Das Schöpfen aus der Stille

Foto: Anna Day

Unter den Schweizer Jazzstimmen ist sie eine der rührigsten. Zu Lisette Spinnlers herausragenden Markenzeichen gehörte bislang ein virtuoses, verspieltes auch mal exaltiertes Singen in einer Fantasiesprache. Nun meldet sich die Liestalerin mit einer Musik zurück, die sie ganz aus der Stille geschöpft hat.

Lisette, der Titel deines neuen Albums Sounds Between Falling Leaves passt herrlich in die Jahreszeit. War es geplant, das im Herbst zu veröffentlichen?

Spinnler: Tatsächlich hat es gar nichts mit dem Herbst zu tun! Sondern vielmehr mit dem Suchen und In-die-Stille-Gehen. Der Titel ist eigentlich eine Metapher für die Zeit, in der ich das Album geschrieben habe. Ich habe mich zurückgezogen, war viel in der Ruhe, habe in den Nächten komponiert, mich mit Themen wie Krishnamurti, Meditation, und Yoga beschäftigt, auch mit Gedichten. Das „Between“, die Mitte, in der man nichts sieht, die Stille, in der man etwas sucht, was nicht direkt vor Augen ist, das spiegelt die Musik wider, die auf der CD ist.

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich veranlasst hat, diesen Weg der Stille einzuschlagen?

Spinnler: Eigentlich kam das nach der Geburt meiner ersten Tochter. Weil ich mehr zuhause war, spielten die Ablenkungen von draußen, die Eindrücke vom Unterwegs sein keine so große Rolle mehr. Bis dahin hatte ich oft sehr virtuose Musik gemacht, die Stimme als Instrument eingesetzt mit Fantasie-Silben. Jetzt setze ich mich mit Worten auseinander, auch auf Englisch. Ich spürte, ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich Neues schöpfen möchte, und das gelang mir, indem ich ganz in mich hineinging. Ein langer Weg.

Worin besteht für die Stimme denn die besondere Herausforderung, wenn man von den vielen Tönen zu den wenigen geht, und diese dann sehr souverän und mit großer Inspiration singt, ohne dass es sich schal oder langweilig anhört?

Spinnler: Eigentlich ist es die Auseinandersetzung mit der Sprache. Man fühlt genau, wo die einzelnen Wörter im Mund sind und was die Stimme damit macht, die dann darauf gelegt wird. Ich finde es spannend, in die englische Sprache reinzugehen, die ja nicht meine Muttersprache ist. Das ist immer wie ein Fremdkörper, den ich näher und näher zu mir bringen wollte, ohne nur an der Oberfläche zu tanzen. So entstanden die Melodien. Und dazu kommt: Da ich die Musik am Klavier komponiert habe und eigentlich keine Pianistin bin, habe ich Akkorde gelegt, auch das in einem Kontext großer Ruhe.

Neben deinen eigenen Texten hast du zwei Poems von Emily Brontë vertont. Was zieht dich so an bei dieser englischen Dichterin des 19. Jahrhunderts?

Spinnler: Ihr Bezug zur Natur, der fasziniert mich ganz besonders, denn ich selbst bin sehr naturbezogen aufgewachsen. Während andere Party gemacht haben, bin ich als Teenager stundenlang allein im Wald unterwegs gewesen. Doch dieser dunkle Zugang, den Brontë hatte, ist eigentlich in mir nicht so drin. Melancholie habe ich erst später erfahren, als eine Melancholie der Schönheit, als Ruhepol und nicht als Traurigkeit. Ich hatte zum Glück noch nie Depressionen, ich habe das Sonnen-Gen geerbt!

Es gibt ja auch lebhafte Stellen auf dem Album, wo du nach wie vor in deiner Fantasiesprache singst.

Spinnler: Ja, denn diese verspielten Melodien sind nach wie vor in mir drin. Die kann ich komponieren, egal, wo ich bin, beim Einkaufen oder unterwegs, ohne Klavier, einfach mit ein paar Claps und die Stimme improvisiert darüber. Das ist etwas, was mich nie loslässt, es ist das Kind in mir drin, das immer wieder ganz stark nach vorne kommt.

Du arbeitest auf dem Album mit deinem Quartett, Musiker, mit denen du schon seit längerem zusammen spielst. Was macht dieses Ensemble so einzigartig?

Spinnler: Mit ihnen ist es musikalisch und menschlich eine runde Sache, sie lassen mir viel Platz und sie hören mir zu. Stefan Aeby ist ein Poet am Klavier. Ich wusste, wenn ich diese Poems bringe und meine eigenen Lyrics mit ihm spiele, dass er das sehr gut versteht. Patrice Moret am Bass ist die Erde pur für mich, und noch tiefer ins Magma hinein, dort befindet sich sein Spiel. Er spielt nie aus Ego-Trips heraus, ist aber zugleich sehr innovativ. Michi Stulz ist ein wunderbarer Free-Player am Schlagzeug, er lockt die Band, er möchte, das wir auf die Äste rausgehen. Vor allem live werden das die Leute sehen. Diese drei haben einen Flow kreiert, in dem ich mich auch mal gerne ganz zurücknehmen konnte.

© Stefan Franzen

Lisette Spinnler: „The Night is Darkening Around Me“ (Teaser)
Quelle: youtube

Album: Sounds Between Falling Leaves (VÖ 17.11., Neuklang)
Live: Gare du Nord Basel, 10.11.