Erik West Millette (Québec)
aktuelle Alben: West Trainz / Train Songs (L-Abe)
Ganz am Ende des Künstlerviertels Mile End in Montréal stößt man auf die Avenue Van Horne. Hier ist ein kleiner Park im Gedenken an die 2010 verstorbene Lhasa de Sela eingerichtet, auf einer anderen Freifläche stehen grandiose Schrottskulpturen von Glen Lemesurier, und hinter einer schweren Eisentür verbergen sich die Werkstätten etlicher Künstler. Hier hat auch Erik West Milette sein Headquarter, Chef des West Trainz-Projekt, ich möchte behaupten, des fabelhaftesten musikalischen Eisenbahn-Unternehmens unserer Zeit. Erik empfängt mich am Tor, als Gastgeschenk habe ich eine Ausgabe des deutschen Eisenbahnkuriers zum 125. Geburtstag der Höllentalbahn dabei. In wenigen Minuten sind wir tief in der Historie der Canadian Pacific Railway drin – und in seiner eigenen Geschichte, die sich von Louisiana bis Québec quer über den nordamerikanischen Kontinent zieht.
Erik, kannst du zu Anfang etwas über deinen musikalischen Werdegang erzählen?
Erik West Millette: Ich bin klassisch ausgebildet, auf dem Kontrabass, dem Cello und in Komposition. Ich habe auch elektroakustische Musik gespielt. Ich habe in Russland studiert, danach einige Meisterklassen in Lübeck besucht. Es war fantastisch, sechs Monate lang in Norddeutschland zu sein. Da ging es hauptsächlich um historische Musik, Bach und andere Organisten. Da war ich zwanzig, später war ich am Rimsky-Korsakoff-Konservatorium, um Prokojieff und Rimsky-Korsakoff zu studieren, auch Meisterklassen auf dem Kontrabass zu machen. Danach habe ich eine Weile in Südfrankreich studiert, bevor ich nach Québec zurückkam, nach Montréal. Ich habe auch Gitarre, Keys und die Hammond B3 gespielt, die liebe ich. Sehr bald finge ich an, selbst Instrumente zu entwerfen, denn ich bin ein Klangforscher und suche nach der Seele des Sounds.
Dein Großvater war Eisenbahner, hat das dein Interesse für das ganze Thema geweckt?
West Millette: Auf jeden Fall. Mein Großvater Leo West hat für die CNR gearbeitet, die Canadian National Railway. Als ich vier Jahre alt war, hat er mich mit allen Leuten in der Kaboose bekannt gemacht, dem letzten Waggon, in dem die Arbeiter mitfahren, auch mit dem Lokomotivführer, und ich war sehr beeindruckt. Das war eine Diesellok, den Geruch fand ich toll. Meine Familie kam über New Orleans, Kansas, Chicago und New York hierher nach Montréal, mein Opa war Afroamerikaner und verliebte sich in eine Upper Class-Lady aus Québec City. Ich habe also immer noch Familie in Louisiana und Florida. Mein Urgroßvater arbeitete außerdem für die Canadian Pacific Railway und parallel war er musical director – vielleicht kam von ihm die Inspiration, die Themen Musik und Eisenbahn zu mischen.
West Trainz: „Lining Trains“
Quelle: youtube
Aber gab es ein ganz konkretes Schlüsselerlebnis für dich, deine musikalische Arbeit mit den Sounds der Züge zu mischen?
West Millette: Als ich acht Jahre war, begann ich Schwarz-Weiß-Photographien zu machen, und mein Dad ließ mich auf seinem Tonbandgerät aufnehmen. In der Musikschule in Québec habe ich dann meine erste eigene Komposition geschrieben. Wenn du klassische Musik studierst, musst du ein Streichquartett schreiben. Und damals habe ich Züge und Boote aufgenommen und diese Feldaufnahmen in mein Quartett integriert, ein bisschen wie in Steve Reichs „Different trains“. Ich habe auch einen Groove dazu geschrieben, damit man wirklich den Eindruck hatte, im Zug zu sitzen. Da war ich 18. Später ging ich nach Deutschland, Frankreich und Russland, immer mit dem Zug. Da fing meine Leidenschaft für Züge richtig an. Ich hatte einen Gig mit dem berühmten Dr. John, dem R&B-Musiker aus Louisiana, mein Onkel Willie West, selbst ein berühmter Soul- und Funk-Musiker, der Sänger bei The Meters war, spielte in seiner Band. Eigentlich habe ich die Reise, die mein Urgroßvater Leo West vor 100 Jahren von New York über Chicago nach New Orleans unternommen hat, wiederholt – in der anderen Richtung! Zu dieser Zeit hatte ich das „West Project“. Ich sagte mir damals: Die Zwischenspiele der Songs sollen aus Zuggeräuschen bestehen. Und jetzt endlich, zwanzig Jahre später ist es ein vollständiges Zug-Projekt geworden! In meinem CD-Buch West Trainz ist ja ein Stück namens „New Orleans Funk Trainz“, in dem ich mit Willie West über die Reise der Familie zwischen New Orleans und Montreal spreche.
Wenn du auf einer Reise bist, hältst du dann immer ein Mikrophon aus dem Waggon oder auf den Bahnhöfen auf die Gleise? Wie nimmst du auf?
West Millette: Am Anfang bin ich mit einer Nagra-Bandmaschine gereist und einem riesigen Sennheiser-Mikrophon, das auch für Kinofilme verwendet wird, ein bisschen wie vorne auf dem CD-Buch. Das war natürlich viel zu groß und überhaupt nicht diskret. Ich erinnere mich, wie das anfangs in Russland war. Das war gerade die Zeit der Perestroika, da war alles noch komplett illegal und es war gefährlich, Aufnahmen zu machen. Heute verwende ich ein kleines DLT und ein sehr gutes Stereomikrophon, dazu meine Schwarz-Weiß-Leicakamera. Dazu notiere ich mir Ideen und schreibe Poesie. Danach bringe ich das Material nach Hause in mein Studio und gestalte, verändere die Töne, kreiere Rhythmen. Die Zuggeräusche sind die Basistracks, und ein paar Rhythmen, dann baue ich das ganze Stück darauf auf.
Gab es irgendein historisches Vorbild für dich? Etwa Heitor Villa-Lobos‘ „Trenzinho do Caipira“ oder Arthur Honeggers „Pacific 231“? Vielleicht sogar Kraftwerks „Trans Europa Express“?
West Millette: Vielleicht Harry Partch, der große Komponist der Dreißiger und Vierziger, der für eine Weile ein Hobo war. Er war eine große Inspirationsquelle für Leute wie Tom Waits oder die Beat Generation. Er war von asiatischen Instrumenten beeinflusst, kreierte seine eigenen Skalen in der modernen Musik. Eine Zeit lang reiste er wie ein Hobo zwischen New York und Chicago, aber er hatte die Technologie noch nicht, um Aufnahmen zu machen. Er fertigte eher kleine musikalische Skulpturen, die er in den Güterbahnhöfen hinterließ, damit andere Hobos darauf spielen können. Ich weiß von niemandem, der etwas Vergleichbares wie ich macht, aber es gibt sicherlich welche, ich bin nicht der Einzige.
Heitor Villa-Lobos liebe ich, Milton Nascimento hat ein ganzes Ballett über die Eisenbahn geschrieben, „Ultimo Trem“. Wahrscheinlich war Steve Reich ein Einfluss für mich, in der Art, wie er die Stimmen der Leute sampelte und loopte. Und natürlich Glenn Gould, der ein ganz eigenartiges und wunderbares Stück namens „The Idea Of The North“ geschrieben hat. Er reiste von Churchill die Hudson Bay hoch, mit einem Historiker, und sie sprachen über die Stille und Einsamkeit des Nordens. Dann hat er das alles zusammengeschnitten und ein kontrapunktisches Stück im Stile von Bach fürs Radio daraus gemacht. Das lief in der CBC, und Gould hat fürs Radio eine Menge solcher Stücke gemacht.
Die Eisenbahn spielt ja eine wesentliche Rolle im Aufbau Kanadas als Staates. Auch für dich als Ausgangspunkt deiner Arbeit oder war das von Anfang an international?
West Millette: Die Geschichte der kanadischen Eisenbahn ist natürlich zentral. Das war damals ja tatsächlich ein Wettbewerb. Auf der einen Seite stand William Cornelius van Horne, ein Amerikaner, der aber für die Kanadier arbeitete und dann eine konkurrierende amerikanische Company. Van Horne hat gewonnen, weil er alle Brücken aus Holz gebaut hat. Und er sagte sich: Wenn ich zuerst in Terminal City ankomme, so hieß damals Vancouver, dann werde ich sie danach durch schöne Stahlbrücken ersetzen. Und aus diesem Grund schaffte er es, 1895 ein oder zwei Monate vor dem anderen Typen anzukommen! Aus diesem Grunde wurde British Columbia kanadisch, sonst wäre Vancouver heute Alaska. Van Horne war aus Detroit, danach hat er die meiste Zeit seines Lebens in Montréal gelebt und deshalb ist auch diese Straße hier, an der meine Werkstatt liegt, nach ihm benannt, denn die CPR Railway ist ja gerade hier vor dem Fenster. Die Eisenbahn hat also wirklich Kanada vereint.
Du kennst Züge auf jedem Erdteil. Würdest du sagen, dass jeder Zug seinen eigenen Groove hat, den man sofort erkennt? Was ist zum Beispiel der Groove der deutschen Eisenbahn?
West Millette: Ich bin oft mit dem ICE gefahren (er spricht es wie „Eis“ aus): Der ist eng verwandt mit dem TGV, dem Thalys oder dem Eurostar. Aber ich bin damals auch von Lübeck aus mit fantastischen Zügen nach Hamburg und Bremen gefahren, auch nach Ostberlin, Weimar und Leipzig, denn ich wollte die Stadt von Johann Sebastian Bach sehen. Das waren alte Dieselloks, großartige Erinnerungen. Ich freue mich auch auf deine Region, den Süden, den kenne ich nicht. Ich mag die deutsche Sprache und wurde zu meinem ICE-Stück von einer Dame inspiriert, die in einem Bahnhof die Ansagen machte. Die habe ich aufgenommen. Ich hatte in Deutschland das Gefühl von modernem, industriellen Sound in mir. Also komponierte ich eine Art Tribut an die Einstürzenden Neubauten! Lucas Paris, ein junger Typ mit dem ich jetzt arbeite, hat übrigens einen Remix des ICE-Stücks gemacht und der hat ein bisschen Kraftwerk-Einflüsse.
Ist der Groove eines Zuges also nicht nur ein rhythmisches Ding, sondern auch etwas Poetisches? Wird er nicht nur durch den Klang der verschiedenen Schienen, sondern auch dadurch verursacht, dass man immer mit verschiedenen Menschen und Mentalitäten im Zug sitzt?
West Millette: Ja! Die Beats per minute sind beim deutschen Stück um die 140. Aber auch die wunderbare Landschaft, die ich durch die Fenster sah, hat mich sehr inspiriert. Dabei war der Groove sehr industrial.
Wo war deine abenteuerlichste Bahnfahrt?
West Millette: In Afrika war ich auf der Linie zwischen Bamako und Dakar unterwegs. Wir gerieten in einen großen Sandsturm und mussten eigenhändig die Sandberge von den Gleisen schaufeln. Aber es war eine wunderbare Erfahrung: Ein Typ namens Amadou spielte Kora, ein anderer kochte Tajine – und am Ende hatten wir 24 Stunden Verspätung. Ich denke nur in der Schweiz sind die Züge wirklich ganz pünktlich, manchmal zu pünktlich und du verpasst sie. Hier in Kanada sind sie ziemlich pünktlich, aber die Güterzüge haben Priorität und dann kann es sein, dass ein Personenzug Verspätung bekommt, weil er warten muss. Afrika war sehr beeindruckend. Die Mongolei sicher auch. Aber am aufregendsten war die Transsibirische Eisenbahn, die in Russland nur die Nummer 2 heißt, von Moskau nach Wladiwostok. Alle Soldaten fahren mit der Bahn in ihre Lager in Wladiwostok. Und die trinken so viel Wodka, dass es lustig sein kann, aber auch sehr verrückt. Ich machte bei einem Jam mit, wo sie Balalaika spielten, sangen und Poersie von Puschkin und Vyssotsky austauschten. Das ging acht Tage lang. Beim ersten Mal machte ich das nonstop. Als ich in Wladiwostok rausging, war ich fast betrunken, aber nicht vom Wodka. Ich fühlte mich, als wäre ich vom Schiff gekommen. Beim zweiten Mal fuhr ich mit der Nummer 2, 3 und 4. Das ging von Moskau nach Irkutsk und ich stieg oft aus. Danach ging es entlang des Baikalsees in die Mongolei, und da traf ich auch super Musiker, in Ulan-Bator habe ich eine Aufnahmesession gemacht. Anschließend steig ich in die Nummer 4 von Ulan-Bator in die Gobi-Wüste nach Peking. Das war 2007, meine letzte große Reise, um das CD-Buch fertig zu kreieren. Aber jetzt halte ich Ausschau nach weiteren Zielen.
Es geht dir also vor allem um transkontinentale Linien, nicht um kleine Eisenbahnen in den Bergen?
West Millette: Genau, für das Buch war das so, ein Tribut an alle transkontinentalen Züge der Welt. Auf dem zweiten Album Train Songs geht es um Eisenbahnlieder, die Klassiker geworden sind. Danach will ich eine CD über die Hobos machen und meine vierte Scheibe soll die Bahnarbeiter beleuchten, die Menschen, die die Strecken überall auf der Welt gebaut haben. Dafür will ich die kleinen Strecken abklappern, die man nicht so kennt. Da geht es um die Menschen, die die Brücken bauen, die Strecken instandhalten und die Loks – alle, die das möglich machen.
Kannst du mir ein bisschen mehr über das kommende Hobo-Album erzählen?
West Millette: Ich recherchierte in der Washington Library of Congress, dort sind einige Lieder hinterlegt, die Alan Lomax gesammelt hat. Eine weitere Inspirationsquelle ist mein Freund Thomas Hellman, ein Texaner, der hier lebt, er kennt sich wirklich gut mit Eisenbahnliedern aus. Auch mein Freund Zachary Richard in Louisiana weiß eine Menge über train tunes. Andere Quellen finde ich in Büchern: Ich bin ein großer Fan von Jack London und seinen Bahngeschichten, und von einem Autor, den nicht viele kennen: Leon Ray Livingston. Er schrieb zehn oder zwölf sehr seltene Bücher über sein Trampen. Er bezeichnete sich selbst als Tramp, aber eigentlich war er ein Hobo. Er schrieb auch über die weiblichen Hobos, Virginia Slim vom Zigarettenhersteller war in den 1930ern eine Hobo. Er hat auch einige Lieder geschrieben. Jetzt habe ich sechs oder sieben Stücke fertig. Aber auch dazu möchte ich Filme drehen. Vielleicht wird es gar nicht als CD rauskommen, sondern nur im Web zu sehen sein. Vielleicht wird es auch ein Buch. Auf jeden Fall wird es audiovisuell.
Die Filme, die in den Konzerten der West Trainz-Band hinten auf der Leinwand laufen, sind die alle aus deinem eigenen Fundus?
West Millette: Das Meiste davon sind meine Filme. Aber es gibt hier einen großartigen Filmemacher, Louis Bélanger, der hat z.B. „Gaz Bar Blues“ gemacht. Louis hatte eine Menge Filme auf Vorrat, er hat mir geholfen, die Show zu designen. Ich wollte mit jemandem arbeiten, der Musik und Züge liebt und eine Vision hatte, wie das zusammenspielen könnte. Denn man kann es da leicht übertreiben. Von ihm habe ich einiges Material bekommen, das bei manchen Reisezielen fehlte. Wir blenden also Filme, Fotos und alle möglichen Sachen zusammen.
Kraftwerk sind ja vor einiger Zeit dazu übergegangen, ihre Shows in 3D zu präsentieren. Der Trans Europa Express fährt dir im Konzert also gewissermaßen durch den Kopf. Planst du etwas Ähnliches?
Mein Exekutiv-Geschäftspartner Louis Armant Bombardier ist der Enkel des großen Erfinders Joseph Armant Bombardier, der das Schneemobil und das alles erfunden hat. Louis kommt also aus einer großen Erfinderfamilie. Er hat diese wunderbare Plattenfirma aber auch ein Multimediaprojekt. Jetzt arbeitet er an 3D-, Virtual Reality-Sachen. Vielleicht wird er eines Tages die West Trainz-Show auf 3D-Format bringen, dann kann das Publikum richtig eintauchen in die Weltreise.
Bei allen meinen Arbeiten, auch bei der Filmmusik, will ich immer das Moderne mit dem organischen vebrindne. Deshlab habe ich auch die mobile Version meiner Konzert entwickelt, einen Zug in den Straßen, der ist wirklich was für Kinder von 7 bis 77. Denn es ist verrückt, wie viele Leute die Eisenbahn und ihre Geschichten lieben. Beim Jazzfestival in Louisiana war ich so überrascht, wie viele Leute von dem organischen musikalischen Zug überwältigt waren. Sie haben mit gesagt: „Das ist ja wie ein industrial Mardi Gras!“ Ich mit meinem Erbe aus Louisiana war immer begeistert von der Second Line, vom Mardi Gras, ich spielte sogar ein bisschen Sousaphon. Deshlab habe ich auch so viele Sousaphone in meinen Skulpturen. Da habe ich ein Sousaphon als ein Verstärker reingebaut mit einem Mikrofon drin. Ich bin sehr neugierig drauf, wie die Leute in Deutschland reagieren, wenn ich es eines Tages schaffe, die West Trainz zu euch zu bringen. Denn ihr habt ja diese Industrial-Tradition.
Sind die Musiker der West Trainz-Combo alle in Montréal verankert, oder passiert es gelegentlich, dass du Musiker auf deinen Reisen kennenlernst und sie mitnimmst, damit sie in der Show ihre Heimat repräsentieren?
West Millette: Diesen Sommer hatte ich die Möglichkeit, das zu tun, beim Montreal Jazz Festival spielte ich mit Willie West und meinen Freunden von Chic Gamine, einer fantastischen Band aus Winnipeg. Aber am Donnerstag werden es hauptsächlich meine Freunde und Olaf Gundel aus Dänemark sein, aber er wurde hier geboren und ist hier aufgewachsen. Er ist der Leadsänger und spielt Gitarre und Keys. Charles Imbeau an der Trompete, ich selbst an der Gitarre, am Bass und der Baritone-Gitarre, Pascal Racine-Venne an der Perkussion, Drums und Trainsounds, Martine H. Crispo kümmert sich um das Sounddesign, sendet die Samples raus, sie spielt auch Ukulele. Michel Fordin ist der technische Leiter, hat alle Maschinen mit mir gebaut, und mein Bruder Patrice, der hat mit mir die Skulpturen entworfen.
Wie werden diese Skulpturen in die Arrangements eingebaut?
West Millette: Dazu muss ich erst einmal erklären, dass die Leidenschaft Instrumente zu bauen aus meiner Hauptarbeit kommt: Filmmusiken schreiben. Und dafür halte ich immer nach neuen Klängen Ausschau. Ich baue manchmal kleine, manchmal große Instrumente, mit denen ich alle Arten von Geräuschen machen kann, manchmal halte ich es akustisch, manchmal verfremde ich elektronisch. Für die Züge sind es Artefakte, die ich auf dem Bahngelände der CPR gefunden habe und bei denen mir die Leute dort zugesichert haben, dass sie sie nicht mehr brauchen. Das Set Design ist völlig handgemacht, alles vom Bahnuniversum inspiriert, und darauf sind erfundene Instrumente montiert. Sogar die Mikrofone und die Ständer sind davon inspiriert.
West Trainz: Show EPK
Quelle: youtube
Sprechen wir noch über einige der Tracks auf der CD. Ein ganz tolles Stück ist der „Trans-Saharian-Express“. Auf welche Strecke bezieht sich der? Denn in Realität durchquert ja kein Zug die Sahara.
West Millette: Da bin ich von Marrakesch aus nach Nouakschott, nach Bamako und dann nach Dakar gefahren. In den 1920ern wollten die Franzosen eine transsaharische Linie vom Atlas aus bauen, das haben sie nie realisiert. Ein verrücktes Projekt, nach dem ich den Trans-Sahara-Excpress benannt habe. Es sind eigentlich zwei Linien von Casablanca über Fès nach Marrakesch, und dann von Nouakschott aus weiter nach Dakar. Da habe ich diesen berühmten Sandsturm erlebt. Und mitten im Sturm traf ich Musiker, die die Guembri spielen, zwei Typen aus der Weltmusik, die ich ins Studio gebracht habe. Alles, was ich in Marokko aufgenommen habe, war der Gesang der Berber und die Oud. Mein Freund Francis Covan aus Belgien, ein toller Musiker, der in Montréal gelebt hat, hat alle Streicherarrangements beigesteuert und alle Streicher selbst gespielt.
In „Cemetario de Train“ geht es um einen Zugfriedhof. hast du dort vor Ort Sounds von verschrotteten Zügen gesammelt?
West Millette: Ja, ich besuchte einen Zugfriedhof, der Zug da war komplett auseinandergefallen, total verrostet. Das war in der Nähe des Titicaca-Sees. Ich war sehr beeindruckt von diesem Geisterzug!
Deine zweite CD Train Songs hat ja einen ziemlich anderen Charakter als die erste, sie ist Song-orientiert.
West Millette: Während der Straßenshows meiner Band merkte ich, dass die Leute bekannte Bahnmelodien hören wollten. Sie riefen „Fulsom Prison Blues“ „Moving On“ von Ray Charles, oder Hank Snow, alles Klassiker. Und wir sagten; „Natürlich, wir können das auch spielen.“ An einem Punkt der Show dürfen sich die Leute also was wünschen, „Hear My Train Coming“ von Jimi Hendrix, oder „Mystery Train“ von Junior Parker. Also entschloss ich mich, wieder auf Anregung von Louis Bombardier, jeden Song mit einem Gastsänger einzuspielen. Denn meine Fans haben mich danach gefragt, und ich werde weitere Kapitel davon machen, vielleicht ein komplettes Album im Stil von Johnny Cash. Weißt du, welche sich meine? Jeder denkt ja, die ersten Konzeptalben wären Pet Sounds von den Beach Boys oder Sgt. Pepper von den Beatles gewesen. Nein, es war Ride This Train von Cash, 1962. In meinen Train Songs gibt es Funk mit meinem Cousin Willie West, der mit dem kürtzlich verstorbenen Alan Toussaint spielte, und ich hatte das Vergnügen, diesen einzigartigen, kreativen Menschen kennenzulernen. Ihm zu ehren haben wir „Waiting At The Station“ drauf, oder auch von Jimi Hendrix „Hear My Train Comin‘“ mit der fantastischen Sängerin Nanette Workman. Das ist also wirklich eine CD für die Fans meiner Straßenshows. Aber natürlich stecken auch da Zuggeräusche und seltsame Whistle-Sounds drin, zum Beispiel in „Mystery Train“. Denn als ich das erste Mal durch China und Kuba reiste, hatten sie immer noch Dampfloks, die Aufnahmen davon habe ich verwendet.
Und die Gastsänger sind alle kanadisch?
West Millette: Nein, Willie ist aus Louisiana und Bia aus Brasilien. Künftig werde ich vielleicht mit Leuten aus Deutschland arbeiten, mit dem Typ von Kraftwerk oder Nina Hagen!
Es gibt auf dem Album auch eine gesungene Version von Django Reinhardts „Nuages“. Welchen Bezug hat dieses Stück zur Eisenbahn?
West Millette: Dahinter steckt eine schöne Geschichte, denn diese Tune spielte ich für meine verstorbene Freundin Lhasa de Sela. Ich bin ein großer Fan von Django Reinhardt, deshalb habe ich Emily Claire-Barlow dafür geholt, sie kann das auf Französisch singen, so wie ich mir das vorstelle. Auch Bia hat eine schöne Version davon gesungen. Es geht um den Dampf, und wie die Seele nach dem Tod reist. Die Lyrics von Jacques Larue sind großartig, ein Freund von Django. Nicht viele Leute wissen, dass es dazu Lyrics gibt. Ichweiss gar nicht genau, ob der Text erst später entstanden ist. Ich weiß es nicht genau. Mit Lhasa habe ich mal eine Version davon aufgenommen. Ich wollte, dass es ein wenig nach Cool Jazz klingt, aber auch europäisch, deshalb gibt es Akkordeon und Geige dazu. Mein Tribut an Stéphane Grappelli. “Nuages“ ist großartig. Wenn du die Lyrics liest, verstehst du, dass es um Dampfzüge und den Tod und die Seele geht. Ich freue mich außerdem, dass Zachary Richard auf dem Album dabei ist, denn in „City Of New Orleans“ ist es, als ob die Lokomotiven sprächen. Als ob sie den Mississippi River sähen, und sich über seine Vision vom Leben unterhalten. Es ist eine Tune von Steve Goodman, jeder denkt es ist von Arlo Guthrie oder so, aber das stimmt nicht. Sie ist von Steve Goodman, der kurz danach gestorben ist.
Was für mich ein textliches Rätsel ist, das ist der „native train beat“ von dem du im Bookelt im Zusammenhang mit der Hendrix-Tune „Hear My Train Comin‘“ sprichst…
West Millette: Jimi Hendrix war teils Cherokee, teils Afro-Amerikaner aus Seattle. Ich arbeitete mit einem fantastischen Typen namens Robert Seven-Crows, von der Mi’kmag-Nation. Ich habe ein paar seiner Alben produziert. Zu Nanette Workman habe ich gesagt, dass ich in diesem Song Drums und Native Chants drin haben will, um Jimis Wurzeln Tribut zu zollen. Deshalb hast du diese indianischen Gesangslinien, die dem ganzen Konturen verleihen. Denn bei Jimi kannst du die Cherokee-Färbungen auch wahrnehmen, so wie er die Gitarre spielt. Daher hast du diesen „native train beat“ in dem Stück.
West Trainz: „Live At The Montreux Jazz Festival“ (Hendrix)
Quelle: youtube
Wie sehen deine nächsten Projekte aus, abgesehen von der Hobo-CD?
In meiner Arbeit kehre ich jetzt wieder nach Kanada zurück! Denn ich bin gerade dabei, eine Bahnsymphonie für fünf Lokomotiven, ein Orchester und fünf oder sechs musikalische Skulpturen zu schreiben. Ich schreibe über jede Provinz in Kanada, jede Melodie wird einer bestimmten Provinz zugeordnet sein. Ich schreibe in dieser Symphonie also etwas, das inspiriert ist von den keltischen Einflüssen Nova Scotias und New Brunswicks, von Québec und Ontario, in Winnipeg will ich dann auch die First Nations zeigen. Einerseits will ich mit der Geschichte arbeiten, andererseits soll es ein modernes Stück werden. Dazu werde ich einen Filmemacher engagieren, der überall in Kanada filmen wird, um poetische Porträts der Provinzen zu zeigen. Denn bei West Trainz geht es immer um die Kombination von Musik, Film, Fotos und Skulpturen. Nicht im Stil von National Geographic. Sondern als meine eigene Vision von Kanada.
© Stefan Franzen