Malisches Kammerflirren II

Toumani Diabaté & the London Symphony Orchestra
Kôrôlén
((World Circuit/BMG)

Einen Dialog zwischen einem außereuropäischen Instrument und einem westlichen Orchesterapparat herzustellen, kann zur Quadratur des Kreises werden, auch ein Ravi Shankar ist daran schon gescheitert. Umso beachtlicher Kôrôlén, Toumani Diabatés jetzt veröffentlichtes Teaming Up mit dem London Symphony Orchestra für das Barbican Centre von 2008. Auf dieses Teamwork aus eurozentrischer Perspektive zu blicken, wäre fehl am Platz: Schon während des Mande-Reiches im 13. Jahrhundert spielten die Griots, die musizierenden Geschichte(n)-Erzähler, auf Stegharfen und Spießlauten eine melodisch und rhythmisch hochkomplexe Musik für Könige, die getrost als „höfische Klassik“ bezeichnet werden darf. Zu einer Zeit, als sich in Europa gerade mal eine frühe Mehrstimmigkeit herausschälte.

Toumani Diabatés Vorfahren waren damals schon in direkter Linie dabei. Wenn hier also malische Musik auf abendländische Symphonik trifft, geschieht das auch aus rein historischer Überlegung auf Ohrenhöhe. Dank der Arrangeure Nick Muhly und Ian Gardiner liegen in der Begegnung des Griots in der 37. Generation nicht nur Streicherteppiche unter den westafrikanischen Kora-Linien, sondern Bläsergruppen nehmen Motive auf, dialogisieren, verbünden sich mit dem Balafon, und die Geigen setzen Kontrapunkte. Ein symphonisches Ambiente, das räumliche Tiefe bietet statt kitschigen Unterbau.

© Stefan Franzen

Toumani Diabaté & the London Symphony Orchestra: „Haïnamady Town“
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Polares Drama und Lerchenflug

Heute jährt sich der Todestag des englischen Komponisten Ralph Vaughan Williams zum 60. Mal. RVW hat mir in den achtziger Jahren nicht nur die Türen zur britischen Klassik geöffnet, er hat mich auch immer wieder durch seinen kreativen Umgang mit englischer Folkmusik verblüfft. „The Lark Ascending“, der Aufschwung der Lerche, diese unvergleichlich lautmalerische und seelenvolle Romanze für Geige und Orchester, die ich selbst versucht habe zu spielen, war der Auftakt zu Jahrzehnte langen Erkundungen zwischen E- und U-Musik – eine Trennung, die im UK ohnehin inexistent ist.

Seine antarktische Symphonie, erst als Soundtrack zur Verfilmung von Robert Falcon Scotts Südpol-Drama geschrieben, und sein Oboenkonzert habe ich in meiner Hörspielfassung von William Hope Hodgsons Das Haus an der Grenze eingesetzt. Sein Gespür für dramatische Orchestercrescendi und räumliche Effekte in der Tallis-Bearbeitung oder der „London Symphony“ überwältigen mich noch heute. Sein Pinselstrich mit pastoralen Farben im Oboenkonzert lassen eine englische Landschaft vor Augen erstehen, und seine moderne Vokalarbeit in den Shakespeare-Vertonungen klingen auch in der heutigen Chormusik noch nach. „Flos Campi“ schließlich ist das schönste und rätselhafteste Ton-Poem über das biblische Hohelied, das ich kenne.

Meine sieben Vaughan Williams-Favoriten.

1. „The Lark Ascending“ (1914-20) (Violine: Arabella Steinbacher, NDR Radiophilharmonie)
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2. „Fantasia On A Theme By Thomas Tallis“ (1910) (BBC Symphony Orchestra at Gloucester Cathedral)
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3. „Sinfonia Antartica – 1. Prelude – Allegro Maestoso“ (1952) (London Philharmonic Orchestra, Adrian Boult)
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4. „Concert for Oboe – Rondo Pastorale“ (1944) (Oboe: David Theodore, London Symphony Orchestra)
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5. „A London Symphony – Lento“ (1912/13) (Hallé Orchestra, John Barbirolli)
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6. „Three Shakespeare Songs“ (1951) (DR VokalEnsemblet)
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7. „Flos Campi“ (1925) (Viola: Frederick Riddle, Bournemouth Sinfonietta)
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