(he)artstrings #9: Leuchtkraft aus Minas

Milton Nascimento
„San Vicente“ (Milton Nascimento/Fernando Brant)
(aus: Clube Da Esquina, 1972)

Amerikanisches Herz
ich erwachte aus einem seltsamen Traum
ein Geschmack von Glas und Schnitt
von Schokolade
im Körper und in der Stadt
ein Geschmack von Tod und Leben.

Das Warten in der immensen Schlange,
und der schwarze Körper vergaß,
dass er in San Vicente war
die Stadt und ihre Lichter
amerikanisches Herz
ein Geschmack von Glas und Schnitt.

Wer unter Zensur leidet, der greift zu Bildern, die die Behörden nicht verstehen können, deren Botschaft bei den aufmerksamen Hörern aber ankommt. Fernando Brant und Milton Nascimento haben als Teil der Clube da Esquina-Bewegung in Minas Gerais Anfang der 1970er den Alltag unter der brasilianischen Militärdiktatur in rätselhafte Visionen eingewoben und eine Musik geschaffen, die an Barock und Progressive Rock à la frühe Genesis zugleich erinnert. „San Vicente“ ist für mich das stärkste Lied von dieser ersten Clube da Esquina-Platte – weil es mit seinem inbrünstigen, flehenden, anrufenden Ton unter allen Tracks herausragt und in nicht einmal drei Minuten die ganze Traurigkeit, Resignation und Freiheitssehnsucht einfängt, die ein sensibler Künstler unter dem permanenten Korsett eines menschen- und kunstverachtenden Regimes empfinden muss – und weil es trotzdem dieser täglichen Absurdität ein Stück Musik von spiritueller Leuchtkraft entgegensetzt.

Feliz aniversário, Milton Nascimento, zum 74. Geburtstag.

Milton Nascimento: „San Vicente“
Quelle: youtube

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