Ed Motta
Club des Theaters der Künste Zürich, 01/11/14
Wiedersehen nach 12 Jahren. Das erste und bislang einzige Mal, dass ich ihn auf der Bühne gesehen habe, war 2002 in einem riesigen Einkaufszentrum in Brasilia mit dem magischen Namen Taguatinga. Damals war mir seine Musik noch relativ schnuppe, er hatte seinerzeit ein Album namens Dwitza rausgebracht und wirbelte einen – für mich – harmonisch überkomplexen Jazz aus seiner Wurlitzer-Orgel heraus. Fünf Stockwerke hoch hing das Publikum über den Balustraden, lagerte draußen in der Abendhitze der brasilianischen Steppe, um ihn auf Großleinwand zu verfolgen. Da wurde mir klar, dass dieser Mann in seiner Heimat ein Superstar ist.
In Europa hat es Ed Motta bis heute über Spezialistenkreise hinaus nicht geschafft. Der großartige, in aller Hinsicht kolossale Musiker und Entertainer passt nicht in die Brasilien-Schemata unserer dornröschenschlafenden Tagespresse. Umso höher muss man es dem jazznojazz-team anrechnen, dass sie ihn als Abschluss ihres Festivals nach Zürich geholt haben. Sein erster Auftritt in der Schweiz: Eine Allerheiligenwucht in schwitziger Clubatmosphäre. Motta de todos os santos.
Die Vorhut, die da auf die Bühne kommt, sieht aus wie seine krass verschlankte Version, inklusive Wollebart und Hawaiihemd. Aber es ist Keyboarder Matti Klein, zusammen mit Hannes Hufken die deutsche Hälfte seines Europatour-Quartetts. An den Drums nimmt der Portugiese Carlos Miguel Platz, die Gitarre bedient ein verschmitzter Hybrid aus Martin Scorcese und Pat Martino, Eds langjähriger Compagnon Paulinho Guitarra. In Brasilien werden die Musiker oft nach ihrem Instrument benannt, was, konsequent für den ganzen Erdball durchdekliniert, zu sehr lustigen Ergebnissen führen würde. Das überlasse ich dem geschätzten Leser. Ed „schlängelt“ sich zu seiner Fender Rhodes und wird johlend begrüßt. Schätzungsweise ein Drittel der Anwesenden sind Landsleute.
Die nächsten 90 Minuten sind ein Lehrstück dafür, was ein fanatischer Plattensammler so alles anstellen kann, wenn er nicht nur Archivar ist. Sondern wenn er die Musikstile, die sich in seinen Regalen tummeln, auch auf der Bühne umsetzen kann. Zappelnd und mit heruntergelassener Kinnlade zugleich erleben wir, wie sich das Repertoire seines aktuellen Albums AOR entfaltet – Ed selbst beschreibt das als Sunshine-Pop, und es steckt jede Menge zurückgelehntes Westcoast-Feeling, Funk und Frühachtzigerpop drin. In der Stimme dieses Mannes wohnt eine solche XXL-Portion Soul, dass er im Bass-Register so ausladend die Lippen schürzt, als wolle er das Auditorium en bloc abknutschen. Und bei den Tastenimpros bleckt er immer wieder verzückt seine Zähne und die Parodie auf die Literatenbrille rutscht ihm gefährlich nach oben. Seine Rhodes glühen, seine Stirne perlt. Er hätte, so sagt der für seinen kulinarischen Hedonismus bekannte Carioca, nicht gedacht, dass das Schokoladenparadies so heiß wäre. Wie ein Edelkäse fühle er sich – im Fonduetopf könnte man hinzufügen.
Doch weder die Hitze noch der ständige Kampf mit seinem Mikrofonständer können Ed Motta davon abhalten, eine Riesenshow abzuliefern. Der süße Schmelz von „Dondi“, eine entfernte Antwort auf den Bossa-Hit „Dindi“, seine relaxte Steely Dan-Reminiszenz „Simple Guy“ und seine fantastischen Ausflüge in den Disco werden geadelt von fulminanten Soli-Eingaben des Senhor Guitarra, die man sofort niederschreiben und nachspielen möchte. Und Matti Klein unterstützt den Chef kongenial, mit großer Spielfreude und Clavinet- und Moog-Responsorik.
Mehr als ein Bonus: Ed Mottas Ansagen. Er demonstriert, wie sein Name in allen möglichen Ländern ausgesprochen wird. Die englische, distinguierte gefällt ihm am besten. Er plaudert über sein erstes Kinoerlebnis in den Spätsiebzigern und liefert gleich den Sound von aufeinanderknallenden Laserschwertern nach. Er preist die lässige Mokassins-Mode von Magnum und widmet den TV-Erkennungsmelodien der Achtziger sein Stück „Farmer’s Wife“. Und als die Band gegen Ende verschwindet, gibt’s a cappella mit dröhnendem, untertönigem Kehlkopf einen Schnelldurchgang durch die Musikgeschichte von Earth, Wind And Fire’s „Lets‘ Groove“ über Deep Purple bis zu einer kompletten Samba Batucada-Abteilung. Als Kind war er mit dieser Stimme und seinen E.T.-Imitationen der King auf dem Schulhof.
Ein selig machendes Finale toppt das alles noch. Wie grenzenlos Ed Mottas Musikuniversum ist, muss man spätestens anerkennen, als er sich vom enthusiasmierten Publikum mit einer Riesen-Coverversion von Gino Vanellis „Living Inside Myself“ verabschiedet. Kein Schmalz, keine falsche Ironie, sondern Seelenfeuer pur. Das war mein schönstes Allerheiligen – mit Abstand.
© Stefan Franzen
Um noch weiter ins AOR-Universum von Ed einzutauchen, empfehle ich seinen Mix für die Kollegen von Wax Poetics!