Der Staub trifft seine wahre Liebe

Er galt als der größte Sänger des Iran des 20. Jahrhunderts, manche sagen, er besaß die größte Stimme, die das Land je hervorgebracht hatte: Am vergangenen Donnerstag ist Mohammad Reza Shajarian nach fünfzehnjährigem Kampf gegen den Krebs im Alter von 80 Jahren gestorben. Um seine Stimme kam niemand herum, der sich mit klassischer persischer Musik befasste. Kein anderer Vokalist im Iran hatte eine so technisch ausgefeilte, melismatische Gesangeskunst entwickelt und zugleich einen so schmerzlich-intensiven Ausdruck erreicht, sowohl in der Vertonung Jahrhunderte alter und zeitgenössischer Poesie als auch in der Interpretation des Korangesangs.

Shajarian stammte aus der nordwestiranischen Stadt Maschhad und begann seine musikalische Laufbahn mit dem Singen von Suren, unterwiesen vom Vater. Danach eignete er sich unter einem ganzen Spektrum von Meistern den Radif, den Kanon der persischen Klassik, an und machte bereits mit knapp zwanzig Jahren erste Aufnahmen für den Rundfunk. Er konzertierte weltweit mit Ensembles, in denen die besten Musiker des Landes spielten, unter ihnen etwa der Spießgeigenvirtuose Kayhan Kalhor oder der Lautenist Hossein Alizadeh. Unter den vielen herausragenden Aufnahmen ist seine Hafez-Vertonung „Bidad“ mit dem Santur-Spieler Parviz Meshkatian besonders bewegend:

Mohammad Reza Shajarian & Parviz Meshkatian: „Bidad“
Quelle: youtube

Shajarian hielt sich auch aus der Politik nicht heraus: Vor 41 Jahren schlug er sich auf die Seite der Schah-Gegner und unterstützte die Revolution, auch weil er unter dem Schah eine musikalische Verflachung und den Verfall der traditionellen und klassischen Musik erlebte. In jüngerer Zeit war er ein prominenter Befürworter der Protestbewegung gegen Präsident Ahmadinejad. Als der die Protestierenden als „Staub und Müll“ bezeichnete, konterte Shajarian: „Ich bin die Stimme des Staubs und des Mülls und werde es immer sein.“ Er untersagte es dem iranischen Staatsradio fortan, seine Musik zu spielen und rief mit seinem Song „Zaban e Atash o Ahan“ (Sprache aus Feuer und Eisen) 2009 zum friedlichen Zukunftsdialog auf. Daraufhin durfte er nur noch im Ausland konzertieren, erst später kehrte er als Lehrer an die Universität von Teheran zurück.

Welche Symbolfunktion Shajarian für die verschiedensten Altersgruppen hatte, hat sich jetzt gezeigt, als nach seinem Tod Hunderte von Fans trotz Pandemie vor dem Hospital zusammenkamen und seine metaphernreiche Lyrik sangen: „Vogel der Freiheit, sing für mich, erneuere meinen Kummer. Oh Allmächtiger, wandle unsere Nacht der Dunkelheit zur Morgendämmerung.“ Shajarians Sohn Homayun, ebenfalls ein Sänger, kommentierte den Tod seines Vaters mit der berührenden Zeile: „Der Staub unter den Füßen der Menschen ist nach Hause geflogen, um seine wahre Liebe zu treffen.“

© Stefan Franzen

Mohammad Reza Shajarian: „Morgh-e Sahar“
Quelle: youtube

 

Sanfter Umbruch

Die klassische Musik des Iran befindet sich in einem sanften Umbruch. Er mag für Außenstehende kaum wahrnehmbar sein, doch nicht nur im musikalischen Untergrund von Rock und Pop brodelt es, auch die Hochkultur nimmt sich jetzt feine Freiheiten in musikalischer Form und Besetzung heraus. Während einige junge Musiker die offene Konfrontation mit dem Regime und Auftrittsverbote nicht scheuen, weil sie etwa den verbotenen Sologesang von Frauen integrieren, gibt es unter den Neuerern auch gemäßigtere Persönlichkeiten, deren Arbeit trotzdem die rigiden Muster der bisherigen Traditionen aufbricht. Zu diesen gehört der Lautenist, Komponist und Ensembleleiter Hossein Alizadeh, derzeit populärster Mittler zwischen den Generationen.

Derzeit ist der 67-Jährige mit einem großen Ensemble auf Europatournee, das zentral für seine Erneuerungsarbeit ist. Hamavayan, aus dem Farsi übersetzt, bedeutet „Zusammenklang“, und das ist hier in mehrfacher Hinsicht zu verstehen. Zum einen gruppiert Alizadeh alle wichtigen Instrumente der persischen Klassik zueinander: die Langhalslaute, das von ihm selbst entwickelte Saiteninstrument Shurangiz, die Flöte Ney und die Spießgeige Kamancheh, das Hackbrett Qanun und die Bechertrommel Tombak – letztere gespielt von einem Gast, dem in Köln lebenden Iraner Behnam Samani. Zusammenklang heißt hier aber auch: Weibliche und männliche Stimmen agieren miteinander. Alizadeh war und ist es ein Anliegen, Frauen in seine Musik zu integrieren, bis an die Grenzen dessen, was die Moralwächter des Gottesstaates gestatten. Will heißen: Der weibliche Gesang darf nie dominierend werden, geschweige denn allein zu hören sein, das bringe die zuhörenden Männer auf Abwege, so die Dogmatik der Mullahs.

Das von Alizadeh komponierte Programm des Hamavayan Ensembles auf der aktuellen Deutschlandtournee wird zwei Aspekte umfassen: Zunächst stellen die acht Musiker Auszüge aus dem aktuellen Album „Bâdeh Toeï“ vor, in denen Pouria Akhavass die männliche Vokalrolle übernimmt. Die Quellen der Poesievertonungen gehen dabei bis in die moderne Lyrik hinein. Der zweite Teil steht im Isfahan-Modus, eine derjenigen Skalen aus dem persischen Tonleiter-Vorrat, die von einem westlichen Publikum leichter zu verstehen sind. Diesen Programmpunkt werden Hamavayan so gestalten, wie es im Iran selbst nicht möglich wäre: Denn hier tritt mit Sabah Hosseini eine Frau als Solistin hervor.

© Stefan Franzen
(erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe 1.2.2019)

das Hamavayan Ensemble ist noch zu erleben:
6.2. Freiburg, Jazzhaus
9.2. Brüssel, Salle M

Hossein Alizadeh & Hamavayan Ensemble: „Badeh Toei“ (Exzerpt)
Quelle: youtube

„Alle meine Träume sind im Iran“

alizadeh ghorbani zarbang

 Hossein Alizadeh, Alireza Ghorbani (3. und 2.v.l.) und ihre Ensemblemusiker

Im Iran ist er einer der meistgefragten und innovativsten Meistern der klassischen persischen Musik. Der Komponist und Lautenspieler Hossein Alizadeh stellt auf einer Europatournee (Tourdaten am Schluss des Interviews) derzeit sein neues Projekt „Liebestrunken“ mit dem Ensemble Zarbang vor. In Köln habe ich mit Alizadeh über Vita und Werk sowie über den schwierigen Alltag eines Musikers im „Gottesstaat“ gesprochen. Ich danke Nasi Shahin, die aus dem Farsi für mich übersetzt hat.

Herr Alizadeh, nicht allen deutschen Hörern mögen Ihre beiden Instrumente, die Tar und die Setar vertraut sein. Führen Sie uns doch kurz in ihre Besonderheiten ein.

Alizadeh: Die Setar ist etwas älter, hat ihre Wurzeln in Kurdistan, und sie gilt als einer der Väter der traditionellen iranischen Musikinstrumente. Da das Instrument nicht so laut und eher für die Privatsphäre gedacht ist, besteht eine sehr enge Verbindung zum Spieler, man hat sie ganz nah am Körper, am Herzen, und spielt es auch direkt mit den Fingern, im Gegensatz zur Tar, für die es ein Plektrum gibt. Die Tar wurde erst vor ca. 250 Jahren entwickelt, weil man einen Klang für größere Säle mit mehr Volumen haben wollte. Hier gibt es zwei herzförmige Resonanzkörper, diese Bauart dient der Verstärkung des Klangs und man findet sie auch in der persischen Architektur. Weiterlesen