Für den stillen Seismographen

gianmaria testa

„Zum Glück bringt mir mein Leben immer noch Tage, an denen ich fähig bin zu träumen und zu hoffen. Denn das ist es doch, was uns heute so fehlt“, sagte er vor fünf Jahren im Jazz thing-Interview anlässlich der Veröffentlichung seines Albums „Vitamia“. Schon damals spürte man in seinen Liedern ein wehmütiges Horchen auf das Unwiederbringliche. Gianmaria Testa trauerte den Siebzigern nach, als die Welt noch von einem Gemeinschaftsgefühl geprägt war und alles möglich schien. Jetzt müssen wir um den Cantautore trauern, der am 30. März mit gerade mal 57 Jahren den Krebs nicht besiegen konnte.

Testa war eine Ausnahmeerscheinung der mediterranen Szene: In einfachen Verhältnissen aufgewachsen, als Kind und Jugendlicher mit dem Vater jeden Tag auf dem Feld, dann 25 Jahre lang im Dienste der italienischen Staatsbahn, kam er als Spätzünder zur Musik. Erst mit Mitte Dreißig meldete er sich für einen Wettbewerb an, machte seinen Weg in dem ihm eigenen ruhigen Tempo über Paris bis nach New York. Seine Markenzeichen: Eine delikat brummende Sprechstimme, sie brachte ihm Vergleiche mit Paolo Conte und Leonard Cohen ein, die aber ordentlich hinkten. Testa spielte in seinen leisen Liedern auf der poetischen Feinmechanik, erzählte metaphernreiche Geschichten über Glühwürmchen im August, das Mondknäuel über Mailand, die Winterblumen und den Stern überm Meer.

Und immer wieder war da auch die Liebe in all ihren Schattierungen, vor allem das Verzweifeln an den schweigenden Abgründen und das nüchterne Abschiednehmen. Auf seinen jüngeren Alben wandte er sich auch politischen Themen zu, schlug einen zuweilen wütenderen Ton an, etwa wenn er über das Schicksal der Migranten in Europa nachdachte, über die rechten Umtriebe der Lega Nord und die Arbeitslosigkeit der Jugend. Ein stiller Seismograph ist gegangen, den niemand ersetzen kann.

Gianmaria Testa: „Le Traiettorie Delle Mongolfiere“
Quelle: youtube

Kunstfrühling I: Lotte in Ravensburg

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Noch bis zum 10.4. im Kunstmuseum Ravensburg zu sehen:
Die Ausstellung „Max Pechstein – Koerper. Farbe.Licht.“

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Von den exotischen Faszinationen seiner Palau-Reise über die berühmten Aktdarstellungen bis zu den späten, von innen leuchtenden Strandbildern. Und als Modell immer wieder: Seine erste Frau Lotte, die Dame mit den imposanten Augenbrauen.

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In gerade mal ca. 60 Bildern klug und erhellend kuratiert.  Dringende Empfehlung.

Königin-Tag

Happy Birthday, Aretha!
Zum Ehrentag eine Rarität: „Tiny Sparrow“ wurde von Bobby Scott geschrieben, einem ihrer Columbia-Produzenten der frühen Sechziger. Eine Komposition fast schon im Stil eines englischen Folksongs, im Studio eingespielt im Oktober 1963. Dieser rare Livemitschnitt zeigt, welche Dramaturgie Aretha in ihrer Jahrhundertstimme schon mit 21 hatte, bevor sie sich endgültig dem Soul zuwandte.

Aretha Franklin: „Tiny Sparrow“ live
Quelle: youtube

Slowing Down St. Patrick

the gloaming - 2The Gloaming
2
(RealWorld/PIAS/Rough Trade)

Zum heutigen St- Patrick’s Day, der eher für feucht-fröhliche Kneipenlaune bekannt sein dürfte, ein Ruhepol im turbulenten Guinessschaum. Schon das Debütalbum der irisch-amerikanischen Formation um den Sean Nós-Sänger Iarla Ó Lionáird hatte es mir Ende 2013 angetan. Nun legen die Entschleuniger des irischen Folks neue Metamorphosen der Tradition vor. Die flirrend-kristallinen, obertonseligen Flüge der Geige und Hardangerfiedel, Iarla Ó Lionáirds ergreifender Keltensoul und die Kontrapunkte auf Gitarren und Klavier (von Sufjan Stevens-Mitstreiter Thomas Bartlett) ergeben eine entschleunigte Suite, die mal kontemplativ, mal hymnisch strahlt. Was einst im Pub die schönste Nebensache war, ist jetzt für die feinsten Konzertsäle der Welt zugeschnitten. Gekrönt wird das Werk wieder durch ein Cover der großartigen Fotokünstler Robert und Shana ParkeHarrison.

The Gloaming: „Fáinleog (The Wanderer)“
Quelle: youtube

 

 

Adeus, Naná

nana vasconcelos

Eine traurige Nachricht erreicht mich aus Recife, Pernambuco: Heute ist Naná Vasconcelos mit 71 Jahren an einem Krebsleiden verstorben. Er hat mit Pygmäen, buddhistischen Mönchen und Sami-Sängern gespielt, war Partner von Milton Nascimento, Don Cherry, Pierre Favre, Egberto Gismonti, Paul Simon und den Talking Heads. Im Katalog von ECM gastierte er auf Meilensteinen wie Jan Garbareks „Eventyr“ oder Pat Methenys „As Falls Wichita…“, er schuf Soundtracks für Jim Jarmusch und Balletmusik für Pina Bausch. Gut möglich, dass Naná derjenige brasilianische Musiker mit der höchsten Präsenz weltweit war.

Jeder, der sich mit Jazz oder lateinamerikanischer Musik beschäftigte, musste früher oder später seinen Weg kreuzen. Beim Autor dieser Zeilen war das irgendwann in den späten Achtzigern, als Jan Garbarek mit seinem Quartett das Freiburger Audimax beehrte. Da agierte ein Mann, bei dem das Attribut „an der Percussion“ nicht mehr griff: Denn Naná Vasconcelos schuf mehr Sounds als Beats, spielte nicht nur auf Instrumenten, sondern spielte vor allem auf sich selbst. Dieser herzenswarme, witzige und auch ein wenig schrullige Musiker war vor allem eines: die Verkörperung des Rhythmus.

Zentral für ihn war der Musikbogen Berimbau: „Er ist das Instrument meiner Seele“, sagte er, als ich ihn 2013 sprach für ein Interview, das mehr zum Hörspiel geriet. „Durch den Berimbau verstehe ich die Stille, die Lautstärke, die Geschwindigkeit. Nicht ich habe ihn gewählt, sondern er mich.“ Als Vermächtnis ist seine CD „4 Elementos“ zu sehen, eine Abbildung von Luft, Wasser, Feuer und Erde mit den musikalischen Vokabeln des brasilianischen Nordostens.“Ich will jung sterben, aber so spät wie möglich!”, wünschte er sich. Ich bin sehr traurig, dass es nun doch ein bisschen früher geworden ist. Descanse Em Paz.

Naná Vasconcelos: Batuque Nas Águas“
Quelle: youtube

 

Tabubruch in Teheran

no land's song

„Gott hat für die Kommunikation bestimmte Frequenzen vorgesehen“, sagt der Religionsgelehrte. „Es ist einer Frau erlaubt, mit einem Mann normale Konversation zu betreiben. Aber wenn sie singt, ist die Gefahr da, dass wir uns an dieser Art der Konversation erfreuen.“ Und er vergleicht den weiblichen Gesang mit einem Käse, dem viele Zutaten beigemengt werden: Dieser Genuss, so meint der alte Mann, der an einem Tisch voller Fruchtkörbe sitzt, würde einen ja auch verderben. Konsterniert schaut die Frau ihm gegenüber unterm Hijab hervor. Ihre Mission grenzt ans Unmögliche: Sara Najafi möchte entgegen aller Direktiven des Mullah-Regimes in Teheran ein internationales Konzert mit fünf Solosängerinnen auf die Beine stellen.

„Die weibliche Stimme ist sehr wichtig für mich in der Musik, und sie droht im Iran vergessen zu werden“, so die Komponistin. Man hat ihr geraten, doch ein Instrument zu studieren, sonst würde sie eh‘ in der Küche enden. Denn seit 1979 dürfen Frauen im öffentlichen Raum nur noch als Backgroundchor agieren, mindestens ein Sänger muss auf der Bühne dabei sein, um ihre Frequenzen zu „neutralisieren“. Schon einmal, vor fast hundert Jahren, eroberte sich eine Frau in Persien gegen alle Widerstände die Bühne, die legendäre Qamar, die mit ihren Liedern über Willkür und Tyrannei international Ruhm erlangte. Vor der Errichtung des Gottestaates gab es ein Vergnügungsviertel in der Stadt, die größten Stars der iranischen Musikszene waren Frauen wie Delkash und Googoosh, heute „Illegale“, deren Cassetten nur heimlich verkauft werden. Sie sind Leitbilder für Najafi, deren Bruder Ayat, ein in Berlin lebender Regisseur, aus dem Spießrutenlauf der Schwester einen genauso beklemmenden wie berührenden Film gemacht hat.  Er feiert in der kommenden Woche (ab 9.3.) Deutschlandpremiere.

Man kann die Paranoia des Teheraner Alltags hautnah spüren: Immer wenn Najafi bei staatlichen Behörden vorspricht, bleibt die Leinwand konsequent zensurschwarz. Straßenverkäufer und Musikalienhändler blicken sich vorsichtig um, bevor sie den Mund aufmachen. Doch es gibt die privaten Oasen, etwa, wenn Najafi im Garten sitzt mit ihren Mitstreiterinnen. Dort berichtet Parvin Namazi wehmütig von einer Zeit, die noch musikalische Freizügigkeit kannte. Und die klassisch ausgebildete Sayeh Sodeyfi, die männliche Studenten unterrichten, ihnen aber nur die Theorie erklären darf, findet ein poetisches Bild für die heutige Unterdrückung: „Nicht singen zu dürfen, das ist, als hörte für einen Maler die Farbe Rot auf zu existieren.“

Von ihren Landsfrauen baut Najafi eine Brücke zu den Pariser Gesangesschwestern Élise Caron, Jeanne Cherhal und Emel Mathlouthi – auch wenn noch gar nicht klar ist, ob ihr gemeinsames Projekt auf die Bühne kommen kann. Engagiert und behutsam erarbeiten alle Beteiligten das Programm. Erleben einen absurden ideologischen Eiertanz, müssen Visa- und Zensurhürden überwinden. Suchen eifrig diskutierend Wege der Verständigung über die so unterschiedlichen Verhaltensregeln und Tonsysteme. Resignieren ob der bürokratischen Knüppel, die ihnen zwischen die Beine geworfen werden. Und schöpfen neue Hoffnung, als der liberalere Rouhani Präsident wird. Die vom Stimmenfestival auch bei uns bekannte Mathlouthi ist schon einen Schritt weiter als Najafi, hat in ihrer Heimat die Revolution singend begleitet. Und sie ist es auch, die tragischerweise das gesamte Unternehmen gefährdet, durch einen simplen Facebook-Eintrag.

Ob schließlich der beherzte Vorstoß der Frauen und ihrer männlichen Begleitinstrumentalisten glückt, sei hier nicht verraten. Man muss nach den 90 Minuten tief durchatmen, kann vielleicht kaum die Tränen zurückhalten. „No Land’s Song“ ist eine der wichtigsten Musikdokus der letzten Jahre, denn sie führt eindringlich vor Ohren: Wo immer sich eine Religion über Menschenrechte und kulturelle Freiheit stellt, dürfen wir nicht schweigen.

© Stefan Franzen

anlässlich des deutschen Kinostarts ist das No Land’s Song-Ensemble im Pavillon Hannover (21.3.) und in der Niedersächsischen Landesvertretung Berlin (22.3.) zu hören.

No Land’s Song – Trailer
Quelle: youtube

Kataloniens schönste Stimme

silvia perez cruz

Sílvia Pérez Cruz
Domus
(Universal Spain)

Es gibt eine Handvoll Stimmen auf dem Planeten, die mich unmittelbar zu Tränen rühren – ihre gehört dazu. Sílvia Pérez Cruz ist hierzulande – wenn überhaupt – nur Jazzhörern bekannt, weil ein Album mit dem Bassisten Javier Colina in den deutschen Vertrieb kam. Doch die 33-jährige ist weitaus vielfältiger, singt katalanischen und südamerikanischen Folk, Flamenco, Pop, kann vor der Textur einer Bigband bestehen und im Duo mit einer Konzertgitarre fast unhörbar wie Espenlaub zittern. Die Hauskonzerte, die sie auf youtube gestellt hat, die Session mit ihrem Vater in einer Kneipe, aber vor allem ihre Jahrhundertversion von „Cucurrucucú Paloma“, haben mich völlig umgehauen: Da sitzt diese Frau in einer Scheune, ihre Gitarre, und auch das Banjo vom Begleiter Raül Fernández sind ein wenig verstimmt, sie findet kaum den Einstieg, stockt später im Text, verliert fast den Rhythmus, eine Fliege krabbelt ihr über die Hand. Doch dieses spontane Setting ist berührender, echter als jede Konzertsituation, und wenn der Ruf der Taube kommt, setzt der Takt aus, und da ist nur noch eine Innerlichkeit, die einem das Herz zerreißt. Und man denkt sich einen ganz schlichten Satz:  So muss Musik eigentlich sein.

Ihre in Katalonien und Spanien gerade erschienene neue CD basiert auf einem Soundtrack, den sie für den Schicksalsfilm Cerca De Tu Casa über die Eurokrise in Spanien geschrieben hat. Fürs Album hat sie das Rohmaterial zu melancholisch-folkigem Ohrenschmaus ausgebaut. Die Songs leben von der vokalen Empfindsamkeit mit filigranem Vibrato, und für ihren Gesang schafft sie von Stück zu Stück verschiedene Settings: Harfe, zarte Gitarrentöne, kreiselndes Piano, Streichquartett, auch mal ein paar rustikale Chöre oder ein akkordeongetriebener Lambada-Rhythmus. Domus gibt es nur über Import –  ein großes Versäumnis der deutschen Musikindustrie.

Sílvia Pérez Cruz: „Verde“
Quelle: youtube

Schafft der WDR die Welt ab?

radio kaputt

Ein Geheimnis ist es schon lange nicht mehr: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland befindet sich in einem trostlosen Zustand – sofern man die Erfüllung des gesetzlich festgelegten „Kulturauftrags“ noch in irgendeiner Art und Weise ernst nimmt.

Dieser ein wenig schwammige Begriff kann im globalisierten Zeitalter nur Konturen bekommen, wenn man ihn denkbar umfassend begreift, sprich: als Abbildung aller Facetten von Klang, Schrift und Wort des gesamten Erdballs. Ein so verstandener Kulturauftrag ist probates Mittel, um das Verständnis für die Welt zu schärfen, Vorurteile abzubauen, Begeisterung für das Andere zu wecken – gerade jetzt, wo auf dem Hintergrund der „Flüchtlingskrise“ Ressentiments gegen dieses Andere hochkochen.

Der Westdeutsche Rundfunk bringt in dieser Großwetterlage die kulturelle Vielfalt nicht nur in akute Gefahr. Er ist auf dem besten Weg, sie in einem beispiellosen Kahlschlag nahezu abzuschaffen.

Dahinter stecken als Programmreform getarnte Sparmaßnahmen, von denen seit Jahresbeginn bereits WDR 3 und – wie nun bekannt wurde – künftig noch vielmehr der Spartensender Funkhaus Europa betroffen sind, letzterer 1998 vom damaligen Intendant Fritz Pleitgen als interkulturelles Aushängeschild auf den Weg gebracht.

Seit den 1970ern war die Kölner Anstalt Vorreiter für Klänge von anderswo. Doch Ende September ging der WDR 3-Redakteur Werner Fuhr in Pension. Fuhr hat über Jahrzehnte Sendungen wie Vom Bosporus nach Gibraltar oder die MusikPassagen konzipiert und verantwortet. Damit hat er uns nicht nur Musiktraditionen rund um die Welt näher gebracht, er und sein Team haben auch von Anfang an einen Beitrag dazu geleistet, die Kulturen unserer sogenannten „Gastarbeiter“ im Land zu beleuchten. Die aktuellen Sendungen seines Zuständigkeitsbereich waren unter anderem die Musikkulturen und die open SoundWorld, die damit warb: „Hier können Sie mit offenen Ohren die Vielfalt musikalischer Lebenswelten entdecken, verstehen und genießen.“

Noch bevor Fuhr seinen Ruhestand antrat, beschloss der Rundfunkrat die Reform. Diese umfasst die ersatzlose Streichung der open SoundWorld und die Etatkürzung für die Musikkulturen, die an Wochenenden und Feiertagen komplett entfallen und ansonsten auf den späten Abend verwiesen wurden. Das neue Konzept unter dem Arbeitstitel „Jazz & World“ ist de facto eine Zusammenlegung der zwei Sparten, Weltmusik findet nun vorrangig in kürzeren Beiträgen statt.

Das zweite Kapitel der Programm- „Planierung“ war ursprünglich nicht geplant und fällt noch wesentlich drastischer aus. Es betrifft WDR Funkhaus Europa, das sich mit vielen fremdsprachigen Anteilen an die in Deutschland lebenden Minderheiten richtet und zugleich die aktuellen Ereignisse im Global Pop abbildet. Die Sendeplätze für die arabische, türkische, spanische und polnische Community sollen auf 30 Minuten gekürzt, in den Abend verschoben und vorab aufgezeichnet werden. Seinem „interkulturellen“ Zuschnitt wolle Funkhaus Europa weiter nachkommen und das Programm dahingehend noch ausbauen, ließ die stellvertretende WDR-Unternehmenschefin Ingrid Schmitz vor einigen Tagen gegenüber der WAZ verlauten. Danach sieht es momentan nicht aus.

Denn noch dramatischer fällt die Umgestaltung des Musikprogramms aus: Insgesamt 17 (!) Autorensendungen, die bislang noch aus dem schon durchformatierten Sendeschema herausstachen, fallen ersatzlos weg. Darunter sind so beliebte Shows wie der „Balkanizer“ oder das „Mestizo FM“, das sich mit Latino-Sounds auseinandersetzt; weichen müssen auch die Beiträge des  DJ-Kollektivs Jazzanova, ebenso die von Baile Funk-Spezialist Daniel Haaksman verantwortete Sendung. Selbst das Flaggschiff und Urgestein der Musiksparte, die „5 Planeten“, moderiert vom langjährigen Experten und Musikchef Francis Gay, kommt unter den Sparhammer. Ab 23 Uhr gibt es künftig eine Musikrotation aus der Konserve.

Die jetzigen Zusammenstreichungen bei Funkhaus Europa sollen wohl die Einbußen auffangen, die die von SPD und Grünen Ende Januar im NRW-Landtag beschlossene WDR-Gesetzesänderung zur Reduzierung der Radiowerbung ab 2017 bringen werden.  Man darf sich trotzdem die bescheidene Frage gönnen, wie die Sparmaßnahmen begründet werden. Aufgrund des verordneten Rundfunkbeitrags werden die Öffentlich-Rechtlichen bis Ende 2016 einen Überschuss von 1,5 Milliarden Euro erwirtschaften, der auf Sperrkonten geparkt wird, auf die die Anstalten selbst vorläufig keinen Zugriff haben. Wie der Tagesspiegel analysierte, werden diese Überschüsse gewinnbringend angelegt.  Unterstützen wir mit unseren Gebühren ein Börsenunternehmen, während die vielen engagierten digitalen Formate wie byte.fm dem Kulturauftrag viel eher gerecht werden, aber mit den freiwilligen Beiträgen eines Freundeskreises auskommen müssen?

Vor sieben Jahren schloss der rbb in Berlin sein Radio Multikulti, Pionier für Weltmusik und Global Pop. Seitdem ist der Trend, Nischenvielfalt und Autorensendungen in den öffentlich-rechtlichen Häusern einzuebnen, landesweit unüberhörbar. Über die Verödung im Programmschema hinaus ist diese aktuelle Entscheidung des Rundfunkrates ein verheerendes Signal in Zeiten, wo das Gedanken“gut“ Braunbetupfter bis Braungetünchter sich immer lauter bemerkbar macht. Für das fragile Gebilde einer Willkommenskultur findet sich in den deutschen Radiosendern immer weniger Nährboden.  Zumindest was die öffentlich-rechtlichen Medien angeht, können all diejenigen, die sich ums Abendland sorgen, ganz beruhigt sein: Deutschland schafft nicht sich ab, sondern die Welt.

© Stefan Franzen
unregelmäßig als freier Autor für WDR 3 und Funkhaus Europa tätig

Highlife auf der Harfenlaute

osei korankye - seperewa of ghanaOsei Korankye
Seperewa Of Ghana 
(Akwaaba Music/bandcamp)

Diese Musik ist für mich schlicht und ergreifend die schönste, die in Ghana gespielt wird. Verantwortlich dafür ist der elegant pluckernde Klang der Harfenlaute Seprewa, ein außerhalb des Landes stiefmütterlich behandeltes Instrument, das über verschlungene Wege auch mit der Kora verwandt ist. Dank Osei Korankye kommt sie wieder zu Ehren; er hat heute sein Album via bandcamp auf Akwaaba Music veröffentlicht. Von Osei gibt es auch ein paar youtube-Clips, die er just in jenem Innenhof der Musikabteilung der Legon University bei Accra gedreht hat, in dem ich 2010 die Highlife-Legende Ebo Taylor interviewt habe. Dekan am Musikdepartment ist der langjährige englische Ghana-Experte John Collins, der hier zusammen mit Osei Korankye fachkundig über die Seprewa spricht.

Osei Korankye: „Kesewa“
Quelle: youtube

 

Konzertieren mit dem Zilpzalp

ian fisher

Ian Fisher ist ein 27-jähriger Songwriter aus St. Genevieve /Missouri – dort leben seit 150 Jahren Nachkommen aus Mittelbaden, insbesondere der Region Offenburg. Das allein wäre ja nun für mich keine Sensation, doch brach Ians Urururgroßvater einst von einem Nachbardorf jenes Ortes auf, in dem ich aufgewachsen bin. Mittlerweile lebt der Kosmopolit Ian in Berlin und hat schon einige Besuche bei seinen hiesigen Verwandten absolviert, stand aber in Offenburg noch nie auf der Bühne. Das holt er im Rahmen seiner derzeitigen Deutschlandtournee am 26.2. nach.

Seine Songs zwischen Country und Neofolk spielt Ian übrigens nicht nur im Studio ein, wie auf seinem aktuellen Album Nero. Vorletztes Jahr hat er sich mit zwei Mitmusikern in ein fränkisches Waldstück gestellt und dort das Forest Recording aufgenommen, das es nur auf Vinyl gibt, abgesehen von zwei youtube-Clips. Hier mehr zu Ian Fisher und den noch alemannisch schwätzenden Auswanderernachfahren, die in einem bemerkenswerten Film verewigt wurden, für den Ian den Soundtrack beigesteuert hat.

Ian Fisher: „Upside Down“
Quelle: youtube