Gefühlte Muttersprachen

Ein freigeistiges Instrumentalquartett und eine herausragende Männerstimme – das sind die Zutaten für die vielleicht glücklichste Verbindung von Jazz und arabischer Färbung, die sich derzeit in Deutschland finden lässt. Das Quartett Masaa ist auf seinem dritten Album Outspoken zur Meisterschaft gereift: Die Stücke haben nun die Stringenz von Popsongs, und wie Geistesblitze fliegen die Improvisationen zwischen der Stimme des gebürtigen Libanesen Rabih Lahoud und der Trompete von Markus Rust hin und her. Am Piano liefert Clemens Pötzsch vorwärtsdrängende Akkorde und lyrische Passagen, erfindungsreich gestaltet Perkussionist Demian Kappenstein die perkussive Arbeit, auch mit Schrotteilen und Glöckchen. Anlässlich des Release habe ich mit Rabih Lahoud gesprochen.

Rabih, euer drittes Album heißt Outspoken. Dass ihr diesen Titel so formuliert habt, könnte ja implizieren, dass auf den Vorgängern noch eine Vorsicht da war, dass Manches nicht so direkt ausformuliert wurde…

Rabih Lahoud: Der Titel Outspoken signalisiert auf jeden Fall eine Weiterentwicklung von uns als Musikern, und auch von mir selbst als Sänger und Texter. Ich habe selbst das Gefühl, dass das jetzt gerader ist und stärker nach vorne ausgesprochen. Ich habe das im Rückblick wahrgenommen: nach der Einspielung habe ich die älteren Aufnahmen angeschaut, und auf meine Stimme, auf die Art des Zusammenspiels geachtet. Und da hatte ich sofort den Eindruck, dass jetzt alles klarer ist, wie ein Spiegel, der sauber gemacht wurde. Der Titel der CD hat aber auch damit zu tun, dass so viele verschiedene Botschaften durch die unterschiedlichen Sprachen drinstecken: Die Möglichkeit, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln das sagen zu können, was einen gerade bewegt.

Mein Eindruck ist, dass deine Stimme einerseits direkter im Ausdruck geworden ist, andererseits aber auch nuancierter, feinsinniger.

Lahoud: Die Stimme ist klarer, sofort da, sie ist durchdringender, hat mehrere Farben bekommen, sie kann viel mehr unterschiedliche Emotionen ausdrücken als früher. Ich habe das Gefühl, meine Lebenserfahrung hat dahin geführt, dass ich jetzt so singen kann.

Viele der Stücke sind unter vier Minuten. Könnte man sagen, dass da eine größere Nähe zum Songhaften, sogar zum Popsong da ist?

Lahoud: Der Gedanke der Knappheit oder was man auf eine CD tut, hat uns immer beschäftigt. Viele haben die CDs gehört und gesagt: Wir haben auf der Bühne etwas ganz Anderes erlebt, das kann man ja eigentlich gar nicht transportieren. Und irgendwie stimmt das. Was auf der Bühne zu hören ist, ist die Wiederbelebung einer Idee, und was diese Idee ist, kommt jetzt klarer heraus. Vielleicht kann man diese Knappheit, diese Stringenz „Pop“ nennen. Letztendlich findet Masaa auf der Bühne statt, was man als CD mitnimmt, sind nur die Samen dessen, was auf der Bühne weiter wächst. Für mich ist das jetzt stimmig: Auf der CD ist eine Momentaufnahme, und auf der Bühne erlebt man, was mit dieser Idee weiter passiert, wenn sich diese vier Menschen unterhalten, in der konkreten Situation, mit diesem Gefühl, vor diesen Menschen.

Du erzählst ja eigentliche keine Geschichten, deine Texte sind manchmal nur Dreizeiler: Würdest du sie als in Worte gefasste, Gefühlszustände, Traumbilder, Aphorismen bezeichnen?

Lahoud: Mich hat die japanische Form des Haiku immer sehr beeindruckt, denn sie bedeutet ja immer ein Innehalten. Ich habe mein Leben als eine Reihung von Stressmomenten erlebt, als Rennen zu etwas oder jemandem hin. Ich habe mich immer danach gesehnt, bei einem Wort oder Gefühl stehen zu bleiben und ihnen die Zeit zu geben, die sie brauchen. In diesem Moment bin ich kein Dichter, sondern ein Mensch, der die Pause-Taste drückt, der ein Gefühl betrachtet. So entstehen meine Texte. Es ist diese Sehnsucht, nicht mehr rennen und ganz viel sagen zu müssen, sondern ein Wort auszuloten und zu schauen, was aus diesem einen Wort alles rauskommen kann.

Hast du bei dieser Arbeitsweise irgendwelche Vorbilder, möglicherweise auch aus der arabischen Dichtung, etwa Mahmoud Darwish oder Adonis?

Lahoud: Nicht absichtlich. Natürlich kenne ich das, als Jugendlicher habe ich sehr viel gelesen und Musik gehört, da war ich ein Freak, der gar nicht so viel draußen macht. Das geschieht also sehr unbewusst. Khalil Gibran ist auch ein wichtiger Autor für mich, durch seine Art tief nachzudenken und Dinge so auszudrücken, wie es niemand anders macht. Diese Bewunderung kommt vielleicht bei den Masaa-Texten raus.

                                                Foto: Stefan Franzen

Gehst du mit der arabischen Sprache wie mit einer Muttersprache um oder ist durch das Deutsche, das ja auch schon seit langer Zeit in deinem Alltag ist, eine gewisse Distanz da?

Lahoud: Ich habe mich nie einem Land oder einer Kultur zugehörig gefühlt, nie. Das Gefühl der Zugehörigkeit oder einer Vergangenheit war für mich immer schwer zu verstehen. Ich hatte immer Sehnsucht, zu vielen unterschiedlichen Richtungen und Denkarten zu gehören, viele unterschiedliche Leute kennenzulernen. Das war bei mir immer „angeboren“, ich kann mich an nichts anderes erinnern. Und das kommt jetzt mit den verschiedenen Sprachen raus, in denen ich singe. Denn jede Sprache, in der ich Freundschaften aufgebaut habe, wird für mich zu einer Muttersprache. Die Beziehungen, die in dieser Sprache entstanden sind führen mich durch das Sprechen und die Wortwahl zu einem emotionalen Ursprung. Ich empfinde mich nicht als Arabisch sprechenden Menschen, das ist fast eine Art Zufall. Als Hauptsprache hatte ich Französisch ohnehin auch parallel, damit bin ich genauso aufgewachsen. Für mich ist das ein Appell an meine Umgebung, dass die eigene Kultur eine Möglichkeit der Kommunikation ist, dass man aber als Mensch auch die Fähigkeit hat, sich noch mehr zu öffnen, auch alles Andere emotional tief zu empfinden.

Wenn du auf Französisch, Englisch oder Deutsch dichtest, hast du dann andere Themen als wenn du Arabisch schreibst, bzw. andersherum gefragt: Wenn ein Text sich in deinem Kopf sich formiert, weißt du dann schon: Dieses Gedicht muss ich in einer bestimmten Sprache schreiben?

Lahoud: Das kann ich schwer beschreiben. Ich empfinde eine musikalische oder melodische Atmosphäre, die mich dann zu einer Sprache hinzieht. Das kann es sein. Zum Beispiel war es bei dem französischen Titel „Ta Voix“ so, dass Markus, unser Trompeter, eine Idee mitgebracht hat und ich sofort gefühlt habe, dass das französisch werden muss. Da habe ich den Text im Proberaum in ein paar Minuten geschrieben. Vor dem deutschen Titel hatte ich am meisten Respekt, ich fragte mich, ob ich das überhaupt kann. Der Text war hier schon vorher da, und hier bin ich vielleicht am ehesten ein Dichter gewesen. Ich habe die deutsche Sprache auch wirklich mit Büchern gebüffelt und Prüfungen abgelegt. Daher ist sie ist für mich mit Gedankentiefe verbunden, auf einer intuitiv-intelektuellen Ebene.

„Fuädi“ sticht als Stück heraus, das wirklich deutlich arabisch verortet ist: Welchem Rhythmus liegt das zugrunde?

Lahoud: Er hat glaube ich keinen bestimmten Namen, ich bin nicht sehr bewandert in den Rhythmen. Diesen Fünferrhythmus aber mit dieser Unterteilung habe ich öfters gehört, das war tatsächlich die Grundlage der Melodie. Und darüber die Dreivierteltonmelodie ,die in zwei Maqams steht, Bayati und Saba. Der Bayati hat etwas mit Liebe zu tun, Saba mit Schmerz. Ganz am Schluss ändert sich ein Ton, und dann wird es zu Schmerz, der Ton wird „verschmerzt“. Das Interessante ist, dass sich dieser Ton Dur-artig anhört für uns hier, in der arabischen Kultur aber ist er mit Schmerz oder mit Trauer verbunden. Diese Unendlichkeit des Ausdrucks in den arabsichen Maqams, die kann ich jetzt mit meiner Stimme auch mit Selbstsicherheit ausnutzen.

Das Französische ist auch sehr wichtig im neuen Repertoire. Wie ist dein Verhältnis zum Chanson, gibt es da Inspirationen?

Lahoud: Jacques Brel ist auf jeden Fall jemand, der mich immer beeinflusst hat, den habe ich privat, während meines Studiums und auch in kleinen Konzerten gesungen. Ebenso die Piaf. Die Art der französischen Stimme hat etwas, was mich sehr berührt. Ich empfinde mich andersklingend, wenn ich französisch singe. Seit ich Kind bin, bin ich von den Chansons geprägt. Diese zwei Persönlichkeiten, das Arabische und das Französische, die sind gleichzeitig in mir aufgewachsen, ohne sich so zu verändern, dass sie sich gegenseitig annullieren oder sich durch Integration verändern würden. Im Gegenteil, sie werden sogar immer stärker in ihren Eigenheiten, das ist das, was ich bei Konzerten beobachte, wenn ich singe. Das Chansongefühl, das mich als Kind bewegt hat, ist immer noch da, wenn ich es abrufe.

Inzwischen habt ihr auch im Libanon getourt: Wie ist eure Musik da angekommen? Wurde sie als „deutsch“ empfunden oder konnten die Leute durch deine Texte einen direkten Bezug aufbauen?

Lahoud: Wir waren im Libanon in den Universitäten mit jungen Menschen in Kontakt und ich hatte das Gefühl, dass unsere Musik eher als europäisch empfunden wird. Ich hatte das auch so erwartet, denn sie ist nicht ein Puzzlestück, das da irgendwo in die Kultur reinpasst. Sie ist kantig, eckig, hat einen eigenen Charakter. Als die Texte dann im Raum gewirkt haben, hat man gemerkt, wie die Leute sehr emotional wurden. Das ist das, was meine erste Heimat braucht: Eine neue Sprache auf neuen musikalischen Wegen zu entwickeln, um sich ausdrücken zu können. Sie leben dort schon so lange in Dingen, die sich kulturell nicht weiterentwickeln. Man merkte diese Sehnsucht nach neuen Straßen für die Sprache und die Musik.

© Stefan Franzen

„Mit Masaa auf den Spuren Rabih Lahouds“
Quelle: youtube