Die verdienstvolle Streaming-Initiative inFreiburgzuhause habe ich schon vor einigen Wochen vorgestellt. An diesem Freitag geht sie in eine neue Live-Runde, die eine wunderbare Brücke von osteuropäischer und orientalischer Musik zur Klassik und zum Jazz schlägt.
„Eastern Winds“ unternimmt einen Dialog zwischen der preisgekrönten ukrainischen Pianistin Marina Baranova, dem Perkussionisten Murat Çoskun, bekannt durch sein Festival Tamburi Mundi, und dem Freiburger Streichquartett der Camerata Academica (Martina Wündrich, vl – Vera von Kap-Herr, vl – Anne-Françoise Guezingar, va – Georg Rudiger, vc).
Baranova wird in filigranen Eigenkompositionen zunächst mit einer Solo-Sektion starke musikalische Bilder erschaffen. Im Anschluss führt die Klangreise mit dem Streichquartett in die georgische Musik hinein, im Fokus stehen dann Werke des Komponisten Zulkhan Zinzadse, der volksmusikalische Themen zu seinen „Miniaturen“ verarbeitet hat, vom Quartett frisch und espritvoll interpretiert. Beide Programmhälften wird Çoskun mit seinen perkussiven Fingerfertigkeiten begleiten.
Hier der direkte Link zum Konzert und unten ein kleiner Vorgeschmack.
Diese und die nächste Folge von Saint Quarantine widmen sich meiner Heimatstadt Freiburg. Nicht im bösesten Traum hätte ich gedacht, dass diese Rubrik ein Jahr lang gefüllt werden kann / muss. Doch – unter anderem – da den Entscheidungsträger*innen hierzulande ein Jahr lang Freiheitshäppchen lieber sind als wenige Wochen harter Lockdown, ist die Pandemie noch nicht bezwungen. Das macht gerade jetzt die schon lange darbende Kulturszene – neben vielen anderen Branchen – richtig kaputt.
Mit zwei virtuellen Musikereignissen unter der künstlerischen Leitung des Pianisten, Arrangeurs und Jazzprofessors Ralf Schmid (Bossarenova) stemmt sich Freiburg gegen die Pandemie. Sie finden an diesem Donnerstag und Freiburg mit nahezu 30 Mitwirkenden statt. Eingebettet sind die Konzerte in die online stattfindende 28. Ausgabe des Kongresses EAS (European Association for Music in Schools), auf dem Lehrer, Künstler und Forscher über Musikunterricht an Schulen debattieren. Vom 24. bis 27. März sind dieses Mal unter dem Motto „Music Is What People Do“ die Freiburger Musikhochschule und die Pädagogische Hochschule die Gastgeberinnen.
Während des Streaming-Konzerts „PLACE and DISPLAYS“ am 25. 3. ab 20 Uhr performen Musiker auf Straßen, Dächern und Bühnen Freiburgs ein Hybrid-Konzert mit Barockviolinen, Beatmakern, Pianoimprovisateuren und Freestyle-Rappern. Mit einer Audience-Feedback-App können die Zuschauer dabei live gespielte Improvisationen beeinflussen. Am 26.3. geht es ab 18 Uhr um die Zusammenarbeit bildender Künstler und Musiker, die in der Filmdoku „Sculpting Soundspheres“ eingefangen wurde. Hier wird beleuchtet, wie Improvisation und Komposition äußere und innere musikalische Prozesse reflektieren, die auch im Bereich der bildenden Kunst zu finden sind.
Auch wenn das Eis auf den Pfützen es vielleicht nicht verrät: Heute ist astronomischer Frühlingsbeginn. Zu den ersten Äquinoktien 2021 teile ich hier ein frühes Frühlingslied in doppelter Hinsicht: Gustav Mahler hat es mit Anfang Zwanzig für Stimme und Klavier geschrieben, man hört es – wie alle seiner 14 Jugendlieder – eher selten. Das Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM) unter Daniel Grossmann hat den ganzen Zyklus kürzlich in der Synagoge Hainsfarth mit dem Bariton Ludwig Mittelhammer eingespielt, in einer wunderbar feinfühligen Adaption für Kammerensemble.
Es lohnt sich im übrigen, auf der Seite des JCOM zu stöbern: Grossmann und sein Orchester haben es sich zum Ziel gesetzt, jüdische Kultur aus allen möglichen Hörwinkeln zu beleuchten, passend zum großen Jubiläum, das 2021 hierzulande begangen wird: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.
Eine starke Frau kehrt nach drei Jahren mit neuem Werk zurück.
„Lève-toi“ ist der erste Vorbote aus dem Opus Couleur der Ivorerin Dobet Gnahoré.
Mehr von ihr im Mai zum Album-Release!
Ohne ihn wäre meine Faszination für die E-Gitarre viel blasser geblieben – nicht zuletzt dank Dave Gilmour habe ich in einem zweiten Anlauf das Instrument wieder angepackt. Zu seinem 75. Geburtstag sieben schöne Soli. Happy Birthday, Dave!
1. „Comfortably Numb“ (live in Pompeji, 2006)
Quelle: youtube
2. „One Of These Days“ (Nassau Coliseum, 1987)
Quelle: youtube
3. „Shine On You Crazy Diamond“ (live at Royal Albert Hall, 2006)
Quelle: youtube
Das zeigt auch die Debütplatte des Trios First Strings On Mars, in dem er gleichberechtigt an der Seite des österreichischen Bassisten Georg Breinschmid und seines Violinenkollegen Igmar Jenner agiert. „Wir wollen mit den Streichern in unbekannte Gefilde vorstoßen“, sagt Willeitner im Interview. „Zwar kommen wir alle drei von der Klassik, sind aber im Jazz und volksmusikalischen Stilen zuhause, wollen alle Einflüsse, die es auf dem Planeten gibt, sammeln und dann spätestens in zehn Jahren auf den Mars auswandern.“ Womit augenzwinkernd auch gleich der Name des Trios erklärt wäre.
Willeitner empfindet es als „Riesenglück“, dass er in beiden musikalischen Welten sehr offene Lehrer hatte, die ihm keinerlei Hürden in den Weg stellten. Grenzenlosigkeit wird nicht nur stilistisch, auch geographisch zu seinem Lebensmotto. Er schaut sich sehr viel in Irland um und versteht, es braucht vor allem eines, um die Leute zu berühren: den seelenvollen Groove. „Die irischen Fiddler haben eine Art zu phrasieren und zu verzieren, die mich fasziniert. Als Solist können sie ein ganzes Pub zum Tanzen bringen, lediglich mit einer einstimmigen Melodie.“ Eine weitere Lehrstation ist für ihn Brasilien, wo er sich das mehrstimmige Spiel bei den Virtuosen der alten Rabeca-Fiedel abguckt.
Und schließlich Südindien: „Die Flexibilität und Weichheit der linken Hand, die präzisen Rutscher auf der Saite, davon können Geiger bei uns nur träumen.“ Willeitner hat hart daran gearbeitet, seine Klangvorstellungen auf seine Instrumente zu übertragen, wobei ihm auch das Glück über den Weg lief. Seine Violine stammt vom legendären Wiener Geigenbauer Gabriel Lemböck, bei dem Paganini in den 1850ern seine berühmte Guarneri-„Cannone“ zur Reparatur hatte. Lemböck nahm Maß von ihr und fertigte einige Nachbauten an. Einen davon besitzt nun Willeitner, der schwärmt: „Sie hat einen so dunklen, vollen, warmen, kräftigen Sound.“ Mit einer speziell angefertigten „Soulfiddle“, die fünf Resonanzsaiten hat und eine zusätzliche tiefe Saite, kann er dieses Timbre noch intensivieren.
In Georg Breinschmid hat Willeitner einen Long Time Companion gefunden, der seit langem schon ähnlich global tickt, sein Territorium von der Klassik ausgehend weiträumig und mit Witz Richtung Blues, Jazz und Wienerlied abgesteckt hat. Und als Igmar Jenner dazustieß, war die Binnenchemie perfekt: „Es ist bei uns immer sehr entspannt und es gibt auch immer einen Hauch dadaistischer Einflüsse“, charakterisiert Willeitner das zwischenmenschliche Gefüge. Die Scheibe vereint kosmopolitischen Ansatz mit delikater, seelenvoller Virtuosität und hellen Humorfünkchen. Und so mag man im „Novemberlicht“ die Strahlkraft keltischer Fiddletradition heraushören.
Die Aura des Teufelsgeigers bis hin zur geräuschhaften Ekstase verbreitet sich in „Brazil Imported“ auf der Basis von Baden Powells „Canto De Ossanha“, während bei der „Dark Romance“ barocke Arpeggien in eine Schauermär überleiten. Auch eine Nähe zum Pop wird nicht gescheut, wenn das Trio etwa aus Stings Ballade „Fragile“ eine beredte Erzählung mit Pizzicato-Umspielungen macht, „The Green Wind“ dagegen ist Folksong-Seligkeit pur. In der Urheberschaft der Stücke kommt auch Breinschmid zum Zug: Sein Stück „Reminiscence“ trägt bluesige Färbungen und komplexe Jazzharmonik hinein, der „Swindler“ dreht die austriakische Länder-Tradition durch die Mangel. Ein grandioses Fest zeitgenössischer Streicher-Arbeit, warm und wild.
Und hier noch ein Radiotipp:
SRF 2 Kultur strahlt meinen Beitrag über First Strings On Mars am Dienstag, den 9.3. in der Sendung Jazz & World aktuell zwischen 20h und 21h aus, zu hören im Live-Stream.
Tania Saleh 10 A.D. (Kirkelig Kulturverksted/Indigo)
Die libanesische Sängerin, Songwriterin, Designerin und Frauenaktivistin Tania Saleh meldet sich zurück. Auf 10 A.D., ihrem dritten Album fürs norwegische Label KKV, hat sie sich von der elektronischeren Ausrichtung des Vorgängers Intersection wieder etwas abgewandt und schafft eine gelungene Synthese aus arabischen Instrumenten, Streichquartett, ein paar dezenten Anklängen an ihre Alternative Rock-Vergangenheit und geradezu elektro-grazilem rhythmischem Unterbau für ihr vokales Geschmeide. Man merkt den Beats an, dass Saleh eine Schwäche für den Flow brasilianischer Taktgebungen hat, und ähnlich schwebend wie bei ihren transatlantischen Kolleginnen gelingen Phrasierung und Verzierungen, die traditionelles arabisches Melos mit modernem Popidiom verbinden.
Textlich geht es wie immer bei Saleh in die Tiefe. Hinter dem Albumtitel versteckt sich „ten years after divorce“, und die Beiruterin beschreibt damit ihre Erfahrungen als Alleinstehende mittleren Alters in einer orientalischen, männerdominierten Gesellschaft. Die Ächtung einer Geschiedenen, das Infragestellen von Geschlechterrollen, langweilige Schickimicki-Partys, aber auch die Reinheit karmischer Liebe: Das sind die Themen, die als Gedankenfutter gerade deshalb so eindringlich wirken, da sie in diese betörende Eleganz verpackt werden. Unerschütterlich und engagiert geht diese Frau ihren Weg in einem Land, das zwischen katastrophalem Abgrund in der Politik und kreativen Höchstleistungen der Kunstszene taumelt.
Unter dem jetzigen Machthaber in Brasilien erfährt die Abholzung des Regenwaldes und der damit einhergehende Genozid an der indigenen Bevölkerung einen neuen traurigen Höhepunkt. Der Filmemacher Sebastião Salgado („Das Salz der Erde“) stellt sich dieser Entwicklung entgegen: Sein 1998 gegründetes Instituto Terra im Ort Aimorés im Bundesstat Minas Gerais) widmet sich schon seit Langem Aufforstungsprojekten. Dafür bekommt er auch prominente Unterstützung, etwa von Schauspieler Brad Pitt oder Model Gisele Bündchen.
Nun hat auch der Tropicália-Begründer und ehemalige Kulturminister Gilberto Gil einen originellen Support beigesteuert. Er kommt in Gestalt des Songs „Refloresta“ und wird begleitet von einem Clip, in dem sich Gils Kopf zu einem üppigen Dschungel mit Pflanzen- und Tiervielfalt verwandelt. Für die Produktion tat sich Gil mit einigen seiner acht Kinder zusammen. Ziel des Refloresta-Projektes ist es, in ausgesuchten Regionen Brasiliens pro Jahr eine Million Bäume zu pflanzen.
Er säte die Keimlinge für eine Pflanze, die später alle „Salsa“ nannten: der New Yorker Bandleader, Flötist und Saxophonist Johnny Pacheco. Der Musiker, der noch in der Dominikanischen Republik geboren wurde, aber mit elf Jahren nach NY kam, ist am Montag im Alter von 85 Jahren gestorben. 1964 gründete er zusammen mit dem italo-amerikanischen Anwalt Jerry Masucci den Plattenverlag Fania Records, um die aufkeimende Musikszene der Latino Communities zu dokumentieren. Der 16jährige Willie Colón wurde zu ihrem ersten Topseller.
Richtig Fahrt nahm Fania in den späten Sechzigern auf: Aus vereinfachten afro-kubanischen Grooves, einer dichten Bläsersektion, simplen Skandierungen und Soul-Anleihen entwickelte sich in Brooklyn der Boogaloo, der mit Joe Cubas „Bang Bang“ oder Pete Rodriguez’ „I Like It Like That“ auch heute immer noch gerne gesampelt wird. Ein neues Selbstbewusstsein der Latinos, das sich in Lifestyle, Mode und natürlich der Musik niederschlug, breitete sich von den Diskotheken über die sonntäglichen Events im Central Park Anfang der 1970er auf die ganze Stadt aus. Fania profitierte von diesem Aufschwung und gab ihm zugleich immer neue Impulse, wurde tatsächlich zum „Motown der Latin Community“: Immer prominentere Namen konnte das Label gewinnen, von Ray Barretto über Mongo Santamaria bis Tito Puente erstreckte sich das Spektrum.
Einige der größten Musiker vereinigten sich unter Pachecos Führung zu den Fania All Stars, die ab 1971 furiose Bühnenshows in Serie ablieferten. Pachecos Highschool-Kumpel Izzy Sanabria, Kreativdirektor und Coverdesigner für Fania, prägte zu dieser Zeit das Etikett „Salsa“ für die Fania-Releases. 1973 pilgerten fast 50.000 Fania-Fans ins Yankee Stadium, um die All Stars zu sehen: Die Salsa war zum Selbstläufer geworden, trat einen Siegeszug in der ganzen Welt an. Produktionen der Salsa-Queen Celia Cruz und des panamaischen Songwriters Rubén Blades folgten.
Die Salsa ist bis heute ein beliebter Markenbegriff geblieben, spaltete sich in Salsa Romantica, Timba und Pop-Varianten auf. Pacheco arbeitete bis ins hohe Alter, ging Teamworks mit David Byrne ein, schrieb Soundtracks, etwa für den Film „Mambo Kings“. Und der dicke Fania-Katalog wurde im 21. Jahrhundert entstaubt und neu aufgelegt. Mit Johnny Pacheco geht eine der größten Ikonen der Latino-Musik.
Zum heutigen Aretha Day, auf den Tag zweieinhalb Jahre nach ihrem Abschied, ein letzter Wintergruß, da die weiße Pracht jetzt rapide dahinschmelzen wird. „First Snow in Kokomo“ stammt vom 1972er-Album Young Gifted And Black, das Aretha Franklin als letzten Studio-Meilenstein vor ihrem Gospel-Livealbum Amazing Grace veröffentlichte, und zählt zu den am wenigsten bekannten Songs ihres Atlantic-Katalogs. Warum?
Als einer der ganz wenigen Aretha-Songs der Atlantic-Phase schweigt hier die Rhythm Section. Aretha erzählt sehr persönlich von ihrer Familie, denn es geht um einen Ausflug in die Stadt Kokomo, Indiana, zu den Verwandten ihres damaligen Ehemanns Ken Cunningham. Geradezu unbekümmert scheint der Song friedliche Stunden am Kaminfeuer widerzuspiegeln, ihre eigene Variante von „Winter Wonderland“, das sie ebenfalls eingespielt hat, acht Jahre früher bei Columbia.
Foto: Stefan Franzen
Dieses sparsame Kleinod, in dem ihre Stimme und ihr Klavierspiel im Fokus steht, ist vielleicht zu Unrecht unterschätzt worden – für mich ist es ein schöner Kontrapunkt zu den kämpferischen Songs jener Zeit, die vom Civil Rights-Background geprägt sind. Tolle Backgroundchöre liefern die Schwestern Erma und Carolyn, ganz besonders mag ich die Gitarrenlicks von Cornel Dupree, und Donny Hathaway lässt die Orgel glitzern wie Schneekristalle in der Sonne.
Aretha Franklin: „First Snow in Kokomo“
Quelle: youtube