Groundhog Night

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The Fretless
Akustik in Agathen, Fahrnau
7.10.2016

„Was haben Pat Metheny, Al Di Meola und Quincy Jones mit den Musikern gemein, die wir heute Abend hören werden?”, fragt Bernhard Wehrle, einer der Initatoren der Konzertreihe Akustik in Agathen in die vollbesetzte Zuhörerrunde. „Sie sind alle Absolventen des renommierten Berklee College of Music.” Nach wenigen Takten hat wohl niemand mehr einen Zweifel daran: Ja, diese vier jungen Herren, drei Kanadier, ein Amerikaner, sie spielen Folkmusik. Allerdings haben sie die Fiddle Tunes, Jigs und Reels so raffiniert und virtuos auf Violinen, Bratsche und Cello übertragen, dass man die Ästhetik der ganzen Streichquartett-Tradition des Abendlandes von Joseph Haydn bis zur Neuen Musik mithört.

Da beginnt die Bratsche mit aufgekratzter Rhythmik, das Cello legt einen perkussiven Swing darunter, der fast an eine ratternde Lok erinnert, wirbelnde Achtelketten knüpfen die Geigen. Immer wieder werden die Töne der Melodie durch schöne Schleifen und Vorschläge in die Nähe eines seelenvollen, herzblutenden Gesangs gebracht, das Thema wandert durch alle Stimmen hindurch, und schließlich endet alles augenzwinkernd in einer chromatischen, windschiefen Schlitterpartie. Das alles passiert wohlgemerkt in nur einem Stück, der Eröffnung „Dirty Harry”.

trent-stefanGefragt, was denn typisch kanadisch sei an der Musik von The Fretless, sagt Geiger Trent Freeman vor dem Konzert: „Die Vielfalt! Wir bringen die vielen Fiddle-Stile aus dem ganzen Land zusammen, und keltische Einflüsse sind immer dabei, denn irgendwie hat jeder Kanadier auch schottische oder irische Wurzeln.” Ben Plotnick und Karrnnel Sawitsky lassen außerdem slawisches Feuer spüren, sie können auf russische und ukrainische Vorfahren verweisen, und der Cellist Eric Wright flicht das Erbe der Old Time-Music aus den Appalachenbergen von Vermont von der anderen Seite der Grenze ein. Es ist genauso verblüffend wie belebend, der Dramaturgie ihrer Stücke zu folgen, die mit Tonarten- und Tempowechseln nicht geizen, und in denen sich die Instrumente immer wieder neu gruppieren: Mal webt das Cello alleine Wellenfiguren, mal findet es sich zu dunklen Liegetönen mit der Bratsche zusammen, die aber auch immer wieder an die Violinen andockt zu filigraner Zwei- und Dreistimmigkeit.

Mit Vorliebe erkunden die Musiker das Reich der Obertöne, wenn sie ganz delikat mit glasigem Flageolett arbeiten, und die Tremoli scheinen das Zittern in eisiger Kälte zu simulieren. Und doch klingt das alles, so ausgearbeitet das musikalische Material auch ist, nie elitär, bleibt leutselig: Meistens schlägt Sawitsky mit seinen Schuhen im Takt auf den Tanzboden, und schließlich pflegen die vier auch die Erinnerung ans Musizieren in der Küche, brechen eine Jam Session mit Akustikgitarre vom Zaun. Da wird dann das Publikum eingeladen, in ein Lied über das „groundhog” einzustimmen, das arme Murmeltier, das letztendlich verspeist wird. Querverweise auf die kanadische Natur auch im Stück über den idyllischen Ort Bella Coola, dessen Ruhe aber immer wieder durch Gewehrschüsse getrübt wird, wenn vor einem nahenden Bär gewarnt wird: Die Gefahr haben The Fretless mit synkopischer Zerstückelung vertont, die in einer Verfolgungsjagd endet.

Noch mehr bodenständige Würze kommt zur Überraschung aller ins Spiel, als Wrights Freundin Sarah Robinson die Bühnendielen besteigt, um Kostproben ihres Stepdance zu geben: eine elegante Variante aus Ottawa Valley, die so gar nichts gemein hat mit den Aufziehpüppchenbewegungen à la „Riverdance”. Mit dem Titelstück aus ihrem neuen Album „Bird’s Nest” legen die vier nochmals in delikater Schichtung Traditionelles und eine Neukomposition aus der Feder von Freeman übereinander. Ihrem Namen sind sie vor dem begeisterten Publikum gerecht geworden – bezeichnet „Fretless” doch nicht nur die Bundlosigkeit ihrer Instrumente, sondern auch eine unerschrockene Geisteshaltung.

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© Stefan Franzen, Fotos: Bernhard Wehrle (2), Stefan Franzen (1,3)