Lorca, Bruckner und der Klang der Stille

Sílvia Pérez Cruz & Marco Mezquida / Sílvia Pérez Cruz & Quinteto de Cordas
Café de la Danse, Paris, 07.02. & 08.02.2019

„In der Musik ist es wie im Leben – manchmal geht es mit jemandem, manchmal nicht. Und hier…“ Sílvia Pérez Cruz beendet den Satz in ihrem charmant improvisierten Französisch im rappelvollen Pariser Café de la Danse nicht einmal. Sie zeigt nur auf ihren Bühnenpartner, Marco Mezquida. Das Publikum weiß da schon seit fast zwei Stunden, dass es ging.

Das Duo mit dem katalanischen Pianisten ist die neueste Bühnenkonstellation für Iberiens schönste Stimme. Und sie klappt deshalb so gut, weil Mezquida wie seine Partnerin über Genregrenzen nicht einmal nachdenkt, sich in alle erdenklichen Klangtableaus hineinversetzen kann. Rücken an Rücken beginnen die beiden mit dem Jazzstandard „My Funny Valentine“ am Pianino, ein Instrument, so warm und gedämpft, man könnte es sich in einem alten kubanischen Salon vorstellen. „Vestida De Nit“, die von ihren Eltern geschriebene Meereshymne erklingt am Flügel, doch Mezquida dämpft die Saiten, unterlegt den melismatischen Gesang von Pérez Cruz zackig-hölzern, was den stolzierenden Habanera-Rhythmus viel mehr herausmeißelt als bei allen anderen Versionen. In der hübschen Miniatur „Plumita“, das auf einem Kurzgedicht des uruguayischen Dichters Mauricio Rosencof basiert, spannt das Duo einen wunderbaren Bogen von fast zitternder Intimität der kleinen Feder bis zum monströsen Aufbäumen des Konzertflügels, in gewaltig tremolierenden Akkorden.

Immer wieder begeistert der Tastenmann mit seinen Umschwüngen von kleinzelliger, intimer Spielweise in den Habitus des romantischen Konzertpianisten mit voluminösem Gestus. Der Abend lebt nicht nur von dynamischen, auch von transatlantischen Sprüngen – und die ungewöhnliche Adaption des Liedgutes: Den Fado „Barco Negro“, der mit seiner Sklavenschiff-Thematik Afrika in sich birgt, lässt Mezquida ansatzweise zum Blues mutieren, das Regenwunschlied „Asa Branca“ aus Brasiliens trockenem Nordosten bekommt jazzige Improeinlagen. Zum lockeren Tänzchen am Klavier fordert „Siga El Baile“ heraus, Pérez Cruz verfeinert das polternde Stück aus der Tango-Sphäre mit verführerischer Eleganz. Das Schweigen und die Stimme sind Thema in Federico García Lorcas „El Niño Mudo“ – Verse, die einst von der chilenischen Politfolk-Gruppe Quilapayún vertont wurden, und hier nun im ergreifenden, dichten Duo, vierhändig begleitet, immer wieder im Nachhorchen und Verklingen der Worte verharren.

Schließlich wird auch der hispanische Kulturkreis durchbrochen. Das Schweigen und die Stimme, noch einmal: Ein wenig vergaloppiert hat sich Sílvia Pérez Cruz vielleicht in ihrer Lesart von „The Sound Of Silence“: Paul Simons enigmatische Verse zerpflückt sie in die Einzelteile, der schlichte folkige Flow wird dadurch gehemmt. Doch zum erstaunlichsten Brückenschlag wird das Finale, dem mit dem Wort Medley nicht beizukommen ist: Sitzend am Flügel interpretiert Pérez Cruz Anton Bruckners „Christus Factus Est“ mit kristallin-sakraler Ergriffenheit, fast wie ein Chorknabe, der sich dann wortlos in Ornette Colemans „Lonely Woman“ löst, Mezquida baut eine wahre Akkordkathedrale auf. Doch letztlich sinkt alles wieder in die melancholische Verlorenheit von „My Funny Valentine“ zurück. Zwei Zugaben zeigen nochmals das gewaltige Spektrum dieses Traumpaares, dem man ein langes Bühnenleben wünscht: Für Radioheads „No Surprises“ wird eigens ein Toy Piano auf die Bühne getragen, die Pophymne in pures Spielzeugland aufgelöst. Nur um einen letzten Kontrast heraufzubeschwören: mit Leonard Cohens Lorca-Adaption „Pequeño Vals Vienés“, das ins spanische Original zurückgeführt wird und in dem große Flamenco-Dramatik siedet.

Sílvia Pérez Cruz & Marco Mezquida
Quelle: youtube

Während das Duo weiterhin weltweit zu hören sein wird, gestaltet Sílvia Pérez Cruz in ihrer Kurzresidenz im Café de la Danse den zweiten Abend mit einem Auslaufmodell: Dabei hätte es das Streichquintett-Programm „Vestida de Nit“, hier schon mehrfach besprochen, verdient, immer weiter gegeben zu werden. Denn  der Vergleich zum Konzert in Girona vor 16 Monaten zeigt, wie viel an Intensität und neuen Variationen das Zusammenspiel von Sängerin und den Streichern um Cellist Joan Antoni Pich nochmals gewonnen hat. Alle sechs warten mit neuen Improvisationseinfällen auf, Sílvia Pérez Cruz pflegt mit jedem einzelnen Quintettmitglied befeuernde Dialoge.

Ihre „Lambada“ durchschreitet sie noch kantabler, „Ai, Ai, Ai“ wird fast zum Volksfest mit Publikumsgesang. Noch inniger und bittersüß-verschmitzt kommt das Mexikos Pathos nachempfundene „Mañana“ im Duo mit Carlos Montfort daher, „No Hay Tanto Pan“, diese Hymne für alle Verlierer der Immobilienkrise in Spanien, gipfelt in fast atemloser Verausgabung. Und die schönste Überraschung: Das Lied von der Taube, „Cucurrucucú“, es wurde seit Caetano Velosos meditativer Version aus dem Film „Hable Con Ella“ nicht mehr volkstümlich interpretiert – Sílvia und ihr Quintett schaffen eine tänzerische Rückführung aufs Mariachi-Parkett ohne jeglichen Kitsch.

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Katalanischer Spätsommer II

                                                                         Foto: Stefan Franzen

Sílvia Pérez Cruz & Jaume Llombart
Theaterspektakel Zürich – Seebühne, 29.08.2017

„Mein Name ist Sílvia, ich komme aus Barcelona, ich liebe Musik – und das ist alles.“ Mit diesem schlichten Satz stellte sich gestern eine der großen Stimmen Iberiens am Ufer des Zürichsees vor. In Spanien, wo sie jeder kennt, würde das Publikum sicherlich schmunzeln, käme Sílvia Pérez Cruz mit einer so grundlegenden Visitenkarte auf die Bühne.

Für ihre Premiere in Zürich hatte sich die Katalanin eine Sommernachts-Traumkulisse ausgesucht: Auf quasi schwimmenden Brettern, umsäumt vom Licht der ab- und anlegenden Dampfer, dem sanften Plätschern der Wellen und dem Klonken der vom Wind durchwehten Bootsmasten brachte sie ein intimes Duo-Recital mit dem Saitenzauberer Jaume Llombart mit – ein neues Programm quer durch Stile und Epochen, eine Abwechslung vom herausragenden Album Vestida De Nit, das sie gerade mit Streichquintett veröffentlicht hat.

Mehr kann man sich von einer Stimme nicht wünschen: Pérez Cruz malt ihre Töne auf die nächtlichen Wellen wie kleine Schaumkronen, von der jede einzelne eine andere Färbung bekommt. Ihr helles Timbre umfasst Lieder von Andalusien bis zu den Anden: In mikroskopischen Arabesken leitet sie den Abend a cappella mit der Flamenco-Adaption „La Estrella“ von Enrique Morente ein und legt dann eine ganze Wegstrecke auf lusophonem Terrain zurück. Da ist ihre Version des bittersüß schaukelnden „Dança da Solidão“ von Paulinho da Viola, ein herzzereißendes Fado-Tribut an Amália und das fast naive, 100 Jahre alte Liebesständchen „Carinhoso“, das es in Brasilien zur heimlichen Nationalhymne geschafft hat.

Die Geschichten der verflossenen, unmöglichen Liebe über den Tod hinaus, gestaltet sie am schönsten: An anderer Stelle habe ich schon behauptet, ihre Versionen von „Cucurrucucú“ überträfen alle bestehenden, und das bestätigt sich noch mehr im Live-Eindruck. Von der Taube zur Lerche: Der Flug der „Skylark“ aus dem Great American Songbook erfährt bei Sílvia Pérez Cruz neue zärtliche Schleifen und Kapriolen. Und auch die glückliche Liebe kommt zum Zuge, als Édith Piafs „Hymne À L’Amour“ in triumphaler Innigkeit über den See klingt.

Im Schein des Mondes greift sie die „Tonada De Luna Llena“ auf, ein fast weinender, ursprünglich venezolanischer Sehnsuchtsgesang an den Erdtrabanten, raffiniert mit Rhythmuswechseln ausgestattet, die der Gitarrist Jaume Llombart mit feinem Zeitgespür ausgestaltet. Er entpuppt sich als grandioser, feinfühliger Dialogpartner, der folkloristisches Setting und Jazzharmonik federleicht miteinander vereinbart, in seinen Improvisationen immer aufmerksam auf die Vokallinien reagiert.

Der Zamba „Balderrama“ nimmt das Duo die marschartige Strenge, wie sie noch in der Interpretation von Mercedes Sosa vorherrschte, und kombiniert den Canción der argentinischen Diva mit einem neuen Kleinod aus Pérez Cruz‘ Feder, der reizenden „Plumita“. Unfreiwilliger Höhepunkt dieser bewegenden Klangnacht am See: In das Finale von „My Dog“, einem Song aus dem Film „Cerca De Tu Casa“, fällt das Horn eines einlaufenden Dampfers in der zufällig passenden Tonart als Verstärkung ein.

Sílvia Pérez Cruz ist dabei, auch in unseren Breiten Gehör zu finden. Einen passenden Soundtrack zu diesen letzten Sommertagen lege ich der Blog-Leserschaft noch ans Ohr – dieses Mal nicht im See- sondern im Meeres-Kontext: ihre Version einer Habanera, die ihre Eltern vor mehr als 30 Jahren geschrieben haben, zugleich Titelstück des aktuellen Albums.

© Stefan Franzen

Sílvia Pérez Cruz: „Vestida De Nit“
Quelle: youtube