Das neue Jahr beginnt mit starken Frauenstimmen.
Sie stammen alle von Alben, die bereits 2021 veröffentlicht wurden, aber zeitlose Musik beherbergen und eine Brücke vom Balkan und Bosporus über Persien bis nach Pakistan bauen. Und sie setzen alle außergewöhnliche Poesie zu Tönen.
Die US-Songwriterin Becca Stevens hat sich mit dem türkisch-armenisch-mazedonischen Secret Trio zusammengetan und in einer gemeinsamen Session, das fürs Label Ground Up von Snarky Puppys Michael League mitgeschnitten wurde, einen becircenden Sound zwischen Anglo-Folk und Nahost gefunden. Ihr „Pathways“ beruht auf Rilkes kurzem Gedicht „Weißt du, ich will mich schleichen“.
Die US-iranische Sängerin Katayoun Goudarzi verleiht mit Poesie des Sufi-Dichters Rumi den langen Stücken auf This Pale (Lycopod Records) des nordindischen Sitaristen Shujaat Husain Khan spirituelle Tiefe. Khan hatte schon auf vorangegangenen Alben seiner Liebe zum indisch-persischen Klangbogen gehuldigt.
Und die dritte im Bunde ist die US-Pakistani Arooj Aftab: Auf Vulture Prince (New Amsterdam) hat sie neue Wege gefunden, ebenfalls Verse aus der Sufi-Dichtung ins 21. Jahrhundert zu übersetzen – mit Akustikgitarre (Gyan Riley, der Sohn des Minimal Music-Pioniers Terry Riley) und keltischer Harfe (Maeve Gilchrist).
Ich hoffe, dass diese friedliche Musik die Stimmungsmarke für ein Jahr setzt, in dem es für uns alle ein bisschen leichter und lichtvoller wird.
Arooj Aftab: „Baghon Main“ (live at KEXP)
Quelle: youtube
Steve Cropper (USA): „Fire It Up“ (Provogue/Mascot Label Group) Carwyn Ellis & Rio 18 (Wales): „Yn Rio“ (Légère Records/Zebralution) Florian Willeitner, Georg Breinschmid, Igmar Jenner (Österreich/Deutschland): „First String On Mars“ (ACT/edel)
Renaud García-Fons (Frankreich/Katalonien): „Le Souffle Des Cordes“ (e-motive records/Galileo) Yumi Ito & Szymon Mika (Schweiz/Polen): „Ekual“ (Hevhetia/Unit) Joan As Police Woman, Tony Allen, Dave Okumu (USA/Nigeria/Österreich): „The Solution Is Restless“ (PIAS)
Renaud García-Fons Le Souffle Des Cordes (e-motive records/Galileo)
Seit den 1990ern ist es die Philosophie des franko-katalanischen Kontrabassisten Renaud García-Fons, Geographien und Epochen miteinander zu verbinden, Klänge des Mittelmeers und des Nahen Ostens mit der Alten Musik und Barock, Jazz mit musique du monde. Auf seinem neuen Werk tut er das nur mit Saiteninstrumenten. Sechs Streicher, ein Hackbrett, eine Flamencogitarre: Das ist die schlanke Rezeptur, aus der ein Füllhorn an Imaginationen zwischen Spanien, Frankreich, Balkan, Persien und China erwächst. Der Titel „Le Souffle Des Cordes“ könnte zunächst etwas verwirren. Atmende Streicher? Doch „souffle“ meint auch den Hauch, das Rauschen und Zischen, den spirituellen und poetischen Odem. Und davon gibt es genug während der knappen Stunde.
Etwa im schwebenden, obertonreichen Tanz der Stachelgeige Kemence während „Le Bal Des Haftan“. Im unmerklichen Wechsel von chinesischer Fünftonskala zum Mali-Blues in „Qi Yun“, oder im fliegenden Bulería-Rhythmus von „Jinete Viento“, inspiriert durch ein Gedicht von Federico García Lorca. Am schönsten funktioniert die Verzahnung der Stile in „Mamamouchi“, einer Molière-Figur nachempfunden: Von Vivaldi zu osmanischen Tönen und hinein in eine spanische Fandango geht diese rasante Humoreske. Mehr zu Renaud García-Fons‘ neuem Werk gibt es am 14.12. auf SRF 2 Kultur in meinem Interview-Beitrag über ihn: in der von Roman Hošek Sendung Jazz & World aktuell ab 20h, Wiederholung am 17.12. ab 21h.
Der persische Santurspieler Kioomars Musayyebi baut auf seinem neuen Album A Voice Keeps Calling Me Brücken vom Iran über den arabischen Raum bis zur Alten Musik Europas.
„Schon im Iran wollte ich so viele Kulturen wie möglich kennenlernen“, sagt Kioomars Musayyebi. „Denn ich bin überzeugt, dass Musik eine gemeinsame Sprache ist, in der wir ohne Worte miteinander reden können, auch wenn die Gesellschaften durch die jeweilige Kultur und verschiedenen Rituale ein wenig auseinandergegangen sind. Nur der Dialekte, die Akzente sind anders.“ Aufgewachsen ist Musayyebi im Teheran. Dass er zur Musik kam, ist seinem Vater zu verdanken, der selbst kurdische Lieder sang und aus seinem Sohn einen Künstler machen wollte. Er gab ihn in die Obhut des größten persischen Meister auf dem Hackbrett Santur, Faramarz Payvar, der den Jungen nicht nur für das Instrument begeisterte: „Bei Payvar Schüler zu sein, das hieß, auch eine Philosophie fürs Leben mitzubekommen. Er war ein ganz besonderer Pädagoge.“ Bis heute verdankt Musayyebi seinem Meister viel, hat aber natürlich den Spielstil weiterentwickelt, ihn auch mit Techniken des Payvar-Schülers Parviz Meshkatian bereichert.
Sein Bedürfnis, über die klassische persische Musik hinauszuschauen, konnte Musayyebi im Iran nur begrenzt umsetzen. Daher kam er 2011 nach Hildesheim, wo er an der Musikhochschule rege Aktivitäten entfaltete: „Dort gab es viele Möglichkeiten für mich, etwas auszuprobieren: Wie klingen meine persischen Wurzeln zusammen mit arabischer Musik, mit Jazz, Weltmusik und anderen Instrumenten?“ Seitdem spielt der heute in Essen lebende Komponist in einer Vielzahl von Ensembles, um diese Begegnungen auszuloten, etwa im Transorient Orchestra, im Nouruz Ensemble oder in der Band Beyond The Roots, die sich letztes Jahr als multinationales Kollektiv um die Kölner Klarinettistin Annette Maye gegründet hat. Um eine ganze Bandbreite von Facetten auf einem einzigen Album unterzubringen, hat Kioomars Musayyebi auf A Voice Keeps Calling Me (Pilgrims Of Sound) acht Stücke für verschiedene Besetzungen mit Streichern, Blas- und Zupfinstrumenten versammelt.
„Es sind die unterschiedlichen Melodien in meinem Kopf, die mich rufen“, erklärt Musayyebi seinen Kompositionsprozess. „Ich denke beim Schreiben überhaupt nicht unbedingt an die Santur. Manchmal komponiere ich am Klavier oder auf der Sitar, manchmal zieht es mich zur Alten Musik, nach Persien oder in den arabischen Raum. Es kann sein, dass die Klarinette in meinem Kopf sagt: Ich muss diese Melodie spielen, oder einmal die Geige, oder sie tun sich in meiner Vorstellung zusammen. Und langsam reift die Idee: OK, dieses Stück gehört diesem oder jenem Ensemble.“ Die Melodien seien wie Stimmen, die ihn rufen, daher auch der Albumtitel, den er zugleich einem Gedicht von Sohrab Sepehri entlehnt hat. Vom großen Poeten der iranischen Moderne empfängt er in allen Lebens- und Gemütslagen Einflüsse.
Auf A Voice Keeps Calling Me wird es gerade wegen des ständigen Wechsels der Besetzungen, der unterschiedlichen „Stimmen, die rufen“, nie langweilig: Im Eröffnungsstück „Entezar“ bringt Musayyebi seine Sehnsucht nach Indien zum Ausdruck, indem er seinem indischen, ebenfalls in Deutschland lebenden Kollegen Hindol Deb eine prominente Solorolle zugesteht. „Djozz“ ist eine Widmung an den Mitmusiker Bassem Hawar und seine irakische Stachelgeige „Djoze“, gleichzeitig ein Paradestück für eine Suite, die zwischen Europa, dem arabischen Raum und Persien vermittelt. „Als ich im Iran lebte, hatten wir diesen achtjährigen Krieg mit dem Irak“, erinnert sich Musayyebi. „Und hier in Deutschland war der Iraker Bassem Hawar einer der ersten Musiker, die ich kennengelernt habe. Wir haben viele Stunden geredet und gemerkt, dass wir beide die gleichen Gefühle haben, dass unsere gemeinsame Musik Frieden bringt.“
Im Titelstück hat Musayyebi eine Melodie reaktiviert, die aus einer Fernsehserie stammt, die er als Kind im Iran gesehen hat. Nach 30 Jahren in seinem Kopf kommt sie nun zu neuen Ehren. Mit Annette Maye und dem Beyond The Roots-Ensemble wurde die lange Improvisation „Igra“ als spannender Hybrid zwischen Jazz und eurasischer Musik kreiert. Schließlich zwei Nachtstückchen, die zum einen ganz in die persische Klassik zurückführen („Nächtliches Geflüster“), zum anderen mit dunkler Flöte und schnurrender Djoze wunderbar dunkle Klangfarben erzeugen („Letzte Nacht“): „Die Nächte reden mit mir, in den Nächten kann ich gut denken und mich wohlfühlen“, sagt Musayyebi. „Jede Nacht könnte auch die letzte sein: Vielleicht sehen wir uns morgen nicht mehr. Aber wir haben die Hoffnung, dass der Morgen kommt und alles wieder von Neuem beginnen kann.“ Bei all den Inspirationen, die Kioomars Musayyebi derzeit außerhalb seiner Heimat empfängt, zieht es ihn – auch wegen der problematischen politischen Situation – vorerst nicht zurück. „Ich möchte noch mehr von der Welt sehen. Da gibt es noch viele Stimmen in anderen Ecken, die mich rufen.“
Ein spannendes Künstlerpaar jenseits der Komfortzone. Sie: klassische Pianistin mit einem breiten Spektrum von Bach bis Anton Rubinstein. Er: Erneuerer der iranischen Stachelgeige Kamancheh, sozialisiert in zwei Welten. Gemeinsam haben sie in jahrelanger Arbeit ein Programm auf die Beine gestellt, das ein Netzwerk zwischen der Kunst- und Volksmusik Persiens, des Kaukasus, Anatoliens und des Abendlands vor Ohren führt. Die stets spürbare Durchlässigkeit geographischer Grenzmarken folgte dem humanistischen und pazifistischen Anspruch des Veranstalters, dem Haus der Kultur Freiburg.
Eine Entdeckung zu Beginn: Mit seinen „Persischen Miniaturen“ gibt der französisch-iranische Komponist Aminollah Hossein dem Abend den Titel. Die großorchestrale Anlage des Originals wandelte Schaghajegh Nosrati auf dem Flügel in eine konzentrierte Dramaturgie, mal nachsinnend, mal wuchtig, am Ende tänzerisch mitreißend. Mit Hossein teilt der Armenier Arno Babadjanian den bei uns geringen Bekanntheitsgrad. Zu Unrecht: Die Klaviersolo-Stücke des Khatachaturian-Schülers offenbarten eine farbenprächtige Ausharmonisierung der fast sakral anmutenden Volkstöne. Wie dem Flügel nun die kleine Stachelgeige begegnete, dieses obertonreiche Instrument mit dem kaum fasslichen, rauschhaften Klang, sorgte für verblüffende Wechselwirkungen.
Misagh Joolaee hat die Kamancheh mit neuen Zupf- und Schlagtechniken in seinen Eigenkompositionen aus dem herkömmlichen Gehege befreit. Etwa in „Nach einem Sommer / Tanz der Ahorne“: Schmerzliche Ekstase, anfangs noch verhalten, löst sich in eine rasante Abfolge von nie gehörten Springbogen-Passagen, „Im Auge des Windes“ trägt trotz wirbelnder Bogenführung melodische Wehmut in sich. Bei solch virtuosen Stücken stützt Nosrati am Klavier eher mit Bordunen. In „Marmara Sea“ dagegen durchdringen sich im beredten Dialog thematische Arbeit auf Tasten und Saiten, und in den Adaptionen aus der „Lyre Armenienne“ des Mönches Komitas begeistern die beiden Akteure mit fein abgestimmten Dynamikwellen. Verblüffende Nähe der Kamancheh zur menschlichen Stimme in einem der erstaunlichsten Momente: Als Nosrati und Joolaee ihre Übertragung von Ravels fünf populären griechischen Melodien vorstellen, zeichnet die Geige den Sopranpart nicht bloß nach, sondern erweitert die emotionalen Schattierungen enorm – dank der Rauchigkeit ihres Timbres.
Am 24. Januar 1967 sitzt eine 24-jährige, erfolglose Sängerin in Muscle Shoals, Alabama am Studiopiano. Sie hämmert ein paar Gospelakkorde in die Tasten, bannt alle Blicke. Ihr neuer Produzent Jerry Wexler hat sie aus New York hierhergebracht. Er will ihrer Musik mit einer heimischen Sessionband etwas Besonderes einhauchen: den rauen Pulsschlag des Südens. Und dann passiert einer der Quantensprünge für die Musikgeschichte Amerikas: Hier öffnet sich der Kokon der Pastorentochter Franklin, die mit verschnulzten Arrangements von Standards bislang weit unter ihren Möglichkeiten blieb, und gebiert die Soulqueen Aretha. Liesl Tommy hat diesen Tag als Dreh- und Angelpunkt ihres Biopics „Respect“ so dicht und wahrheitsgetreu in Szene gesetzt, dass man sich im Studio wähnt. Wenn die Musiker das langatmige Blues-Riff des Demos geistesblitzend in gospelgetränkte Tastenarbeit, feuchten Bläsersatz und einen soghaften Dreier-Groove verwandeln, kapiert man: Das ist Soul Music.
Drei Jahre nach Aretha Franklins Tod widmet sich die Filmindustrie ihrer Vita gleich doppelt. Nur ein kleines Publikum erreichte die auf Disney+ ausgestrahlte Serie „Genius: Aretha“. Eine etwas zu affektierte Aretha gab da die Britin Cynthia Erivo. Mit hölzernen Dialogen und einem lauwarmen Soundtrack glomm das Feuer des Soul in detailverliebter Ausstattung auf Sparflamme. Aber jetzt: großes – im wahrsten Sinne – Ohrenkino. Mit „Respect“ verfilmte die US-Südafrikanerin Liesl Tommy Franklins Lebensspanne vom 10. bis zum 30. Lebensjahr. R&B-Star Jennifer Hudson war von der Dargestellten noch persönlich zu dieser Rolle autorisiert worden.
Hudson wirkt allerdings zunächst noch blass. Als sie erstmals auftritt, ist man noch ganz gefesselt von der Kindheitsgeschichte, in der Skye Dakota Turner die kleine „Ree“ überragend warmherzig eingefangen hat: wie sie singen darf bei den nächtlichen Parties im Salon des Reverend-Vaters (fast ein wenig zahm-grummelig im Vergleich zum tatsächlichen C.L.Franklin: Forest Whitaker). Wie sie erstmals mit Spirit in der Stimme vor der Gemeinde steht. Vor allem aber, wie ihr der frühe Tod der Mutter tiefe Seelenschmerzen zufügt. Von ihr hat sie in einer berührenden, zärtlichen Szene Leitsätze fürs Leben mitbekommen: „Deine Stimme gehört nur Gott.“
Vorerst aber gehört ihre Stimme Columbia Records. Das Label versucht sie wechselweise mit Jazz und Streicherkitsch zu vermarkten, es ist dies die Strecke des Films, die zähflüssig wirkt, die sich auf die schon früh toxische Beziehung zum Ehemann und Manager Ted White fokussiert. Marlon Wayans verkörpert ihn als Prototyp eines Hustlers etwas holzschnittartig. Im Theater und Musical geschult hat Liesl dieses quälende Warten auf den Erfolg gezielt als Stilmittel eingesetzt, um das Platzen des Knotens umso effektvoller auftischen zu können. Produzent Jerry Wexler bringt Fahrtwind in den Film, den Spürhund von Atlantic Records spielt Marc Maron mit sarkastischer, knochentrockener Coolness.
Von nun an gibt‘s viel Musik, endlich, und Hudson kann sich dank ihrer vokalen Trümpfe ganz in die Figur hineingießen. Am Klavier mit den Schwestern Carolyn und Erma, wo sie nachts Otis Reddings „Respect“ zur Hymne weiblicher Selbstbestimmung knetet – in zwei fulminanten Kamerablenden wird diese neue Hymne einer ganzen Generation zuerst ins Studio, dann auf die Bühne des Madison Square gehievt. Am Set für eine TV-Doku, wo sie „Ain’t No Way“ zu brennender Liebesverzweiflung formt. Und auf den Brettern des „Olympia“ in Paris, wo sie sich mit dem brausenden „Freedom“-Refrain von Ted White löst: Lyrics werden zu Biographie. Jennifer Hudson hat Aretha Franklin gut studiert, vom Südstaaten-Singsang beim Sprechen bis zu den zusammengekniffenen Lippen. Sie weiß, dass sie an Franklins Jahrhundertstimme nicht heranreichen kann. Und verkörpert ihre Vokalkunst dennoch mehr als würdig: weil sie ebenso vom heiligen Feuereifer für die Musik durchdrungen ist.
Weniger plastisch wirkt Hudson, wenn sie die Civil Rights-Engagierte mimt. Man nimmt ihr die Begeisterung für die Sache am ehesten in einem Streitgespräch mit dem Vater ab, er will die Bewegung in der Kirche halten, während die Tochter sich lieber mit der Aktivistin Angela Davis verbündet. Ganz nah ist Hudson Aretha dann wieder im tiefen Tal von Alkoholmissbrauch und Depression. Die erschütterndste Szene von „Respect“, mit einem wunderbaren Bogenschlag zurück: Es erscheint die „Amazing Grace“ summende Mutter, in deren Schoß Aretha Zuflucht findet. Wiederum ein schöner Dramaturgie-Kniff Liesl Tommys, mit dem sie Franklins berühmtes Gospelkonzert von 1972 einläuten kann – als Rückkehr in den Schoß der Kirche, mit Hudsons glühendster Performance. Nicht nur für Franklin-Fans ist „Respect“ in dieser winterlichen Wirrnis ein seelenvolles, tröstendes Geschenk.
Mit dem Abzug der westlichen «Befreier» aus Afghanistan 2021 kehrten die alten Machthaber zurück. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Situation für sie dramatisch verändert hat, gibt das Streaming-Festival „Female Voice of Afghanistan“ einigen Sängerinnen des Landes eine globale Plattform.
Noch im Juli reisten die iranische Musikethnologin Yalda Yazdani und Andreas Rochholl, Leiter der Zeitgenössischen Oper Berlin, nach Kabul. Sie porträtierten junge, mutige Musikerinnen, die sich dem islamischen Verhaltenskodex und westlicher Fremdbestimmung entgegenstellen. Sie filmten Konzerte und leiteten Teamworks mit europäischen Künstler*innen in die Wege. Unter den neuen Vorzeichen ist „Female Voice of Afghanistan“ zum Politikum geworden. „Stimmen gegen das Trauma“, mein 55-Minuten-Feature über das Festival, lässt die Initiator*innen, vor allem aber die Sängerinnen zu Wort kommen. Einige mussten mittlerweile unter erschütternden Umständen fliehen.
Das Feature wird am Freitag, den 26.11. in der radiophonen Reihe „Passage“ auf SRF 2 Kultur von 20 bis 21h ausgestrahlt und ist auch danach im Podcast auf der SRF 2-Seite zu hören.
Sadiqa Madadgar & Petra Nachtmanova: „Dar Fasle Bahar Mila Mikardim“
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Happy Birthday, Joni Mitchell – mit einem ihrer großartigsten Songs ever, inspiriert durch die Flugpionierin Amelia Earhart.
Er stammt vom Album Hejira, mit dessen Gitarrenakkorden der weiten Landschaften ich mich spät, dann aber umso heftiger angefreundet habe.
200 Jahre Unabhängigkeit ihrer Heimat, 50 Jahre Bühnenjubiläum Susana Baca: Über die runden Zahlen hinaus haben Peru und seine ikonische Sängerin eine enge musikalische und politische Beziehung. Mit „Palabras Urgentes“ setzt die einstige Kulturministerin ihr gesellschaftliches Engagement fort – und am Produktionspult stand Michael League von Snarky Puppy.
„Tocosh“ heißt eine natürliche antibiotische Medizin aus den Anden. Susana Baca beteuert, dass sie sich und ihre Stimme dank dieses „Inka-Puddings“ fit hält. Und in der Tat: Wer die neue Scheibe der 76-Jährigen, Palabras Urgentes (RealWorld) anhört, kann kaum einen Unterschied feststellen zu der klaren, kräftigen, resoluten Vokalkraft auf den Alben von vor zwanzig Jahren. Doch sonst ist eine Menge anders. „Das Album ist eine Meditation über das, was gerade in diesem Land passiert“, erzählt Baca in einer Live-Schalte aus Lima. „Das gesellschaftliche Klima hat sich wegen massiver Korruption drastisch verschlechtert, Politiker haben sich bereichert, Richter haben Freunde begünstigt. Im Volk hat sich eine Mischung aus Scham und Zorn breitgemacht. Ich konnte nicht mehr nur Poesie singen oder Liebeslieder. Zugleich wollte ich die Frauen ehren, die vor 200 Jahren eine so wichtige Rolle im Freiheitskampf gespielt haben.“
Namentlich sind das Micaela Bastidas, die Gefährtin des Rebellen Túpac Amaru II, die sie im Song „La Herida Oscura“ anspricht, und Juana Azurduy, die gegen die Spanier eine ganze Armee anführte. „Zum Jahrestag der Unabhängigkeit gab es eine Ausstellung, die mir gezeigt hat, dass Frauen sich organisieren müssen, um Beachtung zu finden,“ sagt Baca, und sie berichtet auch, dass sie bei den diesjährigen Wahlen Teil einer Ethik-Kommission war, die über faire Behandlung aller Bevölkerungsgruppen und Geschlechter wachte. Dabei sei viel Gewalt und Diskriminierung ans Tageslicht gekommen, selbst gegenüber Frauen, die schon in Machtpositionen waren.
All diese Schieflagen, dazu die dramatisch hohe Covid-19-Todesrate: Gibt es denn überhaupt etwas zu feiern zum Geburtstag von Peru? „Ja, ich habe Hoffnung“, so Baca. „Während der Pandemie haben die jungen Leute gesehen, wie unser Gesundheitssystem zusammengebrochen ist. Daraus ist ihr Wille entstanden, ein neues Land aufzubauen, sie entschließen sich jetzt vermehrt, nicht ins Ausland zu gehen, sondern hier vor Ort ihre Anstrengungen zu bündeln.“ Das wird in einem Land geschehen, das seit Juni von einem sozialistischen Lehrer aus der Sierra angeführt wird, Pedro Castillo.
Bacas Album Palabras Urgentes könnte der Soundtrack für dieses neue Peru werden. Seine Entstehung geht eigentlich auf das Jahr 2015 zurück, als die Band Snarky Puppy Lima besuchte, und Michael League Baca zur Teilnahme auf dem Album „Family Dinner II“ einlud. „Damals haben wir schon verabredet, dass er der musikalische Leiter für meine neue Scheibe werden sollte“, erinnert sich Baca, die internationale Kooperationen liebt, hat sie doch auf vergangenen Werken schon mit David Byrne, John Medeski, Marc Ribot oder Greg Cohen musiziert.
League hat den Sound des Albums, dessen Gros noch kurz vor der Pandemie eingefangen wurde, sehr vielfältig gestaltet: In „Negra Del Alma“ explodiert über dem Marimbaphon eine fulminante Blechblaskapelle, unter die sich das Saxophon des US-Amerikaners Jeff Coffin mischt, das Stück feiert ein Anden-Frühlingsfest. „Mein Lieblingssong, der geht direkt in den Solarplexus“, lacht Baca. In „Cambalache“ hat sie einen argentinischen Tango der 1930er mit afro-peruanischen Rhythmen adaptiert und den Text auf die jetzige Peru-Politik umgemünzt. Und in „Vestida De Vida“ singt sie mit großem Chor gegen die Klimakatastrophe an.
Am überraschendsten aber eine kurze Ballade namens „Dämmerung“: „Ich habe ein Gedicht von Luís Hernández Camarero, einem Dichter und Wissenschaftler vertont, der perfekt Deutsch sprach. Möglich, dass ich da auch Einflüsse von romantischen deutschen Komponisten verarbeitet habe, denn ich war ja oft auf Tour bei euch und habe eine Menge deutscher Musik gehört. Ihr wart das erste Land, in dem ich außerhalb Perus so richtig Anerkennung gefunden habe.“
Anerkennung ist auch das Stichwort, das Susana Baca verwendet, wenn sie über die Kultur der Afro-Peruaner spricht, für deren Sichtbarmachung sie Jahrzehnte gekämpft hat. „Ich dachte, wir hätten in puncto Rassismus Fortschritte gemacht. Aber es gibt immer noch Verachtung gegenüber den aus Afrika stammenden Küstenbewohnern, genau wie gegenüber den Indigenen aus Amazonien. Dabei ist der Reichtum dieser Gemeinschaft, die sich ‚Peru‘ nennt, gerade die Vielfalt in der Kultur. Damit sich diese Ansicht durchsetzt, müssen wir immer noch viel in unser Bildungssystem investieren.“