Ein Mann wie eine Insel

Spagat zwischen Klassik und Indie-Pop:
Der PhilClub.Freiburg startet mit dem Kanadier Owen Pallett in die neue Saison.

Februar 2017 in Toronto: Kanada feiert seinen 150. Geburtstag mit einer Konzertserie namens „Canada Mosaic“, in der sich Klassik und Popkultur durchwirken. Einer der Höhepunkte: Der heutige Dirigent des Philharmonischen Orchesters Freiburg, André de Ridder, leitet das Toronto Symphony Orchestra im Zyklus „Songs From An Island“ für Bariton und Orchester von Owen Pallett. Das Torontoer Publikum, altersmäßig gut durchmischt, ist begeistert von den Liedern in einem englisch-spätromantischen Ton. 2020 arbeitet Pallett die Lieder für seine eigene sanfte, empfindsame Stimme zu einem in Teilen symphonischen Indie-Pop-Album um, das ein wenig folky, bekennend lyrisch, manchmal geradezu träumerisch tönt. „Wenn Owen Songs schreibt, dann gehen die durch sehr viele Metamorphosen und Arrangements“, so Freiburgs GMD. „Wir versuchen im Phil Club jetzt, die Versionen vom Album wiederzugeben. Er selbst wird Gitarre spielen, und für die drei Stücke mit Schlagzeug hat er sich Andi Haberl von The Notwist gewünscht.“ Doch wer ist Owen Pallett, dessen Name dem Klassik-Publikum und auch Pop-Affinen hier wenig vertraut sein dürfte?

Pallett und De Ridders eigene Band Stargaze fanden seit zwölf Jahren mehrfach zusammen, etwa bei der Ruhrtriennale oder im Berliner Berghain. Der 46jährige Kanadier hat eine klassische Ausbildung und ist heute als Filmmusiker gut im Geschäft. Er trat als einer der Kreativköpfe der Montrealer Alternative-Pop-Bubble um die Band Arcade Fire in Erscheinung, arrangierte die Stücke der Weltstars und war als Geiger auch mit ihnen auf Tour. Parallel veröffentlicht er Konzeptalben, für deren Geschichten er Alter Egos entwirft, so auch auf dem fünften und bislang letzten „Island“. „Er sieht selbst, dass er in der Musikszene nirgendwo so richtig reinpasst und eigentlich eine Insel ist“, sagt de Ridder. „Mit dem schönen Titel ‚Lewis get‘s fucked into space‘ verabschiedet er sich von seinem bisherigen zweiten Ich, das er Lewis nannte. Das Werk ist auch eine Identitätsfindung für ihn“.

Der Auftakt-Abend zur neuen Phil Club-Saison bringt eine neue Variation in die beliebte Reihe. Die Aufführung eines ganzen Albums verdichtet das bisher eher Intermezzo-hafte Teamwork von Orchester und den Gästen aus der Popwelt. Und strahlt bezugsreich in die Saison aus, wie de Ridder verrät: „Im April wollen wir zum 40jährigen Jubiläum ‚The Colour Of Spring‘ von Talk Talk auch in Gesamtlänge spielen, mit Chören, inklusive Kinderchor und Blockflöten. Wir nutzen also die verschiedenen Ensembles des Theaters für ein wunderbares spartenübergreifendes Projekt.“ Bezüge gibt es noch mehr: Vor Palletts „Island“ erklingen im Phil Club die „Shaker Loops“ von John Adams, dessen Oper „Doctor Atomic“ im November Theaterpremiere hat. Und mit Jonny Greenwood von Radiohead ist im ersten Symphoniekonzert ein weiterer Popschaffender mit Filmmusik im Programm.

Anglophone Durchlässigkeit ist also erneut spür- und hörbar, gemäß der Liebe de Ridders zur „Crossgenre“-Philosophie: „Die deutsche Klassik-Szene ist sehr vom Solistentum geprägt, man neigt dazu, sich zu separieren. In Kanada und den USA setzt man auf Kollaborationen, auf Offenheit und Respekt gegenüber anderen Genres, das begünstigt Dinge, die sonst nie entstehen würden.“ Der GMD hat beobachtet: Freiburg zeigt sich aufgeweckt genug für diese Perspektive. Ob sie auch nach seinem Weggang weitergepflegt wird? „Die neue Intendanz ist dafür sehr empfänglich, weil sie selbst spartenübergreifend arbeitet. Aber natürlich muss man meiner Nachfolge den Raum geben, vielleicht wieder ein völlig neues Konzept mitzubringen.“

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung

Live: Freiburg.Phil Club mit Owen Pallett, 8. Oktober, 20:00 Uhr, Theater Freiburg (Kleines Haus)

Owen Pallett: „A Bloody Morning“
Quelle: youtube

Ohren auf Weltreise im Plattenladen: Flight 13

Liebe Leute!

Ich freue mich sehr, dass das Festival #SOUNDCITYFREIBURG mich eingeladen hat, mein Buch Ohren auf Weltreise in einem ganz neuen Kontext vorzustellen.

Am Samstag, den 4.10.2025 werde ich ab 16h im legendären Plattenladen Flight 13 in der Stühlingerstr. 15  aus dem Buch lesen, dieses Mal begleitet von ausgesuchten Vinyl-Einspielungen aus aller Welt. Der Eintritt ist frei!

Kommt vorbei und versäumt es nicht, die ca. 20 anderen sehr hörens- und besuchenswerten Programmpunkte von SOUNDCITY abzuchecken.

Mit Soul statt Schmäh

Foto: Edwin van der Sande

Wien bringt derzeit viele erstaunliche Bands hervor, unter ihnen sticht das Quartett Elsa um Sängerin Elsa Steixner nochmals mit einer eigenen Klangsprache heraus. Elsa eröffnen das Jazzfestival Freiburg, und veröffentlichen die neue CD Jump! auf dem Freiburger Label Jazzhaus Records. Mit Sängerin und Bandchefin Elsa Steixner habe ich vorab gesprochen.

Elsa Steixner, wie kommt eine Band aus der Weltstadt Wien auf ein Label im beschaulichen Freiburg?

Elsa Steixner: Wien ist zwar eine Weltstadt, aber Österreich doch überschaubar. Wir haben uns ein bisschen umgeschaut und gesehen, dass auf Jazzhaus Records Acts von überall her im Boot sind, und wir dachten uns, das ist ein guter Anker, um die internationale Arbeit aufrechtzuerhalten und gleichzeitig auf Deutsch mit unserem Label kommunizieren zu können.

Sie haben im holländischen Arnhem Jazzgesang studiert, dort auch einige der Bandmitglieder kennengelernt. Wollten Sie Jazzmusikerin werden, oder war die Jazzausbildung von Beginn an nur als Rüstzeug gedacht?

Steixner: Da ich nicht aus einer Musikerfamilie komme, war für mich Musizieren immer etwas sehr Impulsives und Intuitives. Ich habe gemerkt, ich muss mir einen Rahmen schaffen und einen Austausch mit anderen Menschen, deswegen wollte ich studieren. Vom Jazz war ich fasziniert, seit ich zwölf war. Ich dachte am Anfang des Studiums, irgendwann werde ich imstande sein, über jede beliebige Form zu improvisieren. Bis ich dann sehr in sehr kurzer Zeit darauf gekommen, dass das überhaupt nicht mein Ziel ist, die beste Scat-Queen oder so etwas zu werden. Arnhem kam mir entgegen, weil an der dortigen Uni die individuelle künstlerische Entfaltung sehr im Fokus steht. Sie fragen dich: Was willst du eigentlich mit dir machen, regen dich an, eigene Musik zu schreiben.

Ihre Songs, und vor allem die Färbung ihrer Stimme klingen ja auch oftmals eher nach Soul als nach Jazz, an anderen Stellen haben sie viel mit Folk zu tun.

Steixner: Ja, vom Soul komme ich eigentlich her. Etta James, Aretha Franklin, Ray Charles haben mich schon vor Ella Fitzgerald fasziniert, und dann habe ich Nina Simone entdeckt, für die ich bis heute eine ungebrochene Liebe habe. Sie könnte darüber singen, dass sie zum Supermarkt geht, und ich wäre trotzdem total bei ihr. Auf der anderen Seite habe ich immer mehr Zugang zu Joni Mitchell gefunden. Was mich an ihr so überzeugt, ist, dass sie vom Folk kommt, und dann auf jedem Album Neues ausprobiert, sich nie hat einsperren lassen. Immer wieder mit allem zu brechen, das schaffen nicht viele Musiker.

Viele Ihrer Songs haben eine überraschende Struktur, die vom herkömmlichen Schema mit Strophe, Bridge und Refrain weggeht. Auch die Dynamik wird gerne ausgereizt: Oft wird man von er sehr extrovertierten Stimmung in etwas Träumerisches zurückgeworfen, oder umgekehrt.

Steixner: Lustigerweise ist es überhaupt kein Anspruch von mir, so zu schreiben, ich finde Strophe, Bridge, Refrain super. Aber ich habe in vielen Songs ungeplant eine ganze Lifetime untergebracht. Und das Spannendste im Leben ist ja auch Dynamik, das Dasein besteht aus Kontrasten. Dann haben wir in der Band gemerkt: Wow, die Hälfte der Songs auf dem Album hat eigentlich keine klassische Songstruktur. Aber das wir nichts bewusst Angestrebtes, ich bin keine Konzept-Schreiberin.

Würden Sie sagen, im Sound von Elsa steckt auch irgendwas Wienerisches auch drin?

Steixner: Mir wurde tatsächlich mehrere Male nach Konzerten gesagt, man würde ja merken, dass wir aus Wien sind, weil ich mich in den Texten oft humoristisch mit dem Tod auseinandersetze. Könnte sein, dass diese charmante Tiefe schon etwas Wienerisches ist, kann man so interpretieren. Ich mag jedenfalls diese extrem gesunde Art, den Schmerz mit Humor zu umgehen, das macht ihn ja nicht weniger berührend. Einer Wiener Szene zugehörig fühle ich mich aber nicht, denn in Wien ist momentan alles ziemlich auf Hochdeutsch gesungenen Indie-Rock ausgerichtet. In meiner Musik steckt eher noch etwas vom Kärntner-Lied drin, das hat eine Melancholie, die ich extrem einzigartig finde und die wunderschön ist.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe 15.09.2025

CD: „Jump! (Jazzhaus Records)
live: Eröffnungskonzert des Mini-Gipfels beim Jazzfestival, Jazzhaus Freiburg, 20.9., 20h

Elsa: „No Anger“ (live)
Quelle: youtube

Radiotipp: Virtuoser Poet auf 5 Saiten

Deutschlandfunk – JazzFacts
Virtuoser Poet auf 5 Saiten
Freitag, 18.09.2025, 21h

Er verknüpft die Klänge des Mittelmeers und des Nahen Ostens mit der Alten Musik und dem Barock, stellt Jazz, Weltmusik und Klassik auf Ohrenhöhe nebeneinander. Nun hat der Franko-Katalane Renaud García-Fons mit Blue Maqam ein Album veröffentlicht, auf dem er erstmals die menschliche Stimme neben seinem Bass zulässt, in Gestalt seiner Tochter Soleá.

Anlass, Renaud García-Fons‘ Karriere noch einmal Revue passieren zu lassen, und dann vor allem die Werke der letzten Jahre in den Fokus zu stellen. In der Reihe JazzFacts im Deutschlandfunk könnt ihr am Donnerstag, den 18.09.2025 ab 21h mein Porträt des Bassisten hören.

Renaud García-Fons: Blue Maqam – Le Concert (Trailer)
Quelle: youtube

Auszeit auf Alicudi

Awa Ly
Essence & Elements
(Naive/Indigo)

Alicudi ist die kleinste und wildeste der äolischen Inseln, und Awa Ly sucht sie immer wieder auf, um Inspiration zu tanken. „Ich habe dort ein Ferienhaus an der Flanke des Vulkans, zwischen Himmel und Meer. Die Stille ist enorm, und wenn ich dort die Schönheit der Natur wahrnehme, entdecke ich auch die Ressourcen in mir.“ Alicudi gab der Franko-Senegalesin die Kraft, fernab des lärmenden Paris ein neues, von den Elementen inspiriertes Album zu entwerfen.

In vier Kapitel à drei Songs hat sie ihr drittes Werk Essence & Elements unterteilt, jedes Element ordnete sich durch scheinbar zufällige Begegnungen einem anderen Produzenten zu. „Das ist die Magie dieses Albums, ich folgte einfach dem Flow des Lebens“, sagt Ly. „Auf Alicudi sah ich zum Beispiel eine Doku über Nicolas Repac, wie er mit ungewöhnlichen Perkussionsinstrumenten eine Klangwelt zwischen Okzident, Orient und Westafrika schuf, auf die sich kein Etikett kleben lässt. Genau dieser universelle Sound schwebte mir vor, ihm ordnete ich die ‚Erde‘-Sektion zu. Und als ich LossaPardo traf, der als Maler eigentlich nur das Cover für mein werdendes Album gestalten sollte, spielte er mir Musik aus seiner Feder vor, und in meinem Kopf gruppierte ich ihn sofort zum Wasser.“ Ähnlich organisch geschah es bei der „feurigen“ Electro-Künstlerin Léonie Pernet, und bei der für die Luft zuständige Londonerin R&B-Produzentin Hannah V, die sie beide durch Emel Mathlouthi kennenlernte.

Essence & Elements wurde so auch eine stilistische Reise von einer anfänglich jazzy Grundstimmung über Afro-Folk und Soul hin zu einem elektronischen Finale, die aber immer durch den Multiinstrumentalisten Polérik Rouvière homogen zusammengehalten wird. Textlich geht es auf Englisch, Französisch und Wolof oft bildhaft um die Wechselwirkung unseres Lebens mit Erde, Wasser, Luft und Feuer, aber auch mal ganz konkret um die Gleichgültigkeit gegenüber dem ökologischen Kollaps des Planeten. Und letztlich auch um die Quelle des Seins: „Die ‚Essenz‘ im Titel und in der ersten Single des Albums bedeutet für mich: der ewige Teil von uns, der unendliche, lichtvolle. Das ist unser wahres Ich, und es verweist darauf, dass wir alle vom gleichen Ort abstammen.“

© Stefan Franzen

Awa Ly: „My Essence“
Quelle: youtube

Aufbruch der Dogon

Petit Goro
Dogon-Blues from Mali
(Trikont/Indigo)

Mali ist ja nun wahrlich keine unbekannte Variable in den Weltmusikgleichungen der letzten 30 Jahre. Trotzdem birgt das Land der vielen Ethnien immer noch Überraschungen. Die Musik der Dogon im Südosten galt mit ihren unergründlichen Mythen als bisher eher unzugänglich, als Ressort der Feldforscher und Völkerkundler, die stundenlange Doku-Filme über sie gedreht haben. Mit Petit Goro hat sich in den letzten Jahren aber ein Vertreter der Dogon aus auf den Weg nach Bamako gemacht, um die rituelle Musik seines Volkes in einen Bandkontext zu übertragen – und die Kultur, die von Dschihadisten gepiesackt wird, vor dem Untergang zu bewahren.

Das Album Dogon-Blues From Mali ist das Resultat. Auf den ersten Höreindruck klingen die zehn Tracks mit ihrer fünftönigen Struktur nach einer Kreuzung aus Wassoulou-Musik, Wüstenblues und frühen Habib Koité-Songs, allerdings sind die Rhythmen erheblich widerspenstiger, geradezu „stotternd“. Dazu tritt der fremde Klang der Dogon-Sprache. Die Vocals besitzen eine eigenartige, unreine Melancholie, in den schnelleren Stücken haben sie einen Hauch beschwörenden Charakters. Eine wie durch eine alte Telefonleitung schnarrende Fiedel schleicht sich hinein, sie ergeht sich auch mal im flinken Pizzicato. Schließlich treibt eine unorthodoxe, sehr synkopische Gitarrenarbeit quer, die sich mit dem harten Bass verbündet.

Eine dornenreiche, trockene, nichts beschönigende Savannen-Musik, so schroff wie die Abbruchkante der Felsen, an denen die Dogon siedeln. In diesem Sommer ist Petit Goro unter anderem beim Rudolstadt Festival zu erleben.

© Stefan Franzen

Petit Goro: „Gnonwon“
Quelle: youtube

Bruderseelen

Matthieu & Camille Saglio
Al Alba
(ACT/edel)

Ich freue mich sehr, dass der von mir überaus geschätzte Cellist Matthieu Saglio, der mich noch Mitte März auf meiner kleinen „Ohren auf Weltreise“-Tour begleitet hat, sein neues Album Al Alba herausbringt. Es ist eine Gemeinschaftsarbeit mit seinem Bruder, dem Sänger Camille Saglio, und zusammen erschaffen sie eine imaginäre Welt zwischen mediterranem und arabischem, afrikanischem und barockem Klangraum, Fantasiesprache inklusive.

Über dieses Werk zweier verwandter Bruderseelen habe ich mit Matthieu gesprochen, meinen Beitrag sendet SRF 2 Kultur am Dienstag, den 29.04. ab 20h in der Sendung Jazz & World aktuell mit Moderator Roman Hosek. (Wiederholung am Freitag, den 2.5. ab 21h)

Im Quartett wird Matthieu auf dem Offbeat Festival Basel in der Gare de Nord in einem Doppelkonzert mit dem Trio des menorquinischen Bassisten Marco Mezquida zu hören sein: Offbeat Concert | Matthieu Saglio Quartet; Marco Mezquida Trio.

Camille & Matthieu Saglio: „Iberian Ballad“
Quelle: youtube

Nachlese: Ohren auf Weltreise – Reithalle Offenburg

Vielen Dank an alle, die ins Foyer der Reithalle Offenburg gekommen sind, um diesen tollen Abend mit uns zu feiern.
„Ohren auf Weltreise“ machte in meiner Geburtsstadt Station, bereichert und begleitet von Awa Ly und Lucie Cravero.


Jürgen Haberer schreibt am 5.2. im Offenburger Tageblatt:

„Gut eine Stunde wird das Publikum in der Reithalle in einen musikalischen Sog hineingezogen. In der feinsinnigen Reduktion entwickelt das Duo eine bemerkenswerte Aura und Kraft. Das Publikum ist begeistert und beeindruckt, weil hier auch ein durchdachtes Konzept zum Tragen kommt: ‚Ohren auf Weltreise‘ als eine Lesung mit Musikbeispielen, kombiniert mit einem richtigen Konzert.“

Fotos: © Stefan Franzen

 

Lichtstrahl als Wegweiser


Foto: Lucia Durietz

Electro Cumbia – ein Stil, der seit 10 Jahren in der globalen Musik mitmischt und von Kolumbien und Argentinien ausgehend den ganzen Erdball erobert hat. Schillernde Queen der Electro Cumbia ist die Argentinierin Mariana Alejandra Yegros, kurz La Yegros.

Was sich hinter dieser Musik verbirgt und wie La Yegros ihn auf ihrem neuen Werk HAZ („Lichtstrahl“) verarbeitet hat, das erfuhr ich im Gespräch mit der Sängerin aus Buenos Aires, die mittlerweile in Paris lebt.

SRF 2 Kultur sendet meinen Beitrag am Dienstag, den 14.05. ab 20h in der Sendung Jazz & World aktuell.

La Yegros: „Donde“
Quelle: youtube

Haus am See

Nein, ich spiele hier nicht auf den Hit von Peter Fox an. Heute geht es um Sergej und Natalja und ihre Villa Senar am Vierwaldstättersee. Das Gewässer scheint eine besondere Anziehungskraft für ruhebedürftige Komponisten gehabt zu haben. Wenige Minuten außerhalb von Luzern residierte ab 1866 im Tribschener Landhaus Richard Wagner, wir aber wenden uns an diesem herbstlichen Ausflugstag mit dem Schiff dem Ort Hertenstein auf der anderen, der Rigi-Seite des Sees zu.

Nach 15 Minuten Fahrt taucht ein safrangelbes, kubisches Anwesen auf. Es bildet einen nüchternen Kontrast zur runden, sanften Umgebung eines Parks. Das ist das Grundstück, auf dem Sergej Rachmaninoff fast die ganzen dreißiger Jahre hindurch eine der glücklichsten Phasen seines Lebens verbrachte.

Erst einmal betätigte er sich als Landschaftsarchitekt und griff kräftig in die Natur ein: Er sprengte das Ufer ab, baute Stützmauern, füllte das Gelände auf und ebnete es ein, ließ Bäume angeblich gar aus Russland kommen, und er beauftragte die Schweizer Architekten Alfred Möri und Karl Friedrich Krebs, die 1931 bis 1933 eine Villa im Bauhaus-Stil errichteten.

Er nannte sie Villa Senar, eine Verschränkung seines Vornamens mit dem von Ehefrau Natalja. Man kann sich am See kaum einen idyllischeren Platz vorstellen. Von der riesigen Terrasse und den Zimmern eröffnet sich eine spektakuläre Aussicht auf den Pilatus und den Bürgenstock.

Lange Jahre der kreativen Blockade waren den Schweizer Jahren vorausgegangen: Rachmaninoff feierte zwar riesige Erfolge als Klaviervirtuose in den USA, neue Werke schuf er kaum, ihm fehlte in der Neuen Welt die Inspiration des alten Russlands. Die Sehnsucht nach dem Eingebundensein in die Natur wie auf seinem Landgut Iwanowka, das er 1917 für immer verlassen hatte, fand in Hertenstein schließlich eine Erfüllung.

Der Virtuose und Geschäftsmann wurde wieder Komponist, schuf seine berühmten Paganini- und die weniger bekannten Corelli-Variationen und eine dritte Sinfonie. Die fand verhaltenen Anklang. Rachmaninoff erinnert sich: „Ihre Aufnahme bei Publikum und Kritikern war säuerlich. Eine Rezension liegt mir besonders schwer im Magen: dass ich keine 3. Symphonie mehr in mir habe. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass dies ein gutes Werk ist. 1939, bei Ausbruch des Kriegs, verließ Rachmaninoff die Schweiz und kehrte zurück nach Amerika.

Sergej Rachmaninoff dirigiert die 3. Sinfonie (Philadelphia Orchestra, 11.12.1939)
Quelle: youtube

Neuerdings kann man sein Anwesen wieder besichtigen. Bis 2012 hatte es noch sein Enkel Alexander bewohnt, danach bemühte sich der russische Gewaltherrscher um den Kauf. Glücklicherweise erwarb nach etlichem Hin und Her der Kanton Luzern die Liegenschaft und wandelte sie zusammen mit der Rachmaninoff-Stiftung zu einem Kultur- und Bildungszentrum um.

 

Schlendert man durch die Räume, sieht man eine nahezu unveränderte Einrichtung: Bis auf die Betten ist das Mobiliar noch vorhanden, man staunt über plüschige Sitzgruppen, exotische Lampen und originelle Standuhren, sogar der Geruch der 1930er scheint sich konserviert zu haben. Herzstück ist der angegliederte Kubus zur Seeseite hin: das Musikzimmer mit dem Original Steinway-Flügel von 1934, zur Wand hinzeigend, denn der Meister wollte beim Spielen das Licht auf Händen und Partituren.

 

Die sind noch in einem Wandregal gesammelt, und der Schreibtisch erweckt den Eindruck, Rachmaninoff könne jederzeit zurückkehren.

Am extra langen Flügel finden heute regelmäßig Konzerte statt und neuerdings auch CD-Aufnahmen. Der litauische Pianist Lukas Geniuşas hat hier kürzlich die erste Piano-Sonate in der schweren Originalfassung eingespielt.

Lukas Geniuşas spielt die Piano-Sonate No 1 in der Villa Senar
Quelle: youtube

Eine schöne Abrundung zum Thema Rachmaninoff wurde mir letzte Woche beim Besuch des Konzerts des Philharmonischen Orchesters Freiburg geschenkt. Die junge, ukrainisch-russische Dirigentin Anna Rakitina war zu Gast und bündelte souverän und mit sagenhafter Übersicht besonders den Schluss-Satz seiner Zweiten in eine mitreißende Dramaturgie.

alle Fotos  + © Stefan Franzen (außer Philharmonisches Orchester FR: Susanne Göhner)