Ewige Liebe im Moor – Wuthering Heights 40

„Out on the wiley, windy moors we’d roll and fall in green“ – als diese irre hoch gesungene Anfangssequenz zum ersten Mal in Frank Laufenbergs Top Ten auf SWF 3 im Januar oder Februar 1978 aus meinem Cassettenradio tönte, konnte ich mir nur eine kleine Rotzgöre vorstellen, die das singt. Auch als Neunjährigem kam mir absurd vor, warum irgendjemand seine Stimme so hoch schrauben wollte. Doch was mir damals auch schon dämmerte: Das Lied unterschied sich von allem, was ich bis dato in dieser Hitliste am Sonntagabend gehört hatte, der ich seit dem Sommer 1977 regelmäßig lauschte.

Heute vor 40 Jahren ist Kate Bushs Single „Wuthering Heights“ veröffentlicht worden, das Debutalbum The Kick Inside folgte am 17.2.1978. Die popgeschichtliche Einordnung ist spannend genug: Als „Wuthering Heights“ im UK auf die Nummer 1 kletterte (in Deutschland lediglich Notierung 11), regierte auf der einen Seite der vorkonfektionierte Schwedenpop von ABBA, auf der anderen Seite der Disco der Bee Gees aus „Saturday Night Fever“. Dass da eine 19-Jährige mit einer Orchesterhymne, inspiriert von der Schlüsselszene aus Emily Brontes Sturmhöhe, nämlich die Rückkehr des Geistes von Heathcliff zu seiner Geliebten Cathy, eine Schneise reinschlagen konnte: kaum vorstellbar.

Wäre es nach den Plattenmoguln der EMI gegangen, hätte die erste Single von Kate Bush „James And The Cold Gun“ geheißen – eine charmante, aber konventionelle Rocknummer. Die Künstlerin selbst setzte sich mit ihrem Gespür durch – und das öffnete ihr Tür und Tor zu einer großen Karriere. Aus meinem persönlichen Hörwinkel gebe ich zu, dass „Wuthering Heights“ bei weitem nicht mein Lieblingssong von Kate Bush ist. Selbst die zweite Auskopplung aus The Kick Inside, die orchestrale Ballade „The Man With The Child In His Eyes“, stelle ich von der Stringenz der Komposition her weit über die schon ziemlich hyperventilierende  Sturmhöhen-Hymne.

Trotzdem: „Wuthering Heights“ nimmt einen ganz besonderen Platz in der Popgeschichte ein. Mit diesen viereinhalb Minuten begann das Kapitel weiblicher Selbstbestimmtheit – eine Künstlerin, die in so konsequenter Art als Autorin, Sängerin, Tänzerin und ab ihrem dritten Album auch Produzentin in Personalunion auf den Plan trat, hatte es vorher nicht gegeben. Wer das Thema vertiefen will: Der Daily Telegraph hat zum 40. einen brillanten Artikel veröffentlicht.

Von allen Kate Bush-Songs ist „Wuthering Heights“ derjenige, der beim Covern am meisten zum Scheitern verurteilt ist. Gerne hätte ich zum 40-Jährigen eine kleine Liste erstellt, doch entweder sind die Adaptionen schwach oder albern. Deshalb gibt es hier nur drei Versionen von Kate Bush selbst. Die erste, ein Playback zur Originalfassung von 1978, stammt aus Alfred Bioleks Show „Bios Bahnhof“, es ist Bushs erster Fernsehauftritt überhaupt. Vorangegangen war eine Live-Version von „Kite“, umklammert wurde ihre Performance von einer amüsanten, heute sehr altväterlichen anmutenden Moderation der deutschen Fernsehlegende.

Kate Bush: „Wuthering Heights“, live in Bios Bahnhof, 9.2.1978
Quelle: youtube

Der zweite Clip ist eine Rarität aus dem französischen Fernsehen, in dem der Ausdruckstanz mit den wagenradgroßen Pupillen der beiden Originalvideos (Version 1, Version 2) etwas abgemildert ist – ein Ausdruckstanz, der neuerdings Menschen auf dem ganzen Globus dazu veranlasst, sich zu Hunderten auf einer grünen Wiese zu treffen und das Originalvideo nachzustellen.

Kate Bush: „Wuthering Heights“ (French TV)
Quelle: youtube

Und zu guter Letzt noch eine Live-Fassung aus einer Show in Manchester, entstanden während der „Tour of Life“ von 1979. Und hier lohnt es sich auf die Schluss-Sequenz zu hören: Denn was den Song für mich immer so speziell gemacht hat, war das sagenhafte, glückselig davonfliegende E-Gitarren-Solo des Finale (auf Platte spielte es Ian Bairnson vom Alan Parsons Project, live allerdings Alan Murphy.)

Happy Birthday, Wuthering Heights!

Kate Bush: „Wuthering Heights“ (live in Manchester, 1979)
Quelle: youtube

Das Schöpfen aus der Stille

Foto: Anna Day

Unter den Schweizer Jazzstimmen ist sie eine der rührigsten. Zu Lisette Spinnlers herausragenden Markenzeichen gehörte bislang ein virtuoses, verspieltes auch mal exaltiertes Singen in einer Fantasiesprache. Nun meldet sich die Liestalerin mit einer Musik zurück, die sie ganz aus der Stille geschöpft hat.

Lisette, der Titel deines neuen Albums Sounds Between Falling Leaves passt herrlich in die Jahreszeit. War es geplant, das im Herbst zu veröffentlichen?

Spinnler: Tatsächlich hat es gar nichts mit dem Herbst zu tun! Sondern vielmehr mit dem Suchen und In-die-Stille-Gehen. Der Titel ist eigentlich eine Metapher für die Zeit, in der ich das Album geschrieben habe. Ich habe mich zurückgezogen, war viel in der Ruhe, habe in den Nächten komponiert, mich mit Themen wie Krishnamurti, Meditation, und Yoga beschäftigt, auch mit Gedichten. Das „Between“, die Mitte, in der man nichts sieht, die Stille, in der man etwas sucht, was nicht direkt vor Augen ist, das spiegelt die Musik wider, die auf der CD ist.

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich veranlasst hat, diesen Weg der Stille einzuschlagen?

Spinnler: Eigentlich kam das nach der Geburt meiner ersten Tochter. Weil ich mehr zuhause war, spielten die Ablenkungen von draußen, die Eindrücke vom Unterwegs sein keine so große Rolle mehr. Bis dahin hatte ich oft sehr virtuose Musik gemacht, die Stimme als Instrument eingesetzt mit Fantasie-Silben. Jetzt setze ich mich mit Worten auseinander, auch auf Englisch. Ich spürte, ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich Neues schöpfen möchte, und das gelang mir, indem ich ganz in mich hineinging. Ein langer Weg.

Worin besteht für die Stimme denn die besondere Herausforderung, wenn man von den vielen Tönen zu den wenigen geht, und diese dann sehr souverän und mit großer Inspiration singt, ohne dass es sich schal oder langweilig anhört?

Spinnler: Eigentlich ist es die Auseinandersetzung mit der Sprache. Man fühlt genau, wo die einzelnen Wörter im Mund sind und was die Stimme damit macht, die dann darauf gelegt wird. Ich finde es spannend, in die englische Sprache reinzugehen, die ja nicht meine Muttersprache ist. Das ist immer wie ein Fremdkörper, den ich näher und näher zu mir bringen wollte, ohne nur an der Oberfläche zu tanzen. So entstanden die Melodien. Und dazu kommt: Da ich die Musik am Klavier komponiert habe und eigentlich keine Pianistin bin, habe ich Akkorde gelegt, auch das in einem Kontext großer Ruhe.

Neben deinen eigenen Texten hast du zwei Poems von Emily Brontë vertont. Was zieht dich so an bei dieser englischen Dichterin des 19. Jahrhunderts?

Spinnler: Ihr Bezug zur Natur, der fasziniert mich ganz besonders, denn ich selbst bin sehr naturbezogen aufgewachsen. Während andere Party gemacht haben, bin ich als Teenager stundenlang allein im Wald unterwegs gewesen. Doch dieser dunkle Zugang, den Brontë hatte, ist eigentlich in mir nicht so drin. Melancholie habe ich erst später erfahren, als eine Melancholie der Schönheit, als Ruhepol und nicht als Traurigkeit. Ich hatte zum Glück noch nie Depressionen, ich habe das Sonnen-Gen geerbt!

Es gibt ja auch lebhafte Stellen auf dem Album, wo du nach wie vor in deiner Fantasiesprache singst.

Spinnler: Ja, denn diese verspielten Melodien sind nach wie vor in mir drin. Die kann ich komponieren, egal, wo ich bin, beim Einkaufen oder unterwegs, ohne Klavier, einfach mit ein paar Claps und die Stimme improvisiert darüber. Das ist etwas, was mich nie loslässt, es ist das Kind in mir drin, das immer wieder ganz stark nach vorne kommt.

Du arbeitest auf dem Album mit deinem Quartett, Musiker, mit denen du schon seit längerem zusammen spielst. Was macht dieses Ensemble so einzigartig?

Spinnler: Mit ihnen ist es musikalisch und menschlich eine runde Sache, sie lassen mir viel Platz und sie hören mir zu. Stefan Aeby ist ein Poet am Klavier. Ich wusste, wenn ich diese Poems bringe und meine eigenen Lyrics mit ihm spiele, dass er das sehr gut versteht. Patrice Moret am Bass ist die Erde pur für mich, und noch tiefer ins Magma hinein, dort befindet sich sein Spiel. Er spielt nie aus Ego-Trips heraus, ist aber zugleich sehr innovativ. Michi Stulz ist ein wunderbarer Free-Player am Schlagzeug, er lockt die Band, er möchte, das wir auf die Äste rausgehen. Vor allem live werden das die Leute sehen. Diese drei haben einen Flow kreiert, in dem ich mich auch mal gerne ganz zurücknehmen konnte.

© Stefan Franzen

Lisette Spinnler: „The Night is Darkening Around Me“ (Teaser)
Quelle: youtube

Album: Sounds Between Falling Leaves (VÖ 17.11., Neuklang)
Live: Gare du Nord Basel, 10.11.