Schatzkiste #37: Der Schmerz als Quelle

Jimmy Scott
The Source
(Atlantic, 1969)

gefunden durch: Fences (Denzel Washington)

Als ich vor einiger Zeit Denzel Washingtons Film Fences sah, berührte mich eine ruhige Szene besonders. Während ihr hörte ich eine Stimme, die ich geschlechtlich kaum zuordnen konnte. Der Abspann brachte dann Aufklärung. Jimmy Scotts Erkrankung am Kallmann-Syndrom schenkte ihm tatsächlich eine androgyne, unverwechselbare, berührende Stimme – doch sie erleichterte ihm sein langes Leben ganz gewiss nicht. Über das Persönliche hinaus wurden dem Mann aus Cleveland, der 2014 im Alter von 88 Jahren starb, auch musikalisch etliche Tiefschläge beschert. Mit Lionel Hampton und Charlie Parker hatte er einige frühe Erfolge, eine Platte mit seinem Bewunderer Ray Charles wurde allerdings kaum beachtet. Verzweifelt zog er sich in den 1970ern von der Musik zurück, wurde Nachtportier, in den 1990ern entdeckte man ihn vorübergehend wieder, und in seinen hohen Achtzigern kam er nochmals mit seinem Vermächtnis I Go Back Home zu Ehren, dessen Genese vom Düsseldorfer Filmemacher Ralf Kemper begleitet wurde.

The Source stammt aus der Phase kurz vor Scotts verbittertem erstem Rückzug aus dem Geschäft. Es erschien auf Atlantic, was per se schon ein Gütesiegel ist. Allein von der Titelliste her klingt Scotts Songauswahl unspektakulär und spiegelt seine Spezialität, die tiefenräumlich orchestrierten Balladen wider: Folksongs wie „Sometimes I Feel Like A Motherless Child“ oder gar Schnulzen wie die „Unchained Melody“ sind darunter, ferner der Soundtrack zu „Exodus“. Doch was Jimmy Scott aus diesen wohlbekannten Stücken macht, ist in seiner unerwarteten, verzögerten Phrasierung, seinem herzzereißenden, waidwunden Timbre und seinem unendlichen Hinüberziehen der Töne einzigartig. Mehr zu Jimmy Scott und Kempers Film über ihn gibt es am 9.11. im Forum Merzhausen.

Jimmy Scott: „Day By Day“
Quelle: youtube