Pluckernd-pastoral und funky

La Yegros 
HAZ
(X Ray Productions)

Welche erstaunliche Entwicklung die Digital bzw. Nu Cumbia genommen hat, lässt sich an der Karriere von La Yegros ablesen. Die früher oft dominierenden Techno- und HipHop-Anteile des von Bogotá bis Buenos Aires vertretenen Genres sind bei ihr in ein organisches Gesamtgefüge eingeflossen. Auf ihrem vierten Werk HAZ hat die Argentinierin auf diese Weise eine wunder- und durchhörbare Fusion geschaffen, die die Latinpop-Szene immer noch kantig genug bereichert.

Mit dem altvertrauten Team, namentlich Produzent King Coya und Komponist Daniel Martin, integriert die Frau mit der immer leicht wehmütigen Stimme indigene Flöten neben melancholischen Akkordeonlinien („Bailarín“), und rurale Blaskapellen pumpen über dem Schlurfrhythmus („Donde“). Keyboard-Bässe schreiten unter funky Gitarrenriffs, wenn die „Malicia“ zelebriert wird, und in „Todo Yo“ wetteifern schräge Pfeifen und Twang-Gitarren mit einer massiven Perkussionsabteilung. In „Perdedor“ grüßt dann mächtig die House-Kultur.

Aber es geht auch mal mit kompletter Abstinenz von Beats: Geradezu pastorale Holzbläser und ein pluckerndes Saiteninstrument namens Bichito Cordobés schmücken die „Bodas De Plumas“. Und im Finale „Nada“ schickt sie sogar noch eine Spur Flamenco-Rock ins Rennen. Ist das eine neue versöhnliche Brücke zwischen Shakira-Sphäre und dem Underground? Spätestens mit diesem Werk dürfte La Yegros‘ globaler Herrschaft auf den Tanzböden des Sommers jedenfalls nichts mehr im Wege stehen.

© Stefan Franzen

La Yegros: „Bailarín“
Quelle: youtube

Funk vom Staatsfeind

Cimafunk (Foto: Stefan Franzen)

Cimafunk / La Yegros
Rosenfelspark Lörrach
26.07.2022

Globale Oase, Weltmusik-Wabe des Stimmen-Festivals: Der Rosenfelspark hat seine Pforten geöffnet. Doch diese Sehnsucht nach der einen Welt, die sich immer auch im Kennenlernen von Musik aus fernen Ländern abbildete, wie passt sie in den dritten pandemischen Sommer, in dem auch noch Krieg und Dürre die ach so liebgewonnenen Utopien austrocknen?

Offensichtlich lebt sie, trotz aller Hiobs-Meldungen. Denn für einen Dienstagabend ist der Park beachtlich und Generationen übergreifend gefüllt, und es kommt schnell ausgelassene Schwof-Atmosphäre auf, als Musiker mit bunten Federn und Bändern die Bühne betreten. Durch wehmütige Akkordeonlinien und das zehnsaitige zirpende Charango bläht sich ein krachig-erdiger Rhythmus. Mit Stubenfliegenbrille wogt Mariana Yegros heran, magenta-lila-giftgrün in Leggins, Tüll und Teufelsschwänzchen, eine Trash-Gewandung von der Karneval-Resterampe. Was von nun an so off-beatig schlurft und schiebt, ist die Cumbia, einst an der karibischen Küste Kolumbiens Paartanz, längst Lingua Franca der Música Latina schlechthin, von Mexiko City bis Buenos Aires. Dort ist La Yegros Platzhirschin des Genres, und sie zeigt uns auch, warum.

Bei ihr verschmilzt die Cumbia mit verwandten Tänzen wie dem nordargentinischen Chamamé zu einer packenden Synthese aus staubiger Dorfkirmes und neonschwangerem Großstadt-Club. Ihr beileibe nicht immer lupenreiner Gesang ist genauso marktschreierisch wie melancholisch, es stecken Rap-Passagen drin wie auch süffige Melodien. Andenflöten pusten, traurigen Vögeln ähnlich, ihre Weisen. Mit silbriger Patina scheppert die kleine Quetschkommode. Und die dumpfe Zylindertrommel Bombo wettstreitet mit dem Programming aus dem Keyboard, das satt farzende Bässe rausdrückt. Dazu bewegt man sich in behäbigen Moves, die das Publikum schnell versteht, und die auch noch bei irre hohen Temperaturen zu bewältigen wären. Glückliche Gesichter beim Armeschwenken und Hüftewiegen.

Mit sanftem Wiegen und Schlurfen ist es dann bei Erik Alejandro Iglesias Rodríguez vorbei. Der 31-jährige mit dem markanten Flat-Top ist das Leuchtfeuer der neuen Musik Kubas schlechthin, er steckt Son und Salsa mit dem Funk des Staatsfeindes USA unter eine Decke und beruft sich im Künstlernamen Cimafunk auf die Cimarrones, Sklaven, die sich durch Flucht der kolonialen Barbarei entzogen. Ein Freigeist, der mentale und stilistische Fesseln abgeschüttelt hat, sein Black Empowerment aber nicht zum offen politischen, vielmehr zum physischen Manifest macht. Das zeigt sich auf der Bühne wirkmächtig, gewaltig Zunder in der Hütte ist bei der achtköpfigen Band, vom ersten Takt an.

Bass und Rhythmusgitarre liefern ohne Wimpernzucken die perfekte synkopische Verzahnung. Flexible Eleganz gewinnt das Fundament durch Bongo und Conga, und immer wieder schmieren von den Tasten aus die typischen Ostinati der Música Cubana das Getriebe dieser dampfenden Funk-Lokomotive. Dass die Bläsersektion auf Trompete verzichtet, schattiert den Sound weg von der Brillanz der gewohnten Salsa-Combos hinein ins Dunkle. Nicht nur die heimlichen Stars sind Ilarivis Garcia Despaigne an Posaune und Katerin Ferrer Llerena an Saxophon (im George Clinton-Look mit fetter Sonnenbrille und quietschbunten Flechtsträhnen), auch choristisch und choreographisch eingespannt. Und da! Despaigne stellt mit einer scharfzüngigen vokalen Anmache den Chef plötzlich mal in den Schatten.

Aber klar, auch wenn er öfter mal das Spotlight freigeben mag für Soli seiner Mitstreiter, stetiges Epizentrum dieses Bebens ist Rodríguez dann doch selbst. Schnell ist sein Vintage-Shirt Geschichte, im Schweiße seines Oberkörpers, notorisch mit den Beinen zappelnd und beckenschwingend zelebriert er einen aufgekratzten, knackig-nasalen Gesang, durchbrochen von wildem lautmalerischem Silben-Stakkato. James Brown? Ein lahmer Hund dagegen. Nahtlos und rasend schaltet die Band zwischen den Songs, die oft von körperlichen Freuden künden: In „Rompélo“ („Hör auf dein Fleisch, wenn es schreit!“) schleicht sich ein Hauch Studio 54-Discoschwüle hinein, „El Regala’o Se Acabó“ kreiert über dem Slap-Bass einen drängenden Sog, der auch wirklich Jede und Jeden im Publikum mitnimmt.

Am Ende umtanzt man den Star zum Hit „Me Voy“ auf der Bühne: „Wenn du mit mir nach Hause kommst und es willst, dann gebe ich dir den Chuchu.“ Nochmal kehren die „Cimafunker“ zurück, um fast so etwas wie eine Ballade anzustimmen, über der Akkordfolge von „I Will Survive“. Werden wir klug genug sein, um zu überleben? Wenn ja, muss Cimafunk unbedingt auf die ewige Party-Playlist eines neuen Utopia.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe 28.07.2022

Stimmen-Festival: Neustart


In seinem 28. Jahr geht das Festival Stimmen im Dreiländereck an der Grenze zur Schweiz und Frankreich seit 2019 zum ersten Mal wieder in eine vollwertige Ausgabe. Unter seinem Initiator Helmut Bürgel als Festival mit einem starken Akzent auf Weltmusik etabliert, hat sich die Stimmen-Philosophie in den letzten Jahren unter der Direktive von Markus Muffler verändert. Das Programm beherbergt zwar noch Klangfacetten aus aller Welt – sowie die seit Beginn verankerten Pop- und Rock-Stars auf dem Martkplatz – setzt aber zunehmend mehr auf junge bis sehr junge Songwriter-Acts.

Das wird auch in der Ausgabe 2022 vom 30. Juni bis 31. Juli so sein, in der der neue künstlerische Leiter Timo Sadovnik aus Graz noch kaum eigene Akzente setzen konnte, da er erst seit dem 1. März amtiert. Die Töne aus aller Welt konzentrieren sich traditionsgemäß vor allem auf die Konzerte im Lörracher Rosenfelspark: Hier sind die argentinische Cumbia-Queen La Yegros (Foto) und der kubanische Funkmusiker Cimafunk zu hören, orientalisches Flair wird die Algerierin Djazia Satour verbreiten. Mit Elida Almeida aus Cabo Verde und der Kongolesin Gasandji wird der Afro-Abend gestaltet. Auf den Domplatz im schweizerischen Arlesheim ist die türkische Sängerin Gaye Su Akyol geladen. Auch Soul-Kost wird es geben, etwa zur Eröffnung und zum Finale: Sie werden jeweils von Max Mutzke und Curtis Harding bestritten.
Das komplette Programm hier.

Cimafunk: „Fiebre“
Quelle: youtube