Bartlos in Seattle

Rochen diese Songs nicht nach würzigem Waldboden, nach Frühtau, der über den Wiesen liegt? Nach der Verheißung von Wurzeln jenseits des entfremdenden urbanen Getriebes? Gesänge, als hätte man die Vokalschichtungen von Beach Boy Brian Wilson mit einem gregorianischen Chor gepaart, als stünden vervielfältigte Simon & Garfunkels in einer romanischen Kirche. Drumherum: Akustikgitarren, Mandolinen, Pauken, Glockenspiel. Als die Fleet Foxes aus Seattle um Sänger Robin Pecknold 2008 ihr Debüt veröffentlichten, sättigten sie die Americana mit ruralen Farben. Und sie wurden zu den zwar nicht ersten, aber erfolgreichsten Ikonen für die neue Generation der Bärtigen und Flanellhemdenträger, wie ausverkaufte Hallen von Los Angeles bis Sydney bewiesen. Auch der Nachfolger Helplessness Blues von 2011 folgte dieser folkigen, mythischen Naturphilosophie, angereichert mit mehr Raffinesse, Tempowechseln, jazzigen Einsprengseln.

Dann war erst mal Schluss, derweil andere den Sound der neuen Empfindsamen pflegten. Mumford & Sons, Sufjan Stevens, William Fitzsimmons, Iron & Wine etwa – aber niemand hatte diese erhabenen Stimmenschichtungen der Füchse. Und während allerorten die Hipster ihre Bärte kultivierten, rasierte Oberfuchs Robin Pecknold sich die Manneszier ab, knabberte an einer Trennung, schrieb sich an der Columbia University in Kunst und Literatur ein, lernte surfen und kletterte am Everest herum. Neue Songs kamen ihm dabei vorerst nicht in den Sinn. Drummer Joshua Tillman ging im Streit, benannte sich in Father John Misty um und gibt den Apokalyptiker, der für die digitale Gesellschaft nur noch Zynismus übrig hat. Seine Ex-Band dagegen antwortet jetzt, nach sechs Jahren Pause auf das absurde Welttheater völlig anders.

Crack-Up („Zusammenbruch“) als Konzeptalbum zu bezeichnen, wäre untertrieben. Es ist Hörspiel, Folk-Oper und Traktat: Die Inspiration für den Titel empfing Pecknold aus einem Essay von F. Scott Fitzgerald, in dem dieser postulierte, ein großer Geist müsse völlig entgegengesetzte Ideen gleichzeitig verarbeiten können, ohne verrückt zu werden. Folgerichtig durchlebt die Hörerschaft während 55 Minuten unerwartete Moll-Eintrübungen und Dur-Aufhellungen, Wechsel von folkiger Stille in triumphale Breite, von introvertiertem Gemurmel, zu plötzlich aufstrahlendem Sologesang und diesen nach wie vor einzigartig kristallinen Chören. Anfangs mögen sich Vergleiche mit Pet Sounds von den Beach Boys aufdrängen.

Doch Pecknold collagiert weit mehr als Rock‘n‘Roll und Klassik wie einst Wilson: Streicherklänge kollidieren mit marokkanischen Kastagnetten, Gitarrenriffs aus dem Sahel, einem verlangsamten Cembalo und Orgelbrausen – all das allein vereinigt sich in „Mearcstapa“, einem Porträt des einsamen Biestes aus der Beowulf-Saga. Geigen gleißen am Horizont, Klavierlinien kreisen wie ferne Kirchenglocken, Mellotrone liefern glasige Liegetöne. Und auch wenn die Keimzelle oft nur ein Riff auf der Akustikgitarre ist, kaum gibt es ein Stück, das als herkömmlicher Song gelten könnte. Etliche sind Suiten mit Regieanweisungen: Mal befindet man sich auf dem weiten Meer, dann auf den Straßen einer Stadt, unvermittelt wieder in Pecknolds Studentenbude. In majestätischem Folkbombast berichtet die Single „3rd Of May“ von Pecknolds Freundschaft zum zweiten Band-Mastermind Skyler Skjelset, endet aber in einem nüchternen japanischen Klanggarten.

Fleet Foxes: „3rd of May / Odaigahara“ (live)
Quelle: youtube

Kryptisch sind die Texte, oft getragen von einem weihevollen Ton, trotzdem nicht weltfremd: Trauer über Muhammad Alis Tod wird verknüpft mit der über die Erschießungen zweier unschuldiger Schwarzer („Cassius“), „Naiads“ klagt die respektlose Behandlung von Frauen an, in Versen, die auch ein aus der Distanz kommentierender Chor einer griechischen Tragödie so vortragen könnte. Und tatsächlich werden antike Götter und Helden in den Lyrics wie als Gegengewicht zu den politischen Hanswursten von heute beschworen. „Wie konnte alles an nur einem einzigen Tag zusammenstürzen? Was für ein Staat wird uns erwarten?“, fragt Pecknold wie Millionen von Amerikanern am 20. Januar in „If You Need To, Keep Time On Me“. Als schlichter Folksong gemahnt er fast als einziger an die Frühzeit der Band. Am Ende gleicht „Crack-Up“ der epischen Irrfahrt eines modernen Odysseus und Orpheus in Personalunion, die, an den Schiffsmast gebunden, das (Her)einstürzen der Welt und der Wellen erleben. Hilflos? Wappnen können sie sich mit der Macht der Worte und Klänge, die eine neue Wirklichkeit erschaffen. Geht es nach den Fleet Foxes, heißt die Antwort auf den Wahnsinn nicht politische Agitation, sondern poetische Verfeinerung.

© Stefan Franzen

Fleet Foxes: „Fool’s Errand“
Quelle: youtube

Wall Of Sound der Wildnis (#13 – Canada 150)

Foto: Nick Davis

The Besnard Lakes (Saskatchewan)
aktuelle Alben: The Besnard Lakes Are The Divine Wind (EP) /
A Coliseum Complex Museum (beide: Jagjaguwar)


Kanadas Rockmusik ist in meiner Serie bislang etwas kurz gekommen. Vielleicht liegt das daran, dass ich ein wenig Vorbehalte habe, ist man doch als Kind der 70er und 80er durch Leute wie Bryan Adams oder Alanis Morissette nicht optimal vorgeprägt. Doch jenseits des Mainstreams ist die Rockszene des Ahorn-Landes spannend, vielfältig, untergründig, psychedelisch, sphärisch – ein bisschen von alldem findet sich im Sound der Besnard Lakes um das Ehepaar Jace Lasek und Olga Goreas, die in Montréal wirken, aber ihre tiefen Wurzeln in der Einsamkeit von Saskatchewan haben. Mit Lasek habe ich mich bereits im letzten Sommer, vor meiner Kanadareise unterhalten.

Jace, ihr habt die Band nach einem See benannt, und wenn man eure Cover anschaut, könnte man vermuten, dass die Natur euch eine sehr große Inspirationsquelle liefert.

Jace Lasek: 80 bis 90 Prozent unserer Bevölkerung sitzen ja an der kanadisch-amerikanischen Grenze, und der Rest ist einfach Wald und Wildnis. Wir haben unheimlich viel offene Landschaft, das macht es leicht, campen zu gehen. Zum Besnard Lake gehen meine Frau und ich seit 20, 25 Jahren immer wieder hin. Er hat etwas Besonderes, wie jeder Ort, an dem du den Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten verlierst. Es ist sehr abgelegen, du bekommst das Gefühl, dass du dort der einzige Mensch bist. Ich kann da wirklich vom Montréaler Alltag abschalten, wo ich lebe und Platten produziere. Es ist eine so schöne Landschaft, sie inspiriert mich. Wir nehmen manchmal Gitarren mit und schreiben, meistens aber gehen wir dahin, um einfach nichts zu tun und uns zu re-setten, was für jeden Menschen wichtig ist. Weiterlesen