Wanderer durchs Grasland (#9 – Canada 150)

Poor Nameless Boy (Saskatchewan)
aktuelles Album: Bravery (Chronograph Records)

Auf meiner Reise durch Kanada habe ich mich insgeheim immer wieder gefragt, welche Sorte Musik der typisch kanadische Musiker macht, was den typischen Kanadier überhaupt auszeichnet. Ich war schon wieder zurück in Europa, als ich in Basel Joel Henderson traf, der so ein paar Klischees erfüllen könnte – von wegen Holzfällerhemd, Bart, Landbursche aus der Prärie. Doch im Gespräch wurde mir schnell klar, dass das mit den Stereotypen im Kopf schnell ad acta gelegt werden muss. Warum Henderson sich als Künstler Poor Nameless Boy nennt, aus welchen Quellen er für sein Songwriting schöpft, und welche Gedanken er sich zur aktuellen politischen Situation in Kanada und zum 150. Geburtstag des Landes macht, lest ihr hier im 9. Teil meiner Serie.


Joel, du bist in Saskatchewan aufgewachsen, eine Provinz, die von der Weite der Landschaft, der Prärie geprägt ist. Wie wirkit sich das auf dein Songwriting aus?

Henderson: Songwriter haben ja eine Antenne dafür, was um sie herum passiert. Und in Saskatchewan ist da eine Stille, du siehst den weiten Himmel. Besonders da, wo ich herkomme, gibt es nicht viel Wälder oder Bäume, du musst gezielt nach ihnen suchen. Wo ich herkomme, da gibt es einfach nur Landwirtschaft, Menschen und manchmal Städte.

Es wird ja auch unglaublich kalt dort. Ist der Winter deine kreative Zeit?

Henderson: Ja, ich denke, das ist der Fall. Der Winter bringt deine nachdenkliche Seite zum Vorschein. Du willst es warm haben, am Feuer sitzen, dann willst du schreiben und zu singen anfangen, es ist ruhiger. Wenn es neun Uhr abends ist und draußen bitterkalt, dann willst du etwas Poetisches, Schönes schaffen.

Welche musikalischen Einflüsse hattest du als deine Karriere anfing? Waren das eher Leute aus deiner Umgebung oder auch aus dem Ausland?

Henderson: Die Faszination für Songwriter habe ich erst vor fünf, sechs Jahren entwickelt. Ich wuchs vielmehr auf mit der Musik der Fünfziger und Sechziger, das war der Einfluss meines Vaters. Während meiner Studien habe ich dann aber alles gehört von R&B über Rap bis zu Punk. Ich habe alles aufgesogen. Mit 20 habe ich angefangen, eigene Songs zu schreiben, und erst da kam ich dann eher in Berührung mit kanadischen Songwritern. Heute kommt der größte Einfluss, den ich habe, von den Menschen, die ich treffe, Musiker, mit denen ich die Bühne teile, denn ich sehe dann live was sie tun, nicht nur wie sie spielen, sondern auch wie sie mit dem Publikum umgehen.

Eine sehr offensichtliche Frage: Warum trittst du nicht unter deinem richtigen Namen auf?

Henderson: Der Name entstand, weil ich nach einem anderen letzten Namen suchte. In Saskatchewan erinnern sich noch viele Leute daran, wie sie mit meinem Dad in einer Band spielten, und auch mein Bruder ist sehr aktiv in der Musikszene, auch meine Onkel und andere Familienmitglieder. Der Name „Henderson“ hat also schon eine Vergangenheit. Zu der Zeit habe ich die Musik noch nicht so ernst genommen, ich wollte einfach einen Namen. Und weil ich mir keinen neuen ausdenken konnte, sagte mein Vater im Witz zu mir: „Hey, poor nameless boy!“ Aber ich ging nach Hause und merkte, ja, das ist der Name, der mir gefällt und der auch meine Musik widerspiegelt. Auch heute noch. Weiterlesen