„Alle meine Träume sind im Iran“

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 Hossein Alizadeh, Alireza Ghorbani (3. und 2.v.l.) und ihre Ensemblemusiker

Im Iran ist er einer der meistgefragten und innovativsten Meistern der klassischen persischen Musik. Der Komponist und Lautenspieler Hossein Alizadeh stellt auf einer Europatournee (Tourdaten am Schluss des Interviews) derzeit sein neues Projekt „Liebestrunken“ mit dem Ensemble Zarbang vor. In Köln habe ich mit Alizadeh über Vita und Werk sowie über den schwierigen Alltag eines Musikers im „Gottesstaat“ gesprochen. Ich danke Nasi Shahin, die aus dem Farsi für mich übersetzt hat.

Herr Alizadeh, nicht allen deutschen Hörern mögen Ihre beiden Instrumente, die Tar und die Setar vertraut sein. Führen Sie uns doch kurz in ihre Besonderheiten ein.

Alizadeh: Die Setar ist etwas älter, hat ihre Wurzeln in Kurdistan, und sie gilt als einer der Väter der traditionellen iranischen Musikinstrumente. Da das Instrument nicht so laut und eher für die Privatsphäre gedacht ist, besteht eine sehr enge Verbindung zum Spieler, man hat sie ganz nah am Körper, am Herzen, und spielt es auch direkt mit den Fingern, im Gegensatz zur Tar, für die es ein Plektrum gibt. Die Tar wurde erst vor ca. 250 Jahren entwickelt, weil man einen Klang für größere Säle mit mehr Volumen haben wollte. Hier gibt es zwei herzförmige Resonanzkörper, diese Bauart dient der Verstärkung des Klangs und man findet sie auch in der persischen Architektur.

Sie haben eine klassische Ausbildung durchlaufen, ist diese vergleichbar mit dem Unterricht in der abendländischen Musiksystem?

Alizadeh: Normalerweise beginnt man mit der traditionellen persischen Musik ab zehn Jahren, ich war zwölf. In meiner Familie gab es niemand, der professioneller Musiker war, aber alle waren Musikliebhaber und auch sehr stark interessiert an Kunst und Film. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal im Monat mit meiner Mutter zu einem Frauentreffen gegangen bin. Da kam dann erst ein Hodscha, der religiöse Gesänge vorgetragen hat und die Frauen haben zugehört. Sobald er aber weg war, haben sie ihre Tschadors weggeschmissen und getrommelt und getanzt. Meine Mutter spielte das Perkussionsinstrument Daf. Auf meinem musikalischen Weg hat sie mich immer unterstützt. Ich habe mir viele unterschiedliche Meister als Lehrer ausgesucht, denn ich hatte das Bedürfnis, viele Methoden kennenzulernen, auch die Einstellung meiner Meister zum Leben, was in der persischen Musik ganz wesentlich ist.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie den kompletten Radif eingespielt haben, den kompletten Zyklus der traditionellen Musik Irans. Zugleich gelten Sie aber auch als der Erneuerer des Radifs. Inwiefern?

Alizadeh: Jede Skala (Dastgah) des Radif hat sehr viele charakteristische Melodiesequenzen, die Guschehs. Man kann die Guschehs aber losgelöst von ihrem eigentlichen Dastgah betrachten und dadurch neue Zusammenhänge erzeugen. Auf diese Weise habe ich eine neue Skala, den „Dâd o Bidâd“ geschaffen, übersetzt heißt das „Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit“. Dieser Dastgah soll also einen Ausgleich schaffen. In den letzten dreißig Jahren habe ich den Radif immer unterrichtet und gespielt. Ich bin wie ein Dichter, der nicht immer das gleiche Gedicht wiederholen möchte, ich möchte auch selbst schöpfen. Das mache ich in einem Konzert, aber auch durch die neuen Bausteine des Radif.

Sie haben Ihre Studienzeit zwischen Teheran und Berlin aufgeteilt. Haben Sie sich dort auch in die westliche Musik vertieft?

Alizadeh: In Berlin habe ich Musikethnologie studiert, mich mit westlichem Instrumenten beschäftigt und auch für sie Orchesterstücke geschrieben. Für mich ist keine Musikkultur eine fremde Kultur. Ich habe eine enge Verbundenheit zur abendländischen Musik und höre jeden Tag klassische Musik, sonst fehlt mir was. Ich liebe Bach, und wenn ich gefühlsmäßig sehr hochgeschaukelt bin, dann pfeife ich auch Brahms. Andere Favoriten sind Strawinsky, Bartók und Schostakowitsch.

Sie waren auch Dirigent des Iranischen Nationalorchesters. Wie ist dieses aufgebaut?

Alizadeh: Das Orchester hat eine Tradition von 80 Jahren und man legte zu Beginn fest, dass auch alle Instrumente iranisch sein sollten. Aber es wurde nie üblich, sie alle einzusetzen, denn sie sind ja eher für den Sologebrauch gedacht. Also spielen dort klassische und volkstümliche Instrumente zusammen iranische Kompositionen, und dadurch bekommt diese eine andere Klangfarbe. Ich bin gegen diese Verbindung. Man kann ein westliches Symphonieorchester haben und ihm als Bonbon iranische Instrumente hinzufügen. Aber in einem iranischen Nationalorchester sollten klassische iranische und volkstümliche iranische Instrumente spielen. Ich hoffe, dass das in Zukunft möglich wird!

Auf Ihrer Europatournee werden Sie das Programm „Liebestrunken“ aufführen, zusammen mit den Ensembles Hamavayan und Zarbang. Welchen Charakter hat dieses Werk?

Alizadeh: Das ist etwas Innovatives. Der Schwerpunkt liegt auf dem Gesang und ich möchte damit verschiedene Vokalstile präsentieren. Nicht nur Traditionelles, und nicht nur persische klassische Gedichte, sondern auch die Vertonung zeitgenössischer Gedichte. Eine große Herausforderung, weil man dafür eine ganz andere Atmosphäre schaffen muss beim Komponieren als bei der Poesie der alten Dichter wie Hafez oder Rumi. Außerdem greife ich mit Zarbang auch die Musik auf, die die Ausübung der Sportarten im traditionellen iranischen Krafthaus, dem Zurkhaneh begleitet. Der Sänger des Abends wird Alireza Ghorbani sein. In meiner Arbeit spielt die Abwechslung eine Rolle, daher wollte ich mit einem neuen Gesicht arbeiten und Ghorbani empfindet eine große Liebe und großen Respekt vor der iranischen Musik.

Der Titel „Liebestrunken“, bezieht der sich auf die mystische Liebe zu Gott oder auf die irdische Liebe?

Alizadeh: Es kann die eine nicht ohne die andere geben! Wenn Hafez sagt: „Trink Wein!“, dann ist nicht nur der Weinbecher gemeint, zugleich aber doch. Du trinkst diesen Wein, damit du alles besser verstehen kannst, mehr Liebe empfinden kannst, gefühlsbetont sein kannst, damit du die Schönheit siehst, die Güte, dich im anderen. In den Ländern, in denen die Liebe verboten wird, in welcher Art auch immer, da versucht man die Gedanken dazu zu bewegen, die Liebe als etwas Überirdisches zu sehen, als etwas Religiöses, damit sie dann doch wieder erlaubt ist. Das ist dubios.

Sie selbst leben in Teheran, viele Ihrer Kollegen ziehen als Künstler das Exil vor. Welche Vorteile bietet Ihnen Teheran für die Ausübung Ihrer Kunst?

Alizadeh: Der Iran ist meine Heimat, der ich sehr verbunden bin. Alle meine Träume sind da, um sie zu erreichen oder auch um sie nicht zu erreichen. Ich bin sehr oft in der ganzen Welt unterwegs. Doch die Kraft und die Sehnsucht zieht mich immer wieder zurück. Die Kraft, die ich vom Iran bekomme, von meinen 1500 Schülern und vom Publikum dort ermöglicht es mir, neue Musik zu schöpfen. Die Förderung der Musik unter den gegebenen politischen Umständen ist ein großes Problem und ich übe da auch permanent Kritik. Man muss vor Ort bleiben, mit seiner Arbeit präsent sein, damit sich vielleicht bald mal etwas ändert.

Wie stellte sich denn die Situation für Künstler dar seit dem Beginn der Revolution?

Alizadeh: In den letzten 30 Jahren habe ich beobachtet, dass aus der Not heraus sogar mehr Kraft entstanden ist, um die Wurzeln zu wahren. Es ist ein stetiges Auf und Ab. Die Pflicht der Lehrer ist es, auf die Wurzeln und Werte der Kultur hinzuweisen. Vor der islamischen Revolution, als ich Student war, hat man aus dem Radio nur nachgemachte westliche Popmusik gehört. Einige von den wichtigen Entscheidungsträgern in der Kultur haben versucht, dann wieder mehr Wert auf die Tradition zu legen. Diese Leute haben ein Zentrum für Bewahrung der Kunst und Tradition gegründet, es wurde vom Radio und Fernsehen finanziert und hat die besten traditionellen Musiker versammelt. Heute gibt es diese Unterstützung nicht mehr, ein junger Musiker muss, um sich und seine Familie zu ernähren, alle Angebote annehmen.

Welche Hoffnungen haben Sie für die nächsten Jahre, wird es mehr Freiheiten geben, gerade auch was die Beschränkungen für die Frauen in der Musik angeht?

Alizadeh: Das Problem ist: Wenn der neue Staatschef Rohani mehr Erneuerung oder Freiheit durchsetzen möchte, dann gibt es immer Leute, die dagegen opponieren. Sie gehen aber dann nicht gegen ihn an, sondern mobilisieren gegen die Musikszene als Ganzes. Was die Frauen angeht: Man hat es nie geschafft, ihren Gesang vollständig zu unterbinden. Trotz aller Verbote gibt es im Iran viele gute, ausgebildete Sängerinnen, die auftreten, wenn auch nicht solo. Auch innerhalb der Regierungskreise gibt es verschiedene Meinungen über das Singen der Frauen. Wenn alle Frauen, die nur im Untergrund wirken, frei singen könnten, dann würden ihre männlichen Kollegen große Konkurrenz bekommen! Ich kritisiere die Verbote öffentlich und zitiere als Beispiel immer die Schlaflieder: Die werden natürlich alle von Frauen gesungen, die können gar nicht von Männern gesungen werden. Es ist also das Natürlichste der Welt, dass Frauen singen müssen!

Was ist Ihr größter Wunsch für die Zukunft?

Alizadeh: Ich möchte die Gelegenheit bekommen, mich in Ruhe neuen Werken zu widmen, ein Jahr lang etwa. Denn das ist durch meine vielen Schüler und Reisen nicht möglich. Alles, was ich bisher gemacht habe, alle meine Werke, das sind Kindheitsträume. Bis jetzt habe ich immer die Wünsche meiner Vergangenheit zu Musik gemacht. Jetzt möchte ich einen Zukunftstraum verwirklichen.

© Stefan Franzen

Tourdaten „Liebestrunken“
30.10. Kopenhagen, 31.10. Wien, 1.11. Köln, 6.11. Freiburg, 7.11. München, 8.11. London. 13.11. Brüssel, 14.11. Berlin, weitere Infos: www.zarbang.com

Hossein Alizadeh, Motamedi & Hamavayan Ensemble: Live in Göteborg
Quelle: youtube