitenden urbanen Nummer „Green & Gold“, eine Selbstfindungshymne, in der sie sich in Metaphern sowohl vor der Karibik als auch vor Griechenland verbeugt. Die beiden Singles rufen gemischte Gefühle hervor: Wirkt „Unstoppable“ wie ein überfrachtetes Schwergewicht ohne Zielrichtung, findet man in „What You Don’t Do“ mit dem Vierviertel-Piano und den jubilierenden Chören tolle Motown-Anklänge. Wie ein gemächlicher Street Funk der Achtziger kommt „Tokyo“ daher, fließende E-Gitarren umspielen den Slap-Bass – nur hier und sonst nirgends hallt ein wenig das Tête-à-tête mit Prince nach.
Erinnerungen an frühere Songs beschwört das verträumte „Wonderful“ herauf, das über eine vergangene Liaison nachsinnt. Ebenso „Ghosts“: Zu jazzigen Gitarrenharmonien beklagt sie die hartnäckigen Geister der Vergangenheit. Von ihrem ausladenden Vibrato und ihrer explosiven Stimmkraft macht Lianne La Havas trotz muskulösen Arrangements selten Gebrauch, dann aber umso effektvoller – etwa in „Grow“, das nach ruhigen Gitarrenstrophen in einen mächtig polternden Refrain einschwenkt und das spirituelle Wachstum durch Liebe beschwört. „Blood“ ist angenehm frei von Zwängen, auf modische Sounds reagieren zu müssen, und scheut sich auch nicht, mit einem ruhigen, bewegenden Abschiedslied an einen „alten Mann“ zu enden. Es könnte ein Gruß an ihren jamaikanischen oder griechischen Opa sein. Trotz der Erdung in familiären Blutsbanden: An die bezaubernde, träumerische Spontaneität ihres Debüts kann Lianne La Havas mit „Blood“ nicht anknüpfen. Wohin sie dieses Coming Of Age-Album führen wird, wird auch sie selbst wohl erst auf dem Nachfolgewerk entscheiden.
Lianne La Havas: „What You Don’t Do“
Quelle: youtube
„I thought I could organize freedom – how Scandinavian of me!“
Was läge näher, als nach dem Besuch eines Björk-Konzerts noch einen Abstecher ins Felleshus zu machen, das Gebäude der gemeinsamen Botschaften der nordischen Länder in Berlin.
Zumal dort gerade (und noch bis zum 27.9.) die ungewöhnliche Ausstellung Sámi Contemporary läuft, mit zeitgenössischen Bildern, Skulpturen, Installationen und Clips von 23 KünstlerInnen des einzigen indigenen Volkes Europas.
Heute vor genau 30 Jahren erklomm der erste Vorbote aus ihrem Jahrhundertwerk Hounds Of Love Platz 3 der UK-Charts. Kein anderer Kate Bush-Song ist so oft gecovert worden, man könnte eine CD-Box damit füllen. Und trotzdem: Die meisten sind an „Running Up That Hill“ gescheitert. Am bekanntesten sind die Adaptionen von Within Temptation und Placebo, denen ich nichts abgewinnen kann.
Hier kommen fünf Covers und Remixes, die aus dem R.U.T.H.-Original etwas Eigensinniges gemacht haben.
5. Wye Oak
Jenn Wasner und Andy Stack von Wye Oak aus Baltimore wurden von der amerikanischen Undercover-Serie gebeten, R.U.T.H. live zu covern. Das Ergebnis ist eine herzhafte, minimalistische Behandlung mit einer krachigen Bass-Climax in der „C’mon baby“-Passage.
4. James Gilmour
Er ist nicht eines der acht Kinder von Dave Gilmour, obwohl die Ähnlichkeit vorhanden ist, und der Bezug zu R.U.T.H. auch – schließlich hat der Pink Floyd-Gitarrist 1987 eine Live-Version mit Kate Bush eingespielt. Dieser Gilmour macht vor, dass es für ein Cover des Songs nur clevere Akustikgitarrenbehandlung und eine schöne Stimme braucht.
3. Noraj Cue
Die Remixes von R.U.T.H. gehen wie die Covers in die Dutzende. Einen famosen dramaturgischen Spannungsbogen und nicht nur ein knalliges Dance-Korsett hat der Niederländer Jaron van de Weg alias Noraj Cue gezaubert.
2. Theo Bleckmann
Der Dortmunder Jazzsänger ist der Einzige, der es geschafft, hat ein komplettes überzeugendes Album mit Kate Bush-Covers zu veröffentlichen. Ich kann Hello Earth! The Music Of Kate Bush (Winter & Winter, 2011) nicht nur jedem KB-Fan wärmstens ans Herz legen. Bleckmanns R.U.T.H.-Adaption führt schon vor Ohren, wie viel Eigenständiges und -sinniges da drin steckt.
1. The Very Best
Hieran kann ich mich nicht satt hören. Die Synthese stimmt einfach auf den Punkt. R.U.T.H. in afrikanisierter Version mit dem britischen Electro-Duo Radioclit und dem malawischen Sänger Esau Mwamwaya. Grandios.
14 Jahre später ist Björks Schmerz ganz ihr eigener, doch sie teilt ihn mit. Nach dem Beziehungsende mit Medienkünstler Matthew Barney hat sie ein Trennungstagebuch in Klänge gegossen. Ihr Album „Vulnicura“ (lat.: Wundpflege) ist ein Kreuzweg in neun Stationen – so minutiös und peinigend, dass es einem beim Hören an die Nieren geht. Kann also eine so intime Passionsgeschichte auf einer Großveranstaltung überhaupt funktionieren? Weiterlesen →
Pat Thomas Pat Thomas & The Kwashibu Area Band (Strut/Indigo)
Wer die feine Trennlinie zwischen dem von Fela Kuti gepflegten Afrobeat und seinem ghanaischen Vorläufer Highlife erkunden möchte, dem bietet sich jetzt eine schöne Gelegenheit. Pat Thomas aus Kumasi war seit den 1960ern eine Vokalgröße im Bigband-Highlife, in den Achtzigern avancierte er in der exilghanaischen Szene Hamburgs zu einer der Leitfiguren des discoartigen „Burger Highlifes“. Mit der Kwashibu Area Band, in der neben alten Recken aus Ghanas Hautpstadt Accra und Nigerias Stardrummer Tony Allen auch der Poet Of Rhythm Ben Abarbanel-Wolff am Sax mittut, feiert er auf dem selbstbetitelten Album wieder den Sound der Siebziger. Palmwine-selige, schmelzende Melodien entfalten sich über federleichten wie komplexen Grooves wie in „Gyae Su“ oder „Odoo Be Ba“, knackige Bläserfanfaren liefern den Rahmen für pointierte Gesangslinien („Mewo Akoma“). Ein paar glimmende Orgeltöne kommen dazu und geschliffene, richtig zu Herzen gehende Gitarrenriffs. Thomas‘ immer sanfter Tenor webt Lyrics, die von den süffigen Retroflex-Lauten der Fanti- und Ashanti-Sprache durchwirkt sind. Hier ist alles im weichen Flow und auf fast magische Art trotzdem funky.
Pat Thomas & The Kwashibu Area Band: “ Odoo Be Ba“
Quelle: youtube
The Polyversal Souls Invisible Joy (Philophon/Groove Attack)
Mit seinem Bruder Jan war der Münchner Schlagzeuger Max Weissenfelt einst Mitglied der Poets Of Rhythm, einer legendären Truppe, die lange vor den Amerikanern und Briten den Retrosoul-Sound erfand. Seitdem ist Weissenfeldt durch die Welt gereist, um Einflüsse aus Kulturen von Burma bis Algerien aufzufangen. Ghana war hierbei in den letzten Jahren sein bevorzugtes Reiseziel, was sich auch auf der aktuellen CD seines internationalen Kollektivs Polyversal Souls widerspiegelt. Mit Größen des Landes hat er Reggae, HipHop, Gospel und FraFra-Tradition in das patinabesetzte Bigband-Gefüge eingepasst, was wie im Opener „Yelle Be Bobre“ zu einem fantastischen Amalgam aus ruppigem Afro-Banjo, Flöten und der kehligen Stimme von Guy One, einem Griot aus Bolgatanga führt. Dazu kommen sich windende äthiopische und indische Skalen mit einer geradezu unheimlichen Färbung. Auch die jazzigen Vorbilder sind präsent: Sun Ra wird mit einem beschwörenden „Love In Outer Space“ gehuldigt und Duke Ellingtons „Race“ ist mit fantastisch schwülen Bläsern dabei. Grandios.
The Polyversal Souls feat. Guy One: „Yelle Be Bobre“
Quelle: youtube
Ich setze heute meine Reihe der Interviews mit Sängerinnen aus der arabischen Welt fort.
Während der Jasminrevolution wurde sie in ihrer Heimat Tunesien mit dem Lied „Kelmti Horra“ („meine Rede ist frei“) zur Symbolfigur der Jugend. Heute steht Emel Mathlouthi an der Spitze der selbstbestimmten Künstlerinnen mit arabischen Wurzeln, lebt in Paris und New York. Anlässlich ihres bevorstehenden Auftritts beim Stimmen-Festival in Lörrach (Rosenfelspark, 21.7.) habe ich dieses Interview mit ihr geführt – wenige Tage vor den Anschlägen auf den Badeort Sousse, der einige ihrer optimistischen Ausblicke hoffentlich nicht zunichte machen wird. Weiterlesen →
Night Spirit Masters Gnawa Music Of Marrakesh (Axiom, 1990)
Marokko weht noch heftig nach seit dem Trip im Mai. Vor wenigen Tagen durfte ich diese phänomenale Aufnahme entdecken, die Bill Laswell vor einem Vierteljahrhundert mit Gnawa-Musikern in der Medina von Marrakesch für sein eigenes Label Axiom gemacht hat. Der Dubpapst hat es dabei irgendwie geschafft, diese Musik extrem räumlich darzustellen, der Puls der Basslaute Gimbri scheint fast unter die Haut zu kriechen. Ganz das Gegenteil von den vielen dumpfen, dürftigen Feldaufnahmen, die vom schwarzen Erbe Marokkos existieren. Danke an Markus, der mich zu dieser LP hingestupft hat.
Auch ein halbes Jahrhundert später gibt es sie noch, die jungen Männer und Länder aus dem Phil Ochs-Song, unverändert. Und – fast – genauso unverändert gibt es auch ein halbes Jahrhundert später noch ihre Stimme.
Danke, Joan Baez, für den Auftritt in der kleinen Stadt.