Simin Tander: Where Water Travels Home (Jazzhaus Records/in-akustik)
„Wo das Wasser nach Hause fließt“ – das bedeutet für die Sängerin aus Köln eine Erkundung ihrer afghanischen Gene. Dieses Album ist ein Horchen auf ihre Wurzeln – nicht, um irgendein schickes Kolorit zu erzeugen, sondern aus einem tiefen Bedürfnis heraus. Die Klangsprache berührt: Jazz-Improvisationen begegnet sehr persönlichem Songwriting, Gedichte auf Paschtu einer Miniatur in Fantasiesprache, gekrönt von Tanders ergreifender Adaption eines Brel-Chansons. Eine der außergewöhnlichsten Stimmen aus Deutschland derzeit und eine heiße Kandidatin für die Platte des Jahres. Simin Tander ist bis Dezember auf Tournee – nicht verpassen.
Jahresernte
Aktuelle Empfehlungen, potentielle Schonjetztklassiker, neue Begrünungsflächen im wüsten Klangalltag
Übers Wasser gehen
The Gloaming: The Gloaming (RealWorld/Indigo)
Allein schon das Cover hätte einen Preis verdient. Das Bild heißt „Passage“ und stammt von Robert und Shana ParkeHarrison. Die Passage, die hier musikalisch „geklopft“ wird, führt vom archaischen zum modernen Irland. Der gälische Sänger Iarla Ó Lionáird steht mit seiner herzblutenden Stimme im Mittelpunkt dieser entschleunigten Musik, Lichtjahre von wurzeligem Irish Folk entfernt. Stattdessen rückt das US-irische Kollektiv die alten Tunes in ein meditatives Licht, fast zen-artig entschlackt, mit irischer Fiddle, norwegischer Hardingfele, Gitarre und Piano. Das ist auf eine Art schon fast futuristisch.
The Gloaming: Samradh Samradh (live in Cork)
Quelle: youtube
Walisisches Wunderwerk
9bach: Tincian (RealWorld/Indigo)
Von Peter Gabriels RealWorld Studios liegt Wales überhaupt nicht weit entfernt. Trotzdem haben sich seine Talentscouter selten (oder nie?) dahin gewagt. Bis jetzt. Lange habe ich nach einem Begriff für die Musik von Lisa Jen und Martin Hoyland alias 9bach gesucht, „Industrial-Kammerpop“ ist es dann geworden. Sangliche Piano- und Fender Rhodes-Riffs, metallene Harfenschnipsel, geheimnisvoll bluesige Akustik- und sperrige Stromgitarren, ein pathetisch summender Männerchor. Der Albumtitel bedeutet „Nachhall“ – und den werden diese Tracks bei mir noch lange haben.