Brasilien nach dem Schock


Zeichnung: Thereza Nardelli Silva

Nach der Wahl des rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Jair Bolsonaro zum neuen Präsidenten Brasiliens am vergangenen Sonntag ist das Entsetzen unter Intellektuellen und Künstlern groß. Musiker wie Caetano Veloso, Chico Buarque und Milton Nascimento haben während den 21 Jahren der Militärdiktatur (1964-85) unter Drohungen, Zensur und Exil gelitten und erleben nun im fortgeschrittenen Alter, wie einer, der diese Zeit verherrlicht, an die Macht kommt. Vor der Wahl haben sie alle sich klar und öffentlich gegen Bolsonaro und für den Kandidaten der Arbeiterpartei, Fernando Haddad, positioniert. Als Warnung vor einer Wiederholung der Ereignisse veröffentlichte Nascimento etwa ein Dokument, das den Eingriff der Zensurbehörde in seine Texte dokumentiert.

Auch die ein bis zwei Generationen jüngeren Musiker haben sich organisiert: Federführend bei den Bolsonaro-Gegnern war hier der Songschreiber Rodrigo Amarante, der singend nochmals einen letzten Appell für die Demokratie und gegen eine Stimmenabgabe aus Furcht ans Volk richtete. Besonders flammend gegen Bolsonaro und für Freiheit und Vielfalt hat sich Daniela Mercury geäußert, die dafür das Lied „Pagode Divino“ geschrieben hat. Mercury betonte vor der Wahl, dass sie unabhängig vom Resultat mit ihrer Kunst weiterhin für das kämpfen werde, woran sie glaube, und veröffentlichte nach dem Sieg die Friedensbotschaft „Niemand wird des Anderen Hand loslassen“.

Auch der/die bekannteste transsexuelle Musiker*in Brasiliens, Pabllo Vittar, ist ungebrochen und kündigte, untermalt von einem Regenbogenfoto, an: „Ich leiste Widerstand“. Unterdessen machen sich in den „sozialen Medien“ Anfeindungen gegen die Bolsonaro-Gegner breit: Veloso, Nascimento und Vittar wurde unter anderem geraten, das Land zu verlassen. Die Sängerin Preta Gil, Gilberto Gils Tochter fasst die Stimmung nach der Wahl für viele Kolleg*innen zusammen: „Ein trauriger Tag in unserer Geschichte, aber ich habe viele Dinge nicht verloren: Meine Würde, meine Kraft, meinen Charakter. Wir werden weiter nach vorne blicken und in unserem Kampf zusammenstehen.“

Angesichts der jüngsten Ereignisse in Brasilien kommen mir Zeilen des großen Songschreiber-Doppels João Bosco und Aldir Blanc in den Sinn, das mit „O Bêbado E A Equilibrista“ den widerständischen Kräften in der Diktatur 1979 eine feinsinnige Hymne lieferte: „Die Hoffnung tanzt mit einem Schirm auf dem Drahtseil, und mit jedem Schritt kann sie sich verletzen. Pech gehabt, doch die balancierende Hoffnung weiß stets, dass im Leben eines Künstlers die Show weitergehen muss.“ (der komplette Text mit englischer Übersetzung hier) Ob solche Metaphern demnächst wieder in der Musik Brasiliens nicht aus poetischen, sondern aus politischen Gründen gedichtet werden müssen? Elis Regina hat das Lied damals unsterblich gemacht.

Elis Regina: „O Bêbado E A Equilbrista“
Quelle: youtube