Licht und Zerfall

harald haugaard - abne ojne

Harald Haugaard:
Lys Og Forfald
(Westpark/Indigo)

Ich liebe dänische Schriftzeichen. Aber nicht nur deshalb soll das Album hier vorgestellt werden. Harald Haugaard ist der künstlerische Leiter des großartigen Festivals FolkBaltica und hat nebenbei noch Zeit gefunden, in seiner Eigenschaft als famoser Violinist Lys Og Forfald einzuspielen – ein Meilenstein des zeitgenössischen skandinavischen Folks. Haugaard und seine Band sind Meister darin, sich von der Tradition der Heimat inspirieren zu lassen und feine Akustiktexturen mit Cello, Flöte, Mandoline, Gitarren, Flügel und der hellen Stimme von Helene Blum zu schaffen. Dabei hat Haugaard einen so klaren Ton auf seinem Instrument, wie man ihn eigentlich nur von klassischen Geigern kennt. Beglückender, fließender Nordic Folk, dem nur noch ein Gastauftritt der Fraunhofer Saitenmusik das glitzernde Krönchen aufsetzt. Diese feine Musik lässt sich übrigens auch mitten im Schwarzwald erleben, am 21.3. auf dem Klausenbauernhof in Wolfach.

Harald Haugaard: „Åbne Øjne“
Quelle: youtube

Minimalistisches Mali

africa express - in c maliAfrica Express presents
In C Mali
(Transgressive Records/Alive)

Normalerweise bin ich überhaupt kein Fan von den Dingen, die Damon Albarn in Westafrika treibt. Jetzt hat aber der von ihm mitinitiierte Tross namens Africa Express eine grandiose Platte veröffentlicht. Auf afrikanischen Instrumenten wird 50 Jahre nach ihrem Entstehen Terry Rileys Komposition In C nachmusiziert, unter die malischen Musiker hat sich auch Brian Eno gemischt. Von der Wesensverwandtschaft zwischen Minimal Music und afrikanischen Patterns profitierend bekommt der Klassiker eine organisch-erdige Glasur. Es macht einen Riesenspaß mitzuverfolgen, wie die Originalinstrumentation auf den Klangkosmos Malis übertragen wurde. Und man kann sich das in einer Liveversion aus der Tate Modern hier auch komplett anschauen.

Obertoeniger Orient

tuerkan garciafons - silk moonDerya Türkan & Renaud García-Fons
Silk Moon
(e-motive/Galileo)

Als Virtuose auf dem fünfsaitigen Kontrabass hat Renaud Garcia-Fons in der mediterranen Musik und im Jazz eine einzigartige Klangsprache entwickelt. Mit dem türkischen Streichlautenspieler Derya Türkan hat er sich nun zu einem besonders beglückenden Duo zusammengeschlossen. In vierzehn Klangtableaus ergänzen und umgarnen sich die beiden in grandiosen Konstellationen. Einmal liefert der Bass einen springenden Rhythmus, über dem die Istanbul-Kemence einen zart-rauchigen, obertonreichen Flug vollführt, wie in „A Girl From Istanbul“. Garcia-Fons wagt sich auch in Frequenzbereiche vor, die eher seinem Partner vorbehalten sind, etwa in „Kaman Tché“ – das macht die Interaktion umso reizvoller, die in der gegenseitigen Verzahnung in „Dokuz Sekiz“ auf die Spitze getrieben wird. Ganz intensiv wirkt die orientalische Tongebung im „Prayer Song“, in dem sich der Bass mit glühender, spiritueller Stimme erhebt. Ein wenig Alte Musik-Flair blitzt in der „Bosphorus Nostalgia“ auf, wenn sich Gast Claire Antonini an der barocken Theorbe hinzugesellt. Eine leidenschaftliche, imaginäre Folklore zwischen Nahem Osten, Bosporus und Mittelmeer.

Quelle: youtube

Bluegrass auf dem Kopf

punch brothers - the phosphorescent bluesPunch Brothers
The Phosphorescent Blues
(Nonesuch/Warner)

Aus all dem Weird Folk- und Americana- und wie die tollen Termini sonst noch so heißen – Hype der letzten Jahre ragen immer wieder einsame Perlen heraus:  Das Quintett um Sänger und Mandolinist Chris Thile webt mit dem Vokabular der Country-Musik ausgefeilte Songs mit unerwarteten Tempowechseln und harmonischen Überraschungseffekten, einen hymnischen Akustikpop, der trotzdem immer kammermusikalisch bleibt. Grandios, wie sich in „Familiarity“, dem Opener dieses dritten Albums, die virtuose Mandoline zu einem ganzen Orchester aufzubauschen scheint, wie der Ticktock-Puls von „Julep“ sich unmerklich zu wisperndem Falsettgesang wandelt. In „My Oh My“ hallen die wunderbaren Melodien der alten Musik aus den Appalachen wider, und die Band swingt in kompakter Kehligkeit. Mit „I Blew It Off“ findet sich auch ein astreiner Charts-Songs im Aufgebot. Neu sind die Bezüge zur Klassik: Debussys „Passepied“ und ein „Prélude“ von Skrjabin glitzern völlig selbstverständlich im folkigen Gewand. Für das fein abgestimmte Klangbild sorgte Produzent T-Bone Burnett, der Grandseigneur unter allen Veredlern der US-Roots Music.

Punch Brothers: „Julep“
Quelle: youtube

Streichlauten-Schlaraffenland

magi kamanchehVarious Artists
Magic Kamancheh 
(NoEthno/Galileo)

Umfassenderes als das 4 CD + 1 DVD-Schmuckkästlein ist zu diesem Thema nicht denkbar. Der künstlerische Leiter des TFF Rudolstadt, Bernhard Hanneken hat von den Philippinen bis Finnland, von Japan bis Ägypten Klangbeispiele des globalen Instruments zusammengetragen, stellt in profund recherchierten Begleittexten die Lautenvarianten sonder Zahl vor und würzt mit nahezu mythischen Fotodokumenten. Eine der vier CDs hat sich ausschließlich Indien verschrieben, eine andere (und die DVD) gibt ein Konzert vom TFF aus dem Jahr 2002 wieder.  Man kann sich in den verschiedenen Klangvarianten dieses Instruments, das vielleicht wie keines auf der Erde der menschlichen Stimme nahe kommt, ohne weiteres einen kompletten Tag verlieren. Völlig berechtigt ist die Produktion gerade mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet worden.

Ram Narayan at Shiraz Arts Festival
Quelle: youtube

Rapping Zen

criolo

Foto: Caroline Bittencourt

Criolo
Convoque Seu Buda
(Sterns/Alive!)

Auf seinem dritten Werk würzt der 39-jährige Kleber Gomes mit eklektizistischer Wollust Rap mit Funk, akustischem Samba und machtvollem Reggae. Statt auf Gossen-Attitüde setzt der Mann aus São Paulo auf sanfte Gesangslinien und raffinierte Texturen: Indianische Flöten begegnen da freien Saxlinien, flirrende Geigensamples konterkarieren die Bass Drum. Der Sound ist selten aggressiv, mitunter sogar fröhlich. Dabei geht es textlich zur Sache, Profitgier von Stadtplanern, zeitgenössisches Sklaventum und Generalstreiks stehen auf der poetischen Tagesordnung. Dabei, so verrät der Titel der Scheibe, geht es Criolo immer darum, die Hoffnung auf soziale Gleichstellung, Bildung und Kultur für jeden nicht zu verlieren, den inneren Buddha zu erwecken. In Brasilien kann HipHop sogar auf Zen treffen. Mehr zu ihm hier.

Criolo: „Pegue Pra Ela“
Quelle: youtube

Ein Fenster nach Beirut

tania saleh - a few imagesTania Saleh: A Few Images
(Kirkelig Kulturverksted/Indigo)

Sie wird dem libanesischen Underground zugerechnet, aber das passt nicht. Tania Saleh (sprich: saa-läch) ist wohl eine der feinfühligsten Poetinnen und Beobachterinnen der ganzen arabischen Welt, schreibt aus zutiefst weiblicher Perspektive empfindsame und selbstbewusste Songs, mal mit Rock-, mal mit Chansonanklängen. Einige werden vielleicht ihren Titelsong aus Nadine Labakis Film „Caramel“ kennen. Auf ihrem neuen Album vermählt sie arabische Melismen mit Bossa Nova-Harmonik und -Rhythmik. Richtig unter die Haut geht mir der Opener „Beirut Windows“, zusammen mit dem wunderbaren Clip ein Porträt der libanesischen Hauptstadt, wie sie kein Stadtführer zeichnen kann.

Tania Saleh: Beirut Windows
Quelle: youtube

 

Klingendes Kleeblatt

tiltan - a road less traveled
Tiltan: A Road Less Traveled (Kululush Records/www.tiltanmusic.com)
Ganz großartige Texturen mit Klarinette, Bratsche, russischem Akkordeon und Gitarre schafft dieses niederländische Quartett um den Saitenmeister David Golek. Irgendwo an der Schnittstelle zwischen dem Neoklezmer des Krakauer Trios Kroke und dem Folkjazz eines Tin Hat Trio siedeln diese Klanglandschaften. Da steigen akustische Traumbilder empor, die sich aus jüdischem Melos, slawischer Schwermut, bluesigen Einsprengseln und der harmonischen Opulenz des Modern Jazz nähren. Wie eine delikat ausgearbeiteter Soundtrack zu einem hintergründigen Autorenfilm in Sepia. „Tiltan“ bedeutet im Hebräischen übrigens vierblättriges Kleeblatt – von genauso rarem, „glücklichem“ Zuschnitt ist diese Kammermusik.

Tiltan live at the Bimhuis Amsterdam: „Machar Hatuna“
Quelle: youtube

 

 

Delikates von der Rive Gauche

marcio faraco - cajueiro

Márcio Faraco: Cajueiro (World Village/Harmonia Mundi)
Man sollte nie versuchen, die Cashewnuss, die ja eigentlich im Stiel der Cajú-Frucht eingeschlossen ist, im rohen Zustand zu knabbern. Am nächsten Tag könnte man mit Lollo Ferrari-Lippen rumlaufen – hier spricht jemand aus leidvoller Erfahrung. Márcio Faraco hat wohl keine schmerzhaften Erinnerungen an den Cashewbaum, denn er widmet ihm gleich seine ganze neue Platte, als Sinnbild für die reichen Verzweigungen in der brasilianischen Musik aus einem festen Stamm.  Er selbst ist als Exilant in Paris ein grandioser „Branch-Off“ dieses Baumes. Delikater denn je tönt hier seine Stimme, in einem ganz eigenen kleinen Universum aus Bossa, nordestinischer Musik und Chanson.

Márcio Faraco: „Paris“
Quelle: youtube

Ekstatische Mystik

susheela raman - queen between

Susheela Raman: Queen Between (World Village/Harmonia Mundi)
Als ich sie vor mehr als zehn Jahren getroffen habe, war sie gerade in einer Liebesfalle gefangen. Ihr damaliges Album „Love Trap“ widmete sich u.a. dem äthiopischen Crooner Mahmoud Ahmed. Doch Raman, Südinderin mit australischer und britischer Sozialisation, entwickelt für jedes ihrer Alben eine neue Vision, und fürs neue, sechste, hat sie sich auf die Pfade der pakistanischen Sufis begeben. Unterstützt wird sie dabei von den Qawwali-Musikern Rizwan Muazzam. Das Teamwork gipfelt in einem elfminütigen Sufi-Soul-Drama namens „Taboo“, das einen gewaltig durchpustet. Dazwischen gibt es original englisches Folkfeeling. Hippie-Anachronismus? Nein, zeitlose, akustische Popmusik mit spiritueller Erdung.

Susheela Raman: „Sharabi“
Quelle: youtube