Klänge für den Solarplexus

200 Jahre Unabhängigkeit ihrer Heimat, 50 Jahre Bühnenjubiläum Susana Baca: Über die runden Zahlen hinaus haben Peru und seine ikonische Sängerin eine enge musikalische und politische Beziehung. Mit „Palabras Urgentes“ setzt die einstige Kulturministerin ihr gesellschaftliches Engagement fort – und am Produktionspult stand Michael League von Snarky Puppy.

„Tocosh“ heißt eine natürliche antibiotische Medizin aus den Anden. Susana Baca beteuert, dass sie sich und ihre Stimme dank dieses „Inka-Puddings“ fit hält. Und in der Tat: Wer die neue Scheibe der 76-Jährigen, Palabras Urgentes (RealWorld) anhört, kann kaum einen Unterschied feststellen zu der klaren, kräftigen, resoluten Vokalkraft auf den Alben von vor zwanzig Jahren. Doch sonst ist eine Menge anders. „Das Album ist eine Meditation über das, was gerade in diesem Land passiert“, erzählt Baca in einer Live-Schalte aus Lima. „Das gesellschaftliche Klima hat sich wegen massiver Korruption drastisch verschlechtert, Politiker haben sich bereichert, Richter haben Freunde begünstigt. Im Volk hat sich eine Mischung aus Scham und Zorn breitgemacht. Ich konnte nicht mehr nur Poesie singen oder Liebeslieder. Zugleich wollte ich die Frauen ehren, die vor 200 Jahren eine so wichtige Rolle im Freiheitskampf gespielt haben.“

Namentlich sind das Micaela Bastidas, die Gefährtin des Rebellen Túpac Amaru II, die sie im Song „La Herida Oscura“ anspricht, und Juana Azurduy, die gegen die Spanier eine ganze Armee anführte. „Zum Jahrestag der Unabhängigkeit gab es eine Ausstellung, die mir gezeigt hat, dass Frauen sich organisieren müssen, um Beachtung zu finden,“ sagt Baca, und sie berichtet auch, dass sie bei den diesjährigen Wahlen Teil einer Ethik-Kommission war, die über faire Behandlung aller Bevölkerungsgruppen und Geschlechter wachte. Dabei sei viel Gewalt und Diskriminierung ans Tageslicht gekommen, selbst gegenüber Frauen, die schon in Machtpositionen waren.

All diese Schieflagen, dazu die dramatisch hohe Covid-19-Todesrate: Gibt es denn überhaupt etwas zu feiern zum Geburtstag von Peru? „Ja, ich habe Hoffnung“, so Baca. „Während der Pandemie haben die jungen Leute gesehen, wie unser Gesundheitssystem zusammengebrochen ist. Daraus ist ihr Wille entstanden, ein neues Land aufzubauen, sie entschließen sich jetzt vermehrt, nicht ins Ausland zu gehen, sondern hier vor Ort ihre Anstrengungen zu bündeln.“ Das wird in einem Land geschehen, das seit Juni von einem sozialistischen Lehrer aus der Sierra angeführt wird, Pedro Castillo.

Bacas Album Palabras Urgentes könnte der Soundtrack für dieses neue Peru werden. Seine Entstehung geht eigentlich auf das Jahr 2015 zurück, als die Band Snarky Puppy Lima besuchte, und Michael League Baca zur Teilnahme auf dem Album „Family Dinner II“ einlud. „Damals haben wir schon verabredet, dass er der musikalische Leiter für meine neue Scheibe werden sollte“, erinnert sich Baca, die internationale Kooperationen liebt, hat sie doch auf vergangenen Werken schon mit David Byrne, John Medeski, Marc Ribot oder Greg Cohen musiziert.

League hat den Sound des Albums, dessen Gros noch kurz vor der Pandemie eingefangen wurde, sehr vielfältig gestaltet: In „Negra Del Alma“ explodiert über dem Marimbaphon eine fulminante Blechblaskapelle, unter die sich das Saxophon des US-Amerikaners Jeff Coffin mischt, das Stück feiert ein Anden-Frühlingsfest. „Mein Lieblingssong, der geht direkt in den Solarplexus“, lacht Baca. In „Cambalache“ hat sie einen argentinischen Tango der 1930er mit afro-peruanischen Rhythmen adaptiert und den Text auf die jetzige Peru-Politik umgemünzt. Und in „Vestida De Vida“ singt sie mit großem Chor gegen die Klimakatastrophe an.

Am überraschendsten aber eine kurze Ballade namens „Dämmerung“: „Ich habe ein Gedicht von Luís Hernández Camarero, einem Dichter und Wissenschaftler vertont, der perfekt Deutsch sprach. Möglich, dass ich da auch Einflüsse von romantischen deutschen Komponisten verarbeitet habe, denn ich war ja oft auf Tour bei euch und habe eine Menge deutscher Musik gehört. Ihr wart das erste Land, in dem ich außerhalb Perus so richtig Anerkennung gefunden habe.“

Anerkennung ist auch das Stichwort, das Susana Baca verwendet, wenn sie über die Kultur der Afro-Peruaner spricht, für deren Sichtbarmachung sie Jahrzehnte gekämpft hat. „Ich dachte, wir hätten in puncto Rassismus Fortschritte gemacht. Aber es gibt immer noch Verachtung gegenüber den aus Afrika stammenden Küstenbewohnern, genau wie gegenüber den Indigenen aus Amazonien. Dabei ist der Reichtum dieser Gemeinschaft, die sich ‚Peru‘ nennt, gerade die Vielfalt in der Kultur. Damit sich diese Ansicht durchsetzt, müssen wir immer noch viel in unser Bildungssystem investieren.“

© Stefan Franzen, erschienen in Jazz thing #141

Susana Baca: „Sorongo“
Quelle: youtube

Empfindsamer Kämpfer

Einer der bekanntesten Musiker Angolas, Waldemar Bastos, ist am 9. August im Alter von 66 Jahren in Lissabon an einem Krebsleiden gestorben. Über mehr als vier Jahrzehnte verfolgte Bastos eine internationale Karriere, war dabei stets auch ein Kritiker der politischen Verhältnisse in seiner Heimat und ein Kämpfer für die Demokratisierung. Bastos stammte aus der Provinz M‘Banza Kongo und begann seine musikalische Laufbahn früh in Tanzbands. Die Lieder des Volkes, die Kirchenmusik des Vaters, aber auch der Soul der Jackson 5 boten ihm Zuflucht vor dem oppressiven Regime-Alltag. Alle Einflüsse strömten in seinen eigenen Liedern zusammen, seine empfindsam-kehlige Stimme ist dabei sein Markenzeichen.

Als Befürworter der Unabhängigkeit wird er bereits mit 19 von der portugiesischen Geheimpolizei PIDE verhaftet, nach der Unabhängigkeit 1975 flieht er vor dem Bürgerkrieg nach Portugal. Eine erste Platte nimmt er 1983 in Brasilien auf, der weltweite Durchbruch erfolgt aber erst 1998 mit der Scheibe Preta Luz unter den Fittichen von David Byrne. In seiner Heimat konnte er nur sehr selten singen, die Verfolgung durch die Geheimpolizei gehörte aufgrund seiner kritischen Texte zu seinem Alltag. Seine internationalen Teamworks aber spannten sich von Chico Buarque über Ryuichi Sakamoto bis zum London Philharmonic Orchestra.

Als einziger Nichtportugiese sang er 2001 bei einer Gedenkfeier für die eng befreundete Fadista Amália Rodrigues. Waldemar Bastos erhielt vom neuen angolanischen Staatspräsidenten João Lourenço als Zeichen der Versöhnung 2018 den Nationalen Preis für Kultur und Künste. Wenig später bot Bastos dem Kulturministerium seine Zusammenarbeit an. Seine generationenübergreifende Popularität hallt derzeit in den Nachrufen wider, die auch Kommentare vieler junger Lyriker und Rapper umfassen.

© Stefan Franzen

Waldemar Bastos: „Kuribota“
Quelle: youtube