Einer der bekanntesten Geburtstags-Songs der Popgeschichte stammt aus seiner Feder, Adressat: Martin Luther King. Heute kann man ihm selbst „Happy Birthday To Ya“ singen: Stevie Wonder wird 70 Jahre alt. Das klingt fast etwas unwirklich, denn alles Wichtige in seinem Leben ist mit der Jugend verbunden, passierte sehr früh. Mit zwölf Jahren veröffentlichte er seine ersten LPs, mit 21 erkämpfte er sich künstlerische Selbstbestimmung, sein Magnum Opus schrieb er mit 25.
Als „Little Stevie Wonder“ stellt ihn Motown 1962 vor, und die gesamten Sechziger hindurch bleibt der Wunderknabe, großes Vorbild Ray Charles, mit mehr als einem Dutzend Alben fest in der Hit-Diktatur von Labelchef Berry Gordy gefangen. Der Multiinstrumentalist begeistert mit seiner fantastisch flexiblen, glockenhellen Stimme und seinem sonnigen Mundharmonikaspiel, liefert Chartstürmer wie „Signed, Sealed & Delivered“, „I Was Made To Love Her“ oder „My Cherie Amour“.
Ähnlich wie Labelkollege Marvin Gaye begehrt er an der Wende zu den 1970ern gegen das kommerzielle Korsett auf. Wonder belegt Musiktheorie, baut ein eigenes Studio, handelt seinen Motown-Vertrag neu aus und vollzieht mit den Werken Where I’m Coming From und Music Of My Mind eine Metamorphose zum vielfältigsten Soul-Künstler seiner Zeit. Seine Songs umfassen jetzt ein Spektrum von harscher Sozialkritik bis zu dahinschmelzenden Liebesballaden, er formt Jazz, Funk, Gospel und Reggae zu einem eigenen Stil. Seine Songs baut er aus fast klassisch komplexen Harmoniegängen, die Stimme gewinnt an Tiefe und Innerlichkeit, und eine Pioniertat ist sein Gebrauch von Synthesizern.
Hits schreibt er weiterhin, darunter „You Are The Sunshine Of My Life“ und das aufgekratzt-funkige „Superstition“, beide von der Platte „Talking Book“ (1972). Fast von Geburt an blind entwickelt er ab Innervisions eine zunehmend spirituelle Bildsprache und wird zugleich immer politischer, greift mit dem ätzenden „You Haven‘t Done Nothin‘“ direkt Präsident Nixon an. Die ungeheure Kreativitätsphase gipfelt 1976 in Songs In The Key Of Life: Das opulenteste Konzeptalbum des Soul bis dahin spannt sich thematisch von „Pastime Paradise“, einem tiefgründigen Plädoyer gegen Müßiggang, das später Rapper Coolio aufgreift, bis zur zündenden Duke Ellington-Hommage „Sir Duke“ auf.
Noch einmal, 1980 mit Hotter Than July, schafft er ein Meisterwerk inklusive seiner Reggae-Lesart in „Master Blaster“. Dann führt ihn sein Weg in den – manchmal seichten – Pop: Das sentimentale „I Just Called To Say I Love You” hat ihm so mancher Fan der Frühzeit bis heute nicht verziehen. Duette mit Paul McCartney und Michael Jackson sowie Filmmusiken flankieren den weiteren Weg, Alben gibt es nur noch sporadisch. Das letzte Werk A Time To Love mit Gästen von India.Arie bis Prince liegt 15 Jahre zurück. Generationen von Musikern und Soul-Aficionados hat Stevie Wonder geprägt, sein berühmtester Fan, Barack Obama, machte ihn zum Stammgast bei den Konzerten im White House. Neben der Musik gilt bis heute sein unermüdliches Engagement einem Amerika ohne Rassismus.
© Stefan Franzen, erschienen in der Badsichen Zeitung, Ausgabe 13.05.2020